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Corona DreiNull – Gegen Zynismus als Ersatz für Argumente

Dieser Artikel ist Teil 19 von 19 in der Serie "Corona" ...

Die ausgiebigen Versuche einiger User, auf Social Media sarkastisch, zynisch, ironisch zu sein, und auch die Spottvideos der Tatort-Schauspielerriege* veranlassen mich, hier über Zynismus, Framing und geistige Reife nachzudenken.

*und des verantwortlich zeichnenden Regisseurs, der einfach mal ordentlich das Publikum beschimpfen wollte

Ironie oder Zynismus – die Art, in der man das Gegenteil von dem sagt, was man meint, und das mit einem entsprechend unsympathischen Tonfall und Gesichtsausdruck garniert – ist schon im persönlichen Gespräch schwierig: Kinder etwa verstehen Ironie bis zu einem gewissen Alter gar nicht und nehmen alles wörtlich, hören also das Gegenteil des eigentlich Gemeinten, nämlich: das Gesagte. Und allerlei neurodiverse Menschen hören nie damit auf, Aussagen wörtlich zu nehmen, und tun sich schon schwer mit einem übertragenen Sinn, ganz zu schweigen von einem gegenteiligen.

Schriftlich, auf Social Media, ohne Tonfall und nur mit ein paar Emojis bewaffnet, von denen der beliebteste ausgerechnet der Lachtränen-Smiley sein dürfte, sieht das dann etwa so aus:

  • “Endlich alles aufmachen! Diese ganze Pandemie ist doch Bullshit!”
  • “Endlich alles aufmachen! Die ganze Pandemie ist doch eh nur Bullshit! Und zusätzlich könnten wir noch … [perfide Idee zur Erhöhung der Infektionsgefahr; smiley]”

Dann wirkt dieser Zynismus entweder noch abgebrühter und aggressiver – was womöglich mit Gegenaggression beantwortet wird. Oder er steckt andere an und wird von ihnen in ungeahnte Höhen der menschenfeindlichen Ideen erhoben. Oder er wird gar nicht als Zynismus verstanden – dann wird der Verfasser, die Verfasserin einer Überzeugung zugeordnet, der sie gar nicht anhängen.

Die meisten Effekte sind nichtmal erwünscht.
Und dann ist man “total überrascht über den Shitstorm”.
Oder die Hirne aller Beteiligten sind unmenschlichen Ideen nähergerückt.
Oder man ist beleidigt, dass man “falsch verstanden” wurde.
Oder muss darauf hinweisen: “Das war Zynismus, zwinki zwonki!”

Und wer ist danach reicher an irgendwas?

So sehr einen dieser Zynismus äußerlich vom Objekt seines Spottes abgrenzen soll, es könnte dabei innerlich ein ganz anderer Mechanismus wirksam werden. Mit dieser Art, seine Anschauungen (nicht) zu kommunizieren, indem man die fremde zitiert, lässt man diese Überzeugungen das eigene Innere kapern.
Denn das ist es, was Framing wirklich bedeutet: Dein Denken wird von außen begrenzt, in einen Rahmen eingekastelt und mit diesem Rahmen verschoben und weiterverbreitet.

Das hat nicht nur punktuelle, sondern auch dauerhafte Wirkungen:

  1. Du sagst genau das, was auch deine Kontrahenten sagen
  2. Du denkst auch gleich für sie weiter
  3. Du bist in dieser Zeit daran gehindert, in deinen eigenen Werten und Überzeugungen weiterzudenken
  4. Dein Denken nimmt allmählich andere Richtungen an
  5. Mit zynischen Gegenteils-Formulierungen ziehst du andere mit hinein in diese von außen begrenzten Denk-Rahmen; andere, die eventuell ohnehin auf deiner Seite sind, zwingst du zum Mit-denken und Mit-verschoben-werden
  6. Damit erledigst du mit deiner Lebenskraft fremde Überzeugungs- und Empfehlungsarbeit und infizierst andere

Wir dürfen Framing nicht als kurzfristigen Verkaufstrick missverstehen – es ist langfristige Gehirnwäsche.
Mit “Ironie” und “Sarkasmus” und deinen eigenen pfiffigen Vorschlägen für “Was kommt als nächstes?” spielst du das fremde Framing freiwillig mit. Oder, etwas plakativer:
Du unterschreibst deren Manifest und überweist deine Lebensenergie auf deren Konto.
Und schlägst anderen in deinem Umfeld vor, es genauso zu machen.

Neuronale Netzwerke entwickeln und formen sich vor allem durch Wiederholung. Wir müssen als Säuglinge und Kleinkinder tausende Male hören, dass wir wohl Hunger haben, bevor wir selbst denken können, dass wir Hunger haben.
Das heißt: Gut ausgetrampelte Pfade funktionieren besser und schneller. Wo du in deinem Netzwerk schon x-mal mit der Machete durchgegangen bist, behindert kein dorniger Ast mehr deine Denkrichtung.
Ganz im Sinne des deutschen Philosophen Ludwig Feuerbach, der im 19. Jhdt den Satz prägte: “Der Mensch ist, was er isst”, bedeutet Wiederholung für uns:
Du bist, was du denkst.

Und das in einem beständigen Prozess, immer weiter. Erwachsensein allein zementiert die neuronalen Netzwerke viel weniger in ihrem Istzustand ein, als man gemeinhin annimmt.

Das bedeutet: Mit jedem Gedankengang, den du in fremdem Rahmen denkst, oder den du in fremdem Rahmen von anderen Fremd-Denkern und -Schreibern zu lesen kriegst, wirst du ein bisschen mehr wie deren Quelle, und genauso schnell darin wie sie. Während deine ureigenen Pfade allmählich verwildern und immer unzugänglicher werden. Doch wer soll dann deine Gedanken denken, deine Überlegungen schreiben, wenn du es nicht mehr tust?

Mit jeder Pfadbeschreitung verschiebt sich natürlich auch die Grenze des Denkbaren allmählich, mit jedem fremd-ideologischen Gedanken, den du entgegen deiner Überzeugung zulässt und obendrein weiterspinnst. Dabei ist es egal, ob dieses Denken von Verachtung begleitet wird oder von Begeisterung – Hauptsache, eine Emotion liefert den Sprit.

Es wäre naiv zu glauben, deine Ideale, Werte und Einschätzungen würden sich dabei nicht mit-verschieben. Doch das wird dir lange nicht bewusst, und während du dich in der Sicherheit wiegst, alles in deinem Denken wäre beim Alten geblieben, hat es dich der Strom des fremden Denkens schon viel weiter “südlich” hingeschwemmt, als dir lieb sein dürfte.

Das war es, was ich hier meinte:

Man muss sich gegen die Welle der Kaltherzigkeit stemmen, gegen den Druck der Hasser & Ausgrenzer arbeiten.
Nicht nur bleiben, wie man ist, sondern immer wieder aktiv nachjustieren.

Sonst fragt man sich bald:
Wie bin ich denn hier hingeraten? Ich hab mich doch gar nicht bewegt!

https://twitter.com/et0sha/status/1383848388265799684?s=20

Im noch ungünstigeren Fall ertappt man sich nicht bei veränderten Gedankengängen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf – und die Verschiebung bleibt unbewusst. Das macht sie aber nicht ungeschehen oder inexistent. Wir sind nicht außen und sehen der gesellschaftlichen Scholle zu, wie sie nach rechts driftet. Wir stehen drauf!

Man könnte natürlich meinen, dass ein Hineinversetzen in das Denken anderer das gegenseitige Verständnis doch stärken müsste. Wir alle wissen aber auch, dass ein echtes Hineinversetzen und Verstehenwollen anders aussieht als triefender Sarkasmus.

Natürlich erheben sich in der Sache “Schauspieler aus deiner Nähe wollen dich verhöhnen” nach dem Shitstorm wie gewohnt auch Stimmen gegen den Shitstorm – man müsse doch differenzieren, die Videos (die gesammelt als “Aktion” daherkamen!) einzeln beurteilen, nachfragen und drüber reden.

Nur: In welcher Welt sind Zynismus, Spott und Häme eine Einladung zum Dialog?

Man muss nicht für jeden Rülpser dem/der Rülpsenden hinterherkriechen, um mit ihnen in Diskurs treten zu dürfen, weil man das unappetitliche Geräusch unbedingt als Gesprächseinladung deuten wollte.

Habe mal die Definition gehört, Ironie sei “die Differenz zwischen behaupteter Bedeutung und wahrer Bedeutung”. Vielleicht darf man dieses Delta einfach nicht zu groß werden lassen, damit nicht gleich die halbe Welt als Differenz dazwischenliegt. Weil wer soll das noch aufdröseln wollen?

Niemand wird kommen und aus der global immer weiter volllaufenden Giftlache des Zynismus einzelne Stimmen herausfischen, sie vom aggressiven Schlick der Verhöhnung saubermachen, liebevoll den eigentlichen Sinn daraus extrahieren, und daraus dann individuelles Verständnis für jeden einzelnen zaubern. Klarzumachen was man meint ist der Job des Empfindenden, nicht des Empfängers!

Es erfordert Mut, seinen Standpunkt und seine Empfindungen klar und deutlich zu formulieren und dafür einzustehen. Es macht verletzbar. Man steht, zumindest erstmal, alleine damit da und ist angreifbar. Man muss auch denkbare Lösungen auf Lager haben. Es lässt sich in der Folge nicht so leicht abstreiten wie Sarkasmus, Zynismus, Ironie.
Aber zumindest hat man überhaupt gesagt, was man meint. Und nicht nur, was man nicht meint.
Hinter Zynismus kann man sich und seine Verletzbarkeit freilich effektiv verstecken. Man kann später behaupten, man hätte es nicht so, sondern eben irgendwie anders gemeint und wäre einfach falsch verstanden worden – womit man den anderen die Verantwortung zuschiebt. Oder es wäre “Humor” gewesen, und die anderen hätten einfach keinen – womit man sie verantwortlich macht und zusätzlich abwertet. Oder es würde ihnen am nötigen “Feinsinn” fehlen.

Die Wirklichkeit sieht so aus: Wenn du ohne passive Aggression nicht “witzig” oder “feinsinnig” sein kannst, bin nicht ich humorlos, sondern du. Die Feigheit, nicht gesagt zu haben, was du wirklich meinst, setzt sich in den Rechtfertigungen fort. Und damit letztlich dein Unwille, für dein eigenes Denken, Empfinden und Äußern verantwortlich zu sein.

Zynismus ist passive Aggression, die später mal “nur Spaß” werden will.

https://twitter.com/et0sha/status/1385517914590257152?s=20

Nie sagt jemand hinterher: “Ich war so wütend und nicht in der Lage, das anders ausdrücken.”

Eine Eigenschaft kann man der klaren und deutlichen Ansage jedenfalls attestieren: Sie lässt weit weniger Interpretationsspielraum zu. Unklare (Nicht-)Statements findet man hingegen vor allem bei denen, die sich hinterher rausreden wollen.

Wie weit wollen wir uns noch weg-verirren von dem, was wir eigentlich meinen, denken und empfinden?
Viele von uns haben nicht gelernt, ihre Gefühle zu benennen. Sie erstmal zu betrachten, zuzuordnen, ihren Ursprung und Auslöser zu ergründen (nein, das ist nicht dasselbe!) – sie zu akzeptieren. Uns unsere dunkle Seite, den “Schatten” bewusst anzuschauen, statt ihn über Projektion auf andere auszuagieren. Und hernach das, was andere über unsere Gefühle wissen sollten, auszudrücken und hinauszutragen als lebendiges Zeichen wahrer seelischer Zuständigkeit und Identität.
Das bedeutet aber nicht, dass man es nicht lernen könnte!

Seelenhygiene. Mit Gefühlen fertig werden. Verstanden werden. Trost finden. Das beginnt mit einem Verständlich-Sein. Es ist wichtig, seine Gefühle wahrzunehmen, mit ihnen umgehen zu lernen und sie auszudrücken.
Dann weiß auch das Gegenüber, woran es ist. Und zwar ohne den gesamten Weg bis zu uns allein zurücklegen zu müssen.

Wir haben immer Gründe für unseren Zorn, für unsere Verletztheit, unsere Ressentiments, und die sind nie rein intellektuell i.e. “frei von Gefühlen”. Diese Gefühle sollten daher nicht ständig hinter einer zynischen Attrappe mit der Aufschrift “Mir kann ja nix was anhaben, aber…” vor sich hinvegetieren müssen und andere abstoßen.
Denn wer stets nur unverletzbar und abgebrüht wirkt, braucht auch kein Verständnis und keine Zuwendung.

Hohn und Hass in zynischem Gerede und Geschreibe kommt natürlich an – das sehen wir jeden Tag in den sozialen Medien, und das konnten wir auch bei der Schauspieler-Aktion sehen. Wenn darauf entsprechend deftig reagiert wird, dann deutet manch Absender das obendrein als Sieg(!) für sich. Was dem Eingeständnis gleichkommt: “Eigentlich wollte ich euch nur wehtun.”

Das ist zumindest ehrlich. Für eine besonders weit entwickelte Menschheit spricht es aber nicht. Oder zumindest stimmt dann mit der Richtung dieser Entwicklung was nicht.

Darüber hinaus enthält Zynismus aber freilich keinerlei Entwurf, Angebot oder Vorschlag, keine Vision – denn dafür müsste man zackig wieder raus aus dem fremden Frame – und das ist ein Spagat, der nur wenigen gelingt. Der zynisch wiederholte fremde Frame transportiert aber den kleinsten vorstellbaren Eigenanteil in der Aussage.

Zynismus tritt also auf der Stelle. Er verletzt, er beinhaltet kein Argument, er bietet keinen Ausweg, nichtmal einen Kompromiss. Er zieht alle nur weiter runter, und unverletzbar macht er auch nicht. Er ist unehrlich, weil er behauptet “Mir macht das nichts aus”. Während dahinter oft ein einsames Menschi steht, das sich wünscht, verstanden und getröstet zu werden.

Woher sollen die anderen aber wissen, was wir tatsächlich denken und empfinden, wenn wir es nicht deutlich sagen, sondern das (ungefähre) Gegenteil davon? Manche spüren vielleicht die Not hinter der Attrappe, doch die zynische Attacke verbaut ihnen von vornherein den Weg zu einer verständnisvollen Reaktion. Und das sollte sie letztlich auch, denn sonst sind es wieder die Empfänger*innen, von denen nach einem Angriff obendrein erwartet wird, ihr eigenes Gefühl hintanzustellen, um das hinter dem Zynischen versteckte Gefühl zu ergründen.
Wir können aber nicht ständig die Mamis und Papis spielen für unreifes, kontraproduktives Verhalten.

All das trifft auf öffentliche Diskussionen ebenso zu wie auf private. Die Ausweglosigkeit des Zynismus ist selbstgemacht. Wer sich der Verachtung bedient und des absichtlichen Verletzens, landet in einer Sackgasse, und das wahrscheinlich allein. Oder mit anderen Zynikern, die nicht das haben, wonach man sich tatsächlich sehnt.

In zynisches Denken und Reden zu verfallen ist so verlockend, weil es einfach und sicher ist. Klare Aussagen darüber, was man gut findet und was nicht, sind schwieriger und gefühlt viel dünneres Eis. Aber sie sind produktiver und transportieren echten Inhalt.

Ja, das dürft ihr als Challenge auffassen. Höre ich ein “challenge accepted”? :)

Nicht auszudenken, welche Quelle an Ideen und Visionen wir sein könnten, würden wir uns der Dynamik des fremden Framings entziehen und unsere darin gebundene Energie wieder an uns bringen.
Wir könnten sie auf unsere eigene Inspiration lenken und sie für die Entwicklung eigener, neuer Wege nutzen!

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Corona – 18 .. Impfung (4) Vektor-Impfstoffe

Dieser Artikel ist Teil 18 von 19 in der Serie "Corona" ...

Nun noch ein etwas genauerer Blick auf eine Impfstoff-Methode, über die man nicht so viel weiß… noch! :)

VEKTOR-IMPFSTOFFE

Wie schon beim mRNA-Impfstoff erklärt, wird auch bei einem Vektor-Impfstoff die Bauanleitung für ein Spike-Protein des SARS-CoV-2-Virus in den Körper gebracht, das dann im Bereich der Einstichstelle das Immunsystem auf dessen Abwehr einschult.

Allerdings geschieht das auf eine etwas komplexere Weise als beim mRNA-Impfstoff, bei dem nur die mRNA für das Spike-Protein ein bisschen verpackt und in den Körper geschickt wird.

Fremde Viren als Taxi

In einem Vektor-Impfstoff benutzt man einen anderen Virus in modifizierter Form als Überträger, als Träger, als Fähre – und dafür steht das Wort “Vektor” in diesem Zusammenhang. Auch Stechmücken, Fledermäuse und Zecken können Vektoren sein – sie sind Träger von Erregern, an denen sie selbst nicht erkranken.
Seit einigen Jahrzehnten werden in der Forschung auch verschiedene modifizierte Viren für diesen Zweck benutzt. Und das nicht nur für Impfungen, sondern auch für andere Modulationen – etwa zur Bekämpfung von Tumorzellen oder auch zur Reparatur von Gendefekten.

Im Virengenom eines Vektors für Impfstoffe werden gentechnisch einzelne Abschnitte gelöscht und dafür Gene des zu bekämpfenden Virus eingesetzt, die beispielsweise nur die Bauanleitung für dessen Hüllprotein enthalten.
Die virale Fähre bleibt aber praktischerweise im Besitz ihres Einfahrtscheins für die menschliche Zelle und deren Zellkern. Vorausgesetzt, der Körper ist nicht bereits gegen den Vektor immun.

Ein gut wirksamer Vektor-Impfstoff ist rVSV-ZEBOV, der Ende 2019 in der EU und den USA zugelassene Ebola-Impfstoff (über den es lange Geschichten zu erzählen gäbe, vielleicht komme ich dazu ja noch). Dieser Impfstoff nutzt VSV als Vektor, das Vesicular stomatitis virus (VSV).

Man verwendet Viren als Vektoren, die für den Menschen ungefährlich sind – sei es, weil sie normalerweise Tiere befallen und daher bei menschlichen Zellen zwar andocken, sich dort aber nicht vermehren können; oder weil es Viren sind, die im menschlichen Körper keinerlei Effekt haben; oder weil sie vorab gentechnisch unschädlich gemacht wurden; oder eine Kombination aus diesen Faktoren.

Die Palette an Viren, die als Vektoren eingesetzt werden können, noch mehr aber deren Möglichkeiten sind sehr vielfältig. Es werden etwa Pockenviren verwendet, zB Modified-Vaccinia-Ankara-Virus (MVA), Masern- und Herpes-Simplex-Viren. Für die Gentherapie vor allem Retroviren wie Lenti- und Foamyviren, weil die ihre Informationen in die menschliche DNA zurückschreiben können – das macht manche von ihnen so gefährlich (HIV ist ein Retrovirus!), für die Gentherapie jedoch sind einfache Retroviren ein Geschenk.

Für Impfungen hingegen sehr gern genommen: Schnupfenerreger.

Adeno-Viren als Vektor

Die Adeno-Viren sind als Fähre beliebt, aus mehreren Gründen:
Sie sind vergleichsweise ungefährlich – sie lösen in ihrer naturbelassenen Form hauptsächlich Schnupfen und Atemwegserkrankungen aus.
Obendrein gibt es von ihnen allerlei Spezies und Subtypen – es gibt sie bei Menschen, aber auch bei anderen Säugetieren, Reptilien, Vögeln und Fischen. Das ist ein Vorteil: Die Spezies sind einander ähnlich genug, dass man ihre Funktionsweisen gut kennt, aber unterschiedlich genug, um vom Immunsystem nicht sofort entlarvt zu werden nach dem Motto “kennst du einen, kennst du alle”.
(Und wie wir alle wissen, ist Schnupfen zwar harmlos, aber richtig immun kommt man sich nie vor; das liegt aber eben auch daran, dass es so viele verschiedene gibt.)

Man verwendet als Impfvektor daher einen Virus-Subtyp, den das menschliche Immunsystem voraussichtlich noch nicht kennt, beispielsweise einen Typ von Schimpansen-Adenovirus. Wenn es zwei Teilimpfungen geben soll, dann designt der Hersteller die zweite Teilimpfung aus einem anderen Virustyp als die erste. Damit wird verhindert, dass das bei der zweiten Teilimpfung schon schlauer gewordene Immunsystem die Vektor-Viren abfängt, bevor sie ihren Zweck erfüllt haben – die Überbringung der Botschaft “so sieht der Feind aus”.

Rein in die Zelle, raus aus der Zelle

Man kann RNA- oder DNA-Viren als Vektor nutzen. Der oben erwähnte VSV aus der Ebola-Impfung ist ein RNA-Virus, wohingegen Adeno-Viren DNA-Viren sind. Im Unterschied zu einem RNA-Virus, der auch außerhalb des Zellkerns im Zytoplasma tätig werden kann, weil seine RNA dort als unmittelbare Bestellkarte verstanden wird, muss ein DNA-Virus erstmal in den Zellkern vordringen.

Ein Adeno-Virus hat zwar doppelsträngige, lineare DNA wie so ein Angeber, aber außenrum hat er nur ein Kapsid – das ist in seinem Fall ein gleichmäßiges Würfelchen mit 12 Ecken, in dem sein virales DNA-Genom liegt. Aus dem Kapsid ragen an den 12 Ecken antennenartige Fibern heraus, mit denen das Virion an Wirtszellen andockt. Sieht aus wie ein kleiner Satellit.

Schematischer Aufbau des Kapsids eines Adenovirus
Schematischer Aufbau des Kapsids eines Adenovirus
Gleiberg (Wikipedia) – Eigenes Werk CC BY-SA 2.0 de

Ein Adeno-Virus hat somit kein so dickes Mäntelchen an wie zB SARS-CoV-2. Man möchte daher meinen, er könne auch keinerlei eigene Ausstattung zur Fabrik-Party mitgebracht haben – aber das stimmt so nicht: Die Helfer, die für das Kopieren seiner DNA und den Zusammenbau von neuen Virionen benötigt werden, bringt ein originaler Adeno-Virus in seinem Genom mit, sodass sie erst in der Wirtszelle hergestellt werden. Das nenn ich mal Effizienz!

Der Virus muss sich nach dem Eindringen in eine Zelle erstmal nackig machen, damit er in den Zellkern vordringen kann. Dort ist das erste, was laut seinen Bauplänen hergestellt wird, ein viraler Maschinenpark zum Kopieren seiner DNA. Von diesem Maschinenpark wiederum gibts erstmal nur eine minimale Erstausstattung. Sie entsteht in der frühen Phase der Zellinfektion, wo in einer Kaskade jeder Schritt den nächsten bewirkt – bis der erste Kopierer direkt im Zellkern an die Arbeit geht.
Kurz darauf werden auch schon die ersten Teilbestellungen aus der Zentrale in die Fabrik geschickt.

Erst später im Verlauf der zellulären Infektion würden dann Erweiterungen seines Maschinenparks hinzukommen zur Verstärkung der Replikation; es würden Kapsid-Bestandteile und die “Antennen” für neue Virionen hergestellt und die Zusammensetzung der Viruskörper angeleitet, bis neue Virionen aus der Zelle entweichen können.

Modifikation

Diese Vorgänge sind natürlich wieder mal viiiel komplexer als hier beschrieben.
Wichtig ist nur: Es passiert nicht alles gleichzeitig. Für den Einsatz als Impfvektor kann man die Abschnitte des Zellen-Infektionsgeschehens so modifizieren oder löschen, dass von der Wirtszelle zB gar keine neuen Virionen hergestellt werden.

Der Vorteil dieser Impfstoff-Methode besteht darin, dass es allerlei Möglichkeiten zur Modifikation gibt, wie oben schon kurz angedeutet: Man kann vermehrungsfähige Formen einsetzen, abgeschwächte Formen oder vermehrungsunfähige Viren.

Nur vorab ausgewählte Vorgänge finden statt. Das mitcodierte “fremde” Hüllprotein jenes Virus, gegen den man immunisieren möchte, kann hergestellt werden. Die Wirtszellen an der Einstichstelle präsentieren dann dieses Protein nach außen, sie produzieren aber keine neuen Viren.
Es wird also nur eine halbe Runde gespielt. Das Immunsystem reagiert trotzdem wie gewünscht – das Hüllprotein wird als Feind erkannt und gemerkt -> Ziel erreicht.

Die Modifikation ist, als würde man einen Film zusammenschneiden, der aus einem Vorspann besteht, dann aus den Szenen Eins bis Drölfzig und einem Abspann. Weiß man erstmal, was in welcher Szene passiert, dann kann man auch den Ablauf anpassen. Je nachdem, ob man die erotischen Szenen rausschneidet oder drinlässt, erhält man replikationsdefekte oder replikationskompetente Vektor-Viren.
Und je mehr Szenen man rausschneidet, umso mehr Platz ist für fremden genetischen Inhalt (das Transgen).

Nicht-replizierender Vektorvirus:
So einer infiziert zwar die Wirtszelle und exprimiert dort seine Gene, d.h. er lässt die Teile aus seiner Bauanleitung in Biosynthese herstellen. Seine Anleitung enthält aber keine Vermehrungshelfer, und damit ist so ein Vektor in der Wirtszelle auch schon wieder perdü. Wenn er aber dazwischen dem Immunsystem das (fremde oder eigene) Protein zur Wiedererkennung geliefert hat, hat er seinen Zweck erfüllt.

In der Herstellung muss man diese Vektorviren dennoch nicht einzeln editieren, sondern kann sie anzüchten, mithilfe von Helferzellen (komplementierenden Zelllinien) oder Helferviren, die dann die fehlenden Teile zur Replikation vorübergehend von außen zur Verfügung stellen, bis man genügend nicht-replizierende Exemplare “ernten” konnte. Natürlich muss man danach prüfen, ob sie eh immer noch brav sind.
Eine der ersten Anwendungen dieser Art war ein Pocken-Vektor mit dem Oberflächenprotein des Rabies-Virus, der Mäuse, Katzen und Hunde vor Tollwut schützt (Taylor et al., 1988).

Es gibt auch Single-Cycle-Vektoren:
Das sind welche, bei denen eine einzige vollständige Runde gespielt wird – ein Virus kann in der Wirtszelle einen Vermehrungszyklus machen, seine Nachkommenschaft kann dann zwar einmalig ausschwärmen und ihrerseits Zellen infizieren, dort ist dann aber Sense mit Vermehrung.

Und es gibt replizierende Vektorviren:
Sie kommen einem Lebend-Impfstoff gleich. Die oben erwähnte Ebola-Impfung ist ein solches Beispiel. Selbst dabei ist jedoch keine Gefahr durch eine echte Infektion gegeben, weil eben nur Hüllenteile des gefährlichen Ebola-Virus enthalten sind, kein komplettes Ebola-Genom.

Weitere Vorteile

An Vektorviren kann man ständig forschen, auch wenn gerade keine Epidemie im Gange ist. Man kann die Gene für Oberflächenproteine diverser Viren biochemisch herstellen und sie an passender Stelle in das Vektor-Genom einsetzen.
Und wenn dann eine Epidemie kommt, weiß man schon, wie’s geht. Man hat eine Blaupause.

Obendrein wurden bereits während der Forschung an MERS-CoV und SARS-CoV-1 sehr viele Erkenntnisse erarbeitet, die dann im Fall von SARS mangels Pandemie nicht in Impfstoffe überführt wurden. Denn man kann keine Impfstudie an Menschen machen, wenn zu wenige ein Infektionsrisiko haben – klingt zynisch, ist aber so. Im Tierversuch würde man nach der Impfung gezielt infizieren und schauen, was passiert. Mit Menschen macht man das nicht.
(Gegen MERS wurde zB ein Vektorimpfstoff in 2015 erstmals im Test erfolgreich an Kamelen/Dromedaren angewendet, die diese Erkrankung immer wieder auf den Menschen übertragen.)

Weil Anfang 2020 sehr schnell klar wurde, dass SARS-CoV-2 mit SARS-CoV-1 eng verwandt ist, kannte man die Funktionen der Spike-Proteine bereits; man wusste, wo die rezeptorbindende Domäne sitzt; und die Erfahrung mit Vektorviren war auch vorhanden – man konnte also sofort loslegen.
Ähnliches gilt natürlich für mRNA-Plattformen.

Ebenso der folgende Bonus:
Man kann dabei mit ungefährlichen Materialien / Viren arbeiten und muss nicht mit “wilden” Coronaviren hantieren, sie sammeln, züchten, reinigen, teilen – was die Arbeitsbedingungen wesentlich vereinfacht in Bezug auf Schutzmaßnahmen etc.

Es ist weniger aufwendig und teuer als die traditionelle Impfstoff-Entwicklung und -Herstellung, weshalb diese beiden Plattformen, Vektor und mRNA, auch unter den Schnellsten in der Entwicklung waren.

Kandidaten

Der von AstraZeneca (Vaccitech) und der University of Oxford entwickelte Impfstoff ChAdOx1 nCoV-19, der sich in Phase III der Impfstudie befindet, ist ein solcher Vektor-Impfstoff. (Studien-Ergebnisse per 8.12.2020) Er ist mit zwei Teilimpfungen designt, wobei es bei der Dosierung der ersten Teilimpfung in der Studie zu einem Hoppala kam (nur halbe Dosis in einer Teilgruppe der Probanden), das sich aber überraschend positiv auf die Wirksamkeit auswirken dürfte.

Ebenso ein Vektor-Impfstoff ist der in Russland schon seit Anfang August 2020 zugelassene Impfstoff Gam-COVID-Vac (“Sputnik-V”), ebenfalls mit zwei Teilimpfungen. Er war damit der erste auf der Welt zugelassene Corona-Impfstoff, man hat dort jedoch die Ergebnisse der Phase III-Studie auch gar nicht erst abgewartet.
Am 29.12. wurde auch in Argentinien mit der Sputnik-V-Impfung begonnen.

Beide Impfstoffe verwenden Adenoviren, beide haben zwei Teilimpfungen. Die Entwickler haben daher eine Kooperation vereinbart, in der u.a. eine kombinierte Anwendung der Impfstoffe erforscht werden soll.

Auch der Janssen-Impfstoffkandidat Ad26.COV2.S ist ein Vektor-Impfstoff auf Basis von Adenoviren, die Studien sind in der Phase III. Voraussichtlich wird von diesem Impfstoff aber nur eine einzelne Dosis benötigt werden.

Randbemerkung: In China wollte man die Ergebnisse der Phase III ebensowenig abwarten und hatte schon Mitte August 2020 eine Zulassung für den Wuhan-Impfstoff BBIBP-CorV, ein traditioneller Tot-Impfstoff aus inaktiven Viren. Knapp eine Million Menschen waren mit diesem Vakzin des Pharmariesen Sinopharm Ende November bereits geimpft.

Mehr Kandidaten

Eine feine Übersicht über alle weiteren wichtigen Impfstoffkandidaten gibts in der Süddeutschen Zeitung (Stand 2.12.2020). Zwar mit (vergleichsweise ;) oberflächlichen Erklärungen der verschiedenen Plattformen, dafür aber mit vielen weiterführenden Links.


Korrekturen und Fragen bitte in die Kommentare!

Credits:

Auch diesmal herzlichen Dank für die Beantwortung meiner Fragen der lieben Dr. Julie Blommaert, Mikrobiologin mit Expertise in Genom-Sequenzierung, Transponierbare Elemente und Evolutionary Genomics.

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Corona – 17 .. Impfung (3) – Virus, Mutationen, mRNA-Impfstoff

Dieser Artikel ist Teil 17 von 19 in der Serie "Corona" ...

Nach dem mikrobiologischen Ausflug in das faszinierende, aber alltägliche Geschehen in unseren Zellen nun zurück zum Virus, zu Mutationen und zu den Impfstoffen.

Zurück zum Virus

Ich hab erzählt, was für potente kleine Kerlchen Proteine sind. Doch nicht alle Proteine sind freundliche Mitarbeiter des Körpers.

Ein Virus hat um seine Erbsubstanz herum eine Kapsel aus regelmäßig angeordneten Proteinen, das sogenannte Kapsid (VCP, viral coat protein). Außenrum hat es, je nach Typ, noch diverse Membranen und Hüllen aus Lipiden und Proteinen, und ganz außen eine Virushülle.
(Es gibt auch “nackte” Viren, die haben nur ein Kapsid, aber keine Hülle (Hep E, Noro, Sapo, Adeno).
(Und es gibt auch richtig nackte Viren, die nichtmal ein Kapsid haben, sondern ausschließlich aus einem geschlossenen Ring aus einzelsträngiger RNA bestehen (ssRNA), die heißen Viroide und befallen nur Pflanzen.
Und dann gibts auch noch… aus! :)
)

Viren als Mitbewohner

Gewisse Viren sind übrigens ein fester Bestandteil unseres Mikrobioms. Der Begriff bezeichnet die Gesamtheit der anwesenden Mikroorganismen im menschlichen Körper, die ein anderes Genom haben als der Mensch selbst. Diese Viren haben eine ähnliche Aufgabe im Mikrobiom wie die Raubtiere in der freien Wildbahn – sie halten die Bestände (hier: an Bakterien) in Schach und dezimieren sie wenn nötig.

Wir haben in Summe mehr Mikroben-Genome im Körper als menschliche, übrigens. Und die Diversität von Mensch zu Mensch ist immens! Die Mikrobiom-Forschung ist ein extrem interessantes Kapitel der Biologie, in dem sich unfassbar viel getan hat in den letzten Jahren.
Es lohnt sich sehr, da reinzuschnuppern! Dabei kann man erfahren, dass unsere Darmflora viel mehr kann als nur “verdauen”, woher Neugeborene ihr Darmflora-Starterpaket bekommen usw. Und es hat nicht nur rein biologische Implikationen: Mit einem neuen Mikrobiom vom Schüchti zum Draufgänger, auch das gibt es – die ganze Persönlichkeit verändert sich, wenn man eine sehr schüchterne, darmsterile Maus mit einem fremden Mikrobiom “impft”. Ein super Blog dazu gibts zB hier (auf Englisch).

Von Hülle zu Hülle

Virion heißt ein Virus außerhalb der Zellen, zB in der Blutbahn. Es ist anhand seines Mäntelchens, der Proteine in seiner Hülle, für die Zellen der Immunabwehr und deren Antikörper eindeutig identifizierbar – sofern sie davor schon einmal die Gelegenheit hatten, es als Eindringling zu erkennen und es sich für später einzuprägen.
Bis dahin allerdings kann das aktive Virion mit einem bestimmten Teil seiner Oberfläche ungehindert an unseren Zellen andocken und dort Einlass finden.

Ein Virus bringt eine Wirtszelle dazu, neue Viren für sich zusammenzubauen – statt wie bisher die Bestellungen aus ihrer eigenen Zentrale abzuarbeiten, wie wir uns das im Abschnitt über mRNA angeschaut haben.
Ein Virus ist daher ein obligat intrazellulärer Parasit, weil er seinem Prinzip nach nicht ganz allein Kopien von sich selbst herstellen kann, sondern dafür zwingend eine Wirtszelle braucht. Er selbst ist meist nur ein mehr oder weniger umhülltes Stück Bauplan.

Wäre die mRNA aus einem Virus endlos verwendbar, wie es manche bei der Impfung befürchten, dann müsste ein Virus gar nicht seine Vermehrung in unseren Zellen bestellen. Es würde ein einzelnes Virion reichen, um uns krank zu machen – und wären Viren so aufgestellt, dann gäbe es die Menschheit nicht mehr.
Tatsächlich muss sich ein Virus aber millionenfach vermehren, bevor in den Zellen echter Schaden entsteht und wir uns krank fühlen.

Ein RNA-Virus wie SARS-Cov-2 lässt seinen Kopiervorgang draußen im Zellplasma erledigen – er muss dazu nicht in den Zellkern vordringen, wo unsere DNA wohnt. Genau wie bei der Impfung mit mRNA: Ablesung und Zusammenbau laut mikrobiologischem Bestellformular finden im Zellplasma statt und berühren unsere DNA nicht.

SARS-Cov-2

Der depperte Virus hat ebenfalls außen eine Virushülle. Daraus ragen die stachlig wirkenden Formationen (engl. spikes) nach außen, die man von den Bildern kennt – eine Eiweiss-Zucker-Mischung, das sogenannte Spike-Protein.

Darunter gibt es eine Membran, und darin ein Kapsid, das wiederum die eigentliche Erbinformation umhüllt: das Virusgenom, beim Coronavirus in Form von RNA. Das heißt, seine Erbinformation liegt einsträngig vor.

Seine Spikes sind sogar ziemlich flexibel, sodass sie leichter den Rezeptor an der Wirtszelle finden können. SARS-Cov-2 dockt mit einer Untereinheit seines Spike-Proteins (mit der rezeptorbindenden Domäne) an eine Wirtszelle an, eine menschliche Schleimhautzelle zB, legt sein Mäntelchen ab und seine Bauanleitung vor.

Etwas Startmaterial bringt der Virus selbst mit zur Fabrik-Party. Wie bei RNA-Viren üblich, hat er seinen eigenen kleinen Kopierer dabei (wieder eine Polymerase, allerdings in diesem Fall eine “RNA-abhängige RNA-Polymerase“). Denn der Virus hat sein Genom nicht als tausendfache Stränge unter seinem Mäntelchen. Die RNA muss von seiner Polymerase vervielfältigt werden, die ständig neue mRNA-Kopien ausspuckt.

Diese Art von Bauanleitung erkennt die Fabrik in der Wirtszelle wieder: Es ist dieselbe Spiegelsprache wie auf der Bestellkarte, die im zellulären Normalbetrieb aus der Zentrale zur Produktion in der Fabrik ankommt.

Die Zellfabrik bekommt die Bauanleitung also von dem kleinen Kopierer immer wieder neu vorgelegt. So kann jeder einzelne Virus nicht nur ein, zwei neue Exemplare seiner selbst in der Zellfabrik anfertigen lassen, sondern hunderte.
Das ist aber auch schon alles, was der Virus selber beiträgt.
Arbeiten müssen die Fabriken in seinen Wirtszellen auf eigene Kosten und Energie – mit ihren eigenen Ribosomen, tRNA und Aminosäuren.

Wenn die Zellfabrik schließlich erschöpft ist, zerfällt die Zellmembran, die Zelle stirbt, und die fertigen Virionen kugeln zur nächsten Fabrik.
Da capo al fine. Wenn das Immunsystem nicht eingreift.

Wie es zu Mutationen kommt

Wer im vorigen Artikel gut aufgepasst hat, hat ein Grundverständnis darüber erworben, wie Fehler im Kopiervorgang sich auswirken können, aber nicht müssen: Die Kopiervorgänge Transkription und Translation haben gewisse Fehlerraten, aber das Codierungssystem hat auch eine Fehlertoleranz, weil es für ein- und dieselbe Aminosäure verschiedene Tripletts gibt.

Wenn man nun hört, dass in einem Virus ein paar synonyme und einige nicht-synonyme (Punkt-)Mutationen entstanden sind, dann kann man sich die Bedeutung aus dem bereits erworbenen Wissen ableiten:
Wird an einer der drei Stellen im Codon ein falsches Nukleotid eingebaut, dann ergibt sich daraus in der Biosynthese eventuell, aber nicht zwingend eine andere Aminosäure. Mutiert also in einem RNA-Virus ein GAC zu einem GAU, dann klingt das zwar nach Super-GAU, es passiert aber nix – die codierte Aminosäure ist in beiden Tripletts dieselbe: Asparaginsäure. Das wäre ein Beispiel für eine synonyme Mutation.

Auch was ein Einschub (Insertion) sein mag oder eine Entfernung (Deletion), kann man sich dann ganz gut vorstellen: Ein Nukleotid hat sich in die Reihe reingeschummelt oder ist rausgeflogen. Innerhalb des Gens rücken dann die nachfolgenden Nukleotide jeweils vor oder zurück, wodurch sich mitunter völlig andere Tripletts ergeben.

Erhält ein Virus durch Mutation neue biologische Eigenschaften, dann spricht man von einem neuen Virusstamm. Verändern sich nur Kleinigkeiten, dann ist es eine neue Variante.

Mutation ist natürlich keine “böse Absicht” seitens eines Virus. Diese Fehler passieren ständig, Mutationen entstehen naturgegeben immer wieder, solange Gene repliziert werden. Mit der Menge kommt die Mutation.

Dass eine Variante sich stärker verbreitet (hat), ist an sich noch kein Beweis für ihre höhere Infektiosität. Natürlich kann ein Virus, wenn es einen Vorteil aus einer Mutation hatte, sich besser vermehren. Allerdings ist der Umkehrschluss nicht gültig: Dass er sich weiterverbreitet hat, ist kein Beweis dafür, dass er einen Vorteil aus der Mutation hätte. Er wird sich auch dann weiterverbreiten, wenn seine Mutation ihm keinen Vorteil verschafft hätte oder vielleicht sogar einen kleinen Nachteil – solange er dazu Gelegenheit hat.

Die Mutation in den Nerzen in Dänemark beispielsweise war eine, die u.a. das Spike-Protein betraf, was eventuell vorteilhaft für das Andocken in den Wirtszellen der Nerze war (so sagte Drosten). Dennoch konnte sich diese Variante auf Menschen zurück-übertragen, weil sie eben gerade anwesend waren. Manch mutierter Virus verbreitet sich also einfach weiter, weil er es weiterhin kann, ohne eine “verbesserte” Version seiner selbst zu sein.

Eine tolle Gelegenheit dafür ist jedes Superspreader-Event: Infiziert ein Mensch sehr viele andere gleichzeitig, dann hat diese Virus-Variante einen Vorteil, der erstmal nichts mit ihren veränderten Eigenschaften zu tun hat: Gelegenheit. Passiert das ein paarmal, dann wird sie zur vorherrschenden Variante, und das weitgehend unabhängig von ihren genetischen Eigenschaften.

Mutationsbezeichnungen, zB D614G oder N501Y, sagen etwas über die ausgetauschten Aminosäuren aus (an der Code-Stelle 614 hat sich das Codon für D zu dem für G verändert, wobei D für Asparaginsäure steht und G für Glycin); sie beziehen sich nur auf eine veränderte Eigenschaft innerhalb eines mutierten Virus, wobei in einer Variante meist mehrere Veränderungen vorhanden sind. Manche davon sind wahrscheinlicher als andere, wodurch bestimmte einzelne Veränderungen am Genom an mehreren Orten in der Welt beobachtet werden. Auch das ist kein “böser Plan”, sondern eine Frage von Wahrscheinlichkeiten.

Andererseits verbreiten sich regional häufig einfach die Varianten, die gerade anwesend sind (Stichwort “Vorteil” ;). Das macht die Varianten zu einem oft neutralen regionalen Marker, der für die Cluster-Analyse wichtig ist.

Ein Anstieg der Infektionen plus eine neue vorherrschende Variante, wie jetzt in die Variante VUI2020/12/01 in GB, ist erstmal eine Korrelation, genau wie die vielerorts vorherrschende D614G-Variante. Ob eine Variante tatsächlich ansteckender ist als ihre Vorgängerinnen, muss also erst separat erwiesen werden. Man kann nicht per Umkehrschluss die Existenz einer Mutation zur Ursache für einen Anstieg der Inzidenzen machen, das ist Gegenstand genauerer Forschung.
Wieviel “ansteckender” eine Variante ist, wird zunächst höchstens aus diversen Daten hochgerechnet und dabei Kausalität vorausgesetzt statt Korrelation angenommen, bis die Varianten genauer auf ihre Eigenschaften analysiert werden. Denn Varianten entstehen die ganze Zeit, ungefähr 2 neue pro Woche.

Die weltweit sequenzierten Genom-Varianten (auch von SARS-Cov-2) werden in einer Gensequenz-Datenbank gesammelt (GISAID), die Daten von dort und Visualisierungen dazu liefert nextstrain.org, und von dort wiederum kann die Welt ihre Informationen beziehen.
Die bisher eingereichten Sequenzierungen kann man sich in einer Visualisierung hier ansehen (von mir voreingestellt, weltweit, gruppiert nach (viraler) Abstammung = “clade” (Klade).
[Technischer Hinweis dazu: Mouseover-Elemente! Im bunten Teil der Visualisierung erscheinen nur bei Mauszeiger-Kontakt die Informationen über die einzelnen Varianten und wo sie gefunden wurden. Also besser am PC anschauen als mobil!]
Wenn man da ein bisschen durchscrollt, sieht man beides: Benachbarte Länder mit ähnlicher Klade, aber auch ähnliche Varianten in weit entfernten Erdteilen.

Ob eine Mutation eine höhere Gefahr darstellt als bisherige Varianten, ist ergo von vielen Faktoren abhängig. Das beste Mittel gegen Mutationen ist daher die Ausrottung des Virus. Je kleiner die Inzidenzen, desto weniger Gelegenheiten. Solange er sich in Menschen oder Tieren weiterhin vermehrt, wird er auch mutieren – je länger er im Körper verbleibt und je öfter er repliziert wird, desto höher sind seine Chancen zu mutieren.

mRNA-Impfstoffe

Statt nun lebende oder tote Original-Viren oder Teile davon in den Körper zu bringen, was die Grundlage vieler Impfungen in der Vergangenheit war, impft man mit einem editierten Abschnitt aus der viralen RNA, also in Form der Bestellkarte aus meinem vorigen Artikel.

Weil dieser Abschnitt so filigran ist, wird er im mRNA-Impfstoff von einer Hülle aus Liposomen oder Lipid-Nanopartikeln umgeben, die ihn schützt, und die ihm Eintritt in die Zellfabriken in der Nähe der Einstichstelle verschafft.
Die Ribosomen im Zellplasma unserer Zellen werden somit nach Eingang dieser Bestellkarte aufgefordert, einen Teil des Spike-Proteins von SARS-Cov-2 herzustellen. Nur ein Flicken vom Mäntelchen des Virus, an dem das menschliche Immunsystem gefahrlos lernen kann, wie der Virus sich verkleidet, ohne dabei einem ganzen vermehrungswütigen Viruskörper ausgesetzt zu sein.
Die Proteinbioynthese im menschlichen Körper findet dabei wie gesagt im Zellplasma außerhalb des Zellkerns statt. Unsere körpereigene DNA im Zellkern bleibt von diesen Vorgängen unberührt.

Wenn das Spike-Protein fertig synthetisiert ist, wird es aus der Zelle entlassen. Das Immunsystem hat dann Gelegenheit, es als Eindringling zu erkennen.
Es gibt außerdem antigenpräsentierende Zellen (APC) – ein Schlüsselvorgang für das Immunsystem bei jeder Infektion: Ein Virusprotein (Antigen) oder Teile davon werden von der Zelle nach außen präsentiert, woran die komplex zusammenwirkenden Elemente des Immunsystems lernen können, wie das aussieht und worauf sie sich stürzen müssen. T-Zellen docken dann von außen an und zerstören die infizierte Zelle.
Außerdem klemmen sich Antikörper aus B-Zellen mit ihren Y-förmigen Haxis an die charakteristischen Spikes und markieren den Feind damit als “zur Vernichtung freigegeben”. Das ist wie eine Abschleppkralle auf Autoreifen.

Die Armada des Immunsystems merkt sich das alles für später, um das Protein-Mäntelchen des Feindes wiederzuerkennen, zu melden und niederzumetzeln, falls er in seiner vollständigen, gefährlichen Form in unserem Körper auftauchen sollte.

Die Impfung ist also eine Simulation, eine Feueralarm-Übung:
Statt ganze Proteine oder komplette Virione in den Körper einzuschleusen, wird nur die Bauanleitung für das Spike-Protein verimpft. Der Körper wird kurzfristig zum Fremd-Produzenten, erzeugt ausgewählte Proteine des Virus selbst, und dann generiert er die Immunabwehr dazu. Unser Immunsystem kann das erworbene Wissen einige Zeit aufrechterhalten. Danach können Auffrischungsimpfungen nötig sein.

Sobald die begrenzte Menge verimpfter Baupläne (mRNA) verbraucht und zerfallen ist, versiegt auch die Produktion der Proteinteile – und damit endet der Lernvorgang des Immunsystems.
Übrigens ist das allmähliche Abfallen der Antikörper im Laufe der Monate nach der Impfung auch ein sicheres Anzeichen dafür, dass die Produktion der Protein-Teile wirklich aufgehört hat.
Wir haben als Durchschnittsmenschen leider wenig Vorstellungskraft für biochemische Abläufe, daher muss man sich diese Produktion als geradezu mechanischen Vorgang vorstellen, der nur bei Vorliegen des nötigen Bauplans und der Bausteine vonstatten gehen kann. Während dieser Produktion findet keinerlei Speicherung oder gar Vervielfältigung des Bauplans selbst statt. Auch mit unserer DNA kommen diese Baupläne nicht in Berührung.
Wie unsere körpereigenen Proteine aussehen sollen, steht in unserer DNA im Zellkern und wird bei Produktionsbedarf immer wieder neu aus ihr abgeschrieben – mithilfe der vier Buchstaben, aus denen alle Baupläne gemacht sind.
Wie das Spike-Protein aussehen soll, steht auf der mRNA der Impfung, die in begrenzter Menge vorhanden ist und nach Produktion in ihre vier Buchstaben zerfällt.

Nachdem die mRNA in Impfstoffen einen Zuschnitt von gewolltem Design darstellt, ist auch die Anpassung der Impf-mRNA an neue Virus-Varianten eine Möglichkeit.

Der von Pfizer/BioNTech entwickelte Impfstoff BNT162b2, EU-Handelsname “Comirnaty”, ist ein solcher mRNA-Impfstoff. Er wurde von der Europäischen Kommission am 21.12.2020 bedingt zugelassen, als erster SARS-CoV-2-Impfstoff in der EU. Die Ergebnisse per 10.12.2020 der Phase III der BNT162b2-Impfstudie gibt es hier.

Ebenfalls auf der mRNA-Plattform basiert der Impfstoff mRNA-1273 von Moderna. Über eine Empfehlung zur bedingten Zulassung urteilt die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) voraussichtlich am 6.1.2021. [Update: Die bedingte Zulassung ist auch an diesem Tag erfolgt].

Für die Verwendung in den USA wurden beide Impfstoffe schon früher im Dezember 2020 zugelassen.

Follow-Up:
Aus welchen Codonen der Pfizer-mRNA-Impfstoff genau zusammengesetzt ist und warum, kann man in diesem sehr coolen Berthub-Artikel erfahren, sofern man des Englischen mächtig ist.

[Updates 11/2021: Hinweise zum Kopiervorgang hinzugefügt, Moderna-Zulassung ergänzt]

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Mehr zu Vorteilen und Risiken der Impfstoffe gibts dann demnächst.

Artikel

Corona – 16 .. Impfung (2) – mRNA: Ausflug in die Zellfabrik

Dieser Artikel ist Teil 16 von 19 in der Serie "Corona" ...

Fortsetzung zum Abschnitt Impfung (1)

Ich gebe hier eine ausführliche, hoffentlich anschauliche Show zu den Vorgängen in einer Zelle mit Zellkern. Wenn man verstehen will, was mRNA ist, muss man wissen, was in einer Zelle normalerweise so passiert.
Und es geht um das Wesen von Viren. Alles natürlich im Zusammenhang mit der SARS-Cov2-Impfung.

tl; dr: Intrazelluläre Vorgänge sind extrem cool. Wer’s gern kurz mag, ist hier falsch. Goldrichtig hingegen, wer’s wie ich immer genau wissen will und gern was lernt. :)

Extrem effizient, aber wenig Spass

Viren sind die effizientesten aller Parasiten, wiewohl Viren gar nicht zu den Lebewesen zählen, und zwar genau deswegen: Sie sind völlig auf einen einzigen Zweck reduziert – sich zu vermehren. Und das, ohne Energien für etwas so Profanes aufbringen zu müssen wie Stoffwechsel, Fortbewegung, Arbeit oder gar ein erfolgversprechendes Sozialverhalten.
Party gibt’s trotzdem: in den kleinen Fabriken in unseren Zellen.

Ein Virus ist vielfach kleiner als die meisten Bakterien, und dennoch oft aus mehreren Bestandteilen zusammengesetzt.
Das wichtigste am Virus ist aber seine Erbinformation. Das ist die Bauanleitung für den Virus – für den vorhandenen, und für neue. Wer sich vervielfältigen will, muss diese Anleitung liefern.
Rund um dieses Genom des Virus sind meist noch Schichten aus Lipiden und Proteinen, ganz außen ist die Virushülle. (Dazu später mehr.)

Der genetische Code

Der funktioniert für alle Organismen weitgehend gleich:
Mithilfe von vier verschiedenen organischen Verbindungen werden Informationen codiert.
Genauer: mit Nukleotiden.
Noch genauer: Das sind zusammengesetzte Moleküle aus einer Base, einem Zuckermolekül und mindestens einer Phosphatgruppe.

Die Nukleotide liegen in der Erbinformation sehr zahlreich nebeneinander und sind chemisch miteinander verknüpft, sodass sie damit gleichzeitig das Rückgrat ihres eigenen Strangs bilden.
Wie kleine Buchstaben, die sich an den Händen halten. Naja, an den Füßen. Also, an Hand und Fuß. Blöde Metapher! :D

RNA ist (meist) einseitig angeordnete Information aus einer Reihe ihrer Nukleotide.
Sieht aus wie ein der Länge nach halbiertes Bahngleis.
In manchen Viren liegt das Erbgut in dieser Form vor (Masern, Ebola, SARS-CoV).

DNA ist zweiseitig angeordnete Information aus Reihen ihrer Nukleotide.
Daraus ergibt sich die bekannte Doppelhelix-Form: zwei gegenüberliegende und in der Mitte verbundene Stränge, die ineinandergewunden sind.
Sieht aus wie ein komplettes Bahngleis, aber ein viel zu weiches und daher in sich verdrehtes.
Die Schienen sind das Rückgrat, ein Bahnschweller jeweils zwei gegenüberliegende Nukleotide = ein Basenpaar.

Wir Menschen tragen unser Erbgut in dieser Form in unseren Zellkernen, wie alle Organismen mit echtem Zellkern und Zellmembran (Eukaryoten): Tiere, Pflanzen, Pilze – aber auch bestimmte Viren.
Auch Organismen ohne echten Zellkern (Prokaryoten) haben DNA, also Bakterien und Archaeen, aber nur direkt in ihrem Zellplasma.

(Sprachhinweis: Das A in RNA und DNA steht für Acid (Säure); das sind die internationalen Abkürzungen, sie entsprechen den deutschen Abkürzungen RNS und DNS).

Macht euch klein für einen Ausflug ins Erbmaterial!

Hier erstmal ein leiwandes kleines Video zur Protein-Biosynthese. Bitte einfach nur schauen, noch nix verstehen müssen! :)
Und dann hier weiterlesen.

Wirklich! Bitte anschauen! Es dauert nur 2 Minuten 42.
Ich warte auch hier, versprochen! =)

Anders als bei einschlägigen YouTube-Schwurbler-Videos, die man nur nachplappern braucht, muss man hier sein Köpfchen ein wenig anstrengen, um zu verstehen, was man gesehen hat.
Hier folgt das Basiswissen dazu.

Ein Buch aus Codes

Mithilfe gewitzter Codierung sind in DNA und RNA tausende Bauanleitungen gespeichert:
Die Reihenfolge, in der die Basenpaare auf dem Strang angeordnet sind, ergibt Codes, die für verschiedene Aminosäuren stehen.
Aus einer ganzen Kette von Aminosäuren kann eine Zellfabrik zB Proteine bauen.

Buchstaben

Die Nukleotide sind die Buchstaben im Buch der Erbinformation.

ஐ Bei DNA sind das A G C T: Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin

ஐ Bei RNA sind das A G C U: dieselben ersten drei, aber Uracil statt Thymin (ist aber fast dasselbe ;)

Worte

Ein Dreiergrüppchen an Nukleotiden – ein Basentriplett oder Codon – codiert eine bestimmte Aminosäure.
Da es zur Zusammensetzung dieser Tripletts aber vier verschiedene Basen gibt, sind damit zahlreiche unterschiedliche Codone möglich. Dies teilweise mit Redundanz: Einige Codone sehen zwar verschieden aus, ergeben aber ein- und dieselbe Aminosäure; es ist also auch eine gewisse Fehlertoleranz im Code eingebaut.

Sätze

Manche Codone sind auch Satzzeichen – auf dem Strang gibt es nämlich zwischen den unterschiedlich großen Triplett-Gruppen auch Codone für Start und Stop. Damit man weiß, wo ein Bauplan zu Ende ist und der nächste beginnt.

Ein Start + viele Codone nacheinander + ein Stop = quasi ein Satz in der Erbinformation.
Dieser Satz ist ein Gen. Es codiert eine Kette aus Aminosäuren, und wenn man die in der richtigen Reihenfolge zusammenbaut, ergibt sie ein funktionierendes Endprodukt.

Kapitel und Buch

Unmengen solcher Sätze hintereinander bilden die Kapitel unserer Erbinformation, die Chromosomen.
23 Chromosomen-Paare von Mama und Papa enthält das Buch der menschlichen Erbinformation, das in unseren Zellkernen liegt – das Buch ist das Genom.
Es enthält 23.700 Gene (Sätze) aus etwa 6,4 Milliarden Buchstaben (3,2 Gigabasenpaare (Gbp) = Milliarden Basenpaare).

Satzweise Übersetzung

Aus der Anleitung für eine Kette aus Aminosäuren – aus einem Gen – kann eine Zelle ein Makromolekül bauen: ein Peptid oder Protein.

Ein Peptid ist ein Molekül aus bis zu 100 Aminosäuren (Polypeptid). Ein Protein hingegen besteht aus über hundert, bis hin zu tausenden Aminosäuren.

Bauanleitung und Zusammenbau

Einfach dargestellt passiert dieser Vorgang so:

In der Zelle gibt’s eine Zentrale: den Zellkern, und eine Fabrik: das Zellplasma (Cytoplasma, gr. kýtos: “Gefäß”).
Die Zentrale verfügt über sämtliche Baupläne in Form der DNA. Werden bestimmte Stoffe im Körper benötigt, dann erstellt die Zentrale eine Bestellkarte mit einem Satz drauf – eine kopierte Bauanleitung – und schickt die nach draußen in die Fabrik.
Dort wird die Bestellung dann ausgelesen und zusammengebaut.

SCHRITT 1: Die Bestellkarte verfassen – TRANSKRIPTION (Umschreibung)

Im Zellkern wird aus der DNA ein Satz = Gen abgeschrieben, in dem der benötigte Stoff codiert ist, und das geht so:

Ein Transkriptions-Team im Zellkern spürt das gesuchte Gen in der DNA auf.
Ein sehr nerdiges Protein (TBP) sucht und bindet sich dazu an das sogenannte Start-Codon (für Nerds: an den sog. Promotor, zB eine “TATA-Box”).

Von dort aus wird ein Stück “stromabwärts” gezählt und das DNA-Bahngleis dort dann quasi aufgezippt.
Eine kleine Kopierer-Dampflok aus Enzymen (RNA-Polymerase II-Kernkomplex) wählt die richtige Seite zum Abschreiben aus und beginnt, diese Schiene entlangzuschnaufen.

Frei im Zellkern verfügbare RNA-Nukleotide (= die Buchstaben-Kopien) schreiben währenddessen die buchstäbliche Gen-Information aus der DNA ab, indem sie sich einzeln gegenüber von den DNA-Nukleotiden platzieren.
Eigentlich schreiben sie sie aber nicht ab, sondern um:
Weil immer zwei Basen komplementär (“ergänzend”) sind:

A bindet sich gern an
T

G lieber an
C.

Und umgekehrt natürlich!

Die freien RNA-Nukleotide bilden also die Reihenfolge der Basen auf der DNA-Schiene nicht 1:1 nach, sondern komplementär.
Sie hätten dabei vielleicht auch gern
A in
T umgeschrieben – aber ach, die RNA-Nukleotide haben ja gar kein T! Und so verwenden sie stattdessen ein
U.

Steht in der DNA also
C T G A, dann wird daraus im RNA-Transkript
G A C U.

dna_transcription

Bild: “Schematische Darstellung der beiden DNA-Stränge während der Transkription und des entstehenden RNA-Transkripts” von National Human Genome Research Institute. Lizenz: Gemeinfrei
(Änderungen durch mich: *Erleichterung bei Rot-Grün-Farbenblindheit *Komplementärfarben für komplementäre Basen *sprachliche Ergänzungen)

So geht’s dahin, natürlich aber in Tripletts: Aus
CTGACGGAT wird
GACUGCCUA und so weiter.

Hinter dem Kopiervorgang schließt sich der DNA-Zipp wieder.

Auf der herausflatternden RNA-Kopie reihen sich also die umgeschriebenen Tripletts aneinander wie auf einem der Länge nach halbierten Bahngleis. Die Kopie ist einsträngig und wird danach auch noch ein bisschen zurechtgeschnipselt. Sie enthält DNA-Wörter in Spiegelschrift, die einen Satz ergeben.
Diese Botin bildet die Bestellkarte an die Fabrik.

Und genau das ist mRNA: messenger ribonucleic acid oder: Boten-RNA.

Leider ist die Botin sehr filigran, und sie sieht von vorne und hinten auch irgendwie gleich aus.
Deshalb kriegt die mRNA auf ihrer Kopfseite noch ein Käppchen aufgesetzt, damit man sieht, wo vorn und hinten ist, und damit es sie nicht zerreißt auf ihrer Reise aus der Zentrale in die Fabrik. Sie reist aus dem Zellkern hinaus und hinein ins feuchte Klima des Zellplasmas, zu den Ribosomen innerhalb der Zellmembran.

#SideFact: Die gerade beschriebenen komplementären Nukleotide bilden auch die Gegenüberseite auf der DNA-Doppelhelix – dieselbe Information nochmal gegengleich, sowas wie eine gespiegelte Sicherheitskopie. Gegenüber von A ist T, gegenüber von C ist G.
Man kann sich mit ein bisschen Gespür für Statik schon anhand der Form der Doppelhelix vorstellen, wieviel stabiler so eine DNA im Vergleich zu RNA sein muss.

SCHRITT 2: Die Bestellung ausführen – TRANSLATION (Übersetzung)

In den Fabriken außerhalb des Zellkerns wird auf Basis der mRNA-Infos die Aminosäurenkette produziert, und das geht so:

Ein Translations-Team nimmt die mRNA außerhalb des Zellkerns in Empfang und trägt die darauf codierten Aminosäuren zusammen.
Zu diesem Behufe kommt Transfer-RNA zum Einsatz:
Diese tRNA ist wie ein Adapter in Form eines Kleeblättchens, sie hat wie auf so’m Dreizack ein Basen-Triplett auf ihrer einen Seite – das sogenannte Anticodon (Anti-, weil wieder 3 komplementäre Basen zum Codon passen); auf ihrer anderen Seite glitzert die entsprechende Aminosäure.
Passt nun das Anticodon der tRNA perfekt auf das Codon auf der mRNA, dann wird die Aminosäure abgeladen.

Die spiegelhafte Informationskopie aus dem Zellkern wird also Codon für Codon übersetzt, es findet seine Entsprechung in einer Aminosäure. Dann ist das nächste Codon dran, das richtige tRNA-Anticodon passt drauf, und so entsteht eine Kette an Aminosäuren.
Aber immer schön der Reihe nach – so, wie es auf der mRNA geschrieben steht.

Die Ribosomen machen dabei die eigentliche Arbeit, sie sind quasi die Produktionswalzen und Zahnräder, die sich von einem Zustand in den anderen verwandeln, um die mRNA auszulesen und die Aminosäuren, die von der tRNA getragen werden, zur Kette zu verknüpfen.

Das Ende des Vorgangs wird erreicht, weil das Stop-Codon auf der mRNA einfach keine Entsprechung in der Anticodon-Sprache der tRNA hat. Das Stop-Codon beendet daher den Vorgang.
(Für Nerds: UAG, UGA, UAA sind Stop-Codons. Man kann also statt Stop! auch Uga! rufen (das wär ein geniales Safeword für Nerds! :))

Die Aminosäuren-Kette ist damit fertig und wird vom Ribosom freigegeben.
Sie faltet sich im Zellplasma zu ihrer dreidimensionalen Endform zusammen.

Die Proteinbiosynthese ist abgeschlossen.

Das fertige Protein wird durch die Außenmembran der Zelle geschleust und ins Leben entlassen.
Oder vielleicht bleibt es ja auch daheim – weil auch in der Zelle Proteine gebraucht werden. Ribosomen bestehen auch teils aus Proteinen, hauptsächlich aber aus rRNA (ribosomaler Ribonukleinsäure).

Proteine sind enorm potente kleine Dinger, die alles mögliche können: Signalstoffe erkennen, andere Stoffe anordnen, transportieren, für sie den Katalysator machen, sie integrieren und zu größeren Konstrukten verbinden. Sie sind für die biologische Entwicklung eines Lebewesens und den Stoffwechsel in der Zelle essentiell.

Und jetzt nochmal

das Video von vorhin.

Et voilà: Warum sich bei den Vorgängen, die man hier sieht, nicht einfach immer dieselbe Farbe gegenüber hinstellt, um die DNA mithilfe von mRNA abzubilden, dass das kein Fehler in der Darstellung ist, sondern so gewollt – das ist jetzt bestimmt klarer. (Hoffe ich!)

Bei der Translation in Aminosäuren findet über die tRNA der umgekehrte Vorgang statt wie bei der Transkription – nur dass wir hier, weil von RNA zu RNA, schon dauerhaft mit U arbeiten statt mit T.

Ein einzelner mRNA-Strang kann dabei für eine einzige solche Produktion dienen, oder auch für mehrere herhalten. Manchmal sitzen auch mehrere Ribosomen auf einer mRNA und produzieren gleichzeitig. Doch letztlich zerfällt die mRNA mehr oder weniger zufällig in ihre Bestandteile.

Wahre Komplexität

Ich weiß, das Ganze klingt hier schon eher kompliziert. Welche unglaublich differenzierten Phasen und Komponenten diese Vorgänge aber tatsächlich haben, die ich euch hier beinhart unterschlagen habe, das kann man hier angucken; und auch die “Codesonne” für die Aminosäuren-Codierung. Dort kann man, von innen nach außen gelesen, für die drei Beispiel-Codons von oben aus der Grafik die entsprechenden Aminosäuren ablesen:
GAC: Asp (D): Asparaginsäure
UGC: Cys (C): Cystein
CUA: Leu (L): Leucin

#SideFact: Die Nukleotide in der RNA und DNA sind nicht nur starre Information. Gewisse Typen enthalten auch Energie in Form von chemischen Verbindungen, die etwa als Quelle für Reaktionen bei der DNA-Replikation genutzt werden kann. Sie bilden so die ursprünglichsten Energiequellen des Lebens.

Ich hoffe, ihr könnt darüber auch so schön staunen wie ich! Jedesmal, wenn ich aus diesem genialen Mikrokosmos geistig wieder auftauche in meine gewohnte Welt, bin ich endlos fasziniert von der Vorstellung, dass diese Vorgänge in unseren Zellen in jeder einzelnen Sekunde unseres Lebens stattfinden!
Auf so winzigem Raum, innerhalb einer einzigen menschlichen Zelle, sind schon allein Ribosomen in der unvorstellbaren Menge von 10^5 bis 10^7 Exemplaren vorhanden!

Zurück zum Virus und zur Impfung

… gibt’s dann demnächst!

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Korrekturen und Fragen bitte in die Kommentare!

Credits:

Herzlichen Dank für die Beantwortung meiner Fragen der lieben Dr. Julie Blommaert, Mikrobiologin mit Expertise in Genom-Sequenzierung, Transponierbare Elemente und Evolutionary Genomics.

Artikel

Corona – 15 .. Unser Weihnachten?

Dieser Artikel ist Teil 15 von 19 in der Serie "Corona" ...

Was brauchen wir wirklich für “unser Weihnachten”? Das Feiern der Nächstenliebe könnte im Jahr 2020 darin bestehen, daheim zu bleiben.

Armselig ist, wenn ein Messias geboren wird und danach in einem Futtertrog schlafen muss.
Diese Armseligkeit liegt nicht am Messias. Sie liegt an denen, die keine Herberge hatten für die schwangere Maria und ihren Mann.
So zumindest geht die Legende, diese armselige Situation war es, die von Christen zum Kult erhoben wurde – die Krippe, Ochs’ und Eselein als Mahnmal für die Hartherzigen und Fremdenfeindlichen.

Für uns ist das so normal, aber besieht man die Krippe mal aus einer etwas distanzierteren Perspektive, dann ist es schon bemerkenswert, wie so eine furchtbare, karge Situation jedes Jahr nachgestellt und angebetet wird. Die Krippe sollte als Erinnerung dienen, dass genau dieses Kind später in seinem Leben für Milde, Güte und Nächstenliebe eintrat.
Weil Milde, Güte und Nächstenliebe dringend nötig waren in dieser harten, kalten Welt.

Und das sind sie immer noch. Aus unserer Regierung hört man genau nichts über die Geflüchteten im Lager in Kara Tepe auf Lesbos, und seit gestern darf von dort auch nicht mehr berichtet werden, keine Fotos, keine Videos.
Man kann von hier aus nicht helfen, außer mit Unterstützung und Spenden (siehe ganz unten).
Man kann nur bei der nächsten Wahl sein Kreuz dort machen, wo Nächstenliebe kein Fremdwort ist.
Das ist diese “flexible Solidarität”, die sie meinen, die EU und unser Herr Kanzlerdarsteller. Wir schauen flexibel woanders hin. Wir haben schließlich unsere eigenen Probleme – die wir aber auch nicht lösen.

Daher soll nun unser Blick darauf umgelenkt werden, ob wir shoppen und skifahren “dürfen”, und was denn nun mit “unserem Weihnachten” ist. Indessen drückt uns im Fernsehen ein Spot rein, es würde uns vor einer Infektion schützen, zum Massentest zu gehen. Da piept und blinkt der Bullshit-Detektor sogar bei der Risikogruppe über 80. Und wer aus einem Risikogebiet einreisen will, der muss… Breaking: Wir sind das Risikogebiet!

Jo, und wenn alle Fingerzeige nicht helfen, droht man uns kurz mal an, die Polizei dürfe zur Kontrolle daheim vorbeikommen.

Das alles ausgerechnet von der Partei, die neuerdings Gebete im Parlament abhält, was natürlich interkonfessionell ist, aber freilich ohne Muslime auskommt (also mehr so intrakonfessionell eigentlich) – und von ihrem mundtoten grünen Anhängsel. Vermutlich haben sie keine andere Idee mehr als beten? Statt alles dichtzumachen, damit die Infektions- und Todeszahlen auf ein Maß sinken, das ein echtes Weihnachtsgeschenk wäre.

Sie zeigen auf die armen Nachbarländer, auf die Todeszahlen in den USA, weil die absoluten Zahlen eines so großen Landes ja auch so schön schockierend sind. Da muss wohl viel mehr schiefgehen als bei uns! Nur dass wir auf unserer vermeintlichen Insel der Seligen pro 100.000 Einwohner mehr Tote haben als die USA – mit unseren Werten hätten sie vorgestern (11.12.) nicht 2951 Tote vermeldet, sondern 3662. Auch Deutschland hat pro 100k nur halb so viele tägliche Covid-Todesfälle wie wir.

Corona ist aber kein Wettbewerb, und schummeln ist nicht drin. Fürchte aber, die können gar nicht mehr in anderen Begriffen denken als “Wer ist besser, wer ist beliebter, wie können wir das Desaster für uns noch positiv framen?”
Es gibt nix zum positiv-Framen, die Leute krepieren reihenweise, die Spitäler krachen, die Regierung hats verkackt!

In Deutschland wird ein harter Lockdown von einem Zusammenschluss der Wissenschaft dringend eingefordert und ab Mittwoch umgesetzt, und das bei einer Inzidenz von 20 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner.
Bei uns gibt’s hingegen bei einer doppelt so hohen Inzidenz fröhliche Lockerungen, da macht die Regierung den Handel, die Dienstleister, Museen und Schulen wieder auf. Hurra, soll das Volk doch seine Kaufkraft noch schnell ins Weihnachtsshopping leiten, bevor es verreckt.

Zur Ablenkung zeigen sie mit nacktem Finger auf die bösen Reise- und natürlich insbesondere Herkunftsländer-Rückkehrer im Sommer, während drei Finger deutlich auf sie zurückzeigen.
Und erzählen immer noch was von Eigenverantwortung, weil sie selber nichts anderes denken können als “ich, ich, ich”. Eigen.
Niemand entscheidet jetzt für sich allein. Jeder Versuch, einzelne Gruppen aus dem Infektionsgeschehen auszuklammern, führt zurück zu dem Schluss, dass alles verbunden ist. Dass wir alle verbunden sind: Die Kinder mit den Alten. Die Verleugner mit den Risikogruppen. Die Menschen mit der Wirtschaft.
Die gesuchten Worte heißen also Verantwortung und Rücksicht.
Der Aufruf zur Eigenverantwortung ist nur das Vorbauen für die nächste Schuldzuweisung an das Volk. Nach Weihnachten. Mark my words.

Statt an einer Zahl, bei der man die Kontrolle über das Contact Tracing nicht komplett verliert, die Maßnahmen an der obersten Kapazität der Spitäler festzumachen, enthielt eine klare Botschaft seitens der Regierung: Es werden so viele Kranke und Tote in Kauf genommen, wie das Gesundheitssystem gerade noch bewältigen kann, Hauptsache man kann so schnell wie möglich wieder aufsperren. Und die heilige Skisaison klappt.
Diese Kranken und Toten sind wir. Es könnte jeder und jede von uns sein, die hier einer Regierung zum Opfer fällt, die von Milde, Güte und Nächstenliebe nur vom Hörensagen weiß. Wäre es nicht gewollt, bis auf Anschlag zu gehen, dann wäre man nicht so weit gegangen.

Von welchem Weihnachten reden die also eigentlich? Ist noch dieses Christenfest gemeint?
Weihnachten ist das Fest der Nächstenliebe. Nicht der Selbstverliebtheit. Es gibt eine Menge Menschen, die jetzt Nächstenliebe und Solidarität brauchen: Die Geflüchteten auf Lesbos. Die Covid-Risikogruppen. Was für heuchlerische Christen und Christinnen wären wir, wenn wir ausgerechnet zum Fest der Nächstenliebe diese Solidarität nicht aufbringen, weil wir “unser Weihnachten” wollen?

Mit den Öffnungen ab 7.12. geht sich eine neue Welle zu Weihnachten leider gut aus. Okay, dann will die Regierung uns eben nicht schützen. Ein Ausbund an Empathie war sie ja noch nie. Dann müssen wir eben die Gscheiteren sein.

Nächstenliebe könnte heuer bedeuten: Anderen Menschen körperlich fernbleiben. Besonders denen, die man lieb hat.

Den anderen bleibt man sowieso eher fern. Und manche sind nie richtig anwesend, wenn sie mit ihrer Familie in einem Raum sind. Ich behaupte: Wenn man in der Familie keine seelische Nähe hat, dann ist Weihnachten auch nicht die Krönung für ein Jahr voller Zuwendung und Liebe. Es soll ein Ersatz dafür sein. Davon hat niemand was. Und das liegt nicht an räumlicher Distanz.

Wenn man diese Nähe aber hat, kann und möchte, dann kann man zu Weihnachten telefonieren, skypen, zoomen – den ganzen Tag über, wenn man will. Man könnte mal über wesentliche Dinge miteinander reden, vielleicht ein bisschen tiefergehend als sonst, über Gefühle, Liebe und Dankbarkeit. Man kann auch rumblödeln oder miteinander singen. Man kann sich seelisch sehr nahe sein, auch wenn man keinen Raum miteinander teilt. Man braucht nur mit seinem Herzen voll anwesend zu sein. Das ist eine Frage des Wollens.
Was wir wollen, ist, dass unsere liebsten Menschen immer noch da sind, wenn die Pandemie vorbei ist, damit wir mit ihnen feiern können.

Man kann größere Familien bestimmt auch auf mehrere Orte aufteilen, in jeder kleinen Gruppe ein Mensch, der ein iPad bedienen kann und ein jitsi- oder Zoom-Meeting zusammenbringt – dann kann man einander zur Bescherung trotzdem sehen. Dafür müssen nicht zehn Leute in einem Raum sitzen. Man kann sich organisieren, in die Gänge kommen und sich was Kluges ausdenken. Gruppen halbieren und bei dieser Halbierung bleiben, zumindest bis wir das Gröbste überstanden haben, das ist immer noch eine der besten Strategien, die wir haben. Und in diesen Gruppen: Masken, lüften, Abstand halten, nicht zu lange bleiben.

corona-rk-weihnachten Ihr könntet jederzeit schon ansteckend sein, auch wenn ihr euch gesund fühlt. Und andere können das genauso sein. Ja, auch wenn ihr vorgestern negativ getestet worden seid.

Also fragt nicht danach, was erlaubt ist. Fragt, was vernünftig ist. Glaubt nicht nur das, was euch in irgendwelchen Pressekonferenzen aufgetischt wird. Lest mehrere Zeitungen und nicht nur eine.
Hört auf die Experten!
Informiert euch über Aerosole!
Und unterstützt eure lokale Wirtschaft, wenn ihr das gefahrlos könnt.

Wenn ihr irgendwelches Halb-So-Schlimm-Geschwurbel hört, dieses oder jenes würde “nichts bringen” oder wäre “gefährlicher als das Virus selbst”, dann müsst ihr auch nicht sofort wissen, was wahr ist. Ihr müsst wissen, was nach dem aktuellen Wissensstand vernünftig ist. Entscheidet euch im Zweifel für die Vorsicht. Denn Entscheidungen dagegen lassen sich nicht mehr rückgängig machen. Und mögen sie nachträglich betrachtet noch so “übertrieben” gewesen sein.

corona-uebertragungsrisiko Und fordert eure Regeln ein! Das ist nicht die Zeit, sich unbesorgteren Mitmenschen zu beugen, weil man nicht als übervorsichtig verspottet werden will, sich nicht unbeliebt machen oder keinen Unfrieden stiften. Oder weil man die schlechte Nachred’ vermeiden will, die man hat, wenn man nicht in die Kirche geht.
Wenn ihr wollt, dass die Leute bei euch daheim Masken tragen, dann sagt das. Wenn ihr nur ein kurzes Treffen oder kurzen Besuch wollt, sagt das. Wenn man eure Wünsche nicht respektiert, seid ihr alleine besser dran.

Ja, ich weiß, dass Einsamkeit nicht lustig ist. Ich weiß, dass nicht jede/r die heutige Technik bedienen kann. Dass Kinder das Christkind brauchen. Dass es Ausnahmen geben muss, dass Omas abgeholt werden müssen. Dann kann und sollte man sich vorher isolieren, 10 Tage wären gut, also ab morgen.

Aber wir, die wir es können, und unsere Angehörigen, die es können – da stirbt niemand, wenn wir zu Weihnachten mal alleine zu Hause bleiben.
Wenn wir es nicht tun aber womöglich schon.

Schon deshalb sollten wir bei Nächstenliebe und Rücksicht bleiben und uns nicht von der Verrohung anstecken lassen, deren kalter Wind uns aus der Regierung contra-vorbildhaft entgegenweht.

Apropos kalter Wind: Der Flüchtlingsarbeit kann man derzeit mit Geld helfen: Etwa der lieben und engagierten Doro Blancke, die gerade in Kara Tepe auf Lesbos ist. Oder Courage Jetzt.

Denn falls der neue Messias in Kara Tepe geboren wird, müssen wir uns sonst künftig überflutete Zelte ins Wohnzimmer stellen, die im kalten Wind flattern. Als Mahnmal für die Hartherzigen und Fremdenfeindlichen.

Artikel

Corona – 14 .. Massentest

Dieser Artikel ist Teil 14 von 19 in der Serie "Corona" ...

Bevor ich weiter über die Impfung blogge, muss ich noch loswerden, warum ich die geplanten Massentests für eher sinnlos halte. Das liegt nicht daran, dass ich es nicht gscheit finden würde, wenn man Infizierte auch erkennt. Es hat was mit Wirtschaftlichkeit zu tun.

Nur dass der sogenannte “Hausverstand” bei diesem Thema bei den wenigsten anschlägt.
Deshalb will ich’s hier erklären, damit ich das die nächsten 50 Mal am Telefon nicht muss. :)

Es ist nur einfache Mathematik und ein bisschen Schlussfolgerung. Und es lohnt sich!

Vorab ein Hinweis
Der “Antigen-Test”, der für den Massentest verwendet wird, ist kein Antikörper-Test! Als Antigen wird jener Teil der Außenhülle des Virus bezeichnet, an dem die menschliche Immunabwehr den Erreger wiedererkennt. Es werden beim gleichnamigen Test Virenpartikel nachgewiesen, anders als in der PCR aber nicht virales Erbgut, sondern Teile seiner Hülle (“Spike-Protein“).
Auch wenn das Wort Antigen-Test also danach klingen mag – es wird dabei nicht nachgewiesen, ob man bereits eine Infektion hatte und daher Immunabwehr gebildet hat.

In den (bisherigen) Testraßen stehen teilweise sowohl Antigen- als auch Antikörper-Tests und natürlich auch PCR-Tests zur Verfügung.
Die für den Massentest angeschafften Testkits sind Antigen-Schnelltests dreier verschiedener Hersteller. Es ist aber natürlich nicht auszuschließen, dass auch andere Tests verfügbar sein werden.

Nun zur Wirtschaftlichkeit
Der Einfachheit wegen erstmal nur die erste Hälfte:

SPEZIFITÄT 98%:
Wenn ein Test eine Spezifität von zB 98% hat, dann heißt das, dass er von 100 Gesunden 98 auch als Gesund erkennt, der Test also 98 mal negativ ausfällt. Diese Spezifität nehmen wir für die Beispiele an.
(Und wir nehmen vorerst an, der Test würde alle Infizierten richtig erkennen.)

Beispiel 1:
Bei einer niedrigen Prävalenz in der Bevölkerung, also wenn nur ein sehr geringer Anteil tatsächlich infiziert ist, sieht das so aus:

PRÄVALENZ 3%:
Von 1000 sind 30 infiziert und 970 gesund.
Die Tests werfen 2% der Gesunden als positiv aus, das sind 19 Falsch-Positive.
Auf 30 Infizierte.
Insgesamt gibt’s 49 Test-Positive, davon sind 19 in Wirklichkeit gesund, das sind satte 39% der Positiven.

Die reale Infektionsrate ist 3%, die Positivrate der Tests 4,94%. Das klingt nach wenig Unterschied, ist aber ein Faktor 1,65.
Testet man sehr viele Menschen, rechnen wir’s mal Tausend, haben wir in einer Million Getesteter 30.000 Real-Infizierte und 19.400 Falsch-Positive. Im Verhältnis zu dem, was dabei rauskommt, ist das sehr viel.

Beispiel 2:
Testet man hingegen in einer Umgebung oder einer Gruppe, in der die zu erwartende Prävalenz hoch ist – unter Gesundheitspersonal, in Altersheimen, in Clustern und um sie herum – dann sieht das Verhältnis schon anders aus:

PRÄVALENZ 20%:
Von 1000 sind 200 infiziert und 800 gesund.
Die Tests werfen 2% der Gesunden als positiv aus, das sind 16 Falsch-Positive.
Auf 200 Infizierte.
Von insgesamt 216 Test-Positiven sind in Wirklichkeit 16 gesund, das sind nur noch 7%. Statt 39% wie oben im ⇧Beispiel 1 mit nur 3% Prävalenz.

Mit Faktor Tausend: Sinds zwar immer noch 16.000 Falsch-Positive, “nur” 3400 weniger als oben – aber im Verhältnis zur viel höheren Anzahl von 200.000 Infizierten, die man erkannt hat. Die reale Infektionsrate ist 20%, die Positivrate der Tests 21,6%. Faktor: 1,08.

Und mit echten Zahlen?
Prävalenz: Jeder weiß, dass unsere Infektionszahlen zu hoch sind. Aber in % der Gesamtbevölkerung?
Nun hat die Statistik Austria unlängst zufällig in ihrer dritten Prävalenzstudie hochgerechnet, dass Mitte November etwa 3,1% Infizierte in der Bevölkerung waren. Das sind in absoluten Zahlen zwar 276.000 Menschen, aber im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung ist das ein sehr geringer Anteil.

Spezifität: Die angekauften Schnelltests haben im Schnitt eine Spezifität von 98,8%.

-> Testet man mit dieser Kombination nun die halbe Bevölkerung durch, liegt das Ergebnis nahe am ⇧Beispiel 1 und zu weit weg vom ⇧Beispiel 2.
Die hohe Positivrate der bisherigen Testungen, Mitte November bei 20% bis über 40%, zeigt also nicht, dass dieser Anteil der Bevölkerung krank wäre, sondern wie gezielt hier getestet wird/werden muss.

Na und?
Das Problem: Alle positiven Antigen-Tests müssen mittels PCR-Test bestätigt werden. Das ist bei einer so hohen Falsch-Positiv-Rate wie im ⇧Beispiel 1 eine zusätzliche Verschwendung von Geld, Zeit und Ressourcen, die ohnehin knapp sind. Es zieht Kosten und unnötige Kontakte nach sich. Und unsere wahren Zahlen sind eben viel näher am ⇧Beispiel 1.

Weiteres Problem: Alle Testpersonen müssen sich schonmal zum Testpunkt bewegen. Das ergibt eine enorme Mobilität, die zu einem großen Teil in den Öffis stattfinden wird. Sie werden in der Kälte warten müssen oder gemeinsam mit anderen in Innenräumen, auch mit Terminvergabe wird das kein Rein-Raus. Das sind viele unnötige Risikofaktoren.

Wenn Menschen, die gemütlich daheimsitzen könnten, zu Nach-Testungen rennen, entsteht noch mehr Gewusel. Von den nervlichen Auswirkungen eines falsch-positiven Ergebnisses mal ganz zu schweigen.

Und nochmal schnell nach-testen?
Eine sofortige Nach-Testung mit dem (gleichen) Antigen-Test hat übrigens insofern weniger Sinn, weil die falsch-positiven Tests nicht rein zufällig anschlagen, sondern mitunter aus einem konkreten Grund. ZB wegen bestimmter Bakterien in Rachen oder Nase, auf deren Antigene der Test versehentlich anschlägt. Diese Stämme sind bei diesem Menschen vermutlich heimisch, sodass auch der Nach-Test wieder positiv wäre. In der PCR werden hingegen Teile des Virus-Erbguts gesucht.

Selbst wenn sofort nach dem Schnelltest ein Abstrich für die PCR-Nach-Testung durchgeführt werden kann (in Wien wird das so sein) – das PCR-Ergebnis erhält man nicht sofort. PCR-Tests sind aufwendig, teuer und nicht endlos vorhanden, und auch bei den Menschen, die sie durchführen und auswerten, hat der Tag nur 24 Stunden. Für jede PCR-Nach-Testung eines falsch-positiven Tests muss womöglich ein Mensch, der Symptome hat, auf sein Ergebnis länger warten.

Nach dem finanziellen Fiasko bei der Beschaffung der 10 Mio. Schnelltests, bei der irgendwie vergessen wurde, einen Mengenrabatt auszuhandeln, und die daher 10 Millionen mal 2,67 € mehr gekostet haben als die Slowakei für ihre (gleichwertigen!) Schnelltests bezahlt hat – da wärs hochgradig sinnvoll, wenn sie nun zumindest so zielführend wie möglich eingesetzt werden.

Wird beim Massentest nur ein Viertel der jetzt angekauften Tests verbraucht, dann sind es in echten Zahlen 28.000 falsch-positive Ergebnisse, die man nach-testen muss. Das sind 28.000 Schnelltests und nochmal 28.000 PCR-Tests, die man anderswo besser nutzen könnte – dort, wo eine hohe Infektionsrate vermutet wird, dort wo Symptome vorhanden sind, dort wo man Menschen vor Ansteckung durch andere schützen muss.

Logisch: Je mehr Infizierte unter den Getesteten, umso weniger Gesunde bleiben, von denen 2% falsch-positiv sein werden. Aber der “Hausverstand” erfasst diesen Aspekt nicht so schnell und intuitiv.

Was ist mit den Falsch-Negativen?
Das Gefahrenpotential der Falsch-Negativen liegt weitaus deutlicher auf der Hand; vermutlich wird deshalb auch öfter darüber gesprochen.

Um darauf also noch kurz einzugehen: Ja, die gibt’s auch – tatsächlich vorliegende Infektionen, die vom Test nicht erkannt werden.
Wenn die Sensitivität eines Tests bei 95% liegt, heißt das: von 100 vorliegenden Infektionen bleiben 5 unerkannt.

Ob der Test anschlägt, hängt auch stark vom Zeitpunkt im Infektionsverlauf ab – am zuverlässigsten tut er das in den ersten 5 Tagen ab Symptombeginn, weil da die Viruslast am höchsten ist. Der positive Aspekt daran: Wenn der Antigen-Test (richtig)-positiv ist, weiß man: ich bin momentan auch wirklich ansteckend. Das ist ein kleiner Informationsvorsprung gegenüber dem PCR-Test.

Die Chance, dass Asymptomatische oder Präsymptomatische bei einer Massentestung erkannt werden, hängt aber eben an dieser Viruslast, die durchaus (noch) gering sein kann. Dazu muss eben auch der Testzeitpunkt zum Fortschritt der Infektion passen. Ob man Asymptomatische im Massentest wirklich in ausreichender Zahl erkennen kann, weiß man also nicht.

Ich verschone euch mit dem erweiterten Rechenbeispiel, das beide Faktoren miteinbezieht. Der Effekt der falsch-negativen Ergebnisse scheint die Falsch-Positiven ein wenig “auszugleichen”, aber das tut er natürlich nicht. Wenn es auch Falsch-Negative gibt, kommt man an die wahre Anzahl von Infizierten und Nicht-Infizierten zwar näher heran, aber sie ist den jeweils richtigen Getesteten nicht besser zugeordnet.
(Falls sich jemand für Rechenwege, Quotienten, Vorhersagewerte u.ä. interessiert, gerne Kommentar, ich nehme dann Kontakt auf.)

Massentests mit solchen Falsch-Negativ-Raten just bei hoher Prävalenz zu machen – so wie ich es aufgrund der ⇧Rechenbeispiele oben als sinnvoller einordne – erscheint einem folglich zwar auch nicht unbedingt ideal, weil umso mehr Infektionen unerkannt bleiben. Allerdings mit einem markanten Unterschied: Unerkannte Verbreiter entstehen nicht erst durch einen Massentest, wenn sie falsch-negativ sind – die rennen sowieso herum! Falsch-Positive, die sich nach-testen lassen müssen, aber nicht.

Negativ! Hurra?
Ein negatives Testergebnis ist nur eine Momentaufnahme. Es besteht die Gefahr, dass Menschen sich danach allzu sicher fühlen und sich versehentlich für unverwundbar halten. Man kann sich aber auch fünf Minuten nach dem Test anstecken. Und hat daher keinerlei Grund, zehn Minuten danach sorgloser zu sein als vor dem Test. Wenn ich ein Selfie mache und drei Minuten später beginnt mir ein Pickel auf der Nase zu wachsen, dann kann ich mit dem Foto auch nicht beweisen, dass ich gar kein Wimmerl hab.

Von eigenwilligen und freiwilligen Ergebnissen
Die Massentests in der Slowakei waren zumindest günstiger gekauft als bei uns, aber freiwillig war die Teilnahme nur scheinbar. Wer positiv getestet wurde, musste sich streng isolieren. Wer sich nicht “freiwillig” testen ließ, musste das aber ebenfalls, und zwar unter Androhung von Strafen bei Zuwiderhandlung von bis zu 1600€. Mit so rigorosen Ausgangssperren kann man die Kurve natürlich auch nach unten bringen. Dafür braucht man aber keine Testkits für 67 Euromillionen.

Man wird sich solche Maßnahmen eventuell auch hierzulande vorher ausdenken, wenn man uns vom Kanzleramt aus die Ergebnisse der Massentests bei relativ niedriger Prävalenz hinterher dennoch als Erfolg verkaufen will; oder mit Verlängerung des Lockdowns für alle drohen, um den Gruppendruck zu erhöhen; oder was ähnlich Lustiges.
Hinterher werden keine akurraten Zahlen vorliegen, und stattdessen wird der erste Frame mit schöngefärbtem Bullshit besetzt: Sehet, die Kurve!

Und so einen “Effekt” möchte ich mir dann nicht von der Regierungs-Glitzi-PR als wundersame Folge einer sündteuren, tendenziell sinnlosen Massentestung verkaufen lassen müssen. Wenn ihr versteht. Ich lass mich nur ungern für dumm verkaufen.

Konklusio
Es klingt trivial, aber: Um so viele Positive wie möglich rauszufischen, muss man so viele Positive wie möglich testen.
Dieses Ziel erreicht man nicht, indem man so viele Negative wie möglich testet.
Und je weniger Negative man testet, umso weniger Falsch-Positive erhält man, und umso weniger Folgekosten hat man.

Soll ich nun oder nicht?
Wenn man Symptome hat, wird man sich ohnehin testen lassen – dann aber besser in einer der PCR-Teststraßen. Man ist dann vermutlich froh, wenn man nicht hinter drölfzig fröhlich-gesunden Leuten warten muss; und umgekehrt ist es für die Gesunden, die zum Massentest gehen, auch ungefährlicher, wenn sie gar nicht erst mit Symptomatischen in Kontakt kommen.

Testen lassen also ja, wenn:
ஐ Verdächtigen Kontakt gehabt
ஐ In Gegenden mit hoher Inzidenz
ஐ Zum Beruhigen eines unguten Gefühls (aber wohlwissend, dass man unter den 2% sein könnte…)
ஐ Bei (zB beruflicher) Situation mit hohem Risiko
ஐ Oder zur Vermeidung von angedrohten Konsequenzen, die man nicht tragen will.

Hat man sich hingegen seit Monaten isoliert und alle unnötigen Risiken strikt vermieden, dann sollte man genau das auch weiterhin tun.

Würde ich trotz allem nicht auf die Teilnahme verzichten wollen, dann würde ich versuchen, den Menschen mit Symptomen, die sicher auch kommen werden, zumindest zeitlich den Vortritt zu lassen. Am letzten möglichen Tag hingehen zB. Oder, falls Terminvergabe, mich erst so spät wie möglich anmelden.
Wenn die Organisatoren klug sind, sortieren sie die Wartenden nach Symptomatischen und Symptomfreien – aber verlassen würd ich mich darauf nicht.

Eine Frage des Wo
Sollten nach Ende der Massentests sehr viele Tests unbenutzt übrigbleiben, dann dürfen wir hoffen, dass die sicher anderswo guten Gebrauch finden werden, wo sie mehr Sinn haben, und wo wiederholte Testungen die Sicherheit erhöhen: Beim Gesundheitspersonal, im Altersheim, in Schulen mit Verdachtsfällen, in stark betroffenen Gegenden und in Clustern.
Die jetzt eingesetzten Kräfte und Energien hingegen würde ich mir anderswo hinwünschen, zB zur Vorbereitung der Impflogistik.

Artikel

Corona – 13 .. Impfung (1)

Dieser Artikel ist Teil 13 von 19 in der Serie "Corona" ...

Impfen und impfen lassen – Wann geht Corona den Weg des Dodo?

Entscheidungen trifft man am besten auf Basis von breitgefächerter Information. Zu den Impfungen gegen das SARS-Cov-2-Virus gibt jetzt schon sehr viel zu erfahren und zu wissen. An weiterer Information wird im Laufe der nächsten Wochen und Monate auch noch einiges eintrudeln.

Ich hab mir einige Aspekte zum Thema Impfung angesehen, manche sogar sehr genau. Hier steht, was ich dabei herausgefunden hab.
Zunächst ein allgemeiner Teil, es folgt ein speziellerer über Covid-19-Impfungen, mRNA, Vektorimpfstoffe, Zulassungsverfahren etc.

Bis die klinischen Studien abgeschlossen sind,
bis die Ergebnisse feststehen,
bis die Zulassungen erfolgt sind,
bis die tatsächlichen Lieferungen fertig ausverhandelt, Vorbesteller bedient und logistische Herausforderungen gelöst sind,
bis Gesundheitspersonal und Risikogruppen geimpft sind…
bis unsere (Normal-)Bevölkerung tatsächlich durchgeimpft werden könnte und soll,
rinnt noch sehr viel Wasser die Donau runter.

Diese Zeit kann man nutzen, auch als Ottilie oder Otto Normalverbraucher, um sich schlau zu machen. Ihr solltet euch diese Zeit und Gelegenheit nicht von geistigen Abkürzungen in Schwarzweiß oder von voreiligen Verteufelungen nehmen lassen.

tl; dr: Impfen ist cool. Trittbrettfahren ist uncool. Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Die Option “ALLes-HaPPy” auch nicht.

Impfen lassen oder was?
Eine Impfung ist ein Tauschhandel:
Man kriegt die Leistung “habe stark abgeschwächte Form einer Infektion durchgemacht” bekanntlich im Idealfall mit Immunität vergütet. Nicht der schlechteste Tausch im Vergleich zu einer voll ausgebrochenen Infektion. Keine Impfung führt zu 100% sicherer Immunität. Aber es führt auch keine Erkrankung zu 100% sicherem und folgenlosem Überleben.

Was man beim Impfen noch kriegt: Eine Herdenimmunität in der Bevölkerung, die – bei Covid-19 – hoffentlich letztlich über 60% (“HIT”, Immunitätsschwelle) liegen wird.

Findet die Impfung keine ausreichende Akzeptanz, dann müssen wir weiterhin “auf dem alten Weg” dorthin – durch weitere Infektionen. Was das bedeutet, habe ich im vorhin verlinkten Artikel umrissen.
Das alles setzt natürlich voraus, dass eine Immunität gegen SARS Cov-2 überhaupt für längere Zeit anhält – ob nun durchgemacht oder geimpft.
Untersuchungen dazu (Preprints eins, zwo) deuten auf eine moderat haltbare Immunität von acht Monaten oder mehr hin. Wobei man bei einer so jungen Viruserkrankung eine jahrelange Immunität auch nicht zweifelsfrei beweisen kann, mangels jahrelanger Evidenz; man kann sie maximal aus Vergleichen ableiten, und auch dabei wird man sehr vorsichtig sein.

Wir haben also mit der Impfung die Wahl auf einer Skala – pardon my French – zwischen bissi-gschissn und mega-gschissn.
Genauer:

  • Option 1:
    Vorsichtsmaßnahmen und ggf wiederholte “Lockdowns”, um das Infektionsgeschehen einzubremsen – denn selbst zum Ziel “Herdenimmunität auf dem alten Weg” kann man das Geschehen nicht unkontrolliert wüten lassen
  • Option 2:
    Uns locker machen, uns noch wahrscheinlicher anstecken, Coronainfektion ausbaden, zum Preis des individuellen Risikos der Krankheit selbst, ihrer Folgeerscheinungen; einer Überlastung unseres Gesundheitssystems und daraus folgend auch einer höheren Fallsterblichkeit.
  • Option 3:
    Uns über eine Impfung freuen und uns immunisieren. Dann zurück zu Option 1 bis zur Herdenimmunität.

Eine Option 0 namens “ALLes-HaPPy” steht übrigens seit Anfang 2020 nicht mehr zur Verfügung. Die Folgen einer Impfung oder auch anderer Maßnahmen damit vergleichen zu wollen, wie es vor der Pandemie war, mag zwar seelisch verlockend sein, um die Wirklichkeit auszublenden. Und vermutlich ist es deshalb auch ein gern genommener rhetorischer Trick der Schwurbler: einfach mal so tun, als gäbe es doch auch noch Option 0.
Aber die gibt es nicht, das ist naiv, unrealistisch und irreführend.

„Woah, NeBenWiRkUnGeN!!11“ ??
Willkommen im menschlichen Körper! Wenn sich Immunabwehr bildet, dann spürt man das.
Nach einer Infektion braucht das Immunsystem etwas Zeit, um den Feind zu identifizieren. Dann beginnt es, den Erreger zu markieren, um ihn beseitigen zu lassen, infizierte Zellen zu killen und den Abtransport zu organisieren, organismusweite Regimente aufzustellen und ortsständige spezifische Abwehr in gewissen Körperarealen zu bilden oder zu aktivieren, zB in den Schleimhäuten von Mund, Nase, Rachen und Lungen. Zytokine, B-Zellen und T-Zellen sind dann in voller Action, und dabei entsteht das Krankheitsgefühl: Fieber, Gliederschmerzen, Flüssigkeitsansammlungen und deren Auswurf.

Krankheitsgefühl beruht zu einem guten Teil also direkt auf dem Lösungsversuch des Körpers. Bei einer Impfreaktion fällt es weit milder aus als bei einer heftigen Infektion mit großer Viruslast. Der Körper muss nach einer Impfung nicht gegen eine ganze Armada an Feinden gleichzeitig kämpfen, sondern kann easy-peasy seine Abwehr in Aufstellung bringen.
Weil man sich aber impfen lässt, wenn man gesund ist, neigt man dazu, Impfreaktionen mit dem gesunden Zustand zu vergleichen, und – mangels Erfahrung – nicht mit einem kranken Zustand.

Trittbrettfahrer
Vom Immunitätsstatus der anderen profitieren diejenigen, die nicht immun sind.
Die fehlende Immunität kann – wie bereits erzählt – verschiedene Gründe haben:
ஐ noch nicht impfbar
ஐ gar nicht impfbar
ஐ impfbar, aber nicht impfwillig

Trittbrettfahrer vulgo Impfscheue profitieren zwar von der Herdenimmunität, wollen dazu aber nichts beitragen. Sie wähnen sich als wahre Helden und Heldinnen der Gesellschaft, weil sie meinen, das Risiko einer Infektion “voll auf sich zu nehmen” – was sie nicht tun, weil die Allgemeinheit auch für ihre Infektion aufkommen muss; und was sie nicht mehr müssen, sobald die Schwelle in den anderen Menschen auch ohne ihr Zutun erreicht ist. Ihr eigenes Risiko bewegt sich dann gegen Null, es sinkt natürlich auch schon davor, mit jeder Immunisierung eines anderen Menschen. Trittbrettfahrer sagen dafür auch nicht “danke”, sondern “selber schuld”. Wenn das alle täten, hätten wir gegen keine einzige Infektionserkrankung Herdenimmunität. Das ist, als wollte man in einem gemeinsamen Swimmingpool eine Pinkelzone einrichten.

Unsere europäische Welt mit einer weitgehend gegen vieles immunen Bevölkerung ist nicht vergleichbar mit einer Welt, in der sämtliche Infektionskrankheiten sich ungehindert ihren Vermehrungsweg durch die Menschheit bahnen würden. Und die Vorstellung einer solchen Welt ist uns auch nicht mehr präsent. Manche Krankheiten sind schon so lange her, die Immunität in der Bevölkerung so hoch, dass manche dann tatsächlich meinen: “Ach das, das hatten wir doch seit hundert Jahren nicht!” und meinen: “Dagegen braucht man sich doch nicht mehr impfen lassen!”

Dass sich so eine Welt heutzutage kaum jemand mehr vorstellen kann, ist durchaus ein Beweis, und zwar für die Geschichtsvergessenheit der Menschen. Aber nicht gegen die Sinnhaftigkeit von Immunität. Bias: Man verwechselt die Nichtverfügbarkeit eigener Erinnerung mit Nichtexistenz. Oder Harmlosigkeit.
Da wird die Impfung das Opfer ihres eigenen Erfolges. Die fehlende Erinnerung ist eine direkte Folge der erreichten und aufrechterhaltenen Herdenimmunität gegen sehr viele Krankheiten. Eine vermeintliche Harmlosigkeit daraus abzuleiten ist ein Fehlschluss. Präventionsparadoxon.

Ich kannte noch eine Frau, die ihren kleinen Sohn zwei Wochen vor seinem ersten Geburtstag an eine Abfolge von Masern, Lungenentzündung und Diphterie verloren hat, während sie selbst an Diphterie erkrankt war. Sie ist ihr ganzes Leben lang nicht richtig darüber hinweggekommen. Soviel zu Erinnerungen und fehlenden Erinnerungen.

Negative Effekte
Um die negativen Effekte von Immunisierungen auf dem Impfweg nicht unter den Tisch fallen zu lassen:
Natürlich gibt’s die, etwa wenn Krankheitserreger umsatteln auf eine andere Ausformung ihrer selbst, weil der bisherige Erreger de facto ausgemerzt ist, worauf die Herdenimmunität nicht mehr zum Erreger passt. (“Serotypen-Replacement”, zB bei Pneumokokken.)
Oder wenn Krankheiten sich in der Altersgruppe verschieben, weg von Kindern, hin zu ungeimpften Subpopulationen und/oder Erwachsenen, wo sie mitunter schlechter erkannt werden oder mehr Schaden anrichten (Mumps, Masern).
Und es gibt Impfkomplikationen, die zu Erkrankungen oder zum Tod führen, wenn auch sehr selten.

Negative Effekte ergeben sich aber auch durch Impfscheue, wenn die Durchimpfungsrate so weit absinkt, dass Ausbrüche wieder möglich werden, wie es etwa bei den Masern immer wieder vorkommt, vor allem bei uns in Europa, eingeschleppt dann auch in den USA.

Ein staatliches oder auch über-staatliches Interesse an der Entwicklung von Impfstoffen und die finanzielle Beteiligung an den Entwicklungskosten ist hingegen kein Grund für überbordende Skepsis. Denn würde ein beliebiger Staat keinerlei Interesse und keine Mittel dafür aufbringen, seine Bevölkerung zu schützen, dann würde das wohl ebenso verdächtig gefunden und angeprangert werden. Man kann aber nicht jemandem eine Handlung vorwerfen, deren Unterlassung man ihm genauso ankreiden würde.
Auch wenn ein Staat die Haftung für eine Impfung übernimmt, kann man das durchaus so sehen. Dazu später mehr.

Artikel

Corona – zwölf .. Heute ein (G)rant

Dieser Artikel ist Teil 12 von 19 in der Serie "Corona" ...

Ich bin wütend.
Wütend auf Leute, die Todesraten anzweifeln und immer noch von Fallsterblichkeiten unter 0,3% fantasieren. Die die Überlastung unseres Systems an allen Ecken und Enden nicht wahrhaben wollen und daher meinen, ein Lockdown wäre unnötig. Die behaupten, sie hätten Kontakt zu zweieinhalb Insidern, die meinen, die Situation in den Spitälern wäre nicht schlimm.

Auf Leute, die immer noch den Mythos “eh nur eine Grippe” glauben und “die Panik” übertrieben finden. Die aber vom Anschauen eines verfickten YouTube-Videos ein Angsti davongetragen haben und sich daher nicht impfen lassen wollen – weil der ExPeRtE darin nämlich, ebenso unverantwortlich wie selbstverliebt, schon aLLes weiß, während die Impfstudienbetreiber noch nichtmal ihre Ergebnisse fertiggeschrieben haben.

Die wirklich meinen, wir würden “auch so” zu einer Herdenimmunität kommen, weil ScHwEdeN!

In den Spitälern
hackeln sich tausende Menschen täglich seit März einen Buckel und ein lebenslanges Pandemie-Trauma für zu wenig Geld, zu wenig Respekt und zu wenig Wertschätzung. Ja, auch genau in diesem Moment. Sie müssen die Unbekümmertheit und Ignoranz solcher Leute ausbaden, in voller Schutzbekleidung, jeden Tag. Wie fühlen die sich wohl, wenn sie sich nach Schichtende anhören müssen, wie “übertrieben” die das alles finden und meinen, sie würden “das Risiko selber tragen”, während sie selbstgerecht auf ihrem Arsch sitzen?

Das Risiko tragen genau diese Menschen im Gesundheitswesen mit, ja, auch für diejenigen, die solchen Bullshit verzapfen, und sie sind sogar dann noch für die verantwortlich, wenn die längst auf den Bauch und ins Land der Träume befördert wurden und kurz mal nichts für übertrieben halten.

Die Menschen im Gesundheitswesen
Wenn die nicht mehr wollen, nicht mehr können, weil sie sich verarscht vorkommen – von Dienstgeber, Regierung, Nichtmal-Mehr-Balkonklatschern und solchen Ignoranzspezialisten wie beschrieben – und deshalb auf uns scheißen, was tun wir dann?

Und während ich mir sowas beklommen, aber meistens stumm überlege, reißen welche ständig weiter ihren Schlapfen auf. Sie merken nichtmal, dass sie auf dem Rücken anderer ihre Unfähigkeit austragen, die Realität zu akzeptieren. Statt die Augen aufzumachen und dankbar zu sein, dass sie sich dieser Corona-Wirklichkeit nicht tagtäglich in der ersten Reihe stellen müssen. Nein, da verbreiten sie ihre großspurigen Anschauungen auch noch in der Welt und fühlen sich dabei wohl sehr abgeklärt.

Bin sicher, die Intensivpfleger*innen und Ärzt*innen würden sehr gerne tauschen und auch lieber kRiTiScH dozierend auf ihrem Arsch sitzenbleiben.

Aber wer rettet dann unseren?

Artikel

Corona – elf .. Habs ausgerechnet

Dieser Artikel ist Teil 11 von 19 in der Serie "Corona" ...

Ein paar Berechnungen zur Fallsterblichkeit und Herdenimmunität

Wann ist die Herde denn nun endlich immun?
Das medizinische Zeitalter der Impfungen hat eine Ära eingeläutet, in der viele Infektionskrankheiten eingedämmt oder komplett zum Verschwinden gebracht werden konnten, ohne dass eine gesamte Bevölkerung die Infektion erst erleiden musste. Im Kampf gegen Infektionskrankheiten hat sich gezeigt, dass in der Bevölkerung ein bestimmter Anteil an immunen Menschen erreicht werden muss, damit für solche Krankheiten keine größeren Ausbrüche mehr auftreten oder diese Krankheiten in bestimmten Regionen sogar für ausgemerzt erklärt werden können.

Für diesen Prozentwert der Bevölkerung gibt es in der Infektiologie den Begriff der
Herden-Immunitätsschwelle (HIT = “herd immunity threshold”)
Wie hoch diese Immunität in der Bevölkerung sein muss, ist u.a. davon abhängig, wie ansteckend eine Krankheit ist. Je ansteckender, desto höher muss der Anteil der immunen Menschen in einer Gemeinschaft sein, damit es nicht zu Epidemien kommen kann. Und natürlich kommt’s drauf an, wie lange Kranke zwar schon ansteckend, aber noch symptomfrei sind.
(Wikipedia für Infos zum genauen mathematischen Zusammenhang)

Für höchst ansteckende Infektionskrankheiten wie Masern oder Keuchhusten liegt auch die HIT sehr hoch: 92-95% bei den Masern, 92-94% bei Keuchhusten. Bei der Influenza ist der Wert niedrig, nur 33-44% müssen immun sein, damit auch die übrige Bevölkerung vor einer fatalen Epidemie geschützt ist. Für andere Krankheitserreger sind die HIT-Werte irgendwo dazwischen angesiedelt.

Wird innerhalb der Bevölkerung diese ausreichend hohe Immunität erreicht, dann kann der jeweilige Erreger im Menschen kaum noch überleben, und sein Auftreten wird so selten, dass eine Infektion für den einzelnen Menschen so gut wie ausgeschlossen ist.

Sinkt hingegen die HIT auf einen Wert unterhalb der nötigen Prozent – zB aufgrund von verabsäumten Auffrischungen, oder in Communitys mit religiösen oder sonstigen Bedenken – dann sind lokale Ausbrüche möglich, die dann alle gefährden, die nicht immun sind. Deshalb ist es auch so wichtig, dass Impfaktionen gut geplant und durchgeführt werden, um die nötigen und angestrebten HIT-Werte auch zu erreichen.

Für Covid-19 beträgt die geschätzte Schwelle HIT zwischen 60% und 80%. So viele müssten also immun werden, damit wir die Krankheit loswerden.

Es ist klug, gemeinsam mit der Gesellschaft für hohe Immunität in der Bevölkerung zu sorgen. Weil dadurch auch Menschen geschützt werden, die nicht immun sind:

Menschen, die nicht geimpft werden können:
Bei Vorerkrankungen oder Behandlungen, die das Immunsystem schwächen, kann oft nicht geimpft werden. Leukämie, Knochenmarkkrebs, HIV; Chemo- oder Bestrahlungstherapie, Therapien gegen Autoimmunerkrankungen wie Rheuma, Multiple Sklerose, Zöliakie, etc.; Risikopatienten
Menschen, bei denen eine Impfung keine Immunreaktion ausgelöst hat:
Die Effektivität von Impfungen erreicht nie 100% der Geimpften. Daher muss auch die Durchimpfungsrate immer etwas höher liegen als die Schwelle HIT.
Selbst wenn euch die vorgenannten Menschen alle wurscht sein sollten:
Babys sind euch doch sicher nicht wurscht? Babys können nicht sofort gegen alles geimpft werden, wenn sie zur Welt kommen. In den Monaten bis zur möglichen Impfung haben sie wenig oder gar keine Immunabwehr gegen Infektionen und sind gefährdet, wenn zu viele andere nicht-immune Menschen in der Welt rumrennen.

Freilich kann eine Herdenimmunität grundsätzlich auch auf dem “alten Weg” erreicht werden – dem Infektionsweg. Allerdings muss man dazu auch die Sterblichkeitsrate in die Überlegungen einbeziehen.

Fallsterblichkeit Covid-19
Hier der Link zu einer großen Meta-Studie der geschätzten Fallsterblichkeit bei Covid-19.

Die Studie nennt keinen finalen Prozentwert, sie kommt vielmehr zu dem Schluss, dass die Infektionssterblichkeitsrate (IFR für “infection fatality rate”) nicht als fixer Wert betrachtet werden kann, sondern davon abhängig ist, wie gut die Risikogruppen geschützt werden. Die Fallsterblichkeit nach Altersgruppen ist darin wie folgt angegeben:

Altersgruppe – IFR:
00-34 – 0,01%
35-44 – 0,06%
45-54 – 0,20%
55-64 – 0,70%
65-74 – 2,20%
75-84 – 7,30%
85+ – 27,10%

Dass die Fallsterblichkeiten je nach Land unterschiedlich sind, auch in der Meta-Studie, liegt natürlich an mehreren Faktoren:
Die Qualität der medizinischen Versorgung spielt eine Rolle, die Bewältigbarkeit der gleichzeitig auftretenden Fälle, aber offenbar eben auch unterschiedliche Altersstrukturen und unterschiedliche Infektionsraten innerhalb dieser Altersgruppen – sicher auch je nach Zeitpunkt der einzelnen Studie. Obendrein überschneiden sich die Risikogruppen “Menschen mit Vorerkrankungen & Risikofaktoren” und “Ältere Menschen” zwar, sind aber bei weitem nicht deckungsgleich. Oder, wie @DocJosiahBoone immer wieder betont, “Es sind nicht ‘nur’ die Alten!”

Und diese Altersgruppen in Österreich?
Ich hab mal in meinem Milchmädchen-Excel die IFR-Werte aus der Meta-Studie auf unsere österreichische Demografie nach Alter übertragen und gewichtet:
Es ergibt sich daraus eine Fallsterblichkeit für Covid-19 von 1,55%. Das passt mit den Infektions- und Sterbezahlen recht akurrat zusammen, wenn man die Neuinfektionen der letzten 2 Wochen abzieht (denn durchschnittlich sind die Menschen, die an Corona versterben, vorher erstmal 12-14 Tage krank): 1.600 Tote auf 109.000 Infizierte ergibt 1,46%.
Je schneller das Infektionsgeschehen, je mehr Neuinzidenzen, desto kleiner sehen die Todeszahlen im Verhältnis zu den Gesamtfall-Zahlen aus – davon sollte man sich nicht täuschen lassen.

Erstens: 70% HIT – Wie viele Menschenleben kostet das?
Wollten wir in AT nun tatsächlich ohne Impfung eine HIT zwischen 60 und 80% erreichen – nehmen wir eben 70% – dann bedeutet das erstmal:
72% müssen sich infizieren – man muss “über-infizieren”, weil die Infektion ja Todesopfer zur Folge hat, die hinterher nicht immun sind, sondern tot, und damit nicht mehr zur anteiligen Herdenimmunität beitragen. Verteilt man die 72% gleichmäßig über unsere Bevölkerung, dann fordert das insgesamt 6,36 Mio Infizierte – und davon 98.654 Tote.
Von diesen Toten entfallen mindestens 8.000 auf Menschen im arbeitsfähigen Alter. 1,59 Millionen Menschen hätten Langzeitfolgen, die auf 20-30% der infizierten Fälle geschätzt werden.

Würden sämtliche Einwohner Österreichs infiziert, müssten wir sogar mit 137.979 Toten rechnen.

  • Ausflug 1: Rechnerische Verschiebung:
    Würde man versuchen, das Risiko der älteren Altersgruppen etwas zu den Jüngeren zu verschieben* – dann könnte man diese Todeszahl vielleicht auf 62.400 drücken.
    *”Verschieben” im Sinne von: Bei der ältesten Gruppe eine Infektionsrate von nur 37%, bis hin zu 91% bei der jüngsten mit dem geringsten Risiko – dies aber nur rein rechnerisch. Eine 37%ige HIT innerhalb einer Altersgruppe, die ja viel mit Gleichaltrigen zusammenkommt oder sogar zusammenlebt, wird wohl nicht reichen, wenn der angestrebte Wert eben 70% sein soll. Noch ein Grund also, warum “Risikogruppen schützen” allein nicht reichen wird. Mit einer Impfung kann man diese Gruppe sicher besser und risikoärmer schützen.
  • Ausflug 2: Tiefer ins Land der rechnerischen Möglichkeiten, der plakativen Wirkung wegen:
    Wollte man hingegen das Risiko der einzelnen Altersgruppen, das jetzt ja sehr ungleich verteilt ist und nur im Schnitt 1,55% beträgt, komplett kommunistisch auf alle verteilen, sodass es pro 100.000 Einwohnern jeder Altersgruppe jeweils dieselbe absolute Zahl an Toten fordern würde – dann könnte das die Gesamtzahl der Todesopfer auf 11.000 reduzieren. Bezieht man die geringe Fallsterblichkeit der jüngeren Gruppen in diese Berechnung aber mit ein, dann bräuchten wir dafür vor allem Folgendes…
    wait for it…
    40 Millionen freiwillige zusätzliche Einwohner in den jüngsten Altersgruppen (0-44).
  • Eine Umverteilung des Risikos ist also nur bedingt möglich, wenn überhaupt. Die Immunitätsschwelle von 70% in der Bevölkerung zu erreichen wäre eben nur unter großen Infiziertenzahlen möglich (klar) – und somit eben auch mit einer hohen Anzahl an Gestorbenen.

    Zweitens: 70% HIT – Wie lange dauert das?
    Dennoch müssten für eine Herdenimmunität – trotz dieser großen Opfer – die Infektionen unbedingt über längere Zeit verteilt auftreten, weil das Gesundheitssystem das sonst schlicht nicht stemmen könnte. Bei inadäquater Behandlung würde die Fallsterblichkeit steigen, und auch die Ausbreitung würde unkontrollierbar.
    Von 98.654 Todeskandidaten wären wohl fast alle zuvor im Krankenhaus, viele davon auf Intensiv. Des geht si net in zwa Wochn aus.

    Also müssten sich die 6,36 Mio. Infektionen derart langsam ausbreiten – sagen wir mit so ca. 8.000 Neuinfektionen pro Woche(!) – nicht pro Tag wie derzeit! – dass nie mehr als 6.000 Covid-19-Patient*innen gleichzeitig im Spital sind – was viel ist, derzeit sinds 4.000.

    Das dauert dann ein bisserl: Wir wären mit dem so scheußlich klingenden “Durchseuchen” ungefähr in 15 Jahren fertig.

    (Platz fürs Wirkenlassen)

    Man könnte an dieser Stelle, weil’s eh schon absurd geworden ist, auch sagen, in 15 Jahren werden aber eh auch eine ganze Menge neuer Menschen geboren!

    Selbst wenn man die angestrebte HIT bei nur 60% ansetzen würde und sich wöchentlich 20.000 Menschen infizieren “dürften” – die Durchseuchung würde immer noch über 5 Jahre dauern.

    Und wenn man – uuuh, und hier betrete ich jetzt sehr dünnes Eis, bitte um Nachsicht, es ist nur eine Berechnung – versuchen würde, die Herdenimmunität nur innerhalb der älteren Gruppen zu bilden und die Jungen schützen würde: Auch das würde – bei 8.000 Infizierten pro Woche und 70% HIT – 3 ganze Jahre dauern. Wir hätten dann 89.735 Tote zu beklagen, das wären 7% der Infizierten. Die jetzt noch 62jährigen wären dann am Ende übrigens auch schon in der Gruppe 65+ angelangt!

    Abgesehen davon, dass der Infektionsprozess sich ohnehin nicht auf einzelne Gruppen isolieren lässt, ist also keines der Berechnungsmodelle auch nur annähernd machbar. Wie wir gesehen haben, ist es mathematisch recht leicht nachvollziehbar, dass man in England oder auch in Schweden von der Idee der Durchseuchung ohne Impfung schnell wieder abgelassen hat.

    Echt jetzt, gegen diese Zeitspannen und Todeszahlen sitzen wir doch die paar Monate oder sogar über ein Jahr auf einer Arschbacke ab – die Zeit, die es dauert, bis es die Impfung gibt, bis sie ausreichend verifiziert und sicher genug für alle ist, und bis dann auch tatsächlich alle durchgeimpft sind.
    ABER: Bis dahin müssen wir uns und unsere Mitmenschen schützen!

    Ich erinnere daran, dass es in meinen Berechnungen rein um das Todesrisiko ging. Das Risiko für einen schweren Verlauf der Erkrankung ist für alle Altersgruppen höher. Und niemand will künstlich beatmet auf einer Intensivstation liegen.

    Wir wissen nix.
    Durch ein zu schnelles Infektionsgeschehen werden auch wichtige Studien verhindert. Für die gezielte Nachverfolgung und Sequenzierung einzelner Reinfektionen etwa ist es offenbar im Moment einfach zu stressig. Wir wissen also auch noch gar nicht wirklich, wie lange eine Immunität nach durchgemachter Infektion überhaupt anhält, und warum sie das in einzelnen Fällen nichtmal ein Jahr lang tut. Das wissen wir freilich auch bei einer Impfung noch nicht.

    Was ist dann fix?
    Sicher ist, dass es menschlich und wirtschaftlich günstiger sein dürfte, innerhalb zB eines Jahres 70% der Menschen durchzuimpfen, als 1,25 Mio oder mehr Menschen im Spital gegen Covid-19 zu behandeln. Von den anderen 4,9 Mio Infizierten wären mindestens 3 Mio im arbeitsfähigen Alter und dann zum Teil wochenlang im Krankenstand. Auch Ärztinnen, Krankenpfleger, Heimhilfen, Wissenschafterinnen und Sanitäter. Kindergärtner, Lehrerinnen und Kassadamen. Und alle anderen, die wir brauchen. Männer und Frauen und alle dazwischen und Kinder sind mitgemeint.

    Daraus folgt:
    Schutzmaßnahmen gegen Covid-19 sind nötig, wichtig und unverzichtbar für unsere Gesellschaft. Wer sie für sinnlos hält, sollte mal sein Excel anwerfen und selber nachrechnen.

    ifr-hit-at-202011

Artikel

Corona Zwonull

Dieser Artikel ist Teil 10 von 19 in der Serie "Corona" ...

Ähnlich “flexibel” wie in der Frage der Geflüchteten ist wohl auch eine Solidarität mit jener Gruppe gedacht, die derzeit weiterhin in Öffis zu ihrem Arbeitsplatz gurken und sich da wie dort mit allerlei Corona-Sorglosen herumschlagen muss. So “flexibel” gemeint ist sicher auch die Soli mit den Lehrerinnen und Lehrern, den Betreuerinnen und den Kindern.

Die Zahlen der Neuinfizierten und Hospitalisierten gehen seit Wochen durch die Decke, die der Verstorbenen auch. Währenddessen brieft die offizielle Kommunikation durch Regierung und AGES seelenruhig an der wissenschaftlichen Wirklichkeit vorbei auf Verharmlosung – auf “Labortsunami” und “Kinder sind nicht gefährdet”. Sie verleugnet Aerosole genauso wie asymptomatische Fälle und will die Quarantänezeit auf eine Frist verkürzen, in der noch nichtmal die Inkubationszeit richtig vorbei ist.

Die ÖGK-OÖ findet nix dabei, Kinder weniger zu testen und mit Husten in die Schule zu schicken, setzt asymptomatisch fatalerweise mit “nicht ansteckend” gleich und will dabei gar eine “Entdämonisierung” des Virus herbeischreiben, während von Apfalter/AGES der Privatbereich dämonisiert wird als der Ort, an dem sich alle anstecken würden.
Wodurch die Schulen und Arbeitsplätze wohl als total sichere Orte dastehen sollen. Und da soll sich nicht vielen die Frage aufdrängen: Warum sollen wir dann ausgerechnet da bleiben – daheim?

“Weiterhackeln und in die Schule gehen”, so lautet die Botschaft. “Wir müssen stark bleiben” steht zwischen den Zeilen.

Insofern schlägt diese systematische Verharmlosung aus den letzten Wochen zielgenau in die Kerbe der neoliberalen Fabel von Stark & Schwach, in der ja auch noch nie schade war um die “Schwachen”.

Daher sind die Sorglosen derzeit damit beschäftigt, ihr positives Selbstbild zu erhalten: “Bin STARK! Uga, uga!”. Und befinden daher etwa, Risikogruppen sollen sich “doch selber schützen”. Man könne ihnen ja “FFP2-Masken gratis geben”. Damit sei dann aber auch genug getan. So großzügig wären sie, die “Starken”, damit sie nur endlich wieder ihr(!) Leben leben können – ihren wahnsinnig wichtigen Jobs nachgehen, ohne dass ihnen die “Schwachen” weiter im Weg rumstehen.
“Oder ist das schon Sozialdarwinismus?”, wird dann unschuldig hinterhergefragt – so wäre die Antwort tatsächlich unklar. Und, da würd ich wetten, bei denen, die jetzt grad so dringend drüberstapfen müssen über diese “Schwachen”, geht’s sicher nicht ums nackte finanzielle Überleben.

Missachtung ist auch ansteckend: Die Ausgangsbeschränkungen und Maßnahmen werden, sobald auch nur drei Missachter gesichtet wurden, gern wie folgt kommentiert: “Wenn die sich nicht dran halten, dann halt ich mich aber jetzn auch nimmer dran”.
Bitte. Werdet. Erwachsen!

Haken:
Viele wissen gar nichts von ihrem Risiko. Von Vorerkrankungen. Von zu hohem Blutdruck. Schon Männlichkeit an sich scheint bei Covid-19 ein gewisses höheres Todesrisiko darzustellen. Übergewicht ist ein Risikofaktor.
Niemand kann wissen, wie sein Körper tatsächlich mit einer Infektion zurechtkäme. Wollen wir wirklich alle, Mensch für Mensch, herausfinden müssen, wer zu welcher Gruppe gehört?
Oder lassen wir diese künstliche und fatal irreführende Unterteilung endlich mal los und verhalten uns solidarisch?

Man kann sich nicht selber schützen, genausowenig, wie man sich integrieren kann – nicht ausschließlich und einseitig. Es ist ein Prozess auf Gegenseitigkeit, keine Bringschuld.
Wären ausschließlich Risikogruppen mit Corona infiziert, wäre die Diskussion wohl (nochmal) eine ganz andere. Aber sich selbst für so stark und wichtig halten, und potentiell infektiös herumrennen, als gäbe es keine anderen Menschen auf der Welt, während man Selbstschutz von genau diesen anderen einfordert – das ist extrem ignorant und an Arroganz nicht zu überbieten. Niemand kann sich selber schützen, während der Großteil der restlichen Bevölkerung meint, sie wäre auf selbsthypnotische Weise unverwundbar. Diese Leute verweigern der Risikogruppe ungerührt die Solidarität. Was daran “stark” sein soll, erschließt sich mir nicht.

Haken 2, für den viele anscheinend absichtlich komplett blind sind:
Die ach-so-vernachlässigbare Gefahr, an Corona zu sterben, wird rasant in die Höhe schnalzen, wenn wir die Kapazitäten in der Medizin erstmal ausgereizt haben. Wollen wir das wirklich sehen?
Und muss ich erwähnen, dass eine Corona-Erkrankung auch dann sicher kein Ponyhof ist, wenn man das Verrecken auslässt?

Ähnlich “flexibel” meint es unser Herr Gesundheitsminister dann wohl auch seine Schuldzuweisung, wenn er uns über Social Media mitteilt, die bösen Partys vor dem Lockdown in OÖ wären schuld an den Infektionszahlen. Die vor einer Woche, was man so hört, stattgefunden haben sollen.

Es fehlen Vorgaben zum Arbeitnehmerschutz. Es gibt keine rechtlichen Grundlagen für Homeoffice. Schüler und Lehrerinnen, Schülerinnen und Lehrer werden mit halbgaren Empfehlungen und Verharmlosungen alleingelassen. Die Eltern werden nämlich an anderer Stelle gebraucht – und daher einfach für dumm verkauft.
Dazu passend sabbelt die AGES-Gebetsmühle von den Kindern, die keine Rolle im Infektionsgeschehen spielen sollen (gefälligst). Und die ÄKOÖ von Kindern mit Symptomen, bei denen es ja “quasi eh meistens doch was anderes is (manchmal halt nicht (is aber echt selten (bisher (soweit wir dazu überhaupt Zahlen haben (weil man sie ja nicht testen braucht)))))”.

Was ich heute gesehen hab, sind die Infektionszahlen derzeit bei den 5-14jährigen höher als bei denen 75-84jährigen. Und wenn man dazu noch davon ausgeht, dass Kinder empfehlungsgemäß weniger getestet werden…

Das alles, während inneralpin optimistisch “Saisonstart 4. Dezember!” verkündet wird.
“Aber bis dahin bleibts halt am Abend schön zaus, gell? Dann wird sicher alles gut.”

Das mehrfach angerufene “Licht am Ende des Tunnels” ist ein herannahender Zug, Herrschaften.
Den ganzen Sommer verschlafen, dann aufwachen und bei der Aktualität der Forschungsergebnisse um Wochen zurückliegen. Dazupassend kaum wirksame Maßnahmen ergreifen und durch die Organe der AGES verharmlosende Worte verkünden lassen, während die internationale Wissenschaft ganz andere Erkenntnisse hat.
Einfach so tun, als wäre das österreichische Virus a bisserl anders als im Rest der (forschenden) Welt.

“Wir geben euch unvollständige Zahlen und tendenziöse Richtlinien ohne Angabe unserer Strategie und Agenda, und ihr übernehmt dann auf deren Basis bitte die Eigenverantwortung.”
Was?

Und dann den Menschen und ihren verderbten Privatleben die Schuld zuschieben? Das ist ein argumentativer Spagat, bei dem man sich ganz leicht die empfindlichen Teile im Schritt beleidigen kann.
Apropos Eier:
Von einem Gesundheitsminister würde ich mehr erwarten, um sich gegen Schönfärberei und Message Control zu stellen, wenn’s um die Gesundheit des Volkes geht. Aber sicher kein “Mimimi, immer sucht ihr die Schuld bei der Politik!”

Zuerst wird im März Angstmache betrieben, dass die Hälfte genug wär – und dann bei der zweiten Welle verharmlost, weil andere Lobbys irgendwie lauter sind?
Und dazwischen gibt’s nix?

Christian Drosten sagt in seiner Schiller-Rede:

Je besser wir alle das Virus und die Pandemie verstehen, desto eher können wir eigenverantwortlich die richtigen Entscheidungen für unser Verhalten treffen.
[…]
Gerade weil es auf unser persönliches Verhalten ankommt, brauchen wir verlässliche Informationen.
[…]
Daher ist die wissenschaftsbasierte Information der Öffentlichkeit für mich eine genauso wichtige Strategie im Kampf gegen das Virus wie die Entwicklung eines Medikaments oder Impfstoffs.

Bei aller Gläubigkeit an die Allmacht der PR, die Wirklichkeit endlos zurechtzubiegen, sollte man eins nicht übersehen: Der Placebo-Effekt der frommen Wünsche reicht hier nicht. Das Virus lässt sich nicht zum Politikum machen, das treudoof den Spins eurer Doktoren folgen würde.

Drosten:

Es ist da. Es wartet auf seine Gelegenheit, und es wird sie nutzen, wenn wir nicht dazwischenschlagen. Es verhandelt nicht und geht keine Kompromisse ein.

Dem Virus ist komplett wurscht, welche Behauptungen die Politik aufstellt.
Den Menschen hingegen nicht: Die kolportierte Halbwahrheit führt dazu, dass viele die Gefahr unterschätzen und sich für risikobefreite Ausnahmen halten (uga-uga!). Und dass viele sich zurecht verarscht fühlen, wenn sie komplett auf ihr Privatleben verzichten sollen, während sie den weit größeren Teil des Tages die Aerosole ihrer Bürokolleg*innen einatmen – mit denen sie das Maskentragen oder Fensteröffnen auf eigene Faust ausdiskutieren müssen, weil niemand sie dazu verpflichtet und auf Aerosole hingewiesen hat. Die sich am Abend fragen, ob sie jetzt wohl gerade ihr Kind anstecken oder umgekehrt.

Drosten weiter:

Je mehr ich mich als Individuum aus freien Stücken verantwortlich verhalte, desto weniger Anlass gebe ich dem Staat, ins gesellschaftliche Leben einzugreifen. Je unbedachter und egoistischer ich aber handele, desto eher muss der Staat meine Freiheit beschränken, um das Gemeinwesen wie auch das Wohlergehen der anderen Menschen wirksam zu schützen.

Dazu muss dem Menschen – und zwar auch noch dem allerdoofsten – aber erstmal unmissverständlich klargemacht werden, was verantwortliches Verhalten bedeutet – nämlich nicht nur Eigenverantwortung. “Eigen” heißt für viele einfach nur “endlich Ich-ich-ich!” – und damit: “Mich triffts ja eh nicht, weil stark, und wenn doch, bin ich ja immer noch stark (uga!). Die anderen dürfen mir jetzt also auch ganz offiziell wurscht sein.”

Nein, Eigenverantwortung ist nicht genug. Verantwortung besteht auch für jede Ansteckung, die man verursacht, weil man sich selbst(!) für so stark hält, dass man nicht mehr geradeaus denken kann (geschweige denn “quer”).

Klar kann man auch warten, bis die Auslastung der Intensivbetten erreicht ist – oder vielleicht besser gesagt: die Auslastung des Intensiv-Personals – bevor man dann sagt: “Upsi! Wer is jetzt gach als nächstes schuld gewesen? Familienfeiern und Garagenpartys hatten wir leider schon… vielleicht die Lehrer? Die verantwortungslosen Dienstgeber? Die bösen Shopper?”
Ist dann halt scheiße.

Eines ist nämlich nie gewiss in dieser Unkultur des Anpatzens bei jeder Gelegenheit, bei gleichzeitiger Pflege der eigenen weißen Weste: Wie die Gruppe der Schuldigen am nächsten Tag heißen wird. Also Obacht!

Eigenverantwortung wird aber auch als vermeintliche Vorgabe an die Risikogruppe aufgefasst: “Die sind eine Last, die sollen sich selber kümmern.”

Das ist Wasser auf die Mühlen dieser scheiß-selbstgerechten Truppe aus rücksichtslosen, ignoranten, vermeintlich “Stärkeren”, die sich für “ihres Glückes Schmied” und darob für beansprucht halten, andere prinzipiell für selber schuld zu erklären und daher an deren Unglück noch mitzuschmieden – weil’s eh schon wurscht is.

Es gibt mit dieser Truppe eine wohl nicht unwesentliche Schnittmenge zu denen, die zum totalen Waschlappen werden, wenn sie selbst mal irgendwas haben. Etwas, das ein bisschen länger wehtut als zwei Tage, was sie auch nur ein wenig einschränkt. Etwas, bei dem sie sich noch nicht mal mit der Rücksichtslosigkeit der Welt auseinandersetzen müssen, sondern erstmal nur mit ihrer eigenen Verdatterung über die so jäh verlorene Unverwundbarkeit. Die komplett versagen, wenn sie mal selbst für das eigene Unglück verantwortlich sein sollen, und denen dabei natürlich nicht das geringste Stück Humor bleibt. Die aber innerhalb weniger Stunden schon allerlei Ansprüche an ihre Umwelt anmelden.

Nun ist es nicht grad so, als hätte man das zB als Mitglied einer Risikogruppe im Leben nicht schon oft genug zu spüren bekommen:
Dass man mit seiner chronischen Krankheit, seiner Behinderung, mit seiner eingeschränkten Performance in allerlei Lebensbereichen eh schon großzügigerweise gerade so toleriert werde; dass man prinzipiell freilich mit seinen Bedürfnissen schon auch gesehen werden können würde, nur eben jetzt grad nicht, weil andere Dinge wichtiger, und weil Rücksichtnahme und Einbeziehung in die Überlegungen für ein “Gemeinsam” ein rares Gut seien, auf das man eben nicht immer* pochen könne.
*nie

Und dass man doch bitte wenigstens ein bisschen humorvoller damit umgehen könne, wenn man schon aufmerksamerweise mit Wuchteln über den eigenen Zustand “aufgemuntert” wird. “Ich würde ja nicht gleich meinen Humor verlieren, wenn ich krank wäre”, sprach der Gesunde beleidigt zur chronisch Kranken und fand sich dabei sehr gerecht.

Ja, es gibt im Privatleben gschissene Begegnungen, die man sich lieber erspart hätte. Vereinzelte Erscheinungen von Ignoranz und Egoismus dürfen aber kein Maßstab dafür sein, wie weit es im Niveau nach unten gehen darf. Es tut mir sehr weh, wenn ich dann auch im Kollektiv als weniger wert eingestuft werde; als jemand, der anderen nur im Weg ist – und genau das passiert da draußen gerade. Von einer aufgeklärten, humanistischen Gesellschaft erwarte ich mehr Vorstellungskraft für andere Lebenswirklichkeiten als ein lapidares “Dann sollen sie sich eben selber schützen”. Marie-Antoinette ist tot, und wir haben 2020, nicht 1783. Und selbstverständlich auch nicht 193x. Jedes Leben ist gleich lebenswert und schützenswert.

Wir sind mit einer Regierung geschlagen, die einfach die Mitte zwischen Angstmache und Verharmlosung nicht findet: Eine fachgerechte Konzentration auf die Sache, auf aktuellste Erkenntnisse, transparente Zahlen, die auch der Forschung voll zugänglich sind. Zahlen, die nicht durch Fehleinschätzungen und durch wiederum darauf fußende Richtlinien immer weiter in die gewünschte Richtung gefärbt werden. Spürbare Transparenz und Aktualität in der Kommunikation der bekannten Fakten, der Pläne und Grundlagen für Maßnahmen.
Akurrate und gleichzeitige Informationen für alle. Unverzerrt von wirtschaftlichen Lobbys, frei von parteipolitischem Kleingeldmachen und Schienbein-Getrete.
So könnte verantwortungsvolle Politik u.a. aussehen.

Nein, sie riskiert lieber, dass es den Anschein hat, als würden die Spitäler im Budget 2021 schlechter finanziert als 2020. Aber das ging dann eh wieder in den Dementi unter.

Wohingegen so ein Terroranschlag ja sofortige Sichtbarkeit für alle generiert. Und wenn die Leute sich noch so sehr darüber aufregen – sie konnten es sehen, auf ihren Bildschirmen, inklusive exklusiver Blutlachen! Da besteht plötzlich keinerlei Zweifel mehr an Echtheit und Ernst des Geschehens. Wir kriegen doch heute jeden Scheiß als Video direkt in unser Wohnzimmer geliefert, von so mancher Nachrichtensendungen sogar unangekündigt, sodass man es nichtmal schnell genug abschalten kann, auch wenn man sowas erfahrungsgemäß in seiner Seele wochenlang nicht mehr loswird.

Die Berichterstattung erspart uns selbst die Aufmärsche der Schwurbler und Verleugner nicht, die mit dem Pochen auf ihre FrEiHeiT ganz zufällig die Freiheit anderer mit Füßen treten, die freiwilligen Einschränkungen und Bemühungen vieler zunichte machen, die sich und andere nicht anstecken wollen.

Wo also bleiben die Videos aus den Intensivstationen? Vom verschwitzten Personal in Schutzanzügen, von den Erkrankten an Beatmungsgeräten, ohne Besucher, ohne Bewusstsein, ohne Wahl und ohne Lobby? Der verblödete Teil der Menschheit glaubt doch nur, was er sieht – und davon auch nur das, was er nicht zugunsten einer alternativen Wirklichkeit verleugnet.

Wer überleben will, sollte die Wahrheit kennen.

Man darf jedenfalls gespannt bleiben, wieviel die ultimativ zynische Parole unter den Sorglosen in ein paar Wochen noch wert sein wird.
Sie beginnt mit “Uga!” und endet auf: “Ich bin eh Privatpatient.”