Von Entschuldigungen in echten und weniger echten Varianten
~ E N T S C H U L D I G U N G
Niemand ist davor gefeit, Dinge zu sagen oder zu tun, die aus einem Affekt entstehen und einem anderen Menschen weh tun. Wir sind nicht perfekt, niemand von uns ist das. Aber wir sind in der Lage, unser Verhalten zu überdenken und dabei zu dem Schluss zu kommen, dass es nicht in Ordnung war. Wir fühlen uns dann schuldig und schämen uns.
Entschuldigungen von der echten Sorte erfordern also vorangegangene Reflektion des eigenen Fehlverhaltens, und sie erfordern Respekt vor dem Menschen, dem man unrecht getan hat. (Natürlich entschuldigt man sich auch manchmal, ohne etwas falsch gemacht zu haben, aber darum geht es hier nicht.)
Wenn wir uns für unser Fehlverhalten bei jemandem entschuldigen, erbitten wir damit etwas von ihm, das nicht so leicht zu geben ist, und dafür hat er eine auf allen Ebenen respektvolle Bitte verdient: in Tonfall, Formulierung, Mimik und Gestik.
“Bitte verzeih mir, ich war zornig, ich habs nicht so gemeint.”
“Ich war ein gedankenloser Idiot, es tut mir leid.”
“Bitte entschuldige, ich hab mich da dir gegenüber nicht fair/korrekt/überlegt/verständnisvoll verhalten.”
Eine solche Entschuldigung zeigt die Reflektion des eigenen Verhaltens an. Sie tut dem Gegenüber gut, weil es damit die Fairness wenigstens nachträglich zugesprochen bekommt, die ihm in der vergangenen Situation vorenthalten wurde.
In einer ehrlichen Entschuldigung liegt aber auch ein Versprechen verborgen:
“Ich habe nachgedacht und mein Verhalten für falsch befunden.”
Daraus folgt für gewöhnlich das Bemühen zur Veränderung. Die Entschuldigung ist damit auch eine Verpflichtung für die Zukunft.
Wir geben mit einer Entschuldigung also zu, dass wir etwas falsch gemacht haben. Unser Gegenüber soll uns glauben, dass wir es respektieren und dass es uns leid tut. Wir wollen damit erreichen, dass es uns wieder wohlgesonnen(er) ist, dass es uns nichts nachträgt und uns künftig wieder vertraut.
Dabei müssen wir uns vorübergehend völlig dem guten Willen des Gegenübers ausliefern. Es kann die Entschuldigung für verletzendes Verhalten annehmen oder auch nicht, und das aus einer Abwägung des Verhaltens selbst, der Art der Entschuldigung und ihrer Angemessenheit – aus unterschiedlichen Gründen also, die es nach der Entschuldigung allein zu bewerten und verantworten hat. Im Extremfall entscheidet das um Vergebung gebetene Gegenüber darüber, ob ein Kontakt aufrechterhalten oder abgebrochen wird.
Während dieser Zeit hängen wir emotional in der Luft wie ein Akrobat ohne Netz. Und das ist auch so gedacht. Der Akt des Entschuldigens ist das Quid zum Quo. Deshalb werden wir in unserer Kindheit wohl dazu angehalten, dieses Entschuldigen bei anderen zu üben – damit wir lernen, diesen Akt und die damit einhergehenden Gefühle auszuhalten.
Möchten wir mit der Entschuldigung all das Erhoffte erreichen, dann müssen wir dafür fairerweise auch eine echte Entschuldigung liefern.
~ V E R G E B U N G
Wahre Vergebung ist ein Akt der Gnade am anderen und an sich selbst. Jemandem zu vergeben bedeutet nämlich auch, sich selbst von einer Last zu befreien, denn der Schmerz über ein erfahrenes Unrecht zerfrisst niemanden innerlich so sehr wie den ungerecht Behandelten selbst.
Dennoch ist Vergebung nicht etwas, das man im Multipack vom Diskonter ständig mitführt, auf Anfrage aus der Tasche zieht und dem anderen auf Zuruf übergibt. Vergebung ist oft eher ein Prozess und wird wohl von den wenigsten Menschen in einem einzigen Moment der Übergabe verwirklicht.
Die Motivation für diesen Prozess wird aber durch eine ehrliche Entschuldigung immens befeuert – von der Einsicht des Gegenübers und der Aussicht darauf, dass es das unrechte Verhalten nicht mehr zeigen wird. Und nicht zuletzt auch davon, dass der Entschuldigende sich bereiterklärt hat, sich uns zur Wiedergutmachung vorübergehend emotional auszuliefern.
Wenn uns vergeben wird, profitieren wir ebenfalls. Wir erhalten einen neuen Vertrauensvorschuss – Vertrauen auf uns als Mensch, die Chance dazu, den verzeihenden Menschen weiterhin in unserem Leben behalten zu dürfen. Und die Chance, das ungerechte, nun vergebene Verhalten in Zukunft zu vermeiden, uns zu bessern. Wir wollen nicht für schlechte Menschen gehalten werden, also geht mit der Vergebung idealerweise die Befreiung von einer charakterlichen Schublade einher, in die wir uns mit unserem Verhalten gebracht haben. Wir bekommen eine neue Chance, den anderen gut zu behandeln. Die Vergebung ist das Quo zum Quid.
~ N O P O L O G Y
Entschuldigungen so zu formulieren, dass sie eigentlich keine Entschuldigungen mehr sind, ist offenbar so verbreitet, dass sich dafür mittlerweile ein eigener, recht treffender Begriff etabliert hat: Nopology.
Eine Nopology ist der Versuch, den sozialen Gepflogenheiten scheinbar zu entsprechen, ohne sich dabei auf die ungesicherte Luftakrobatik der Emotionen einlassen zu müssen, die eine Bitte um Vergebung mit sich bringt. Das lässt eine Entschuldigung zur reinen sozialen Pflichterfüllung verkommen. Und es geht auf Kosten aller Beteiligten.
Ein in genervtem Tonfall und mit Augenrollen hingeworfenes “Jaaa, es tut mir eeeeh leid”, wie man es etwa von einem Teenager haben könnte, ist keine besonders wertvolle Entschuldigung. Und genau so ist es eben auch, wenn die Wortwahl nicht zum Rest passt – das Gesamtbild ist dann nicht stimmig.
“Ich entschuldige mich” geht schonmal nicht. Man kann sich gar nicht selbst ent-schuldigen. Das ist keine Bitte, es ist eine leere Floskel der Selbsterhöhung.
“Tut mir leid, dass du das so siehst/erlebst/empfindest” ist auch keine. Es transportiert nicht, dass hier jemandem sein Verhalten leid tun würde, sondern verschiebt semantisch die Quelle des Problems weg vom unrechten Verhalten und hin zur Reaktion darauf.
Eigentlich sagen solche Formulierungen also nicht: Tut mir leid. Sondern: Selber schuld. Dazu wäre die ehrlichere Formulierung allerdings:
“Schade, dass du so reagierst. Ich sehe das anders. Du empfindest das wohl ausgeprägter als ich. Deine Reaktion ist übertrieben. Liegt nicht an mir. Ist nicht mein Problem.”
Nur ist das dann eine völlig andere Aussage und hat mit einer Entschuldigung nichts mehr zu tun.
Mit einer Nopology wird nicht nur versucht, dem Gegenüber auf unfaire Weise seine umfassende Vergebung von Fehlverhalten aus den Rippen zu leiern, mitunter wird ihm zusätzlich die Schuld an der Situation untergejubelt und/oder seine Reaktion auf das Verhalten als unangemessen dargestellt. Nach Adam Riese macht das an dieser Stelle: Ungerecht mal drei.
Und das bleibt eben nicht unbemerkt. Es mag auch sein, dass solche Ausweichmanöver-Formulierungen bei vielen Menschen tatsächlich noch funktionieren; vielleicht haben sie nur ein vages Gefühl, das sie nicht spontan benennen können, außer mit einem Urghs! Vielleicht geben sie sich aber auch wirklich damit zufrieden.
Natürlich ist es auch denkbar, dass eine Entschuldigung mit den richtigen Worten daherkommt und dennoch nicht ehrlich gemeint ist. Das ist dann eine wirklich traurige Sache. Dennoch, aus einer Entschuldigung, die schon ihrer Wortwahl wegen hinkt, weil sie nicht echt und umfassend klingt – wie sollte man daraus ein Ehrlich-Gemeint ableiten? Man müsste darauf bereits jenen guten Willen verwenden, den man eigentlich für die Vergebung braucht.
~ R E S Ü M E E
Wenn wir uns bei jemandem entschuldigen, erwarten wir auch was:
Der Groll im Gegenüber soll nachlassen, und damit auch Scham und Schuld in uns selbst. Vorwürfe sollen eingestellt werden. Ein Vertrauensvorschuss soll gegeben werden.
Und das ist eben nicht gratis: Es ist ein temporäres Machtgefälle, dem wir uns mit einer Entschuldigung ausliefern. Umgehen wir diesen Prozess der Genugtuung, dann sind die erhofften Ergebnisse nicht redlich verdient, sondern erschwindelt.
Bei einer Nopology werden einige oder alle Komponenten einer Entschuldigung vermieden oder weggelassen:
“Das heißt nicht, dass ich dich respektieren würde.”
“Ich hab dich um nix gebeten.”
“Ich hab mich dir nicht ausgeliefert.”
“Ich hab dir nix für die Zukunft versprochen.”
Eine oder mehrere Komponenten könnten dann aber auch der Vergebung fehlen, und der Nopologist, wäre er fair, müsste sich darauf einstellen, verzichten zu müssen: auf den schwindenden Groll, die neue Chance, die fallengelassenen Vorwürfe, den Vertrauensvorschuss, den weiteren Kontakt – oder auf alle.
Dennoch will der Nopologist vermutlich die bestellte Lieferung auch abholen:
“Ich hab mich eh entschuldigt, damit muss es aber gut sein. Meine Verfehlungen dürfen mir nun weder weiterhin vorgehalten werden, noch dürfen sie als Basis für die weitere Einschätzung meiner Person dienen. Ich will damit in Ruhe gelassen werden. Es liegt nur an dir, wenn du nicht vergeben kannst.”
Und hier ist es wieder:
“Ist nicht (mehr) mein Problem.”
Es ist also mit keiner weiteren Wiedergutmachung zu rechnen, im Gegenteil, es wird immer noch das volle Multipack erwartet. Das ist für das Nachspiel zu eigenem Fehlverhalten schon ziemlich dreist.
Die Nopology kostet den Empfänger was, wenn er wie geheißen sein Quo geben soll, trotz mangelhaftem oder fehlendem Quid. Und das fühlt sich scheiße an. Im Extremfall ist er auch noch mit einem neuen Gegenvorwurf konfrontiert. Es findet weder die Entschuldigung noch die Vergebung statt – eine lose-lose-Situation. Vielleicht ist dem äußeren Schein Genüge getan – aber den äußeren Schein kümmert das am Ende auch nur wenig.
~ N Ä H K Ä S T C H E N
Nun hatte ich letztens in meinem Privatleben das zweifelhafte Vergnügen, eine Entschuldigung zu beanstanden, an der ich mich schon öfter gestoßen hatte, und zwar: “Ich kann mich nur entschuldigen”. Ich fragte nach: “Ja? Kannst du?” und erklärte dann nach kurzer Pause, wie sich das für mich anfühlt, welche Entschuldigungen für mich echt klingen würden und welche nicht. Die Reaktion auf meine Beanstandung der gefühlten Unredlichkeit war: Sie werde als “übergriffig” empfunden.
Wenn Vergebung von mir erbeten wird, ist es das Mindeste, eine Entschuldigung zu erhalten, die bei mir auch als solche ankommt. Das ist eine legitime Erwartung, denn letztlich soll ich wie gebeten meine Vergebung dafür zubilligen – mit allen Komponenten, die dazugehören.
Eine Kritik an einer Nopology bleibt eine Kritik, und niemand mag Kritik. Dass sich das “übergriffig” anfühlen kann, bezweifle ich nicht. Aber mit dieser Vorhaltung verschiebt der Kritisierte erst wieder die Verantwortung in meine Richtung, dorthin, wo schon vorher eine Entschuldigung angebracht war. Die unfaire Behandlung geht damit einfach immer weiter.
Ich könnte natürlich statt der Kritik auch sagen: “Entschuldigung angenommen, ich vergebe dir”, es aber gar nicht so empfinden und weiter meinen Groll und meine Ressentiments hegen. Oder die Entschuldigung einfach ohne weitere Nennung von Gründen ablehnen und den Kontakt abbrechen.
Offener ist der Ausgang, wenn die Entschuldigung hinterfragt wird, weil eine ihrer Komponenten fehlt oder unehrlich wirkt, und ich daher (noch) nichts mit ihr anfangen kann. Dann ist es mein gutes Recht, das auch zu sagen – das ist Teil der emotionalen Luftnummer, die es auszuhalten gilt. In diesen Prozess dann auch noch wertend einzudringen, das ist übergriffig. Klick-klick, macht da der Adam-Riese-Counter.
~ C O N C L U S I O
Wenn einem eine Nopology ab und zu unterkommt, wo es um Kleinigkeiten geht, dann überlebt man das. Hat die unredliche Entschuldigung allerdings System und wird immer wieder angewendet, wird sich die:der Verletzte zu oft um die Genugtuung und die Trostpflaster auf das vorangegangene Unrecht gebracht fühlen. Das tut ihr:ihm noch zusätzlich weh, statt die erhoffte Erleichterung zu bringen. Es wird sich letztlich der Verdacht aufdrängen, dass da auf der anderen Seite gar keine Bereitschaft ist, über das eigene Verhalten nachzudenken, es verantwortungsvoll einer objektiven Betrachtung zu unterziehen und sich schließlich darin zu verbessern. Sondern vielmehr, dass die Unfairness hier System hat, und die Nopology darin eine strategische Aufgabe erfüllt.
Eine Bitte um Entschuldigung ist also, analog zur Vergebung, ebenso ein Akt der Gnade am anderen und an sich selbst. Der Versuch, sich Vergebung zu erschleichen, bleibt unredlich. Entsprechend wenig echt und umfassend wird dann auch die Vergebung sein. Der Versuch, sich selbst reinzuwaschen, schlägt fehl. Damit wäre eine Nopology Betrug am anderen und an sich selbst.