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Gesundheitsvorherrschaft: Aspekte (1)

Hier erscheinen nun in losen Abständen weitere Gedanken zu meinem vorigen Blogeintrag, der Übersetzung des Essays von Dr. Maarten Steenhagen. Viele Aspekte der Krankenfeindlichkeit kommen im Essay nicht oder nicht explizit vor. Diese möchte ich hier nach und nach thematisieren.

Nach rechts geschwemmt?

In der Einleitung schrieb ich: “Wir sehen uns seit Pandemiebeginn zunehmend mit rechtsextremen Anschauungen konfrontiert.”
Gemeint: Mit den neoliberalen, neofeudalen bis rechtsrechten Vorstellungen von Stark und Schwach, von Hochwertig und Minderwertig, von Leistung und “Leistung”. Die, die uns weismachen wollen, Solidarität wäre, wenn die einen auf die anderen draufsteigen. Davon sind wir ja schon weitaus länger unterwandert als nur in den letzten Jahren.
(siehe auch mein Rant aus dem Mai 2020 und frühere Beleuchtungen des Leistungsgedankens)

Nicht nur rechte Trolle auf sozialen Medien konfrontieren uns damit, wenn sie uns ihren gefühlten Anspruch auf Rücksichtslosigkeit und Entsolidarisierung als “Freiheit” verkaufen wollen. Nicht nur aus der False Balance in zu vielen anderen Medien schwappt es uns die neue Kaltschnäuzigkeit frostig in unsere mentalen Systeme.

Sondern auch und immer wieder von Seiten unserer Regierung, die ihre Berater und Beraterinnen nie auf ihre Gesinnung abklopft, weil wertebefreiter Machterhalt sich gesinnungsmäßig gar nicht festlegen muss. Stattdessen scheint sie jede “gesundheitspolitische” Empfehlung gerne anzunehmen, die opportun ist, um ihre Wirtschaftsklientel zufriedenzustellen. Genausowenig überraschend ist dabei, dass die kapitalismusfreundlichsten Konzepte gleichzeitig mitunter die menschenfeindlichsten sind.

Während du dich also politisch unverrückbar links wähnst und auf Seiten von Toleranz, Mitgefühl, Gleichbehandlung und sozialer Güte, schwappen dir diese vereinfachten Inhalte durchs Hirn wie so’n Abwasser und nehmen dich und deine Haltung allmählich immer weiter mit nach rechts. “Normalisierung” tritt ein. Denn diesen menschenfeindlichen, wertefernen und rechtsextremen Anschauungen wohnt stets die verführerische Komponente inne, sehr simpel zu sein. 

Über Lernfähigkeit

“Wir müssen mit dem Virus leben lernen” ist einer dieser “simplen” Inhalte. Wiewohl es dieser Satz ordentlich in sich hat.

Zunächst wird ein solcher stehender Satz nicht einmal ansatzweise der Komplexität gerecht, die dieser Pandemiesituation nun mal eigen ist. Ja, es ist genau jene Komplexität, die die rechten Vereinfacher mit ihren Stehsätzen so gerne ausblenden möchten. Der lapidare Satz sagt sich aber eben so beschwingt-abgeklärt, dass er gern als veritables Killerargument genutzt wird, weil er ach-so-sehr nach einer realistischen, lebensnahen persönlichen Haltung klingt.

Er hat allerdings seine Tücken, weil er die vielen Aspekte dahinter eben gar nicht erst adressiert.
Stattdessen tut er so, als müsste man sich diskursfrei auf ihn einigen wollen, und man tut, als könnte er nur eins bedeuten.
Während der Satz in Wirklichkeit genauso alles Menschenmögliche an Schutzmaßnahmen und Rücksicht meinen kann (für alle Menschen, nicht nur gesunde), wie gar nichts.

Ich habe diesen Satz auch schon von Leuten gesagt bekommen, die sich für politisch links halten. Für Risikopersonen wie mich ein Schlag ins Gesicht, weil man uns damit meistens vermitteln will, wir sollen uns einfach “nicht so anscheißen” (wie die mit der stabileren Gesundheit uns das ja so plakativ vormachen) und uns “halt selber schützen” (wie die mit der stabileren Gesundheit uns das nicht plakativ vormachen können, weil sie wenig Erfahrung darin haben, wie das gehen soll). Und wir müssten uns für dieses “Selberschützen” dann noch anschauen lassen, als wären wir nicht ganz richtig im Kopf, weil wir unser menschliches Sein und Leben vor einem (weiteren) körperlichen Schaden bewahren wollen. Aus Vernunft und aus der Erfahrung, wie es ist, mit einem solchen zu leben (die denen mit der stabileren Gesundheit obendrein fehlt).

Was jemensch (womöglich gar Drosten oder so) ursprünglich vielleicht mal mit dem Satz gemeint haben könnte:
“Das Virus wird nicht mehr weggehen – also lasst uns einen Umgang damit finden, der die Gesellschaft als Ganzes am besten davor bewahrt.”
Könnte man so sehen. Lernen ist ja ein evolutionärer Vorteil, weil es oft zu besserer Anpassung an die veränderlichen Umweltbedingungen im Leben führt. Genau diese Implikation nützt der Satz aus, allerdings in jeder der mitschwingenden Bedeutungsvarianten. Also auch dann, wenn er für das genaue Gegenteil steht: die Wirklichkeit ausblenden und so tun, als wäre die Pandemie vorüber – auch dieses Verhalten soll uns mit dem Satz als “Lernen” verkauft werden.

[Man bemerke bitte wohlwollend, wie lässig ich eingestreut habe, dass darwinsche Evolution das (genetische) Überleben der Anpassungsfähigsten meint – nicht der Stärkeren.]

Was aber wirklich nach dem elenden Stehsatz als Implikation in der Luft liegt:
“… und wenn du das nicht lernen kannst/willst, oder deine Liebsten, dann sterbt halt.”

Oder auch:
“Wir müssen eben die Härte haben (Uga!*) und uns daran gewöhnen, dass niCHt aLLe überleben können!
Sondern nur die Supersten – die halt dann mit Gefäß-, Organ- oder Hirnschäden, aber das kümmert uns jetzt nicht mehr!.”

[*Mit “Uga!” pflege ich ich hierzublogge die Emotion zu bezeichnen, die absichtsvoll in jemandem ausgelöst werden soll, der sich endlich zu den StArKeN zählen darf.]

Wenn unsere Herrn Politiker einen solchen Satz daherfaseln, dann kann man nicht mit Sicherheit sagen, was sie wirklich meinen, wenn man nicht nachfragt. Macht aber trotzdem keiner. Man käme sich ja auch blöd vor. Das ist genauso, wie wenn sie sagen, “Leistung muss sich wieder lohnen!” und nicht dazusagen, dass damit aber nicht der Hackler aus Favoriten gemeint ist. Da fragt auch keiner: “Aha, wie meinen Sie das denn jetzt genau?”

Schwerer Fehler, man sollte ja viel mehr nachfragen.
Zum Beispiel:
¿ Finden Sie wirklich, dass man es Menschen noch schwerer machen sollte, denen es eh schon ausreichend gschissn geht?
¿ Dass man sie “aussortieren” müsste?
¿ Ihnen die alltäglichen Besorgungen weiter erschweren?
¿ Ihre Existenz ausblenden, damit die StArKeN endlich ihr Leben weiterleben können?

¿ Gelten Menschenrechte nicht für alle Menschen?
¿ Gibt es Menschenrechte nicht überhaupt nur deshalb, weil nicht alle ~gleich stark~ sind? Und das nicht nur in ihrer Konstitution, sondern auch und gerade bei ihren Möglichkeiten, auf ihre Bedürfnisse aufmerksam zu machen?

Wenn ihr diesen Fragenblock menschenfreundlich beantwortet hättet – dann sagt diesen Satz bitte nicht mehr. Zumindest nicht, ohne zu konkretisieren, was ihr damit genau meint; für euch und für andere.
Dankeschön! @->–>

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Die Vorherrschaft der Gesunden

Seit Beginn der Pandemie sehen wir uns zunehmend mit rechtsextremen Anschauungen konfrontiert. Ein Essay bringt eine klare Einordnung krankenfeindlicher Tendenzen: Gesundheitsvorherrschaft ist eine faschistoide Ideologie.

In den Jahren der Pandemie war es für Menschen aus der Risikogruppe, Menschen mit chronischen Krankheiten oder mit Behinderung und für deren Angehörige schon schwierig genug, ihr Leben wenigstens auf Sparflamme fortzuführen.
Ob und in welchem Ausmaß “die Gesunden” (oder die, die sich dafür halten) Schutzmaßnahmen mittragen und für sich als zumutbar empfinden, wird jedoch wesentlich davon bestimmt, welche geistige Haltung sie gegenüber Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen einnehmen. Die allzu lauten Verharmloser und Leugnerinnen schreien uns ihre Anschauung dazu regelmäßig in die Ohren und in unsere Gedankenwelt.

Dr. Maarten Steenhagen vom philosophischen Institut an der Universität Uppsala hat im Mai bei Medium ein eindringliches Essay in englischer Sprache veröffentlicht. Angesichts der sukzessiven und aktuellen Entwicklungen im Laufe der Pandemie sind Steenhagens klare Worte in diesem Essay eine wichtige Einordnung, wie ich finde.

Im Einvernehmen mit dem Autor (und sehr zu seiner Freude :) habe ich sein Essay daher hier auf Deutsch übersetzt.
(Hier verlinke ich seinen Original-Twitter-Thread zum Essay.)

tl;dr

Die Vorherrschaft der Gesunden ist eine krankenfeindliche, rechtsextreme und faschistoide Anschauung, die den vergänglichen Gesundheitsstatus der Menschen in eine absolute Eigenschaft umdeutet und daraus Privilegien- und Machtansprüche der “Gesunden” ableitet. Sie richtet sich gegen alle, die diesem trügerischen Gesundheitsideal nicht entsprechen, und schürt und legitimiert damit Abwertung und Aggression gegen diese Menschen.
Wir müssen den Erscheinungen dieser Ideologie entschlossen entgegentreten – in uns selbst und in anderen.

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“Verabscheust du Faschismus?
Dann sei nicht krankenfeindlich!

(“Loathe fascism? Then don’t be a health supremacist”)

Die Vorherrschaft der Gesunden ist eine Ideologie. Vorherrschaftsdenken beginnt immer mit der gedachten Aufteilung der Welt in vermeintlich “hochwertige” und “minderwertige” Menschen. Gesundheitsvorherrschaft ist die Anschauung, dass jemand, der als gesund betrachtet wird, all denen übergeordnet wäre, deren Gesundheit in irgendeiner Weise eingeschränkt ist; jegliche Form von Krankheit oder mutmaßlicher gesundheitlicher Beeinträchtigung macht dich in dieser Anschauung aus Prinzip zu einem “minderwertigen” Menschen. Gesundheitsvorherrschaft ist der Glaube, den Gesunden würde das natürliche Privileg zustehen, gesellschaftlich die Vorherrschaft über die anderen auszuüben.

Dem Kern von Gesundheitsvorherrschaft und Krankenfeindlichkeit wohnt ein Trugbild inne: Dass es so etwas wie eine “natürlich-gesunde” Person gäbe, die niemals ernstlich krank oder behindert ist und das auch nicht werden kann. Ein Trugbild deshalb, weil das einfach nicht der Wahrheit entspricht. Die Gesundheit ist eine der unvorhersehbarsten Gegebenheiten an einem Menschen. Jede und jeden von uns trennt nur eine Infektion oder ein Unfall von einer Erkrankung oder Behinderung.

Mit der Aussage, dass alle Gesundheit fragil ist, soll hier nicht in Abrede gestellt werden, dass es beim Gesundheitszustand strukturelle Ungleichheiten gibt: Wenn du dir Nahrungsmittel nicht leisten kannst oder in einer Gegend mit starker Luftverschmutzung lebst, wird das deine Gesundheit beeinflussen. Strukturelle Ungleichheiten, die unterschiedliche Gesundheitszustände zur Folge haben, sind ein guter Grund, den Gesundheitszustand nicht zu einer Kategorie zu essentialisieren. Und doch ist es genau dieser Essentialismus, den die Gesundheitsvorherrschaft verlangt. Das ist der Grundpfeiler ihres Trugbildes. Und Krankenfeinde tun was sie können, um aktiv diese Fantasie aufrechtzuerhalten und auszuüben.

Der Kniff lautet, dass man sich die Gesundheit als etwas vorzustellen hätte, das Grundlegendes und Essentielles über eine Person verraten würde. Anstatt anzuerkennen, dass Gesundheit und Krankheit praktisch jedem widerfahren kann, bildet sich die Gesundheitsvorherrschaft gern ein, dass ein guter Gesundheitszustand eine angeborene, naturgegebene Eigenschaft mancher Menschen wäre (und anderer Menschen nicht). Der selbst-erklärte Gesundheitsstatus wird allmählich zu einem Teil der individuellen Identität. Diese Auffassung von Gesundheit als essentielle Eigenschaft einiger (und anderer nicht) bildet die Grundlage für eine Weltanschauung, in der eine bestimmte Gruppe – die selbsternannten “natürlich-Gesunden” – den anderen naturgegeben übergeordnet wäre.

Wie wurde die Krankenfeindlichkeit während der Pandemie angekurbelt?

Wie andere rassistische Ideologien hat auch Gesundheitsvorherrschaft eine lange und grausame Geschichte. In den letzten zwei Jahren konnten wir beobachten, dass die Gesundheitsvorherrschaft ins öffentliche Bewusstsein vordringt wie schon lange nicht mehr. Krankenfeindliche Ideologie ist zum Mainstream geworden und scheint selbst von solchen Leuten übernommen zu werden, die von sich sagen, sie würden rassistische Denkweisen ablehnen. Das ist eine gefährliche Entwicklung, die wir bekämpfen und umkehren müssen.

Die Krankenfeindlichkeit wurde von der Pandemie angekurbelt. Erinnern wir uns, von Pandemiebeginn an wurde die öffentliche Wahrnehmung von Covid-19 dahingehend geprägt, dass es zu einer Spaltung in “hochwertige” und “minderwertige” Menschen kam. Die Krankheit wurde uns als eine präsentiert, die nur für “die Vulnerablen” ein Problem darstellt – Menschen, die älter sind und ein schwächeres Immunsystem haben, oder solche mit “Grunderkrankungen” oder “Vorerkrankungen”.
Covid-19 wird zunehmend als eine Krankheit abgetan, die nur jene schädigen würde, die (in krankenfeindlichen Begriffen) bereits “vorgeschädigt” waren; als etwas, das richtiges Krankwerden nur bei denen auslösen würde, die bereits vorher irgendwie die Veranlagung zum Krankwerden gehabt hätten. “Wenn sie der Virus nicht erwischt hätte”, sagen Freunde plötzlich, “dann hätte sie eben etwas anderes erwischt”. Oder: “Ich mach mir keine Sorgen, meine Konstitution ist von Natur aus stark.”

Ich weiß nicht, wie dieses Narrativ so gängig werden konnte, und das sogar unter denen, die es besser wissen sollten – unter Leuten, die an anderen Fronten gegen Faschismus auftreten, gegen Diskriminierung und Exklusion, oder die angeblich für soziale Gerechtigkeit und Inklusion kämpfen. Doch es wurde dennoch gängig.

In Wahrheit war jede demographische Gruppe von SARS-CoV-2 betroffen (wenn auch nicht gleich stark). Während der Pandemie haben Ärztinnen und Ärzte immer wieder betont, dass jede und jeder gefährdet ist. Und dennoch wiederholen viele ständig die Mär, dass SARS-CoV-2 als solches ein “mildes” Virus wäre; dass Covid-19 eine “milde” Erkrankung wäre, mit dem ein “natürlich-gesunder Körper” ganz einfach fertigwerden sollte. Ein Krankenfeind mag sogar zugeben, dass manche Menschen von diesem Virus tatsächlich schwer krank werden. Aber die, die tatsächlich krank werden, müssen dann ja schon vorher irgendwie anders gewesen sein. Der typische essentialistische Kniff eben.

Das gesundheitsbezogene Vorherrschaftsdenken und seine Narrative sind mit jeder Welle der Pandemie ausgeprägter geworden. Mittlerweile ist die öffentliche Vorstellung von der Gesellschaft fast gänzlich in zwei Lager gespalten: die vermeintlich höherwertigen, “gesunden” Individuen auf der einen Seite, und die vermeintlich minderwertigen “Vulnerablen” auf der anderen. Je verbreiteter eine solche Spaltung und diese Art des Deutungsrahmens (Framings) der Pandemie wird, umso weniger Individuen in der Gesellschaft bleiben davon unberührt. Das erzeugt auf alle den Druck, die eine Frage zu beantworten:
Zu welcher Gruppe gehöre ich?

Wie zeigt sich Krankenfeindlichkeit?

Krankheitsfeindliche Anschauungen unterwandern das öffentliche Bewusstsein, auch wenn wir uns dessen nicht immer bewusst werden. Um das klar zu sagen, es gab sie auch schon vor der Pandemie. Ein offensichtliches Beispiel ist der weitverbreitete Alltags-Ableismus – die gesellschaftliche Diskriminierung behinderter Menschen, sodass Menschen ohne Behinderung bevorzugt behandelt werden – sowie ein Hang zu eugenischen Bemühungen (mehr dazu später).

Allerdings hat das gesundheitsbezogene Vorherrschaftsdenken während der Pandemie wohl einen großen Sprung nach vorn gemacht. In Ländern wie den USA, Großbritannien, den Niederlanden und Schweden ist es in den Strategien der Gesundheitsbehörden offenbar zur Norm geworden – und es stößt auf beängstigend wenig Widerstand.

Wenn man die Vorherrschaft der Gesunden in Aktion sehen will, wo immer es um die Haltungen zur Pandemie geht, dann kann es hilfreich sein, zwischen ihrer offenen Manifestation und ihren verborgenen Formen zu unterscheiden.

Offene Krankenfeindlichkeit ist schwer zu übersehen, da sie für gewöhnlich laut und markant ist. Sie ist selbstbewusst, auffallend und symbolträchtig, und sie vergesellschaftet sich typischerweise sichtbar mit anderen rechtsextremen Ideologien.
In diesem Zusammenhang war der Artikel von Emily Gorcenski weitblickend, als sie im Jahr 2017 über die “Unite The Right”-Rally [Kundgebung “Vereinigt die Rechten”] in Charlottesville (Virginia, USA) schrieb: Rechten Aktivisten und Aktivistinnen gelingt es immer besser, die Lautstärke ihrer Botschaft durch Zusammenschluss zu erhöhen. Im Sommer 2020 führte Wettermoderator und Impfgegner Piers Corbyn auf dem Trafalgar Square in London einen beachtlichen Protestaufmarsch der Maskengegner an. Mit dem Event legte man es darauf an, Aufmerksamkeit zu erregen. Der Soziologe Phil Burton-Cartledge beschreibt hier, wie dieser Protest eine ganze Riege an rechtsextremen Aktivisten anzog, von solchen aus den Reihen der “British Union of Fascists” über Klimawandel-Leugner bis hin zu Anhängern der QAnon-Verschwörungsmythen.
Ein ähnlicher Aufmarsch fand im April 2022 in Los Angeles (Kalifornien, USA) statt, wo Aktivisten und Aktivistinnen auf ihren Transparenten Impfungen als gefährlich bezeichneten und “medizinische Freiheit” von ihnen gefordert wurde. Was er dort sah, beschrieb der Journalist Eric Levai vom “Rolling Stone” als einen “geschickt präsentierten Spendenaufmarsch der Faschisten voll unheilvoller Warnsignale vor dem, was uns bevorsteht”.
Ein Jahr zuvor hatte in derselben Stadt die neofaschistische Gruppierung “Proud Boys” in gewaltvoller Weise versucht, Menschen zu “demaskieren”, eine wilde, öffentliche Offenbarung rassistischer Vorherrschaftsstimmung.

Das sind offene und symbolträchtige Zurschaustellungen von Krankenfeindlichkeit: Da protestieren sie und wenden sich rabiat gegen Maßnahmen zur Infektionskontrolle, die (in der vorherrschaftlichen Anschauung) die vermeintlich “höherwertigen”, “natürlich-gesunden” Menschen nicht bräuchten und die vermeintlich “Minderwertigen” nicht verdienen würden. (Es versteht sich von selbst, dass dies eine gefährliche und widerwärtige Doktrin ist. Ich beschreibe es hier nur, um besser erfassbar und erkennbar zu machen, was da passiert, damit man dem entgegentreten kann.)

Verborgende Krankenfeindlichkeit kann schwammiger sein und allerlei Formen annehmen. Etwa die Form institutionalisierter Diskriminierung, Exklusion, Verharmlosung und Mikro-Aggressionen. Denken Sie an gesundheitspolitische Amtsträger, die es uns als positiven und beruhigenden Aspekt präsentierten, dass offenbar “nur” diejenigen schwer erkranken oder sterben, die ohnehin Vorerkrankungen haben – als würde die Krankheit oder der Tod eines Menschen irgendwie weniger Rolle spielen, wenn er Diabetes hat?
Oder denken Sie an Aussagen wie “Wenn du bisher kein Covid hattest, hast du vermutlich keine Freunde” – was unterstellt, dass alle, die sich darum bemühen, eine Infektion mit einem SARS-Virus zu vermeiden, sozial Ausgestoßene wären.

Andere Beispiele von verborgener Krankenfeindlichkeit: Wenn ein Arbeitgeber seine Angestellten zwingt, ins Büro zu kommen, ohne Maßnahmen zum Schutz vor einer Infektion. Wenn eine Freiwilligengruppe sich weigert, den Zugang zu ihren monatlichen Treffen auch auf alternative Arten zu ermöglichen. Wenn ein Freundeskreis dich fallenlässt, weil du auf Masken oder auf Treffen im Freien bestehst und das “keinen Spaß mehr macht”.
Oder was ist mit der allgemeinen Stimmungsmache, die Pandemie wäre vorbei – und das den bekannten Tatsachen zum Trotz: die Übertragungsrate ist hoch, Long-Covid grassiert, die Impfwirkung lässt zweifellos mit der Zeit nach, und Behandlungen gegen Long-Covid sind derzeit immer noch nicht verfügbar. In den Beispielen wird stillschweigend, aber unmissverständlich eine gesundheitsherrschaftliche Grundstimmung transportiert: “Wenn du glaubst, dass du von deiner Natur her Covid nicht wirklich gewachsen bist, solltest du möglicherweise gar nicht hier sein.”

Die vielleicht am stärksten handlungsbetonte Form der alltäglichen Krankenfeindlichkeit während der Pandemie war der irrational heftige Widerstand gegen das Tragen von Masken in vielen europäischen Ländern. Diese augenscheinliche Ablehnung lässt mich immer noch fassungslos zurück. Masken sind eine einfache und grundlegend effektive Maßnahme, um andere zu schützen und die Verbreitung eines Virus einzudämmen, der über die Luft übertragen wird. Dass so viele die kleine Unbequemlichkeit, die ihnen das Maskentragen beschert, für so unendlich viel wichtiger halten als den Schutz, den es anderen bietet – obwohl sie genau wissen, dass manche diesen Schutz wirklich benötigen – daran ist erkennbar, dass sie diejenigen, die sich gegen Covid schützen wollen, als minderwertig ansehen.

Aber es geht noch weiter, keine Maske zu tragen ist ihnen nicht genug. Ihre Maskenverweigerung muss aktiv und sichtbar zelebriert werden. Menschen mit Maske müssen zur Rede gestellt und verhöhnt werden, Blicke müssen geworfen und Augen gerollt werden. Die Existenz von Menschen die, aus welchem Grund auch immer, das Covid-Risiko ernst nehmen, scheint den Maskenverweigernden unerträglich zu sein.

Ist die Vorherrschaft der Gesunden eine Form von Faschismus?

Gesundheitsvorherrschaft ist dem Grunde nach eine faschistische Doktrin. Genau genommen ist Faschismus eine bestimmte geschichtliche Strömung. Sie begann im frühen 20. Jahrhundert in Italien und floss später in den deutschen Nationalsozialismus ein. Es war die Strömung, die letztlich zum Holocaust führte, ein Massen-Gemetzel, das genau auf einer Linie mit dem faschistischen Weltbild liegt: gewalttätig intolerant gegenüber allen Menschen, die als “minderwertig” betrachtet werden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg haben verschiedene neofaschistische Bewegungen versucht, diese Ideologien wiederzubeleben (oder vielmehr: sie am Leben zu erhalten). Die immer stärker sichtbar auftretenden rechten Bürgerwehren in den USA sind ein gutes Beispiel dafür, genau wie die British National Party in Großbritannien, und Voorpost und das Forum for Democracy in den Niederlanden (die letztgenannte Bewegung hat derzeit Mandate im niederländischen Parlament).

Den ideologischen Kern des Faschismus kann man allerdings von der Geschichte entkoppeln. Faschistische Strömungen drehen sich um die Vorstellung, dass eine Gruppe in der Gesellschaft das natürliche Recht dazu hätte, über die anderen zu herrschen. Diese “überlegene” Gruppe sollte nach Ansicht der Faschisten “rein” gehalten werden, frei von genetischer Verfälschung oder körperlicher Verunreinigung, auf dass die privilegierte Gruppe nicht geschwächt werde. Die Methoden der Ausgrenzung, Ungleichbehandlung, Eugenik und Gewalt werden zur Gänze mit dem guten Gedeihen der selbsternannten privilegierten Gruppe gerechtfertigt.
Es ist freilich etwas komplizierter als das, aber in dieser Charakterisierung erkennen wir, dass die meisten, wenn nicht alle rassistischen Ideologien zumindest diesen faschistischen Kern haben: Sie alle verfechten eine gesellschaftliche Anschauung, derzufolge eine Gruppe einen naturgegebenen Anspruch darauf hätte, über die anderen zu herrschen. Demnach ist die Ideologie jeder rassistischen Strömung, unabhängig von ihrer jeweiligen historischen Entwicklung, in ihrem Kern faschistisch.

Der faschistische Kern der Vorherrschaft der Gesunden ist die Vorstellung, dass diejenigen, die gesund sind, irgendwie die “besseren” Leute wären, und dass die Gesellschaft ihre Interessen und ihr Gedeihen schützen dürfte und müsste (und das vorrangig zu den Interessen und dem guten Gedeihen aller Mitglieder der Gesellschaft).
Man denke daran, dass dies ein falscher, essentialisierender Anspruch ist: Diejenigen, die zufällig gesund sind oder sich für gesund halten, werden als besser erachtet, angeborenerweise, von innen heraus, vielleicht sogar genetisch besser. Dieses essentialistische Denken über menschliche Eigenschaften – das wird Ihnen jede Psychologin bestätigen – übt auf unsere Gedankenwelt eine Anziehungskraft aus, die eine oberflächliche und kindische Basis hat.
(Man bemerke auch: es ist gar nicht gesagt, dass einzelne Leute, die krankenfeindliche Vorstellungen vertreten, selbst tatsächlich gesund sind. Was in dieser Weltanschauung zählt ist, dass man sich als gesund und stark darstellt und erscheint – jeder gesundheitsherrschaftlich denkende Mensch kann sehr wohl alle möglichen unerkannten oder uneingestandenen Gesundheitsprobleme haben.)

In dieser Hinsicht benutzt die krankenfeindliche Ideologie der Gesundheitsvorherrschaft dasselbe kognitive Schlupfloch wie die bekannteren Formen des Vorherrschaftsdenkens: Weiße Vorherrschaft und Männliche Vorherrschaft. Genau wie diese Ausprägungen rassistischen, vorherrschaftlichen Denkens verfolgt auch die Gesundheitsvorherrschaft die Vorstellung von der natürlichen Stärke und Vormacht eines bestimmten Typus Mensch – mit der Absicht, die Macht dieses Typus zu gewährleisten und zu erhalten. Während der Weiße Vorherrschaftsglaube der Vorstellung vom starken weißen Körper anhängt und der Männliche Vorherrschaftsglaube der Vorstellung von der biologischen Überlegenheit des Mannes, hängt die Gesundheitsvorherrschaft der Vorstellung von der Überlegenheit des “natürlich-gesunden” Körpers an.
Als notwendige Ableitung daraus bildet sie sich ein, alle, die eine Krankheit oder eine Behinderung haben, wären minderwertig. In dieser krankenfeindlichen Anschauung sollen nur diejenigen soziale Ansprüche und Privilegien genießen dürfen, die als gesund erachtet werden. Jeder und jede, auf die das nicht zutrifft, hat darin ein geringeres Anrecht auf Existenz; idealerweise sollten – laut dieser Gesinnung – kranke oder behinderte Menschen überhaupt nicht existieren.
Aktivistinnen und Aktivisten für Behindertenrechte warnen seit Jahrzehnten vor solchen Anschauungen. Auf mich wirken diese Anschauungen schlicht und ergreifend faschistisch.

Wie unterscheidet sich Krankenfeindlichkeit von Ableismus und Eugenik?

Krankenfeindlichkeit ist mit einer Erscheinung namens Ableismus nah verwandt. Ableismus ist eine Form der Diskriminierung, ein System aus Stereotypen, das den “voll funktionstüchtigen” Körper (“abled body”) als gesellschaftliche Norm betrachtet. Wie K. Cassidy es charakterisiert, ist Ableismus “der vorurteilsbehaftete Umgang mit behinderten Menschen unter der anmaßenden Behauptung, sie wären minderwertig”. Ableistische Verhaltensweisen und Taktiken schaden also dem Wohlergehen von Menschen mit Behinderung und machen es zunichte. Ableistische Sprachmuster unterstellen, dass Menschen mit Behinderung irgendwie weniger wert wären, oder sie ignorieren die individuellen Formen ihrer Kompetenz und Handlungsfähigkeit.
Cassidy und viele andere Autorinnen und Autoren haben darüber geschrieben, wie ableistisch die Reaktionen auf die Covid-19-Pandemie sind, und dass dadurch weitere ableistische Gesinnungen verstärkt wurden.

Man kann sich Ableismus als eine spezielle Form der gesundheitsherrschaftlichen Anschauung vorstellen. Die Vorherrschaft der Gesunden idealisiert einen natürlich-gesunden Körper, der Krankheit und Behinderung widersteht. Folglich ist das Bild, das er von der Gesellschaft malt, von Grund auf ableistisch, weil ein behinderter Mensch unweigerlich daran scheitern wird, diesen wahnhaften krankenfeindlichen Idealen gerecht zu werden.
Doch Gesundheitsvorherrschaft ist breiter angelegt als Ableismus, weil sie auch jede Person, die krank geworden ist oder deren Genesung länger auf sich warten lässt, als “minderwertig” einstuft; außerdem solche Menschen, die chronische oder genetisch bedingte Krankheiten haben, die die Betroffenen selbst nicht als Behinderung einordnen würden. Als “minderwertig” werden darin übrigens auch all jene betrachtet, die der gesundheitsherrschaftlichen Ideologie nicht anhängen.

Die Vorstellungen der Gesundheitsvorherrschaft erinnern auf schaurige Weise an das Eugenik-Projekt. Eugenik ist ein gesellschaftliches Konzept, das erbliche Eigenschaften in der Bevölkerung zu verstärken sucht, typischerweise durch gezielte Zucht, aber auch durch Zwangssterilisation oder gar Mord an bestimmten Bevölkerungsgruppen. Der rassistische Gedanke hinter der Eugenik ist offensichtlich, baut sie doch darauf auf, dass Menschen mit bestimmten Eigenschaften als besser erachtet werden als Menschen, denen diese Eigenschaften fehlen. Man sollte jedoch erkennen, dass Gesundheitsvorherrschaft und Eugenik zwei verschiedene Dinge sind. Ersteres ist eine Ideologie, letzteres ein Zuchtprogramm. Die Bestrebungen der Eugenik mögen eine beispielhafte Manifestation der Gesundheitsvorherrschaft sein, sie sind aber beileibe nicht ihre einzige Manifestation. Wie oben erwähnt, manifestiert sich Gesundheitsvorherrschaft als eine ganze Reihe gesellschaftlicher Anschauungen, samt Ableismus und anderen Formen der Privilegierung auf der Basis gesundheitsbezogener Aspekte. Würden wir ein gewisses Zuchtprogramm als das einzige betrachten, was Krankenfeindlichkeit anrichten kann, dann würden wir Gefahr laufen, andere zerstörerische Manifestationen dieses Vorherrschaftsdenkens zu übersehen.

Was können wir gegen Krankenfeindlichkeit tun?

Faschismus ist eine gewalttätige, immer zerstörerische und oft todbringende politische Doktrin, der man entgegentreten kann und muss. Gesundheitsvorherrschaft ist eine faschistische Ideologie, daher kann und muss man ihr Widerstand leisten. Ihr Erstarken wird uns allen schaden. Doch etwas gegen diese Form des Faschismus zu tun ist leichter gesagt als getan. Denn die krankenfeindliche Anschauung hat unseren Alltag und das gesellschaftliche Bewusstsein dermaßen durchdrungen, dass der Kampf dagegen für viele bedeuten wird, ihre Gewohnheiten zu ändern und ebenso ihre Erwartungen. Doch es ist höchste Zeit, dieser Tatsache ins Gesicht zu sehen.

In seinem Buch “Faschismus. Und wie man ihn stoppt” führt der Journalist Paul Mason aus, dass man den Kampf gegen Faschismus beginnen muss, indem man auf seine Ideologie und seine Mythen aufmerksam macht, indem man beschreibt, wie diese faschistischen Mythen funktionieren, und indem man deren Schleier lüftet. Mason schreibt, faschistische Bewegungen werden von der Überzeugung genährt, dass “eine Gruppe, die ihnen [ihren Mitgliedern] eigentlich untergeordnet sein sollte, im Begriff ist, Freiheit und Gleichheit zu erlangen” (S. 17). Das ist Bestandteil der faschistischen Mythologie, und es ist im Grunde diese Angst vor dem “Anderen”, die die Gewalt anstachelt.

Übertragen wir das zurück auf die Vorherrschaft der Gesunden. Für Krankenfeinde sind diejenigen im Begriff, Freiheit und Gleichheit zu erlangen, deren Körper, Gesundheitszustand und/oder Verhalten ihrem Ideal des “natürlich-gesunden Körpers” nicht entsprechen oder sich ihm nicht unterordnen, denen aber trotzdem das Leben ermöglicht wird (und obendrein ein gutes Leben), indem entsprechende Schutzmaßnahmen, (Gesundheits-)Einrichtungen und Unterstützungen zur Verfügung gestellt werden – in der Gesellschaft, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft und im Freundeskreis. Die Befürchtung, dass vermeintlich “minderwertige” Menschen – alle, die die Vorstellung vom “natürlich-gesunden Körper” nicht erfüllen – ein gutes, gar ein verbessertes Leben haben könnten – diese Befürchtung ist es, die krankenfeindliche Gewalt schürt.

Dem Faschismus muss Einhalt geboten werden, wo immer er seine Fratze zeigt. Ebenso wie wir gegenüber weißem oder männlichem Vorherrschaftsdenken radikal intolerant sein sollten, müssen Antifaschisten ihre Kräfte bündeln, um gegen gesundheitsherrschaftliche Anschauungen und deren Ausbrüche aufzustehen.

Bist du gegen faschistisches, rassistisches Denken? Ich hoffe es. Dann schau dir doch an, ob du in den letzten paar Monaten, vielleicht unter dem Druck von sozialen Medien oder von Bekannten oder Familienmitgliedern, irgendwelche Aussagen getätigt oder ein Verhalten gezeigt hast, das womöglich gesundheitsherrschaftlichen Tendenzen aufweist. Mach dir erstmal klar, dass du in letzter Zeit bereits sehr eng von krankenfeindlichen Haltungen umgeben warst und bist. Nachdem diese Vorstellungen heutzutage so ziemlich überall sind, trifft das auf fast jeden Menschen zu.

Würdest du anschließend überprüfen, ob und wie du diese Vorstellungen derzeit womöglich propagierst? Sie stillschweigend nach außen zeigst? Kostet es dich nur ein Achselzucken, wenn jemand aus gesundheitlichen Gründen nicht an dem von dir organisierten Meeting teilnehmen kann? Hast du den Kontakt zu einem befreundeten Menschen abgebrochen, als er chronisch krank wurde? Bist du deshalb nicht mehr an seiner Seite? Winkst du ab, wenn gesellschaftliche Anpassungen zugunsten kranker oder behinderter Menschen gefordert werden? Würdest du eine Kollegin oder einen Kollegen zu einem Indoor-Treffen in “gemeinsamer Luft” drängen, obwohl sie gesagt haben, dass sie das lieber nicht möchten? Bleibst du maskenlos, auch wenn andere Menschen um dich herum Maske tragen?

Dann hör damit auf. Hör auf, auch wenn es unbequem ist. Und wenn du an anderen ein solches Verhalten wahrnimmst, dann mach ihnen klar, was sie da tun. Handle, um eine Veränderung dieser Verhaltensmuster zu bewirken. Wir müssen die verdeckten Formen der Krankenfeindlichkeit entlarven – als das faschistische Raunen, das sie sind.

Frei nach Gorcenski:
Gesundheitsvorherrschaft will nicht deine Aufmerksamkeit. Sie will deine Untätigkeit. Gib ihr nicht, was sie will.

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Was zählt, ist der Inhalt!

Von irreführenden Etiketten und Flaschen in der Politik

In welcher jenseitigen Definition entspricht es eigentlich noch der unverbrüchlichen Bedeutung der Begriffe “christlich”, “sozial” oder irgendeiner denkbaren “Freiheit” des Menschen, wenn politische Amtsträger…

¿ mit einhundert Wiederholungsfällen auffallen, indem sie u.a. menschenverachtende Sprache und Ideen führen und damit ungefragt und für alle definieren, was man heutzutage alles “sagen dürfen muss” – und damit wohl letztlich auch: “machen dürfen muss”? …und damit die Grenzen des Sagbaren und Denkbaren immer weiter übertreten und rausschieben.
¿ mit sozialer Kälte auf so vielen Ebenen die Solidargemeinschaft unseres Sozialstaates demontieren, die in diesem Land einst für soziale Sicherheit und Gerechtigkeit für uns alle sorgen sollte? Eine Gemeinschaft, an der jahrzehntelang verhandelt und gearbeitet wurde, und auf der die Sicherheit und der soziale Frieden in Österreich beruhen.
¿ Arbeitnehmerrechte und -vertretungen aushöhlen zugunsten jener, die sich eine Rechtsgebung in ihrem Sinne auch finanziell leisten können?
¿ ständig “Auslända”, “Balkanroute” o.ä. schreien, sobald das dumme Volk mal wieder vom eigentlichen gesellschaftspolitischen Ziel abgelenkt werden muss?
¿ schnelle Umwälzungen durchsetzen? Was soll an Schnell gut sein, wenn es angesichts einer Fülle an unterschiedlichen Interessen doch gilt, vorher gangbare Kompromisse zu finden? Hauptsache “Zack, zack, zack!”? “Sinn vor Tempo” ist doch weitaus klüger als umgekehrt!
¿ alles beliebig verdrehen und an allem immer nur die anderen für schuldig erklären?
¿ ständig subtile Angstmache betreiben, indem einer etwa “Tendenzen bekämpfen” will, die angeblich unsere “Identität bedrohen” würden?
etc… etc…

Wollen wir da wirklich ständig reingezogen werden, in dieses Schattenboxen gegen Unbekannt? Was soll das alles noch mit Freiheit, christlichen Werten, mit sozialen Ansinnen oder gar sozialer Kompetenz zu tun haben?

Ob blindfromme Gläubigkeit überhaupt noch in eine aufgeklärte Zeit gehört, darüber kann man vielleicht streiten. Aber nicht darüber, dass sie in die Kirche gehört und nicht in die Wahlkabine. Es wäre eine allzu fromme Loyalität, die keine politischen Fragen stellt. Zum Beispiel: Was ist drin? Statt die Aufschrift unverändert zu glauben, nur weil die Bedeutung der Begriffe sich ja nicht geändert hat. So eine Art der Loyalität würde nämlich bedeuten, aktuelle Werte hinter alten Aufschriften zu erhoffen, und diese Werte, die persönlich wichtig sind, damit letztlich aufs Spiel zu setzen.

Und wofür? Um ein Gottvertrauen zu beweisen, dass alles schon nicht so wild werden wird, wie es aussieht, wenn wir nur einfach nicht hinschauen? Das ist Selbstbetrug, und, pardon, als würde man in eine leere Flasche Château-Lafite brunzen und behaupten, es wäre Bordeaux, weil die Aufschrift gleichgeblieben ist. So eine Aufschrift ist bedeutungsleer und hält sich an keine Regeln mehr – auch nicht an die des guten Geschmacks. :)

Wollen wir also langsam beginnen, die Aufschrift anzuzweifeln und den deutlich sichtbaren Inhalt zu betrachten?

Gerade jene, die bisher vom kurzen Hinsehen befunden haben, es wäre doch in dieser letzten Regierung “endlich was weitergegangen” – ich enttäusche euch nur ungern, aber dass “was weitergeht”, ist per se noch kein Qualitätsmerkmal. Es kommt darauf an, w-a-s da weitergeht. Natürlich gibt es auch perfide Bremser, aber prinzipiell sind Bedenken, Gegenstimmen und längere Diskussionen eine gute Sache in einer Demokratie.
Daher möchte ich euch ans Herz legen, noch vor nächstem Sonntag eingehend zu prüfen: War und ist euch das wirklich alles so recht? Müsste man eventuell die eigentliche Bedeutung und weitere Konsequenz so manchen Beschlusses erstmal zu Ende denken, um aus Kenntnis auch Meinung abzuleiten? Vielleicht erhält dann doch noch so manches, was euch als Zuckerl verkauft wurde, im Nachgeschmack deutlich was von Bittermandel?

Was aber, wenn du deine Gruppe in der Solidargemeinschaft von alledem gar nicht betroffen siehst? Sondern einfach nur die Rechte, Ansprüche oder Zukunft irgendeiner anderen Gruppe? Beruhigt dich das soweit, dass du dann einfach wegschauen und sagen kannst, Hauptsache es betrifft nicht meine Gruppe?
Gehörst du einer Minderheit an? Beachte, dass es nicht nur numerisch-statistische, sondern auch soziale Minderheiten gibt: Frauen, Kinder, Arbeitslose, Einwanderer, LBGTIQ. Oder chronisch Kranke, Alte, Pflegebedürftige, Behinderte. Könntest du in Zukunft einer Minderheit angehören? Waren deine Vorfahren vielleicht Einwanderer, und in welcher Generation? Wann also wird wohl die kaltschnäuzige Demontage der Gemeinschaft auch deine Gruppe erreichen? Und auf welche Solidarität aus anderen Gruppen wirst du dann zählen können?
Freiheit ist nur dann gegeben, wenn sie allen Gruppen zugesichert wird, nicht nur selektiv einer privilegierten. Die Freiheit von Minderheiten ist daher immer im Interesse aller Gruppen.

Ist es nicht sinnlos, die Bereitschaft zur Verantwortlichkeit dort zu suchen, wo keine ist? Egal, wer es konkret ist – einer, der das ewige Opfer spielt, wird niemals seine Verantwortung akzeptieren, und daher auch nie verantwortlich handeln. Und einer, der behauptet, er würde deine Sprache sprechen, ist dann womöglich in Wirklichkeit einer, der von dir erwartet, dass du seine Sprache sprichst. Ansonsten gilt wohl: Hände falten, Goschn halten.

Nein, Herrschaften, gerade wer sich als Christ oder Christin versteht, und das bitte ehrlicherweise dann schon samt Nächstenliebe, Barmherzigkeit und allem Pi-pa-po, und wer Wert auf Freiheit legt, erteilt doch eine deutliche Absage an Eiseskälte, Restriktion, Raffgier und Pharisäertum dieser Politik. Und zwar egal, welche Worthülsen von christlich, sozial oder freiheitlich diese Parteien bequemerweise noch für ihre Fahnen gepachtet haben.

Echte Menschlichkeit macht keine Unterschiede zwischen Menschen. Oder sie ist keine Menschlichkeit.
Wie möchtest du behandelt werden?

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Nopology

Von Entschuldigungen in echten und weniger echten Varianten

~ E N T S C H U L D I G U N G

Niemand ist davor gefeit, Dinge zu sagen oder zu tun, die aus einem Affekt entstehen und einem anderen Menschen weh tun. Wir sind nicht perfekt, niemand von uns ist das. Aber wir sind in der Lage, unser Verhalten zu überdenken und dabei zu dem Schluss zu kommen, dass es nicht in Ordnung war. Wir fühlen uns dann schuldig und schämen uns.

Entschuldigungen von der echten Sorte erfordern also vorangegangene Reflektion des eigenen Fehlverhaltens, und sie erfordern Respekt vor dem Menschen, dem man unrecht getan hat. (Natürlich entschuldigt man sich auch manchmal, ohne etwas falsch gemacht zu haben, aber darum geht es hier nicht.)

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Auch politisch inkorrekt

Es war bemerkenswert, wie viele unwillige, ablehnende Reaktionen es auf Social Media auf die schriftliche Entschuldigung des Herrn Dönmez für seine sexistische Beleidigung der Frau Chebli gab. Seine Entschuldigung wurde zerrissen, mit Kritik an allen Sätzen und Halbsätzen, nicht nur an einem.

Viele kritisierten ja ein “falls sich jemand verletzt gefühlt hat” – das da übrigens gar nicht stand. So ein “falls” hätte besagt, er hätte sich nur in diesem Fall entschuldigt und ansonsten gar nicht; und obendrein, er würde es tatsächlich für denkbar halten, dass sich gar niemand verletzt gefühlt hat.

Ob man verinnerlichten Sexismus mit einem Moment der Schwäche entschuldigen kann, sei dahingestellt – der Moment der Schwäche besteht wohl eher darin, das, was man ohnehin denkt, nicht für sich behalten zu können, was am Licht auf die Sache und Person nicht wahnsinnig viel verbessert.

Zu Recht in Zweifel gezogen wird eine Entschuldigung aber, wenn ein Nachdenken und eine Entschuldigung nur aufgrund der öffentlichen Reaktion auf das eigene Verhalten erfolgte, und nicht etwa aufgrund persönlicher Reflektion und Bewertung dieses eigenen Verhaltens.
Aber im Verhältnis dazu, wie selten sich heutzutage öffentlich für irgendwelche vorangegangenen, unerträglichen Wortmeldungen überhaupt noch entschuldigt wird, war sie ja gar nicht soo schlecht.

Nur unter ehrlichen und fairen Verhältnissen ergibt eine ehrlich gemeinte Entschuldigung überhaupt Sinn. Sie wird immer unredlich sein, wenn das Setting es auch ist. Im politischen Zusammenhang geht es ja letztlich ohnehin weniger um Vergebung als darum, eventuell doch noch den eigenen Arsch zu retten und seine Position nicht zu verlieren.

Im Falle Dönmez ist das nur so halb gelungen, und das lag letztlich wohl weniger an der missglückten Entschuldigung als an der transportierten Haltung. Vielleicht wurde auch das angestrebte Ziel erreicht – NR bleiben, nur nicht mehr in der Fraktion? Man weiß es nicht. Seine an den Haaren herbeigezogenen Umdeutungsversuche sprechen aber eher dagegen.

Vor sexistischen Ansagen wird nicht nachgedacht, das ist charakteristisch, eben weil es sich nicht nur um einen oberflächlichen Witz handelt, der halt grad passt. Es ist eine so tief verwurzelte Weltsicht, dass die Betroffenen sie wohl innerlich für die Wahrheit halten, mit der man heutzutage höchstens aus sozialverträglichen Gründen hinterm Berg halten muss – nicht, weil sie als grundlegend falsch empfunden werden könnte. “Es kommt nix raus, was nicht auch drin ist”, rufen da allerlei Großmütter. Daher wohl auch die Kritik am “Moment der Schwäche”. Sexismus ist keine Schwäche, sondern ein Ausdruck eines völlig unreflektierten Glaubens an die Überlegenheit der eigenen Gruppe, auch als Chauvinismus bekannt.

Echte Gleichstellung und ehrlicher Respekt vor Mitgliedern einer anderen Gruppe bedeutet, dass Vorurteile und Abwertungen gar nicht erst gehegt oder zumindest innerlich aufs Nachdrücklichste und immer wieder herausgefordert, objektiviert und korrigiert werden – und nicht, dass sie nur nicht geäußert werden.
Oder, einfacher formuliert: Ein Sexist bleibt ein Sexist, auch wenn er sich noch so schön entschuldigt. Nur dass eben mit einer ehrlichen Entschuldigung – in Absicht und Formulierung – hier eben gar nicht erst zu rechnen war.

Wäre es für Frauen tatsächlich so einfach, dauerhaft an gute Jobs zu kommen, die dann auch über Blowjobs hinausgehen, hätten sie nicht jahrhundertelang für gleichwertige Bildung für Frauen gekämpft.

Geht mann allerdings ganz selbstverständlich davon aus, nur sexuelle Dienste am anderen Geschlecht würden Frauen gute Jobs verschaffen, dann deutet das in erster Linie wohl darauf hin, dass diese Schlussfolgerung aus selbst angewandter “Praxis” entstanden sein dürfte. Es liegt also doch nicht am Peter-Prinzip, dass manche Stellen fehlbesetzt sind, sondern eventuell daran, dass Angestellte anhand von, sagen wir mal, eher jobfremden “Skills” ausgewählt werden?
Naja, jeder in seinem beruflichen Umfeld, was ihm am wichtigsten erscheint; hat ja nicht jeder den wirtschaftlichen Erfolg als sein oberstes Ziel. Das ist natürlich in erster Linie ein Armutszeugnis für den Absender. Solche Bewerbungsszenarien allen anderen (Männern) ebenfalls zu unterstellen, ist aber auch eine Beleidigung für alle (Männer), deren Aufgabe es ist, Stellen zu besetzen; nicht nur für die gemeinten Frauen.

Daher ist es fraglich, ob irgendeine auch noch so form(ulierungs)vollendete Entschuldigung hier tatsächlich Ruf oder auch nur Glaubwürdigkeit hätten wiederherstellen oder auch nur teilweise reparieren können. Aber dass sich nicht mehr Männer von dieser Unterstellung beleidigt gefühlt haben – das wiederum zeigt die scheinheiligen “Werte” in dieser Kultur. Sie merken gar nicht, dass sie gerade pauschal als Blowjob-Vergewaltiger bezeichnet wurden, oder es ist ihnen einfach egal.

Für mich waren die vielen negativen Reaktionen auf die Entschuldigung insofern erfreulich, als sie mein Empfinden bestätigten: Entschuldigungen, die gar keine sind, sollten auch nicht als solche getarnt werden.

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Handgemenge

Ich wurde gestern gefragt, warum die “linke” Twitter-Bubble hierzulande sich intern derzeit so zerrauft, warum darin so viel Aggression und Streit herrscht. Ich habe erklärt, was ich für den Grund halte, und wurde daraufhin eindringlich gebeten, das zu bloggen. Also blogge ich es.

Es geht dabei nicht nur um Social Media, sondern um eine Gesellschaft. Twitter-Bubble kann hier stellvertretend für alle kleinen und größeren Gruppen stehen, schätze ich. Familien, Freundeskreise, Arbeitsgruppen, Vereine, vielleicht sogar Parteien… Die Wege sind dann vielleicht andere, das Prinzip bleibt vermutlich gleich.

Mich mit dem, was zu fremd ist und mich zornig macht, weiter abzugeben, kostet mich auf Dauer zu viel Zeit, Kraft und Nerven. -> Schotten dicht.
Die erste Auftrennung in Richtig und Falsch ist damit schonmal geglückt – wir verschließen unsere Bubble-Grenzen: Alles, was extrem rechts ist und hetzt oder provoziert, Grenzen verletzt, entwürdigend beleidigt und unverhältnismäßig attackiert, wird geblockt. Legitim, denn meine Bubble suche ich mir immer noch selber aus, auf Social Media ebenso wie im echten (Privat-)Leben.

Oft wird davor noch “diskutiert” bzw “zurückgeschlagen” – mit harten Bandagen, weil jeder weiß, dass mit ExtremRechts nur schwer zu diskutieren ist: Affekte wie Sorge und Angst werden da dreist zu politischen Argumenten aufgebläht, Menschenverachtung und Übergriffigkeit als freie Meinung kostümiert und die Aggression daraus unreflektiert auf gruppierte Ziele entladen. Man gewöhnt sich schnell an, darauf – wenn überhaupt – nur sehr harten Konter zu geben.

Völlig dicht ist die Bubble ja nie. Die Attacken gehen weiter, wenn auch aus anderer Richtung. Die zornige, aggressive oder oft auch hilflose Energie aus den übrigen Interaktionen brodelt in uns weiter – und wird entsprechend kommentiert. Sie wird damit ständig in die Bubble importiert und schließlich auf deren Mitglieder projiziert. Ausagiert wird all das innerhalb der weitgehend abgeschotteten Bubble. Grenzüberschreitungen und Methoden* aus dem Umgang mit ExtremRechts werden dabei mitunter 1:1 für Zwiste innerhalb der Bubble übernommen. Und der angewöhnte harte Konter lässt einen womöglich in der nächsten Diskussion mit einem Bekannten vergessen, wen man vor sich hat.
*Etwa “Anprangerungen” wie Nonmentions und Screenshots statt Tweets mit Link, auf die der Gemeinte auch reagieren könnte.

Kurz gesagt, “friendly fire” wird allzu unbedacht eröffnet, und Zack! Alles zersplittert. Und wie soll eine zersplitterte Gesellschaftsgruppe gemeinsamen Widerstand leisten?

Die linken Fraktionen fahren oft kein vehementes Programm, eines mit eigener Sprache und eigenen Werten, das sich Raum verschaffen würde, sondern liefern nur Kritik oder gar segmentweise Anbiederung an rechte Standpunkte – sie, die es doch besser wissen müssten und sowas beherrschen sollten! Daran stören wir uns!

Und wir schaffens im Kleinen genausowenig. Warum? Weil wir tagtäglich fremdes Gift von Außerhalb mit “nach Hause” bringen, einerseits die fremdinitiierte Aggression, andererseits die fremden Denkmuster, an denen wir unsere Kritik festmachen – und mit der wir diese Denkmuster weiter verstärken!

Denn auch die toxischen, fremden Inhalte werden in die Bubble importiert – in Form von Zitaten, “Einzelfällen”, “Entgleisungen”, Artikeln, Schlagzeilen und deren Interpretationen.
Wie im letzten Blog-Eintrag ausgeführt, beeinflusst das ständige Wiederholen von vorgefertigten Deutungsrahmen/Frames* sowohl die Ausprägungen unserer neuronalen Netze als auch in weiterer Folge unsere schiere Wahrnehmung der Wirklichkeit! Wir nehmen buchstäblich die Wirklichkeit gefiltert wahr, gefiltert nach Rahmen und etablierten Denkmustern. Welche sich etablieren, bestimmt die Wiederholung. Welche Filter wirken dürfen, bestimmt nicht das logische Nachdenken!

Jeder kennt die beinah sprichwörtliche Aufforderung, jetzt nicht an einen rosa Elefanten zu denken, und weiß, wie wenig sie funktioniert. Auch Frames werden auf diese Weise im Hirn aktiviert – durch ihre schlichte Erwähnung. Da hilft kein “nicht” und kein “kein” davor, eine Negierung – wie stark sie auch immer sein mag – ist nicht in der Lage, die Aktivierung eines Frames zu verhindern. Daraus folgt: Selbst wenn wir eine Aussage empört wiederholen, verstärken wir damit die erleichterte Aufnahme der kritisierten Kacke in die Gehirne aller! Durch unsere Wiederholung und damit Aktivierung des abgelehnten Denkmusters in unserem eigenen Gehirn und in dem der Leser findet das Muster ganz von selber seinen Weg in die Normalität.
* Willkürliche Zusammenhänge, sprachliche Umdeutungen, Herabwürdigungen, absichtlich auf weitverbreitete Assoziationsketten abzielende Begriffe, insgesamt: Denkmuster.

Und nein, dagegen ist niemand immun. Du nicht. Und ich auch nicht. Auch politische Experten nicht.
Es ist uns auch ein bisschen peinlich, dass man (mithilfe von simplem “Priming” zB) mit unseren Hirnen einfach so Sachen machen kann, ohne dass wir es wollen. Diese Mechanismen zu ignorieren und uns selbst eine freie Wahl der Denkmuster zu bescheinigen, ist weitaus leichter, als diesen Mechanismen ins Gesicht zu sehen. Das ist menschlich! Aber es muss uns zu allererst bewusst werden, dass jeder Pfad, der in unseren Gehirnen ausgeleuchtet und weiter ausgetreten wird – i.e.: unser Denken – extrem von außen beeinflusst ist, mit jedem Wort und jedem Satz, den wir hören und lesen. Und damit auch jeder Satz, den wir daraufhin ausspucken. Wenn wir das nicht (an)erkennen und unser Sprach- und Schreibverhalten danach drastisch verändern, fungieren wir als Multiplikatoren der anderen Seite, statt uns eindeutig zu positionieren. Und wir merken es noch nichtmal.
(Bitte lest dazu (nochmal) die ersten paar Kapitel von “Politisches Framing”! Bitte!)

Zur lösungsorientierten Überlegung trägt ein Gedanke wesentlich bei: Man erhält Antwort auf das, was man fragt. Im Vergleich zur Frage “Warum?” erhält man die besseren Antworten auf die Frage: “Was?”
Was kann da helfen? Was kann ich selber tun? Was können wir dann gemeinsam tun?

Ich werfe mal ein bisschen was in die Runde: Erstmal Bewusstmachung!
Reflexion – Hinterfragen des eigenen Empfindens und Handelns. Selbstkritik. Affektkontrolle.
Wo kommt das her? Welchem Denkmuster entspringt es? Ist es eines, das ich transportieren und verstärken will? Wie verleihe ich mir am besten Ausdruck? Und wie nicht?
Zeitlicher Idealpunkt dafür: Vor der Interaktion mit anderen. Vor dem Abschicken eines Tweets, einer Reply, eines Mails.
Input-Management: Wie viel meiner Zeit und Aufmerksamkeit widme ich fremden Denkmustern, die ich mir freiwillig oder unfreiwillig täglich reinziehe? Wo liegen meine Grenzen? Was funktioniert am besten als Ausgleich?

Und auch: Wieder öfter das verstärken, was Aufmerksamkeit verdient hat.
Es ist ein alter Hut: Es gibt keine “schlechte Publicity” – es gibt nur Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit oder eben keine Aufmerksamkeit. Freilich kann man nicht alles, was einem nicht passt, totschweigen. Aber auch nicht alles davon muss hervorgezerrt und kommentiert werden. Nicht, während wir immer noch zu wenig von dem dagegenstellen, was für uns tatsächlich von Wert ist.

Es liegt nicht daran, dass wir keine gute Streitkultur hätten. Es liegt daran, dass wir dem Wind, der uns zerzaust, ungeschützt ausgesetzt sind, ohne dass es uns überhaupt bewusst wird, und dass wir dagegen noch keine guten Strategien haben. Also tun wir weiter so, als wären wir unzerzausbar, während wir schon aussehen wie ein Mopp, mit dem man auch gut in die Ecken kommt. :)

-`ღ´–`ღ´–`ღ´–`ღ´–`ღ´-

Ich kann dazu gern noch weiter differenzieren und ins Detail gehen. Denn auch wenn es so wirken mag – ich meine es nicht schwarz-weiß. Es wird aber vielleicht schwarz-weiß interpretiert, weil alles derzeit gern schwarz-weiß interpretiert wird.

Allerdings war ich gestern in diesem Gespräch, das sich noch am Parkplatz fortsetzte, schon erstaunt von dem Statement: “Ich hab das so noch nirgends gelesen! Das müssten alle hören, schreib das!”. Sogar eine anonyme Zuhörerin hat sich aus dem Dickicht immer näher an das Gespräch herangepirscht und uns schließlich nach dem konkreten Anlass und mich nach dem Blog-Link gefragt.

Meine Einträge neigen bekanntlich aber ohnehin zu überbordender Länge. :) Also schick ich’s einfach mal so raus und schaue, ob das vorhergesagte Interesse tatsächlich eintritt – und auf welche Komponente(n) es sich richtet. Bitte sehr gern in die Kommentare damit! Auch Twitter-Kommentar, Twitter-DM oder E-Mail (etosha ÄT weblog.co.at) geht natürlich. Merci! <3

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Nein? Arschloch.

Macht einen Nein-Sagen gleich zum Arschloch?
Eine eingehende Sichtung von Nettigkeit und Nachgiebigkeit, von Grenzsetzung und Gefühlsabwehr.

Ich hab “Widerworte” gelesen, die “Emanzen-Kolumne” auf kupf.at von Jelena Gučanin, die sich darin auf die Psychologin Jacqui Marson bezieht. Sie richtet sich gegen anerzogenes Nett-Sein und plädiert für häufigeres Nein-Sagen.
Titel: “Mehr Arschlochfrauen”.

“Das Ideal der netten Frau verneint ihren Selbstwert, ihre Würde, ihre Intelligenz und ihre Selbstliebe. Denn die Botschaft ist: Frauen sind da, um anderen zu gefallen.”

schreibt Jelena Gučanin in der Kolumne.
Und das stimmt völlig.
Und es kann weg.

Was in dem Artikel als Arschloch-Verhalten gedeutet wird, ist jedoch nichts weiter als gesunde Grenzsetzung, legitime Abgrenzung und faire Verteilung der Verantwortlichkeiten, was wohl viele Frauen rein deshalb schon als Arschlochsein abnicken, weil ihnen ein faires 50:50 konsequent aberzogen wurde.

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Versteh ich dich richtig?

Ich lese mir jede Twitter-Reply, die ich schreibe, vor dem Senden jetzt eh schon sieben Mal durch. Ich versuche, sie mit den Augen des Empfängers zu lesen und stelle dann oft fest, oh, das könnte man eigentlich auch genau gegenteilig verstehen. Dann formulier ich die Reply oft mehr als einmal um. Missverständnisse entstehen trotzdem.

Das sagte ein Twitter-Freund unlängst zu mir. Am Telefon, damit ich ihn nicht missverstehe.

Dazu kam der Vortrag der Frau Brodnig beim NetzPAT, den man jetzt auch nachlesen kann – ich empfehle das, es war sehr interessant.
Am Ende ihres Vortrages fragte sie, was man tun könnte, um das Diskussionsniveau im Netz zu heben. Meine persönlicher Beitrag zu einer Antwort steht am Ende dieses Artikels.

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Bistro Poetry von damals – Neue Übersetzung

Ihr erinnert euch sicher nicht, dass ich anno 2006 ein formschönes und stabiles Mundart-Gedicht veröffentlichte, das ich für einen Wettbewerb namens “Bistro Poetry Contest” geschrieben hatte.
Ich hatte es im Dialekt verfasst und dann auch noch nach Außerösisch übersetzt. Auch einen Podcast gab es dazu, man nötigte mich geradezu zur Klarstellung der korrekten Betonung und Aussprache des eigenwilligen Ösitanischen. Und das alles findet ihr in diesem alten Eintrag.

Nun gibt es dazu auch eine englische Übersetzung – und wieder habe ich eigens für einen Twitter-Freund geschrieben, nämlich den schrägen Vogel @dephunkt. Der wollte eine Demonstration meiner Mundart, und da fiel mir nur dieses Gedicht ein.

In den jeweils ersten beiden Zeilen wehrt das Gedicht sich hartnäckig gegen jeglichen Reim, wir haben aber ausgemacht, dass es zum Ende der Strophe hin jeweils klein beigeben muss:

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1000 Tode schreiben

Erinnert ihr euch vielleicht noch an meinen Liebesbrief an meinen Hund? Auf keinen meiner Artikel wurde ich so oft angesprochen wie auf diesen, kein anderer hat so viel Mitgefühl, positives Feedback und liebevolle Reaktionen ausgelöst.

Eine stark gekürzte Version dieses Liebesbriefes erscheint nun im E-Book “1000 Tode schreiben”, einem Projekt von Christiane Frohmann vom gleichnamigen Verlag. Das Ziel ist eine Sammlung von 1000 Texten verschiedener Autoren und Twitterer zum Thema Tod. Übrigens ist auch mir FrauFrohmann auf Twitter über den Weg gelaufen.

Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es für sie ist, so eine Menge an Texten für dieses Buch auszuwählen und zu lektorieren. Vermutlich braucht man dafür gut trainierte Tränendrüsen, auf jeden Fall aber ein großes, großes Herz. Und natürlich sehr viel Know-How und Durchhaltevermögen. Vielen Dank für dieses wunderschöne Projekt! Und euch lieben Lesern danke ich für eure Bestärkung, ohne die ich vielleicht gar nicht auf die Idee gekommen wäre, diesen Text für das Projekt einzureichen.

Der Tod ist ohnehin ein Thema, das in unserer Gesellschaft von Spaßfaktorjägern, Zielerreichern, Verdrängern und Schönredern chronischen Platzmangel erleidet. Man muss ja schon froh sein, wenn man nach vier Wochen noch trauern darf und sich nicht “schön langsam wieder zusammenreißen muss”.

Das E-Book kommt “auf Raten” heraus. Die Version 3.1, in der auch mein Artikel enthalten sein wird, ist in diesem Moment in der Produktionszielgeraden. Ich bin darin eine Nummer – die 394. Und freue mich!

Ich durfte schon ein Ansichtsexemplar anschauen, und die Texte sind fantastisch! Unbedingt kaufen!

Hier alle Infos von der Website Frohmannverlag bei Tumblr:

Die Idee war und ist, in Form von tausend kurzen Texten tausend höchst subjektive Ansichten auf den Tod zu versammeln, damit diese zusammenwirkend einen transpersonalen Metatext über den Tod schreiben, aus dem wiederum ein plausibles Bild dessen entsteht, wie der Tod in der heutigen Gesellschaft wahrgenommen wird, welche Realität er hat, wie und was er ist.

Die Autor- und Herausgeberanteile am Erlös gehen als Spende an das Kinderhospiz Sonnenhof in Berlin-Pankow.

Erhältlich bei minimore.de, Amazonkindle, beam, bol.de, buch.chbuch.de,buecher. de, ciando, hugendubel.de, iTunes, thalia.at, thalia.ch, thalia.de, txtr,weltbild.at, weltbild.ch und weltbild.de sowie in vielen Buchandlungen. (Fragen Sie im Zweifelfall einfach nach, Ihr Buchhändler kann auch E-Books bestellen.)

Version 3.1 wird am 13. März 2015 erscheinen, die finale Version 4 dann zur Frankfurter Buchmesse im Oktober.
Wer eine Version kauft, bekommt die neueren Versionen gratis – durch erneuten Download bzw. im Falle von Minimore per Mail.