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Exkurs: Vermögensteuer

Ausgelagerte Ergänzung zum vorigen Artikel “Gute Gefühle streng verboten”:

Auf sachlicher Ebene kommt hinzu, dass allzu viele die Vermögensverteilung im Land immer noch so einschätzen, wie sie vielleicht vor 30 oder 40 Jahren war – und sich demnach von einer Vermögensteuer – oder “Millionärssteuer”, wie Andi Babler sie konkreterweise nennt – nicht viel versprechen. Man verschätzt sich hier aber leicht und gründlich, glaub ich. @

Leute mit mittelmäßigen Vermögen halten sich für Oberschicht (und die von dort wiederum für Mittelschicht), weil sie keine Ahnung mehr haben, wie weit nach oben (und unten) es mittlerweile geht. @

Die mögliche Vermögensteuer “pro Woche” anzugeben (so in einer Postwurfsendung von Andi Babler), wirkt nur scheinbar ungeschickt. Ist es aber nicht. Denn die meisten Menschen können sich 100 Millionen Euro vielleicht gerade noch so vorstellen. Von 5,2 Milliarden pro Jahr haben sie keine Vorstellung. @

Dabei müsste man rechnerisch nur das Vermögen des reichsten Prozents der Bevölkerung von AT besteuern:
40% des Vermögens in AT gehören 1% der Bevölkerung 😏
1317 Mrd € Vermögen in AT x40% = 526.8 Mrd €
Diese werden also mit 1% p.a. besteuert = 5.2 Mrd
ABGERUNDET!
Dieses oberste Prozent besitzt 10x mehr als die nächstreichen 4%! @

Die ganze Republik Österreich hat nur 3/4 soviel Vermögen wie dieses eine reichste Prozent der Bevölkerung.

Die Einfamilienhäusler*innen machen sich völlig unnötig Sorgen. Sie müssten als Haushalt ihr Vermögen mal schnell ~ver20fachen, bevor Ihnen davon 1% Fairnessbeitrag an den Sozialstaat vorgeschrieben würde.
Das wird sich in diesem Leben nicht mehr ausgehen. 😌🤞

Von den 5,2 Mrd Vermögensteuer in EINEM Jahr könnte man über 5 Jahre lang alle Mindestsicherungen im ganzen Land bezahlen. 974 Mio im Jahr 2022 waren Mindestsicherung. Davon fließen ohnehin über 90% wieder zurück an Vermietende und Lebensmittelhandel.
Reminder💡 Eintausend Millionen sind eine Milliarde! @

Allein die Rundungsdifferenz von oben sind 68 Millionen Euro, die wir gut, das sag ich einfach mal, in der Gewaltprävention und im Opferschutz brauchen könnten. Das entspräche einer Verzehnfachung des bisherigen Budgets dafür.

Und das alles nur überschlagsmäßig auf Basis von Zahlen aus 2017.
Wieviel Vermögen sich seither wohl von den Reichsten in die Breite der Bevölkerung verschoben haben mag? 🤭

Wenn für gewisse Parteien der verbindlichste Auftrag “Vermögensteuer verhindern” lautet – FÜR WEN ist dann ihre Politik? Für die “unteren” Vermögensschichten schonmal sicher nicht. Und die bestehen – siehe oben – aus mindestens 95% der Menschen in Österreich. Natürlich mag man da fragen, cui bono?

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Gute Gefühle streng verboten

Der patriarchale Bullshit ist stark in uns. Und das bedeutet: Aggressive Gefühle sind erlaubt, Zynismus und Gefühlskälte sind cool. Aber gute Gefühle sind streng verboten. Auch und gerade in der Politik. Und nicht nur Männern – aber vor allem denen!

Ich hab da was geschrieben auf diesen Sozialen Medien, das ich hier (besser sortiert) festhalten will. Hier in zusammengestellter Form meine Antworten und Ergänzungen aus allerlei Folge-Threads. Ausflüge in andere Themenbereiche in ausklappbaren Texten “Exkurs”; Links zu den Bluesky-Postings hinter den @-Zeichen.

Die Frage war, warum auf Andi Babler dermaßen losgegangen wird – von den Medien, von der Politik, sogar von Teilen der eigenen Partei.
Freilich ist meine Eindruck nicht als fatalistische Erklärung gemeint, sondern eine vom Typ Nicht-nur-aber-auch.

Es liegt imho daran, dass er positive Emotionen ins Spiel bringt. Es ist dieselbe patriarchale Herablassung, die dir auch als Frau entgegenschlägt, wenn du zarte Gefühle ausdrückst.
Und er weckt Hoffnung – und wer hofft, wird auch aktiv. Wer zynisch ist, tut nichts. Deshalb wird Hoffnung als naiv geshamed. @ Damit die Leut auf ihren Hintern sitzenbleiben, sich nicht engagieren oder für bessere Bedingungen eintreten, sondern sagen: “Die sind doch eh alle gleich. Was will der schon anders machen oder ändern? Träumer!”

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Corona DreiNull – Gegen Zynismus als Ersatz für Argumente

Dieser Artikel ist Teil 19 von 18 in der Serie "Corona" ...

Die ausgiebigen Versuche einiger User, auf Social Media sarkastisch, zynisch, ironisch zu sein, und auch die Spottvideos der Tatort-Schauspielerriege* veranlassen mich, hier über Zynismus, Framing und geistige Reife nachzudenken.

*und des verantwortlich zeichnenden Regisseurs, der einfach mal ordentlich das Publikum beschimpfen wollte

Ironie oder Zynismus – die Art, in der man das Gegenteil von dem sagt, was man meint, und das mit einem entsprechend unsympathischen Tonfall und Gesichtsausdruck garniert – ist schon im persönlichen Gespräch schwierig: Kinder etwa verstehen Ironie bis zu einem gewissen Alter gar nicht und nehmen alles wörtlich, hören also das Gegenteil des eigentlich Gemeinten, nämlich: das Gesagte. Und allerlei neurodiverse Menschen hören nie damit auf, Aussagen wörtlich zu nehmen, und tun sich schon schwer mit einem übertragenen Sinn, ganz zu schweigen von einem gegenteiligen.

Schriftlich, auf Social Media, ohne Tonfall und nur mit ein paar Emojis bewaffnet, von denen der beliebteste ausgerechnet der Lachtränen-Smiley sein dürfte, sieht das dann etwa so aus:

  • “Endlich alles aufmachen! Diese ganze Pandemie ist doch Bullshit!”
  • “Endlich alles aufmachen! Die ganze Pandemie ist doch eh nur Bullshit! Und zusätzlich könnten wir noch … [perfide Idee zur Erhöhung der Infektionsgefahr; smiley]”

Dann wirkt dieser Zynismus entweder noch abgebrühter und aggressiver – was womöglich mit Gegenaggression beantwortet wird. Oder er steckt andere an und wird von ihnen in ungeahnte Höhen der menschenfeindlichen Ideen erhoben. Oder er wird gar nicht als Zynismus verstanden – dann wird der Verfasser, die Verfasserin einer Überzeugung zugeordnet, der sie gar nicht anhängen.

Die meisten Effekte sind nichtmal erwünscht.
Und dann ist man “total überrascht über den Shitstorm”.
Oder die Hirne aller Beteiligten sind unmenschlichen Ideen nähergerückt.
Oder man ist beleidigt, dass man “falsch verstanden” wurde.
Oder muss darauf hinweisen: “Das war Zynismus, zwinki zwonki!”

Und wer ist danach reicher an irgendwas?

So sehr einen dieser Zynismus äußerlich vom Objekt seines Spottes abgrenzen soll, es könnte dabei innerlich ein ganz anderer Mechanismus wirksam werden. Mit dieser Art, seine Anschauungen (nicht) zu kommunizieren, indem man die fremde zitiert, lässt man diese Überzeugungen allmählich das eigene Innere kapern. Man verschiebt sich und sein Denken damit selbst.
Denn das ist es, was Framing wirklich bedeutet: Dein Denken wird von außen begrenzt, in einen Rahmen eingekastelt und mit diesem Rahmen verschoben und weiterverbreitet.

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Corona – 18 .. Impfung (4) Vektor-Impfstoffe

Dieser Artikel ist Teil 18 von 18 in der Serie "Corona" ...

Nun noch ein etwas genauerer Blick auf eine Impfstoff-Methode, über die man nicht so viel weiß… noch! :)

VEKTOR-IMPFSTOFFE

Wie schon beim mRNA-Impfstoff erklärt, wird auch bei einem Vektor-Impfstoff die Bauanleitung für ein Spike-Protein des SARS-CoV-2-Virus in den Körper gebracht, das dann im Bereich der Einstichstelle das Immunsystem auf dessen Abwehr einschult.

Allerdings geschieht das auf eine etwas komplexere Weise als beim mRNA-Impfstoff, bei dem nur die mRNA für das Spike-Protein ein bisschen verpackt und in den Körper geschickt wird.

Fremde Viren als Taxi

In einem Vektor-Impfstoff benutzt man einen anderen Virus in modifizierter Form als Überträger, als Träger, als Fähre – und dafür steht das Wort “Vektor” in diesem Zusammenhang. Auch Stechmücken, Fledermäuse und Zecken können Vektoren sein – sie sind Träger von Erregern, an denen sie selbst nicht erkranken.
Seit einigen Jahrzehnten werden in der Forschung auch verschiedene modifizierte Viren für diesen Zweck benutzt. Und das nicht nur für Impfungen, sondern auch für andere Modulationen – etwa zur Bekämpfung von Tumorzellen oder auch zur Reparatur von Gendefekten.

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Etoshalender 2021!

Es ist wieder soweit, ich bestelle die neuen Kalender! Es wird wieder eine Ode an das Fernweh, aus Gründen!

etoshalender2021-sneak

Wie gewohnt in A3, Spiralbindung, schwarz und elegant. Ach, was red ich…
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Als Draufgabe ein bebildertes Deckblatt! Mit Schutzfolie vorne! Er wird wie immer wahnsinnig schön.

Kostenpunkt: unverändert 20€. Wer möchte einen, zwei oder fünf? Bitte flott bescheidsagen!
Wie immer auch gern per Mail: etosha ÄT weblog.co.at.

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Denken für Fortgeschrittene

Menschen sagen gern, sie würden über Hausverstand verfügen, der ihnen x oder y doch ganz klar sagt.
Sie halten das irrtümlich für logisch – und übersehen dabei, dass unser menschliches Denken voller Fallen und Missdeutungen ist.
Ein Nachtrag zu meinem Artikel über Kritisches Denken im Zuge der VeMy-Serie.

Unser Hirn ist daran gewöhnt, von jeweils einem Einzelereignis auf das große Ganze zu schließen, um zu lernen. Das ist nicht per se schlecht, riecht aber auch nach Verallgemeinerung und Vorurteil. Es hindert uns im weiteren Geschehen oft am genaueren Hinsehen, Bedenken und Differenzieren.
Und darauf basiert dann der “Hausverstand” und mitunter ein ganzes Weltbild, das nichtmal einen Tellerrand als Horizont hat.

Insbesondere unser “schnelles” Denken – also die erste Schätzung und Ansage, die unser Hirn zu einem Thema abgibt – ist derart fehleranfällig, dass man das von Rechts wegen eigentlich gar nicht als Denken bezeichnen dürfte. Und es findet unbewusst statt, es präsentiert nur die Ergebnisse.
(Es gibt für ganz besonders vertrottelte Fehlschüsse des Hirns, ganz abseits der Forschung, auch den wunderbaren Begriff “Sekundenschaf” :)

Selbst die Menschen, die sehr wohl um Denkfallen, um kognitive Verzerrungen wissen, müssen schwer trainieren, um sie auch tatsächlich zu reduzieren. Für die völlige Vermeidung von Denkfallen reicht das aber nicht, manchmal werden sie dadurch sogar noch verstärkt.

In der Wissenschaft gibt es nicht umsonst eine ganze Reihe standardmäßiger Maßnahmen, um Verzerrungseffekte auszuschließen:
Verum- und Placebo-Gruppe, Randomisierung, Doppelblindverfahren, Nichtdeterministische Experimente, Anonymisierung, Peer Review, Auswertung durch Unabhängige, etc.

Könnte man als Mensch tatsächlich lernen, davon völlig, dauerhaft und zuverlässig frei zu sein, dann würde es all diese Maßnahmen als dauerhafte Krücke gar nicht brauchen. Damit ist auch klar: Jemand, der von diesen Denkfallen nicht einmal etwas weiß, kann auch nicht ermessen, wie weit sein Hausverstand danebenliegen könnte.

Exponentielles Wachstum etwa kommt in unserem alltäglichen Geschehen eher selten vor im Vergleich zu linearen Vorgängen, und wird somit vom superduper Hausverstand massiv unterschätzt. Selbst bei längeren Überlegungen kommen Ungeübte mit Schätzungen nicht nahe an die Wirklichkeit, geschweige denn mit einem geistigen Schnellschuss. Ein nettes Video dazu). Vergleichsweise bekannt ist die uralte Geschichte mit den Reiskörnern auf dem Schachbrett (Für Ungeduldige: ab Minute 2:50).

Einige der beliebtesten Denkfallen
Wir halten am liebsten das für wahr, was unsere bisherige Anschauung bestätigt. Wenn wir recherchieren, dann geben wir jenen Inhalten den Vorzug, die uns genehm sind. Uneindeutige Information interpretieren wir als Bestätigung unserer Anschauung.
(Bestätigungsfehler, confirmation bias / myside bias; belief perseverence / Hartnäckige erste Hypothese)

Wir glauben zu diesem Zwecke praktischerweise auch gleich, dass Fakten, die unserer Überzeugung widersprechen, diese Überzeugung erst recht bestätigen würden.
(Backfire-Effekt)

Wir glauben auch so gut wie unbesehen das, was wir zu einem Thema als erstes gehört haben. Weil es zu diesem Zeitpunkt ja auch noch gar nichts zu besehen gibt (glauben wir). In weiterer Folge messen wir dieser ersten Information aber völlig willkürlich einen Wahrheitsgehalt zu, der weit höher liegt als der von nachfolgend erhaltener Information – wohl, damit es auch weiterhin nichts zu besehen gibt.
(Wahrheitseffekt – illusory truth effect)

In meiner Erfahrung ist das eine sehr starke Denkfalle – oder vielleicht auch nur die mir am stärksten bewusste: Ich spüre geradezu, wie trotzig sich mein Geist einer neuen Information widersetzt, die nicht zur ersten erhaltenen passt. Ich muss mich dann sehr streng daran erinnern, dass mein Hirn einfach nur grade quietscht: “Aber, aber… Die erste Information war anders!”
Manchmal mag es ja reiner Zufall sein, welche Information wir als erstes hören. Viel mehr noch dürfte es aber darauf beruhen, welche exklusive Quelle der Erstinformation wir vorab nach der “confirmation bias” für unser tägliches Update auserkoren haben. In Zeiten von Social Media ist der Effekt vielleicht durch die Zufälligkeit etwas abgeschwächt; andererseits ist innerhalb von “Bubbles” die Wahrscheinlichkeit für vorgefärbte Erstinformation immer noch hoch – oder sogar noch höher, für noch tendenziösere Anschauungen, die uns zumeist als Fakten präsentiert werden.

Damit nah verwandt: Wir finden, eine Zahl wäre “eh recht niedrig”, wenn uns zuerst eine höhere Zahl präsentiert wurde. Bei allen nachfolgenden Verhandlungen beziehen wir uns auf das Verhältnis zu diesem ersten Ankerpunkt.
(Ankerheuristik, anchoring bias)
Das tun wir hartnäckig, selbst dann, wenn die erste Zahl in einem völlig anderen Zusammenhang genannt wurde.
(Bahnung, Priming)

Wir neigen dazu, von unserer verfügbaren Erinnerung an einzelne Beobachtungen oder Zeitungsartikel pauschal auf die große Masse zu schließen.
(Verfügbarkeitsheuristik)
Unsere Erwartungen beeinflussen unsere Wahrnehmung und damit auch unsere Urteilskraft.
(Selektive Wahrnehmung; selective perception)

Wir glauben, wir wären besser dran, wenn wir nur ja nix verändern.
(Status-quo-Verzerrung)
Wir meinen, es wäre viel riskanter, etwas zu tun, als nichts zu tun.
(Unterlassungseffekt)
Und hinterher glauben wir, unsere Vorhersagen waren viel akurrater gewesen, als sie es tatsächlich waren.
(“nachha is ma immer gscheiter”, hindsight bias)

Wir sind extrem anfällig dafür, ein- und dieselbe Information komplett gegensätzlich zu interpretieren, je nachdem, in welcher Form sie uns präsentiert wird.
(Deutungsrahmen, Framing-Effekt)
Wir sind dabei sehr beeinflussbar über die Art und Weise der Argumentation, selbst wenn sie überdeutlich hinkt.

Wir bringen mehr Mitgefühl mit einer kleinen Gruppe von Individuen auf als mit einer großen Menge Leidender, die aber anonym bleiben.
(compassion fade)
Wir finden, andere müssten doch viel besser unsere inneren Vorgänge checken, als sie es tatsächlich können; und wir selbst würden umgekehrt wahnsinnig viel davon verstehen, was in anderen vorgeht.
(illusion of transparency (egocentric bias))

Wir glauben, bei anderen wäre ihr Verhalten in erster Linie eine Charakterfrage, während wir für unser eigenes Verhalten die äußeren Umstände als Erklärung bevorzugen.
(Attributionsfehler; fundamental attribution error, actor-observer bias)

“Das reimt sich sogar, und was sich reimt, ist wahr!”
(rhyme as reason effect)
Für wie beweiskräftig wir das halten, was unsere eigenen Emotionen uns einflüstern, muss ich hier vielleicht gar nicht mehr besonders betonen.

Dafür, dass wir Laien sind, halten wir uns für eh total gscheit; fatalerweise glauben Laien das, während Experten dazu neigen, ihr Wissen zu unterschätzen, weil sie um die wahre Komplexität des Themas wissen.
(Dunning-Kruger-Effekt)
Wir glauben, andere würden stärkere egozentrische kognitive Verzerrungen erleben als wir selbst.
(Naïve cynicism)
Und wir selbst wären von alledem unbeeinflusst.
(Verzerrungsblindheit, bias blindspot)

Dann glauben wir, wir hätten uns “umfassend informiert”, weil wir cirka zwei Kanälen folgen, die wir selbst nach allen obigen “Kriterien” ausgewählt haben.
(Vermessenheitsverzerrung)

Was wir wissen
All das ist nicht nur gleichzeitig vorhanden, sondern baut auch noch aufeinander auf. Das ist es, was sich hinter “Hausverstand” oft tatsächlich verbirgt.
Und wir glauben das alles auch noch “intuitiv” in seinem schlimmsten Sinn: ohne Rücksicht auf Evidenz und Logik, und ohne eingehendere intellektuelle Untersuchung. Halten uns dabei aber gern für ungemein objektiv.

Dass unsereins überhaupt einen sinnvollen Gedanken zuwege bringt, ist ein Wunder für sich.

Man darf dankbar sein, dass die Wissenschaft erkannt hat, wie sehr man vor diesen Biases / kognitiven Verzerrungen im Denkvermögen ständig auf der Hut sein muss. Sie hätte ja auch völlig verzerrt nur meinen können: “Wir wissen das jetzt eh, und damit is gut”. Dann wäre die Denkblase, innerhalb derer sich jede wissenschaftliche Fragestellung bildet und bewegt, noch weit anfälliger für ein Hinneigen zu vordefinierten Anschauungen und für falsche Bestätigung.

Wir Menschen haben keine Ahnung, was die Vögel einander erzählen. Wir kennen ca. 5% der Tiefseebewohner. Wir haben gecheckt, dass Pheromone eine Rolle spielen dürften, wenn staatenbildende Insekten miteinander kommunizieren – aber was die einander erzählen, um als winzigste Wesen riesige Aufgaben gemeinsam zu bewältigen – davon haben wir keinen Schimmer. Nein, wir dichten ihnen im Rahmen anthropozentrischer Denkfehler oftmals noch menschliche Eigenschaften an.

Dennoch nehmen wir oft den kurzen Weg des Denkens, finden uns eh ziemlich super dabei und halten uns unverdrossen für die “Krone der Schöpfung”.
Setzt man das in Beziehung zu unserem insgesamt oft vertrottelt wirkenden Herdenverhalten und zu unserer unausrottbaren Angewohnheit, unsere eigenen Lebensräume zu zerstören und die der anderen Lebewesen gleich mit – dann ist diese Vermessenheit geradezu lachhaft.

Ein wenig mehr Demut wäre wirklich angebracht. Man könnte beim eigenen Denkvermögen anfangen. Ganz unvoreingenommen :)

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Als Lektüre dazu empfehle ich:
“Schnelles Denken, langsames Denken” (“Thinking, fast and slow”) von Daniel Kahnemann, mit jeder Menge Erklärungen, Beispielen und teils sehr kreativen Studien zum Thema.
ஐ Eine kürzere Form hat Rafael Bucheggers “Irren mit Hausverstand”.

Man kann aber auch erstmal diverse Listen in der Wikipedia studieren:
Kognitive Verzerrung – Begriff
Liste kognitiver Verzerrungen
English: List of cognitive biases (Die englische Liste ist umfangreicher)
English: List of psychological effects (In der deutschen Wikipedia gibts nur einzelne Artikel zu einigen der Effekte)

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Strategien

Dieser Artikel ist Teil 5 von 5 in der Serie "Verschwörung in der Psyche" ...

Kommen wir nun zu den möglichen Strategien. Zur Erinnerung: Es geht hier darum, wie man mit Menschen aus dem engsten persönlichen Umfeld umgehen könnte, die einem VeMy anhängen. Nicht mit Verschwörungsgläubigen am Arbeitsplatz oder auf Social Media, die einem nicht so gut oder gar nicht persönlich bekannt sind.

Begriffshinweise

Ich bezeichne in dieser Serie der Kürze halber:
ஐ die Verschwörungs-Mythen als VeMy
ஐ das Verschwörungs-affine Familienmitglied oder Freund/Freundin als VaFoF-Person
ஐ deren Verwandte, Bekannte und Freunde als Angehörige

EINIGE GEDANKEN VORAB
Allzu ausführliche Empfehlungen habe ich für den Umgang mit VaFoF-Personen bislang nicht gehört oder gelesen. Es wird nur ab- und ausgegrenzt, so wie heutzutage üblich.
Die einen glauben fest, man würde ein sachliches Gespräch bekommen, wenn man nur selbst hübsch sachlich bleibt – was denen, die es schon versucht haben, sicherlich ein schiefes Grinsen entlocken wird.
Die anderen empfehlen sofortigen Kontaktabbruch und warnen obendrein vor der Gefahr der Ansteckung mit dem Verschwörungsvirus für selbst eher labile Geister.

Aus einer distanzierten Position heraus lässt sich ein Thema natürlich auch leichter abwinken und ein Mensch einfach abschreiben. Für Angehörige werden das aber unbefriedigende Antworten sein. Muss man wirklich akzeptieren, dass einem seine Liebsten von Verschwörungsmythen entrissen werden?

Grob betrachtet gibt es drei Möglichkeiten:
• Man akzeptiert den Menschen so, wie er (jetzt) ist.
• Man bricht den Kontakt ab.
• Man findet einen Kompromiss dazwischen.

Auch Menschen mit (anderen) psychischen Erkrankungen muss man akzeptieren, wenn man sie nicht verlieren will. Allerdings gibt es dazu auch Empfehlungen für den Umgang, je nach Art der Störung werden für Angehörige Selbsthilfegruppen und Verhaltenstipps angeboten. Und das macht es auch noch nicht super-easy, sondern nur nicht komplett unmöglich.

Für VeMy gibt es diese Tipps noch nicht. Es wird großflächig ignoriert, dass hier nicht nur die VaFoF-Personen selbst ein Problem haben, sondern auch deren Angehörige. Die VaFoF-Personen wohnen aber nicht abgeschottet auf einer Insel, sondern unter uns, sind jemandes Mutter, Onkel, Cousine oder Freund, und das bleibt auch weiterhin so.

Letztlich muss es also darum gehen, einen Umgang zu finden, der für beide Seiten aushaltbar ist, und der – wenn er ihr schon nicht helfen kann – die betroffene Person zumindest nicht alleinlässt. Solange die Person vereinbarungsfähig ist, wird man versuchen, individuelle Vereinbarungen zu treffen und auf deren Einhaltung zu pochen.

Aber auch für Angehörige darf dieser Umgang nicht über ihre Grenzen gehen. Und diese Grenzen sind leider schnell erreicht, weil die regelmäßige Zurückweisung und Abwertung, wie sie etwa bei psychischen Erkrankungen leider für Angehörige gratis mit dabei ist, in den Empfängern starke Affekte triggern kann – auf Deutsch gesagt: einfach sauweh tut.
Die 180-Grad-Alternative – den Kontakt zu einem Menschen, den man liebt, komplett aufzugeben – tut aber auch sauweh. Selbst wenn man vorher alles Menschenmögliche versucht hat, auch weit über seine Schmerzgrenzen hinaus, tut das Herz für lange Zeit weh. Also hat man im Grunde die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Das alles gilt auch dann, wenn eine erkrankte Person keine Krankheitseinsicht hat. Die Situation mit einer VaFoF-Person ist meiner Ansicht nach genau so zu betrachten. Dazu muss man die Person nicht pathologisieren, denn ob eine Erkrankung vorliegt oder nicht, ist letztlich irrelevant. Es wird kein Richter kommen und ein Urteil darüber sprechen, wer nun recht hat. Es geht darum, miteinander auszukommen, wenn man einen Menschen aus seinem engsten Umfeld nicht verlieren will.

Es gibt immer eine kleine Hoffnung. Bei einer psychisch erkrankten Person ist es immer möglich, dass in ihr ein Leidensdruck erreicht wird, der sie professionelle Hilfe suchen lässt.
Im Fall der VeMy ist es immer möglich, dass sich durch eine Beruhigung der globalen Situation auch die Psyche der VaFoF-Personen wieder stabilisiert und die VeMy in den Hintergrund treten, weil sie nicht mehr benötigt werden.
Oder dass die VeMy-Anführer sich selbst demontieren – wonach manche AnhängerInnen sich allerdings psychisch im freien Fall wiederfinden dürften. Auch dann wird vielleicht ein Leidensdruck erreicht, der eine Veränderung anstößt.

DIE ZWEISEITIGE MEDAILLE DER ANGEHÖRIGEN
Kopf: Die Vertrauensbasis, die ein Therapeut erst allmählich erarbeiten müsste, ist idealerweise bereits vorhanden.
Zahl: Angehörige sind emotional involviert, ihre Affekte werden daher auch viel leichter getriggert. Vulgo: auf der Palme oder den Tränen nahe in 1,8 Sekunden.

SICH AUF EIN GESPRÄCH VORBEREITEN

ஐ SICH AUF DEN GEDANKEN EINLASSEN…
…wie ungemein nützlich die persönliche Vorbereitung auf ein Gespräch ist.
Man stolpert nicht mehr blindlings in eine halbsachlich-emotionale Auseinandersetzung. Viele Aspekte vorab und in Ruhe durchdenken und möglichst auch aufschreiben hilft, die Gedanken und Gefühle zu sortieren und Ziele zu definieren.

ஐ WISSEN BERUHIGT
Es wird Geduld und Nerven erfordern.
Man muss auf emotionale Trigger vorbereitet sein. Welche Verletzungen gab es zwischen dir und der Person immer wieder? Wie fühlt sich Zurückweisung oder Aggression durch diese Person für dich an? Du könntest dich entschließen, diese Trigger im Gespräch (erstmal) möglichst an dir abprallen zu lassen, oder zumindest etwas bewusster darauf gefasst zu sein. Man kann auch mit Vorstellungskraft arbeiten – etwa sich unmittelbar vor dem Gespräch einen gedachten Schutzmantel anziehen, eine Panzerung anlegen oder eine Teflonschicht. Ein paar tiefe Atemzüge und eine gezielte Visualisierung unmittelbar vor dem Gespräch können sehr helfen.

Es mag auch eine Hilfe sein zu wissen, wie Projektion funktioniert und wie massiv sie bei den VeMy zum Einsatz kommt. Projektion erscheint uns oft absurd – dass Menschen in mir ausgerechnet das Schlechte zu erkennen meinen, das sie an sich selbst partout nicht sehen wollen. Man kann sich mit diesem Wissen dennoch etwas besser vor Augen halten, dass Projektionen das Ich des Gegenübers entlasten sollen, und dann die projektiven Attacken weniger persönlich nehmen.

Außerdem kann man sich bewusst machen: Der Glauben an den VeMy ist nicht das Problem, sondern der Lösungsversuch der Psyche. Genau wie Husten nicht die Krankheit ist, sondern der Versuch des Körpers, sich von Fremdkörpern zu befreien. Das hilft vielleicht ein wenig dabei, respektvoll zu bleiben.

ஐ ZIELWASSER
Was will ich erreichen? Welches Ergebnis erhoffe ich? Was will ich demzufolge überhaupt be-/verhandeln?
Es ist überaus wichtig, sich selbst diese Fragen vorab zu stellen. Nicht nur, um ein Ergebnis hinterher überhaupt beurteilen zu können – auch um eigene Erwartungen zu beleuchten, um aufs richtige Ziel zuzusteuern, statt sich erst direkt im Gespräch zu verzetteln, umzuschwenken und sich dabei womöglich eine blutige Nase zu holen – natürlich nur im übertragenen Sinn!

Wenn man sich die Ziele zu hoch steckt, ist Enttäuschung vorprogrammiert. Ein kleiner Etappensieg ist ermutigender als ein Scheitern am großen, aber unerreichbaren Ziel.

Und bitte: Macht euch nicht selbst zur Schnecke, wenn ihr auch kleinere Ziele nicht erreichen konntet oder euch zu emotionalen Ausbrüchen habt hinreißen lassen. Es ist ein unfassbar schweres Thema und eine schwierige Situation für alle Beteiligten. Jeder Mensch, der solche Probleme anpackt, hat meinen größten Respekt. Wir stehen alle unter großem Druck, auch ohne zusätzlich solche Gespräche führen und dann noch ~erfolgreich dabei sein zu müssen.

Wie in der Einleitung erwähnt, ist es vermutlich als Gesprächsziel sinnvoller, den Umgang und das Auskommen miteinander neu zu definieren, als eine Bekehrung der VaFoF-Person erwirken zu wollen. Und auch größeres Verständnis ist ein legitimes und ehrenhaftes Ziel.

Soll das erhoffte Ergebnis trotz aller Überlegungen ein Umdenken der VaFoF-Person sein: Sei dir im Klaren, dass du dafür sehr fundierte Kenntnisse brauchen wirst, inklusive zitierbare Quellen und Studien, und bereite dich inhaltlich vor. Und auch auf den Widerstand, der dir entgegengebracht werden wird. Und dass du damit höchstwahrscheinlich keinen Erfolg haben wirst.
Die Empfehlung lautet daher klar: Von der inhaltlichen Ebene wegbleiben, weg vom reinen Schlagabtausch! Faktenchecks sind nötig, klar. Aber vielleicht erst viel später im Verlauf, wenn überhaupt. Denn Faktenchecks gibt es zuhauf im Internet, die man lesen kann, wenn man es erstmal will.

Zuerst müsste eine Offenheit und ein Vertrauen entstehen, in der Fakten überhaupt ankommen können. Selbst wenn die Person sehr von ihrer Meinung überzeugt wirkt – es ist ein schwankendes Floß, auf dem sie steht, und sie wird es sich dennoch nicht einfach wegziehen lassen. Besonders wenn bisherige Gespräche schon gezeigt haben, dass man mit Fakten und Sachargumenten nicht weiterkommt, sollte es erstmal darum gehen, eine echte Verbindung herzustellen.

Vielleicht entstehen bei diesen Überlegungen zur Gesprächsvorbereitung auch erst Ideen, was man überhaupt erreichen wollen könnte. Etwa, seine Kinder vor “Missionierung” zu schützen; regelmäßigeren Kontakt, aber unter neuen Voraussetzungen; einen Kompromiss, bei dem man Kontakt hält, aber das leidige Thema künftig komplett ausklammert.
Oder Haltung zu zeigen und selbstbestimmte Grenzen zu setzen, was in deinem Beisein/Umfeld okay ist und was nicht. Und das womöglich, ohne dabei auf die Person selbst loszugehen. Ein Gespräch führen, das ohne vorgefasste persönliche Zuschreibungen auskommt.

Höchstwahrscheinlich wird es mit einem einzigen Gespräch nicht getan sein. Wenn man sich vorher Gedanken macht und Ziele setzt, vielleicht auch schriftlich, dann kann man sie hinterher mit dem Ergebnis vergleichen, sie anpassen oder sich neue Ziele und Etappenziele setzen.

Vielleicht ergibt sich durch die Überlegungen zur Vorbereitung auch, dass man das Gespräch gar nicht führen möchte – auch das ist okay.
Meine Empfehlung lautet aber klar, sich auf den Konflikt zuzubewegen, statt vor ihm zu fliehen.
Auch eine wie auch immer geartete neue Vereinbarung zum Umgang miteinander wäre ein Ergebnis und könnte Anspannung aus der Situation nehmen.

ஐ SETTING
Neutraler Boden für das Gespräch
Das sorgt dafür, dass niemand den “Heimvorteil” hat und auch niemand sich von Beginn an im Nachteil fühlt.

Bewegung an der Luft
Äußere Gegebenheiten und Körperbewegungen fördern innerliches Nachmachen. Wer stillsitzt, läuft auch geistig eher Gefahr, festzusitzen.

ஐ WORTE ZURECHTLEGEN
Wo setze ich meine Grenzen, und wie formuliere ich das konkret?
• Mit welchen Worten initiiere ich eine Pause?
• Wie eine Überleitung zu einem anderen Thema?
• Zu einer anderen gemeinsamen Aktivität?
• Wie den Abbruch des Gesprächs?

Wenn man im Gespräch dringend eine Pause braucht, ist die emotionale Bedrängnis schon sehr groß – in so einem Zustand funktioniert unser Denken und Sprechen nicht mehr gut. Um Themenwechsel, Pause oder Abbruch dennoch in Ruhe ansteuern zu können, kann es entscheidend sein, dass man sich vorab einzelne konkrete Sätze für diese Situationen zurechtgelegt hat. Es tut gut zu wissen, dass man jederzeit aussteigen kann, und auch zu wissen, wie.

• Wie reagiere ich auf Aggression?
Man kann um Friedfertigkeit bitten; den Abbruch des Gesprächs ankündigen; das Gefühl benennen und hinterfragen (“Ich hör da viel Wut heraus…?”). Wie oben gilt: Wenn man darauf vorbereitet ist und von der Aggression nicht kalt erwischt wird, fällt die Reaktion etwas leichter.

ஐ NOCH EIN PAAR BASICS…
…die man im Eifer des Gesprächs oft vergisst:

• Eigenes Körpergefühl nicht übergehen, sondern beachten

• Atmen nicht vergessen :)

• Nachfragen statt interpretieren

• Eine Sekunde entscheidet
Die eine Sekunde, die man länger nachdenkt und durchatmet, bevor man spricht. Die eine Sekunde, in der man entscheidet, eine Antwort abzuwarten und zuzuhören, und damit dem Gegenüber Raum gibt.
Die eine Sekunde, die ein Moment dauert. Weil alles nur im Moment passiert.

• Humor
Er kann Schärfe aus Worten nehmen und für Auflockerung sorgen. Lachen baut körperliche und psychische Spannungen ab! Aber nur, wenn beide lachen können. Zynismus ist kein Humor, sondern schlecht bemäntelte Aggression.

ZUERST – DANN
Im Sinne meiner bisherigen Ausführungen bleibe ich dabei:
Zuerst einen neuen Untergrund bieten, ein Rettungsfloß – dann erst das alte wegziehen.
Es umgekehrt zu versuchen, erzeugt nur stärkeren Widerstand.

Da es sich beinah durchgehend um Abwehrmechanismen handelt:
In einer Psychotherapie-Situation würde der/die Therapierende der/dem Betroffenen nicht alle Abwehr auf einmal wegreißen, nur um ihr/ihm seine Abwehrmechanismen zu “beweisen” – das würde nicht nur Widerstand erzeugen, sondern auch die mit der Abwehr gewonnene Stabilität in Gefahr bringen. Denn die Abwehr hat die Psyche stabilisiert, so abstrus und eigenwillig die Ausprägungen auch wirken mögen.

Der/Die Therapeut/in versucht vielmehr, gemeinsam mit dem zu therapierenden Menschen zuerst eine Atmosphäre und Beziehung zu schaffen, in der dieser Mensch sich angenommen und sicher fühlt und sich nicht rechtfertigen muss. Es werden Fragen gestellt. Allmählich wird der/die Therapeut/in die involvierten Gefühle zu benennen beginnen. In kleinen Schritten werden so die abgewehrten Gefühle mit kleinen Lichtpunkten versehen, damit sie für den Menschen in stets erträglichem Maße, aber in zunehmender Menge sichtbar und fühlbar werden.

Ein Ziel könnte also sein, dem Grundgefühl im Gegenüber auf die Spur zu kommen. Nicht über die Sache zu reden, nicht über die Inhalte der VeMy zu streiten, sondern die dahinterliegenden Gefühle zu erkunden. Und das Gespräch auch immer wieder dorthin zurückzulenken. Interesse am Fühlen zeigen – nicht am Glauben.

(Nebenbei bemerkt finde ich auch, dass man sich mit den konkreten VeMy-Inhalten so wenig wie nur möglich auseinandersetzen sollte. Auch wenn ich eine etwaige “Ansteckungsgefahr” nicht so drastisch sehe – von falschen Fakten in Kombination mit gezielter Aggression und Angstmache geht eine emotionale Toxizität aus, der man das eigene System schlicht nicht aussetzen sollte.)

ஐ KONFLIKTE, IGITT?
Ein Schlüssel zu fruchtbaren Konfliktlösungen ist, erstmal eine gemeinsame Basis zu finden – egal, wie schmal sie auch sein mag. Eine Sache entdecken, bei der man sich einig ist, und dort zu beginnen. Eine “gemeinsame Realität” ist auch ein erster Schritt gegen alternative Fakten.

Man könnte also versuchen, eine vertrauensvolle Atmosphäre und sicheren Boden zu schaffen.
Etwa indem man mit der betroffenen Person über die Beziehung zueinander spricht, ihr erstmal versichert, dass sie einem wichtig ist, ihr Wohl und auch die Beziehung zu ihr.
Man könnte auch nachfragen, wie sie die Beziehung sieht, sich ein(ige) Ja abholen auf Fragen nach Vertrauen, Zuneigung und Bindung. Wer einmal ja sagt, öffnet sich leichter.

Man könnte auch aussprechen, dass man bereit ist, für den Erhalt dieser Beziehung einiges zu tun.
Natürlich nur, wenn man dazu auch ehrlich bereit ist. Denn es gilt ja, einen Balanceakt hinzulegen zwischen “du bist mir wichtig” und “ich muss mich schützen” – und das ist eine schwierige Übung. Also Vorsicht mit Versprechen, die man nicht halten kann! Wenn ein Abbruch des Kontaktes tatsächlich eine Option ist, sollte man sich mit “immer für dich da”-Versprechen zurückhalten. “Ich möchte für dich da sein, ich verstehe aber noch nicht …, erzähl mir …” ist dann vielleicht besser geeignet.

Ein weiterer Schlüssel ist es, Ideen von Identität zu trennen.
In diesem Fall ist das besonders schwierig, weil ja gerade an die VeMy-Ideen so viel Identität gebunden ist, dass jeder Versuch, sie zu hinterfragen, mit Aggression beantwortet wird.
Aber ist das denn nicht auch bei allen anderen “Meinungen” der Fall? Wenn man selbst nicht bereit ist einzuräumen, dass man falsch liegen könnte, ist man für eine inhaltliche Diskussion nicht bereit, und sollte den Fokus des Gesprächs auf andere Ziele richten. Denn so absurd VeMy auch sein mögen – zu erwarten, dass das Gegenüber unbedingt sein Falschliegen einräumen müsste, während man selbst das nicht muss, das ist keine geeignete Augenhöhe für eine Diskussion. Wir würden das umgekehrt auch nicht anders empfinden – und das muss man sich klarmachen, wenn auch zähneknirschend.
Und wir wollen auch nicht als Mensch angegriffen und abgelehnt werden, wenn es unsere Überzeugung ist, die abgelehnt wird.

Es macht einen Unterschied, ob man sich einem Menschen mit Mitgefühl nähert oder in Opposition.
Die Intention Mitgefühl verändert alles. Es schenkt dem eigenen Ego eine Auszeit, wenn man sich mal ein paar Minuten auf etwas anderes konzentriert als rechtzubehalten. Solange man sich ständig abgrenzen muss, ist man nicht frei, um einen anderen Menschen wirklich zu sehen und zu hören.

Während man fragt, während man auf eine Antwort wartet, und während man diese Antwort anhört – siehe weiter unten – ist man damit beschäftigt, das dahinterliegende Gefühl zu erkennen und zu verstehen. Und nicht damit, zum nächsten Gegenschlag auszuholen. Dem Gegenüber schenkt diese Intention somit das Wertvollste, was es zwischen Menschen gibt: Interesse.
Ein himmelweiter Unterschied im Erleben, für beide Seiten.

Dabei kann man auch besser auf erhellende Aussagen achten, die Projektionen von Gefühlen darstellen (können) – etwa wenn jemand sagt, dass “die Welt den Bach runtergeht” oder “bald alles zusammenbricht”. Mitunter handelt es sich dabei um Ängste, die nur auf das Außen projiziert werden, sich aber tatsächlich stark auf innere Zustände beziehen.

Vielleicht kann man auf diese Art das erwähnte Grundgefühl im Gegenüber erforschen und in weiterer Folge dort ansetzen.
Möglicherweise bewegt es aber auch schon etwas, wenn der Mensch sich einfach mal wirklich gesehen und gehört fühlt.

Denn vielleicht ist der Zeitpunkt gekommen, an dem wir unser eigenes Urvertrauen einem Menschen zurückgeben können, der es uns geschenkt hat – und der uns damit ermöglicht hat, selbst vor VeMy bewahrt zu bleiben.

ஐ FRAGEN – DER ULTIMATIVE SCHLÜSSEL
“Du weißt nichts! Und selbst wenn – tu so, als wüsstest du nichts. Frage und hör zu!”

Predigen wird abgeblockt: Widersprechende verbale Eindringlinge wird die VaFoF-Person reflexhaft abwehren, und danach ist sie frei, sich eine Entgegnung zu überlegen, und hört längst nicht mehr zu. Genau wie es auch in dir Widerstand auslösen würde, wenn dir jemand erklären will, dass du alles völlig falsch siehst.

Besser:
• Eine Frage stellen.
• Auf die Antwort warten.

Auch wenn dabei eine Stille entsteht.

Menschen brauchen Zeit zum Antworten.

Und diese Stille brauchen sie auch.

Selbst wenn sie sich unbequem anfühlt.

Übung: Dem Drang widerstehen, die Stille zu füllen, weil man sich und den anderen durch Weiterreden aus der Unbequemlichkeit “erlösen” will.

• Immer nur eine Frage stellen.

• Unklarheiten nachfragen!

Davon, wie der Mensch sich beim Antworten fühlt, hängt es ab, ob sich etwas in seinem Inneren bewegt. Man scheint vielleicht nur “schlüssige” Antworten zu bekommen, oder abwehrende; aber wie die Gefühle dahinter aussehen, das merkt erstmal nur der/die Antwortende selbst.
Fragen können sehr viel bewirken, selbst wenn man selbst erstmal nicht den Eindruck hat, das hätte irgendwas gebracht.

Fragen regen das Denken und Fühlen gleichermaßen an.

Fragen ist auch die eleganteste Form, ein Gespräch zu steuern.
Man muss sich die Mythen nicht anhören, wenn man nach dem persönlichen Erlebnis fragt, den Gefühlen dahinter. Und die Ideen von der Identität trennt, selbst wenn die VaFoF-Person das selbst nicht kann. (Wo fühlst du dich missverstanden? Wie ist das für dich?) Wir sind keine Therapeuten, wir ‘dürfen’ Mythen gegebenenfalls auch unterbrechen, um eine Frage zum Erleben zu stellen.

Weiterer Vorteil am Rande: Wenn man erlebt hat, dass Fragen zu stellen Übung erfordert, geht man auch mit empfangenen Fragen viel wertschätzender um.

Auch dass die VaFoF-Person beginnt, ihr Denken und ihre Quellen selbst zu hinterfragen, erreicht man wohl am ehesten durch Fragen.

ஐ ÖFFNEN
Man könnte auch versuchen, im Sinne einer “optimalen Authentizität” bzw. “Stimmigkeit” über die eigenen Gefühle zu sprechen und offenzulegen:
• wie es einem selbst mit der Pandemie geht und welche Gefühle sie auslöst
• welche Strategien man selbst gegen die entstehende Anspannung anwendet und
• welche Gefühle man hat, wenn die VaFoF-Person so ist (Sorge; will dich nicht verlieren; etc.)

Natürlich ist der Grat zu Vorwürfen und damit zu Widerstand hier, je nach Sender und Empfänger, sehr schmal. Eine Predigt mit der Überschrift “Ich bewältige das besser als du” sollte es sicher nicht werden.
Möglicherweise hilft aber dem Gegenüber das Angebot des eigenen Öffnens dabei, sich ebenfalls zu öffnen.

HOFFNUNGSSCHIMMER
Angehörige könnten sich so – zugegeben, mit sehr viel Einfühlungsvermögen – den zugrundeliegenden Gefühlen annähern, sie erfragen und benennen. Das geht sicher nicht an einem Nachmittag. Doch letztlich könnten sie mit dem gewonnenen Verständnis die dahinterliegenden Bedürfnisse auf andere Weise zu stillen versuchen, und in weiterer Folge auch die stattgefundene Distanzierung hinterfragen, vielleicht so:

• Alles tun, was die Zusammengehörigkeitsgefühle stärkt
• Die Person intensiver in den eigenen Alltag einbinden. Gegebenenfalls muss man vorher neue Voraussetzungen verhandeln.
• An die alte, zuverlässige Bindung erinnern (Familie)
• Daran erinnern, dass einem bis vor kurzem vertraut und logisches Denken zugetraut wurde

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Ich hoffe, ich konnte mit dieser Serie eine erste Spur aus der schwierigen Situation legen, die vielleicht zu kleinen Pfaden anwächst.

Eventuell lasse ich konkrete Ideen für Fragen auf der Beziehungsebene, auf der Logik- und Sachebene und ein paar Gedankenspiele / Feedback in einem weiteren Teil nachfolgen. Dem Thema haftet allerdings eine eigene, immense Schwerkraft an, die für mich auch beim Schreiben nicht so leicht zu überwinden ist.

Danksagung
Allen Menschen, die ihre wertvollen (Er-)Kenntnisse geduldig mit mir geteilt haben, danke ich von Herzen!
Hier in der gewünschten Erwähnungsform, sehr leiwanden Input geliefert haben mir die Gespräche mit:
dederreda
ஐ Alice
ஐ Jakob
ஐ Zwei andere wollten nicht genannt werden. Auch die meisten Kommentare und anderes Feedback wollten privat bleiben. Meine Dankbarkeit schleicht euch trotzdem nach! :)
ஐ Danke auch meinen Freunden und Freundinnen, die mich bestärkt haben, daran weiterzuschreiben. <3

Artikel

Corona – zwo

Dieser Artikel ist Teil 2 von 18 in der Serie "Corona" ...

Daheimbleiben – wird das Wetter mitspielen?
Ab morgen, Samstag, wird das Wetter grob umschlagen, und das wird so schmerzhaft, wie es klingt – mit 10 Grad weniger und Regen. Die letzten Tage waren ja wunderbar warm und sonnig. Da fällt es den Menschen natürlich schwerer, die Ausgangsbeschränkungen zu befolgen und zu Hause zu bleiben, wie sie es sollen. Natürlich ist ein Spaziergang “erlaubt”.

Auf Social Media kursieren Fotos von Menschentrauben, die sich scheinbar fröhlich am Donaukanal oder in anderen Erholungsgebieten Wiens tummeln. Ob der empfohlene Sicherheitsabstand von einmal meiner Körpergröße da eingehalten wird, lässt sich schon aufgrund der Perspektive schwer erkennen.
Über diesen Fotos steht oft geschrieben, wie dumm und selbstsüchtig diese Menschen seien, und wie sehr sie andere gefährden. Der/die Fotograf*in selbst ist hingegen nie im Bild, was wohl die eigene Daheimgebliebenheit unterstreichen soll. Eventuell markiert das den Beginn einer plötzlichen Trendwende weg vom Selfie. Wer will sich schon selbst denunzieren?

Als Sonnenmensch freu ich mich natürlich auch über Wärme und Sonnenschein. Man muss aber auch da vorsichtig sein, mir ist nämlich schon passiert, dass das Klimafreunde ärgert, die ihr Engagement mehr im urteilenden Aktivismus sehen. Weil, wie kann man sich bloß über klimawandelbedingtes Wetter freuen? Verwerflich. Habe daher testweise aufgehört, mich darüber zu freuen. In dieser Zeit fiel mir auf, dass es auch dann schön ist, wenn ich mich nicht freue. Seither freue ich mich wieder, erzähle es aber nur noch meinen engsten Vertrauten.

Nur Ältere gefährdet?
Habe einen Artikel in der ZEIT gelesen, in der die Sterbestatistik aufgrund des Coronavirus aus Deutschland besprochen wurde. Darin hieß es, Menschen mit Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes und Herzkrankheiten seien stärker gefährdet, besonders wenn sie obendrein älter sind.
Und dann stand da der bemerkenswerte Satz: “Wer über 80 war, starb besonders häufig.” Hoffe dennoch weiterhin, man stirbt nur einmal, oder wenn doch nicht, dann höchstens seltener, und nicht häufig. Ein Freund merkte daraufhin an, dass einmaliges Sterben eventuell zu einer nachfolgenden Immunität gegen das Sterben führe. Die Studien sind sich dazu aber noch nicht einig.

Bei der Rückkehr von einer Hunderunde traf ich die alte Dame aus dem dritten Stock, die gerade mit Mundschutz und Gummihandschuhen im Stiegenhaus zugange war. Aus dem Gespräch ergab sich, dass in Bezug auf den persönlichen Gefährdungsgrad ein gewisses Konkurrenzdenken herrschen dürfte, was sie mir letztlich mitteilte in Form eines: “Owa, Sie! Se san do no net so oid wia i!”
Dann fuhr sie fort, die Lichtschalter und Geländer im Stiegenhaus zu desinfizieren. Habe das zuvor schon andere Nachbarn machen sehen, mit unterschiedlich neuwertig wirkenden Fetzen. Benutze die Lichtschalter jetzt gar nicht mehr.

PS:
Wer lieber richtig informative Links und wissenschaftliche Artikel lesen möchte als meine unernsten Betrachtungen, schaue sich zB bei Felix im Wiener-Alltag-Blog um.

PPS:
Am Land habe ich mehr Möglichkeiten, in die Natur zu gehen, ohne versehentlich eine Traube mit anderen Menschen zu bilden. Bin mir also meiner vorteilhaften Lage bewusst, fühle mich daher eher zur Erleichterung berufen als zum Panikmultiplikator. Poste darum auf Twitter winzige Videos für alle, die gerade nicht in der Natur auftanken können.

Und natürlich Flauschbild(er) von Conny.

Artikel

Corona – eins

Dieser Artikel ist Teil 1 von 18 in der Serie "Corona" ...

Das Corona-Virus geht um.

Wisst ihr, ne? Wir sind nun also fast am Ende der ersten Arbeitswoche unter Ausgangsbeschränkungen angekommen. Ich bin schon etwas länger weitgehend isoliert, weil ich krank war. Und weil ich immunsuppressive Medis gegen Rheuma bekomme (mir verabreiche, um genau zu sein).
Abgesehen von Nahrungsaufnahmeorgien mit meiner Familie zu meinem Geburtstag und mit meinen Freunden ein paar Tage später fanden meine Sozialkontakte schon seit Mitte Februar weitgehend virtuell statt. Also, die Kontakte sind schon echt, nur die Verbindung virtuell.

Home-Office
Arbeite ja nun schon seit Jahren daheim – sowohl angestellt als auch selbständig, in der artgerechten Haltung von Büchern, vulgo Bilanzbuchhaltung. Habe also Vorsprung und könnte auch Tipps geben, wurde aber bisher nicht um ein Interview gebeten. Die anderen, die neuerdings von zu Hause arbeiten, müssen daher ohne meine Hilfe lernen, wie man korrekt zuhause verwahrlost und den Pyjama den ganzen Tag nicht auszieht. Und wie man bei den Hunderunden erfolgreich verbirgt, dass dem so ist. Unterschied zu früher: Bin viel sicherer, dass niemand zu Besuch kommen wird. Hilft nicht.

Was mich daran erinnert, dass back in old Lanzendorf die alte Frau, die wir qua Wohnrecht mit dem Haus “mitgekauft” hatten, am Treppenabsatz zu erscheinen pflegte, wenn ich am staubsaugen war, um mir dort über das Staubsaugergeräusch die immer selbe laute Frage zu stellen: “Ah, kriagt’s leicht an Besuch?”

Alle zwei Wochen muss ich aber zum Betrieb fahren, um die alten Zettel gegen neue Zettel einzutauschen. Buchhaltung, Sie verstehen. Diese Woche fand das Meeting am Tor statt. Auf meine Ankunft an diesem Tor musste ich zuvor mit Schreien aufmerksam machen, weil ich mein Handy daheim vergessen hatte. Man ist ja gleich so peinlich laut ohne Elektronik!

Man bemerkte mich schließlich, und die Chefin kam kurz darauf samt Hund zum Tor, reckte mir aus großer Entfernung ein Sackerl mit Belegen durch das Gitter entgegen und hustete dann. Sie hat aber auch schon gehustet, als es noch nicht in war.
Chef schrieb mir ein paar Tage später, nachdem ich ihm eine Saldenliste für Februar übermittelt hatte, diese Liste werde wohl künftig für mich leichter – “durch Copy-Paste bei den Erlöskonten”. Galgenhumor, so wichtig!

Systemrelevanz
Es gibt auch schöne Seiten! Die bisher selbstverständlichen Leistungen vieler Mitmenschen sind plötzlich weit weniger selbstverständlich, sondern systemrelevant. Sind es doch sie, die das Werkl am Laufen halten, die sich weiterhin hinauswagen müssen in die virenverseuchte Wirklichkeit, was uns Daheimbleibern höchsten Respekt abringt. Wenn wir nicht gerade damit beschäftigt sind, uns angemessen leid zu tun, weil wir bei schönem Wetter und mitunter sogar neuer Freizeit daheimbleiben müssen.

Es sind übrigens zu einem wesentlichen Teil sogenannte “Frauenberufe”, deren Wahl man Frauen gerne flapsig als Selberschuld ankreidet, wenn sie über Pay Gaps zu reden wagen. Und natürlich sind es auch andere Tätigkeiten durch Männer, Frauen und allem dazwischen, deren gesellschaftliches Ansehen mitunter bisher zu wünschen übrig ließ.

Und ja, möge sich dieser höchste Respekt für die Menschen im Gesundheitswesen, Verkauf, Transport und in der Sicherheit und IT etc. für sie ausgiebig niederschlagen, am besten in Form von Boni, Prämien und permanenten Gehaltserhöhungen, die endlich die reale Relevanz dieser Berufe widerspiegeln. Die jäh aufgekeimte Dankbarkeit ihrer Mitmenschen bringt für sie zwar vielleicht eine gewisse Genugtuung mit sich, aber davon können sich diese Menschen leider auch nix kaufen. Abgesehen davon, dass die Regale derzeit ohnehin leer sind, wenn sie endlich Feierabend haben.

Finster betrachtet ist die neue Wertschätzung ja auch nur ein Zeichen dafür, dass den Irrelevanten die Relevanz dieser Menschen und ihrer Tätigkeit gerade zum ersten Mal bewusst wird. Genießen wir sie trotzdem, solange sie im Vordergrund bleibt, denn was die Bewusstwerdung der eigenen Irrelevanz anrichtet, sehen wir seit Jahren an nationalistischen Denkfluchtpunkten in der ganzen Welt.

Gestern hörte ich eine Nachbarin – gegenüber um die Ecke, wo ich nicht hinsehe – von ihrem Balkon rufen, als die Müllabfuhr kam. Sie bedankte sich freundlich bei dem Herrn, der den Mülleimer umherrollte. Stelle mir gerne vor, dass sie dazu auch einen Geldschein aus ihrer nackten Hand herunterflattern ließ, den der freilich wohlinformierte Herr aus dem orangen Lkw allerdings gleich mit entsorgte.

Möge euch der Humor nicht ausgehen, denn es ist auch mit Humor noch schwer genug!

Fortsetzung folgt.