Corona DreiNull – Gegen Zynismus als Ersatz für Argumente

Dieser Artikel ist Teil 19 von 18 in der Serie "Corona" ...

Die ausgiebigen Versuche einiger User, auf Social Media sarkastisch, zynisch, ironisch zu sein, und auch die Spottvideos der Tatort-Schauspielerriege* veranlassen mich, hier über Zynismus, Framing und geistige Reife nachzudenken.

*und des verantwortlich zeichnenden Regisseurs, der einfach mal ordentlich das Publikum beschimpfen wollte

Ironie oder Zynismus – die Art, in der man das Gegenteil von dem sagt, was man meint, und das mit einem entsprechend unsympathischen Tonfall und Gesichtsausdruck garniert – ist schon im persönlichen Gespräch schwierig: Kinder etwa verstehen Ironie bis zu einem gewissen Alter gar nicht und nehmen alles wörtlich, hören also das Gegenteil des eigentlich Gemeinten, nämlich: das Gesagte. Und allerlei neurodiverse Menschen hören nie damit auf, Aussagen wörtlich zu nehmen, und tun sich schon schwer mit einem übertragenen Sinn, ganz zu schweigen von einem gegenteiligen.

Schriftlich, auf Social Media, ohne Tonfall und nur mit ein paar Emojis bewaffnet, von denen der beliebteste ausgerechnet der Lachtränen-Smiley sein dürfte, sieht das dann etwa so aus:

  • “Endlich alles aufmachen! Diese ganze Pandemie ist doch Bullshit!”
  • “Endlich alles aufmachen! Die ganze Pandemie ist doch eh nur Bullshit! Und zusätzlich könnten wir noch … [perfide Idee zur Erhöhung der Infektionsgefahr; smiley]”

Dann wirkt dieser Zynismus entweder noch abgebrühter und aggressiver – was womöglich mit Gegenaggression beantwortet wird. Oder er steckt andere an und wird von ihnen in ungeahnte Höhen der menschenfeindlichen Ideen erhoben. Oder er wird gar nicht als Zynismus verstanden – dann wird der Verfasser, die Verfasserin einer Überzeugung zugeordnet, der sie gar nicht anhängen.

Die meisten Effekte sind nichtmal erwünscht.
Und dann ist man “total überrascht über den Shitstorm”.
Oder die Hirne aller Beteiligten sind unmenschlichen Ideen nähergerückt.
Oder man ist beleidigt, dass man “falsch verstanden” wurde.
Oder muss darauf hinweisen: “Das war Zynismus, zwinki zwonki!”

Und wer ist danach reicher an irgendwas?

So sehr einen dieser Zynismus äußerlich vom Objekt seines Spottes abgrenzen soll, es könnte dabei innerlich ein ganz anderer Mechanismus wirksam werden. Mit dieser Art, seine Anschauungen (nicht) zu kommunizieren, indem man die fremde zitiert, lässt man diese Überzeugungen allmählich das eigene Innere kapern. Man verschiebt sich und sein Denken damit selbst.
Denn das ist es, was Framing wirklich bedeutet: Dein Denken wird von außen begrenzt, in einen Rahmen eingekastelt und mit diesem Rahmen verschoben und weiterverbreitet.

Das hat nicht nur punktuelle, sondern auch dauerhafte Wirkungen:

  1. Du sagst genau das, was auch deine Kontrahenten sagen
  2. Du denkst auch gleich für sie weiter
  3. Du bist in dieser Zeit daran gehindert, in deinen eigenen Werten und Überzeugungen weiterzudenken
  4. Dein Denken nimmt allmählich andere Richtungen an
  5. Mit zynischen Gegenteils-Formulierungen ziehst du andere mit hinein in diese von außen begrenzten Denk-Rahmen; andere, die eventuell ohnehin auf deiner Seite sind, zwingst du zum Mit-denken und Mit-verschoben-werden
  6. Damit erledigst du mit deiner Lebenskraft fremde Überzeugungs- und Empfehlungsarbeit und infizierst andere

Wir dürfen Framing nicht als kurzfristigen Verkaufstrick missverstehen – es ist langfristige Gehirnwäsche.
Mit “Ironie” und “Sarkasmus” und deinen eigenen pfiffigen Vorschlägen für “Was kommt als nächstes?” spielst du das fremde Framing freiwillig mit. Oder, etwas plakativer:
Du unterschreibst deren Manifest und überweist deine Lebensenergie auf deren Konto.
Und schlägst anderen in deinem Umfeld vor, es genauso zu machen.

Neuronale Netzwerke entwickeln und formen sich vor allem durch Wiederholung. Wir müssen als Säuglinge und Kleinkinder tausende Male hören, dass wir wohl Hunger haben, bevor wir selbst denken können, dass wir Hunger haben.
Das heißt: Gut ausgetrampelte Pfade funktionieren besser und schneller. Wo du in deinem Netzwerk schon x-mal mit der Machete durchgegangen bist, behindert kein dorniger Ast mehr deine Denkrichtung.
Ganz im Sinne des deutschen Philosophen Ludwig Feuerbach, der im 19. Jhdt den Satz prägte: “Der Mensch ist, was er isst”, bedeutet Wiederholung für uns:
Du bist, was du denkst.

Und das in einem beständigen Prozess, immer weiter. Erwachsensein allein zementiert die neuronalen Netzwerke viel weniger in ihrem Istzustand ein, als man gemeinhin annimmt.

Das bedeutet: Mit jedem Gedankengang, den du in fremdem Rahmen denkst, oder den du in fremdem Rahmen von anderen Fremd-Denkern und -Schreibern zu lesen kriegst, wirst du ein bisschen mehr wie deren Quelle, und genauso schnell darin wie sie. Während deine ureigenen Pfade allmählich verwildern und immer unzugänglicher werden. Doch wer soll dann deine Gedanken denken, deine Überlegungen schreiben, wenn du es nicht mehr tust?

Mit jeder Pfadbeschreitung verschiebt sich natürlich auch die Grenze des Denkbaren allmählich, mit jedem fremd-ideologischen Gedanken, den du entgegen deiner Überzeugung zulässt und obendrein weiterspinnst. Dabei ist es egal, ob dieses Denken von Verachtung begleitet wird oder von Begeisterung – Hauptsache, eine Emotion liefert den Sprit.

Es wäre naiv zu glauben, deine Ideale, Werte und Einschätzungen würden sich dabei nicht mit-verschieben. Doch das wird dir lange nicht bewusst, und während du dich in der Sicherheit wiegst, alles in deinem Denken wäre beim Alten geblieben, hat es dich der Strom des fremden Denkens schon viel weiter “südlich” hingeschwemmt, als dir lieb sein dürfte.

Das war es, was ich hier meinte:

Man muss sich gegen die Welle der Kaltherzigkeit stemmen, gegen den Druck der Hasser & Ausgrenzer arbeiten.
Nicht nur bleiben, wie man ist, sondern immer wieder aktiv nachjustieren.

Sonst fragt man sich bald:
Wie bin ich denn hier hingeraten? Ich hab mich doch gar nicht bewegt!

https://twitter.com/et0sha/status/1383848388265799684?s=20

Im noch ungünstigeren Fall ertappt man sich nicht bei veränderten Gedankengängen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf – und die Verschiebung bleibt unbewusst. Das macht sie aber nicht ungeschehen oder inexistent. Wir sind nicht außen und sehen der gesellschaftlichen Scholle zu, wie sie nach rechts driftet. Wir stehen drauf!

Man könnte natürlich meinen, dass ein Hineinversetzen in das Denken anderer das gegenseitige Verständnis doch stärken müsste. Wir alle wissen aber auch, dass ein echtes Hineinversetzen und Verstehenwollen anders aussieht als triefender Sarkasmus.

Natürlich erheben sich in der Sache “Schauspieler aus deiner Nähe wollen dich verhöhnen” nach dem Shitstorm wie gewohnt auch Stimmen gegen den Shitstorm – man müsse doch differenzieren, die Videos (die gesammelt als “Aktion” daherkamen!) einzeln beurteilen, nachfragen und drüber reden.

Nur: In welcher Welt sind Zynismus, Spott und Häme eine Einladung zum Dialog?

Man muss nicht für jeden Rülpser dem/der Rülpsenden hinterherkriechen, um mit ihnen in Diskurs treten zu dürfen, weil man das unappetitliche Geräusch unbedingt als Gesprächseinladung deuten wollte.

Habe mal die Definition gehört, Ironie sei “die Differenz zwischen behaupteter Bedeutung und wahrer Bedeutung”. Vielleicht darf man dieses Delta einfach nicht zu groß werden lassen, damit nicht gleich die halbe Welt als Differenz dazwischenliegt. Weil wer soll das noch aufdröseln wollen?

Niemand wird kommen und aus der global immer weiter volllaufenden Giftlache des Zynismus einzelne Stimmen herausfischen, sie vom aggressiven Schlick der Verhöhnung saubermachen, liebevoll den eigentlichen Sinn daraus extrahieren, und daraus dann individuelles Verständnis für jeden einzelnen zaubern. Klarzumachen was man meint ist der Job des Empfindenden, nicht des Empfängers!

Es erfordert Mut, seinen Standpunkt und seine Empfindungen klar und deutlich zu formulieren und dafür einzustehen. Es macht verletzbar. Man steht, zumindest erstmal, alleine damit da und ist angreifbar. Man muss auch denkbare Lösungen auf Lager haben. Es lässt sich in der Folge nicht so leicht abstreiten wie Sarkasmus, Zynismus, Ironie.
Aber zumindest hat man überhaupt gesagt, was man meint. Und nicht nur, was man nicht meint.
Hinter Zynismus kann man sich und seine Verletzbarkeit freilich effektiv verstecken. Man kann später behaupten, man hätte es nicht so, sondern eben irgendwie anders gemeint und wäre einfach falsch verstanden worden – womit man den anderen die Verantwortung zuschiebt. Oder es wäre “Humor” gewesen, und die anderen hätten einfach keinen – womit man sie verantwortlich macht und zusätzlich abwertet. Oder es würde ihnen am nötigen “Feinsinn” fehlen.

Die Wirklichkeit sieht so aus: Wenn du ohne passive Aggression nicht “witzig” oder “feinsinnig” sein kannst, bin nicht ich humorlos, sondern du. Die Feigheit, nicht gesagt zu haben, was du wirklich meinst, setzt sich in den Rechtfertigungen fort. Und damit letztlich dein Unwille, für dein eigenes Denken, Empfinden und Äußern verantwortlich zu sein.

Zynismus ist passive Aggression, die später mal “nur Spaß” werden will.

https://twitter.com/et0sha/status/1385517914590257152?s=20

Nie sagt jemand hinterher: “Ich war so wütend und nicht in der Lage, das anders ausdrücken.”

Eine Eigenschaft kann man der klaren und deutlichen Ansage jedenfalls attestieren: Sie lässt weit weniger Interpretationsspielraum zu. Unklare (Nicht-)Statements findet man hingegen vor allem bei denen, die sich hinterher rausreden wollen.

Wie weit wollen wir uns noch weg-verirren von dem, was wir eigentlich meinen, denken und empfinden?
Viele von uns haben nicht gelernt, ihre Gefühle zu benennen. Sie erstmal zu betrachten, zuzuordnen, ihren Ursprung und Auslöser zu ergründen (nein, das ist nicht dasselbe!) – sie zu akzeptieren. Uns unsere dunkle Seite, den “Schatten” bewusst anzuschauen, statt ihn über Projektion auf andere auszuagieren. Und hernach das, was andere über unsere Gefühle wissen sollten, auszudrücken und hinauszutragen als lebendiges Zeichen wahrer seelischer Zuständigkeit und Identität.
Das bedeutet aber nicht, dass man es nicht lernen könnte!

Seelenhygiene. Mit Gefühlen fertig werden. Verstanden werden. Trost finden. Das beginnt mit einem Verständlich-Sein. Es ist wichtig, seine Gefühle wahrzunehmen, mit ihnen umgehen zu lernen und sie auszudrücken.
Dann weiß auch das Gegenüber, woran es ist. Und zwar ohne den gesamten Weg bis zu uns allein zurücklegen zu müssen.

Wir haben immer Gründe für unseren Zorn, für unsere Verletztheit, unsere Ressentiments, und die sind nie rein intellektuell i.e. “frei von Gefühlen”. Diese Gefühle sollten daher nicht ständig hinter einer zynischen Attrappe mit der Aufschrift “Mir kann ja nix was anhaben, aber…” vor sich hinvegetieren müssen und andere abstoßen.
Denn wer stets nur unverletzbar und abgebrüht wirkt, braucht auch kein Verständnis und keine Zuwendung.

Hohn und Hass in zynischem Gerede und Geschreibe kommt natürlich an – das sehen wir jeden Tag in den sozialen Medien, und das konnten wir auch bei der Schauspieler-Aktion sehen. Wenn darauf entsprechend deftig reagiert wird, dann deutet manch Absender das obendrein als Sieg(!) für sich. Was dem Eingeständnis gleichkommt: “Eigentlich wollte ich euch nur wehtun.”

Das ist zumindest ehrlich. Für eine besonders weit entwickelte Menschheit spricht es aber nicht. Oder zumindest stimmt dann mit der Richtung dieser Entwicklung was nicht.

Darüber hinaus enthält Zynismus aber freilich keinerlei Entwurf, Angebot oder Vorschlag, keine Vision – denn dafür müsste man zackig wieder raus aus dem fremden Frame – und das ist ein Spagat, der nur wenigen gelingt. Der zynisch wiederholte fremde Frame transportiert aber den kleinsten vorstellbaren Eigenanteil in der Aussage.

Zynismus tritt also auf der Stelle. Er verletzt, er beinhaltet kein Argument, er bietet keinen Ausweg, nichtmal einen Kompromiss. Er zieht alle nur weiter runter, und unverletzbar macht er auch nicht. Er ist unehrlich, weil er behauptet “Mir macht das nichts aus”. Während dahinter oft ein einsames Menschi steht, das sich wünscht, verstanden und getröstet zu werden.

Woher sollen die anderen aber wissen, was wir tatsächlich denken und empfinden, wenn wir es nicht deutlich sagen, sondern das (ungefähre) Gegenteil davon? Manche spüren vielleicht die Not hinter der Attrappe, doch die zynische Attacke verbaut ihnen von vornherein den Weg zu einer verständnisvollen Reaktion. Und das sollte sie letztlich auch, denn sonst sind es wieder die Empfänger*innen, von denen nach einem Angriff obendrein erwartet wird, ihr eigenes Gefühl hintanzustellen, um das hinter dem Zynischen versteckte Gefühl zu ergründen.
Wir können aber nicht ständig die Mamis und Papis spielen für unreifes, kontraproduktives Verhalten.

All das trifft auf öffentliche Diskussionen ebenso zu wie auf private. Die Ausweglosigkeit des Zynismus ist selbstgemacht. Wer sich der Verachtung bedient und des absichtlichen Verletzens, landet in einer Sackgasse, und das wahrscheinlich allein. Oder mit anderen Zynikern, die nicht das haben, wonach man sich tatsächlich sehnt.

In zynisches Denken und Reden zu verfallen ist so verlockend, weil es einfach und sicher ist. Klare Aussagen darüber, was man gut findet und was nicht, sind schwieriger und gefühlt viel dünneres Eis. Aber sie sind produktiver und transportieren echten Inhalt.

Ja, das dürft ihr als Challenge auffassen. Höre ich ein “challenge accepted”? :)

Nicht auszudenken, welche Quelle an Ideen und Visionen wir sein könnten, würden wir uns der Dynamik des fremden Framings entziehen und unsere darin gebundene Energie wieder an uns bringen.
Wir könnten sie auf unsere eigene Inspiration lenken und sie für die Entwicklung eigener, neuer Wege nutzen!

Dieser Artikel ist Teil der Serie "Corona".<< Zum vorigen Teil: "Corona – 18 .. Impfung (4) Vektor-Impfstoffe"

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

  1. R sagt:

    Spitzenklasse! Genau auf den Punkt gebracht.

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