Unlängst fahr ich auf der neuen Verlängerung der Wiener Nordbrücke Richtung Shuttleworthstraße, da seh ich doch glatt die Rückseite des früheren KGM mitsamt dem alten, schon etwas zerbröckelten Fassadendesign:
KGM war eine riesige Depandance jener früheren, genossenschaftlich organisierten Supermarktkette Konsum, die Mitte der 90er mit fliegenden Fahnen das Insolvente segnete.
KGM, das hieß Konsumgroßmarkt.
Das wusste ich als Kind freilich nicht. Für mich war es einfach das Kaagee-Emm, ein Paradies der Köstlichkeiten, das wir samstags in holder familiärer Eintracht zu besuchen pflegten, Papa, Mama, mein Bruder und ich. Wir wohnten etwas außerhalb der Stadt (das ist untertrieben, damals war es der AdW, eigentlich ist es erst jetzt „etwas außerhalb“), also wurde für die Woche(n?) im Vorhinein eingekauft.
Die Halle war riesig, mir schien sie zwanzig – ach was, hundert Meter hoch zu sein! Die Einkaufswagen waren ebenso wuchtig, die Kindersitze darin damals schon orange und wahnsinnig unbequem, aber mit den kurzen Beinchen selbst zu gehen wäre keine echte Alternative gewesen – es war ein kilometerlanger Gewaltmarsch! Die vielen verschiedenen Abteilungen waren in gleißendes Neonlicht getaucht, auch wenn es draußen winterlich dunkel war, und in jeder roch es etwas anders, beim Eingang aber meist nach nassem Hund.
Wenn wir im KGM waren, gingen wir immer in die Parfumerieabteilung mit dem erschlagenden Duft. Wir besuchten dort eine sehr blonde Frau namens Bogner, die mit meiner Mutter persönlich bekannt war und in dieser Abteilung arbeitete. Frau Bogner sprach mit leicht slawischem Akzent. Sie war immer sehr nett zu mir, und ich mochte sie, wenn sie mir auch wahnsinnig alt und faltig vorkam. Wahrscheinlich war sie so alt wie ich es heute bin, oder sogar jünger. Ich kannte sie und freute mich auf sie, und ich lief auch noch zu ihr hin, als meine Mutter sich aus irgendeinem Grund – ein Zwist unter Erwachsenen? – lieber vor ihr versteckt hätte.
Manchmal kaufte meine Mutter Marshmallows in dreieckigen Plastiksäckchen, an denen wir uns gleich nach dem Bezahlen gütlich taten. Das Essen von Marshmallows war offenbar reine Frauensache, mein Bruder aß lieber türkischen Honig.
An anderen Samstagen kaufte Mama uns in der dortigen Konditorei ‚Indianer mit Schlag‘, ein festes, mit Schokolade überzogenes Biskuit in zwei Teilen, die rund wie die UFOs von oben und unten den mittig plazierten Riesenhaufen Schlagsahne bezwingen. Ebenfalls Frauensache – die Männer verputzten derweil süße Cremeschnitten oder etwas mit Rosinen (=Männersache). Apfelstrudel zum Beispiel.
Danach machten wir gelegentlich noch merkwürdige Fotos im dortigen Fotoautomaten, die mir schon im Neuzustand ausgebleicht vorkommen, wenn ich mich heute daran erinnere.
In der Mitte des Marktes jedoch, da gab es ein Selbstbedienungsrestaurant. Es war ein quadratischer Kobel, der von einer sehr merkwürdigen Zwischendeckenkonstruktion aus senkrechten, hohlen Zylindern aus dunklem Holz überspannt war. Diese sollte dem Besucher wohl jenes Gefühl ersparen, das sich mit dem Gegenteil von ‚vorhandener Bodenlosigkeit‘ beschreiben ließe. Auch die Tische waren quadratisch und aus dunkel lackiertem Holz, sie standen auf einem 70er-typisch gemusterten Fliesenboden. Vor dem Restaurant parkten unsere Eltern die beiden Einkaufswagen, und wir kehrten dort ein, wenn wir vom Einkaufen müde und hungrig geworden waren.
Die luxuriöse Sensation daran: Jeder kriegte etwas anderes zu essen! Dort gab es Gulasch, es gab Germknödel, Schnitzel mit Pommes frittes, Grillhendl, Palatschinken – die Auswahl schien mir endlos. Schlussendlich aßen wir alles durcheinander, was wir auf dunkelbraunen Tabletts zum Tisch gekarrt hatten, Palatschinkengulasch, Grillhendlschnitzel.
Und so kommt es – welch erfolgreiche Konditionierung – dass ich mir heute noch insgeheim Pommes mit Ketchup als Beilage wünsche, immer, wenn ich Germknödel esse.