Ein Blick auf ein Ungetüm von Wortkombination. Mit hochgezogener Braue.
Es geht um die unsägliche “flexible Solidarität”, die euer Kanzler im September wieder bemüht hat, um die Forderungen nach Aufnahme von geflüchteten Kindern in Wien zu zerstreuen.
Stellen wir uns eine hilfsbedürftige Gruppe von Menschen vor.
Worauf wollen diese Menschen sich verlassen, wenn es um Hilfe geht?
Dass sie “vielleicht” kommt? “Flexibel” über ihr Erscheinen entscheidet? Daher “eventuell auch nie” kommt?
Nein. Sie brauchen Verbündete. Bei “Verbündete” muss man nicht ergänzen, dass es sich um zuverlässige Verbündete handeln sollte.
Genausowenig muss man bei Solidarität etwas dazusagen. Solidarität ist, oder sie ist nicht.
“Flexibel” ist ein Unwort aus dem individuellen Konkurrenz-Kapitalismus. Wohlbekannt aus Inserat und Anforderungsprofil: Die idealen Einzelkämpfer-Angestellten in ein Adjektiv gegossen – jederzeit bereit, ihr Familienleben, ihren Wohnort, ihre Gesundheit und alle privaten Pläne zu opfern, um den Anforderungen der FiRmA stets und sofortigstens nachzukommen.
Das “Flexibel”, das da verlangt wird, ist ein sehr einseitiges.
Diese Einseitigkeit von “flexibel” betrifft die Regierung freilich nicht, wenn sie selbst auf Seiten der potentiell Leistenden steht. Neheiin, dann bedeutet es: “Nur so, wie wir können” – und wollen, natürlich. “Flexibel” hat also eine Kehrseite, deren Biegsamkeit sich mehr auf die eigenen Vorteile und Launen bezieht als auf irgendwelche Anforderungen von außerhalb.
Was die Phrase außerdem unter den Tisch fallen lässt:
Es geht dabei freilich auch nicht um Solidarität mit geflüchteten Menschen. Sondern um die Zusammenarbeit der EU-Länder. Gemeint ist das asylpolitische Konzept, zu dem jedes Land je nach Möglichkeit etwas anderes beiträgt: Arbeitsplätze; Geld; Fachkräfte; UNHCR-Unterstützung.
Oder publikumswirksame Fotos von Ministern nebst Hilfslieferungen in Flugzeugen, die dann leer zurückfliegen – bis auf den Minister.
Das mag “flexibel” sein – für einen selbst. Solidarisch ist es nicht. Es versetzt einen aber in die bequeme Lage, bei jeder neuen Aufnahme-Notwendigkeit sagen zu können:
“Nönö, wir nicht! Aber der Nachbar (vielleicht (oder auch nicht (mir egal))).” … “Wir sind da nämlich flexibel in unserer Solidarität.”
Man könnte auch sagen: sich abputzen. Aber Hauptsache, es klingt gut, wenn man es im Zusammenhang mit Geflüchteten einstreut, deren Lager gerade abgebrannt ist.
Das gesuchte Adjektiv heißt also richtigerweise: “unzuverlässig”.
Solidarität auf unzuverlässigem Niveau ist keine. So eine Worthülse in einer Diskussion über die Unterbringung von Kindern in Wien – das ist verbaler Glanzanstrich auf einem selbstverliebten Wahnsystem. Gespickt mit einem Adjektiv, das die Solidarität für sich kapern und von innen her aufweichen, abwerten und umdeuten will. Der Verlust von Werten passiert so vor aller Augen.
Man schmückt sich nicht mit einem Wort, während man insgeheim das genaue Gegenteil davon meint und vertritt – und schon gar nicht mit gleich zwei davon. Das ist unredlich, und moralisch in diesem Zusammenhang sowieso unter aller Sau. Was Geflüchtetenpolitik angeht, gibt es kaum was Unflexibleres und Unsolidarischeres als die Regierung Kurz.
Was nicht neu ist, genausowenig wie die Phrase seit Jahren ihr Unwesen als Irreführung treibt. Dennoch ist sie eine sprachliche Grenzüberschreitung, ein verlogener Tarnbegriff für “Solang’s mir grad nicht in meinen Kram passt, bist du mir scheißegal”. Aber mit einem falschen Lächeln garniert.
Wenn also Egoismus und Klassendünkel die Strategie der Wahl ist, dann doch bitte auch so kommunizieren – statt mit einem Begriff, der rein zufällig das genaue Gegenteil der eigenen Gesinnung bedeutet und auch weiterhin bedeuten soll.
Passender wäre: Mit einer Phrase arbeiten, die ehrlich und eingängig ist.
ZB:
“Wir scheißen auf geflüchtete Kinder.”
Da kennt man sich aus.