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Das “System”

Schulmediziner ärgern sich gerne über Homöopathen, über alternative Heiler und erst recht über sogenannte Wunderheiler, über alles, was nicht über jeden Zweifel erhaben ist, wissenschaftlich fundiert und von zig Studien untermauert. Ich denke, tatsächlich ärgern sie sich über den Erfolg dieser Methoden, denn wären sie nicht erfolgreich, dann wären sie auch gar nicht in das entsprechende Blickfeld gerückt. Manche ärgern sich gewiss auch über sich selbst, und dass sie nicht mehr in der Lage sind, das nötige Mitgefühl aufzubringen – weil so viele kommen, und die meisten davon sich einfach reparieren lassen wollen. Viele Patienten sind in der Tat nicht bereit, die volle Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Manche schicken gar ihre Sekretärin für sich zum Arzt und lassen sie dort die Symptome schildern.

Man darf aber auch nicht vergessen, dass es das schulmedizinische System selbst war, das über Jahrhunderte den Weg für dieses Nichtverantwortlichsein des Patienten gepflastert hat; lange Zeit selber im Duktus eines ammenmärchenartigen Halbwissens, das hinter Selbstsicherheit verschanzt und von oben herab als Wahrheit verkauft wurde – in einer Zeit, als die Menschen davon noch zu beeindrucken und einzuschüchtern waren. Ich Arzt, du kusch. Du liegst, ich stehe. Du sitzt vor dem Wall meines Schreibtisches, ich bin dahinter verschanzt. – Und heute: Du hast da was gelesen? Na, das ist ja sehr niedlich.

Es ist fast müßig zu erwähnen, ich tu’s aber trotzdem: Ich meine hier nicht alle Ärzte, und ich meine nicht alle Patienten. Wenn man sich nicht wiedererkennt, gibt es auch keinen Grund, sich zu ärgern. Bitte in diesem Fall einfach weitergehen, es gibt hier nichts zu sehen.

Ich schrieb drüben bei Frau serotonic, dass verantwortungslose medizinische Mitarbeiter einem verachtende Sätze ins perplexe Gedächtnis brennen, und ich meinte es so. Manche davon vergisst man nie, wie sehr man sich auch bemüht, sie im geistigen Scheißhaus runterzuspülen, sie bleiben in genauem Wortlaut mitsamt dem süffisanten, sarkastischen oder ehrlich bösartigen Tonfall erhalten.
“Wenn Sie eine Diagnose wollen, dann sind Sie hier falsch.” – “Das Brustbein kann einem nicht wehtun.” – “Ich bin hier der Arzt, ich weiß das ein bissl besser.” – “Was Sie das Gefühl haben, is wurscht!” – “Na, ich glaub ja nicht, dass wir da mit Ihnen was zsammbringen.”
Und sowas hält sich für einen Heiler? Ernsthaft? Diese Vorstellung erzeugt heute in mir einen gewissen Lachreiz.

Die Kassenmedizin ist im Großen und Ganzen eine kaltschnäuzige Abfertigungsmaschinerie. Der Patient erzählt dem Arzt bestenfalls die Hälfte, weil für die zweite Hälfte keine Zeit bleibt und nicht die nötige Vertrauensbasis vorhanden ist – oft lügt er sich aber auch selbst in die Tasche, das muss man einräumen. Vertraue niemandem, nichtmal dir selbst!
Daheim tun der Patient dann erst wieder, was er will, er raucht weiterhin, gönnt sich nicht die nötige Ruhe und nimmt seine Antibiotika nicht bis zum Ende ein. Weil er doof ist? Nun, das ist natürlich eine mögliche Erklärung, eine weitere aber ist, dass er kein Vertrauen hat und keine Lust, dem Arzt einen Gefallen zu tun(!), dass er keinerlei Selbstverantwortung hat, dass er selbst machtlos ist, seine Aufgabe auf dem Heilungsweg gar nicht kennt und sich insgesamt wie ein Nebenschauplatz vorkommt, fernab von der Elite in diesem System.

Und derjenige, der in einer geistigen Abwehrhaltung stets ängstlich und mit oberster Priorität darauf konzentriert ist, seine elitäre Stellung zu behalten, hat für das Wesentliche ebenfalls keinen Blick. Es gibt einen Unterschied zwischen Zusammenarbeit und Diktat, einer davon ist die Menge an offener Kommunikation. Der klassisch elitäre Arzt beraubt sich selbst der Hinweise, die ihm die richtige Diagnose und Behandlung vereinfachen oder, im Extremfall, überhaupt erst ermöglichen würden. Es ist ein Kampf innerhalb eigener Beschränkungen, für den man eigentlich nichtmal einen Kontrahenten braucht.

Der Patient jedoch hat dem Arzt eines voraus: Er steckt in diesem Körper drin, der aus dem Gleichgewicht geraten ist. Er hat Empfindungen und Erkenntnisse, die für Diagnose und Heilung relevant sind. Er hat den Willen zur Genesung, oder er hat ihn nicht. Und er hat eine Seele da drin, die auf ihre Umwelt reagiert. Heilung ist ein sehr persönlicher Vorgang, alle Kanäle sollten dafür weit offen sein, und da sind Erwartungen, Hoffnungen und Ängste, auf die in der Regel keine Rücksicht genommen wird. Also ist der Patient gekränkt, seiner Hoffnung beraubt, und zieht seine Seelenfühler mit der Zeit ein; das körperliche Problem wird dann, wenn es an einer Stelle methodisch zurückgedrängt wurde, an anderer Stelle zuverlässig wieder auftauchen.

Faktoren wie Mitgefühl, Aufmerksamkeit, Zuversicht und Humor beeinflussen eine Heilung wesentlich, ob das den Methodengläubigen nun passt oder nicht. Diese Faktoren sind es, die für den Erfolg der alternativen Heiler sorgen; und das Gefühl, dass sich jemand wahrhaft für dich, den Kranken, interessiert, dir neue Wege aufzeigt, aber auch mitunter unbequeme Fragen, die du dir stellen solltest, und nicht nur körperbezogene Fragen – dass jemand dich also anleitet und begleitet, während er dich den Weg aber selbst gehen lässt.

Ein Umdenken und Umfühlen ist auf beiden Seiten des Schreibtisches dringend nötig. Die Schulmedizin hat zweifellos viel erreicht, aber auch viel kaputtgemacht. Wer gewisse Qualitäten nicht mitbringt, sollte Platz machen für eine neue Medizin. Es ist Zeit dafür.

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Update

Achtlos:

Verleser heute beim Studieren eines Süßwarenregals im Supermarkt: Feuchtkekse.
Dabei warens mit Frucht. Was so ein Buchstabe ausmacht!

Gedankenlos:

Die Hersteller so mancher Alltagsgegenstände. Heute: Ein Poolthermometer mit Comicfigürchen oben drauf, Temperaturbandbreite: +40° bis -30°. Gradeinteilung aber nur in Zweier-Schritten. Man braucht ja auch nicht mehr.

Anspruchslos:

Bei uns ist der Muttertag immer sehr stressfrei, wie schonmal berichtet. Keine stressigen Mittagessen in überfüllten Restaurants, keine überteuerten Blumenkäufe im letzten Moment. Heuer: Mutter ruft an, berichtet, sich ein Wunsch-Blümchen gekauft zu haben und findet, “Wenns wollz, könnz mir ja was draufgeben.”

Schamlos:

Wenn man mithilfe einer Suchmaschine auf Dateiensuche im Netz ist, hilft der Suchanfrage-Zusatz “intitle:”index of”.

Trostlos:

Bei den teils doch recht hirnweichen Brainstormern auf brainr las ich letztens, es hätten die meisten Leute regelmäßig Michael Jacksons Musik gehört, die “in den trostlosen 80ern aufgewachsen” seien. In mir beganns natürlich sofort zu hüpfen und zu kreischen “Die 80er waren nicht trostlos!” Heute früh ziehe ich ein grau-weißes Batikshirt an und bemerke, das hab ich in den angeblich so trostlosen 80ern in London gekauft. Da konnte man Kleidung kaufen, die 25 Jahre hält. Und wenn man etwas Actionreiches spielen wollte, musste man sich noch von seinem Arsch erheben. So trostlos war das.

Respektlos:

– “Ich hasse Österreicher. … Nein, ich hasse nur alles, was aus Österreich kommt.”
“Echt interessant. Was denn zum Beispiel?”
– “Öööhm, Christina Stürmer. H!tler. Jaa, das wars eigentlich schoon. … Ach, nee, ihr seid ja ok, aber warum müsst ihr so scheiße reden?”
Schaißöö? Isch als Östraicha? Ach neee, komm. Echt jetz? Ach Mennooo. Da kann isch nu würklisch nix mit anfannng.

Ehrlos:

Wer ist dreckiger – der, der nicht duscht, oder der, der’s ausplaudert?

Fraglos:

Mühe ist dafür da, um vermieden zu werden.

(Dank an Ceh, den stets großzügigen Wortspender.)

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La donna è mobile

Ein weniglich plagt mich das Rheuma derzeit, darum gibts hier derzeit auch nicht gar so viel Neues.

Aber vorgestern war es wieder soweit: Oper im Römersteinbruch St. Margareten. Rigoletto, die Lieblingsoper meiner Mutter! Da mussten wir natürlich hin.

Die Oper spielte hinter dem überdurchschnittlich großen, stets mittig platzierten Kopf einer blonden Frau, die zwei Reihen vor mir saß. Sie neigte ihn mit einer beeindruckenden Zuverlässigkeit stets vor jenen Teil der Bühne, wo gerade Rigoletto der Welt sein Leid klagte oder Gilda zuckersüß ihre Verliebtheit kundtat, sodass dafür gesorgt war, dass ich in Bewegung blieb.

Natürlich mach ich nur Spaß, so schlimm war’s nicht, im Gegenteil: Genau wie im Vorjahr bei La Traviata, war unser Familienweiber-Opernausflug auch heuer wieder ein wundervolles Erlebnis.

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Selbst wenn man nicht so sehr drauf steht, wenn Menschen unversehens in lauten Gesang ausbrechen, kann man sich dort durchaus hinwagen – das Opernpublikum ist von entspannter Natur, es gibt kaum Drängerei oder irgendwelche Rücksichtslosigkeiten, und die ganze Logistik (Einfahrt, Parken, Eingang, Ausfahrt, etc.) ist vom Veranstalter perfekt organisiert. Guten Wein gibts auch, außerdem phantastisches Ambiente unter freiem Himmel und ein grandioses Bühnenbild.

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Was man dort allerdings mitbraucht: Ein Sitzpölsterchen, denn die Stühle sind aus Metall; Anti-Mücken-Spray für die Attacke der Kampfgelsen bei Einbruch der Dunkelheit; außerdem sind eine warme Jacke und eine Decke auch kein Fehler. Und das Gen des frühen Vogels braucht man, denn die verfügbaren Karten sind mit schöner Zuverlässigkeit bereits im März auf ein paar Reste zusammengeschrumpft. Dafür sind sie auch nicht so teuer wie beispielsweise welche für ein Musical.

Beim Einsetzen des Schlussapplauses gibt es immer ein paar Deppen, denen es wichtiger ist, schnell und von den Massen unbehindert zu ihrem Auto zu kommen, als noch die Leistung der Künstler zu würdigen, sodass sie aufhüpfen und wegrennen, als wären sie Mephisto persönlich begegnet, was bei Rigoletto unwahrscheinlich ist. Darüber schaden-freuen sich all jene, die sitzen bleiben – die Ignoranten verpassen nämlich, völlig zu Recht, ein wunderbares Feuerwerk, synchron zur Musik und sehr symmetrisch. Ein Ausbund an Harmonie!

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Nächstes Jahr wird dort, unter Regie des Bühnenbildners und kreativen Kopfes Manfred Waba, die Zauberflöte aufgeführt. Pa–pa-pa!

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Kaskade

Musik! Da spielt jemand, gemeinsam mit uns! Er fügt sich ein, er schwingt mit, er reitet die gleiche Welle, wir sind eins. Ein Gefühl wie das perfekte Einrasten eines Bajonettverschlusses zwischen Kamera und Objektiv, potenziert. Plötzlich eine Basis, Teppich unter den Füßen. Eine satte Euphorie. Diese Freude über etwas Gemeinsames, und das schon, bevor wir wirklich gemeinsam Musik gemacht hätten! Bänd zwonull.

Wenn die Chemie wirklich stimmt, zwischen allen Beteiligten, ach, das könnte so schön werden! Die Freude will sich in mir ausbreiten, und gleichzeitig fürchte ich mich ein bisschen, weil ich schon einige Male aus dieser Höhe abgestürzt bin und weiß, dass das Leben nur selten besonders lange so schön ist, wie man sich’s vorstellt. Manchmal allerdings ist es noch schöner!

Glück entsteht, wenn Erwartungen übertroffen werden – und das wurden meine gestern in der Tat. Dieses Gefühl möchte ich festhalten, denn wer weiß, wie lange es dauert, wer weiß, wie schnell ich mich an diesen besonders feinen Basston gewöhne, diesen einen, der mir so schöne Empfindungen macht? Und wer weiß, ob ich die Freude morgen noch in angemessene Worte kleiden kann?

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ICH WEISS ES WIEDER!

Hurra! Es hat auch nur zehn Tage gedauert! Is doch gar nicht soo schlimm. =} Eigentlich nur neun, denn es fiel mir gestern schon ein. Oder vorgestern gar?

So gut wie jeder Mensch schiebt seine Sonnenbrille ab und zu auf den Kopf. Schiebt man sie auf Kopfhaare, die nur etwas länger sind als das durchschnittliche Nasenhaar, saugen die Nasenhalterlis diese Haare in sich ein und geben sie partout nicht mehr her! Der nächste akute Sonneneinfall führt dann zu akutem Haarausfall – und zu schmerzhaftem noch dazu! Das muss nicht sein! Es nervt und ist auch nicht hilfreich bei der Verhinderung der Geheimratseckenbildung. Und die sind bei mir genetisch bedingt sowieso schon sehr stark ausgeprägt, den kümmerlichen Rest, der dort noch wächst, würd ich gern behalten, wenn’s leicht geht. Ich will also Sonnenbrillen mit Nasenhalterungen, in denen sich die Haare nicht verfangen können!

Gibt’s schon, sagt mein Mann. Nicht auf einer von meinen Sonnenbrillen, sag ich.

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Gnadenlos

schlägt der Vergesser-Schweinehund in mir zu, seit ich das zweiteilige Kapitel über ihn veröffentlicht habe.

Ich stehe in der Küche rum und habe eine sensationelle Geschäftsidee, in Bezug auf irgendeinen Gebrauchsgegenstand, der so unfassbar inkompatibel mit dem menschlichen Körper ist, wie er nur sein kann, ohne dass mir das jemals zuvor aufgefallen wäre, obwohl es doch so offensichtlich ist! Ich sinniere darüber, dass die Angelegenheit so ähnlich liegt wie die Sache mit den kratzenden Schildchen in der Kleidung, aber noch viel krasser, und denke, zumindest könnte man doch darüber schreiben, wenn man schon nicht eine entsprechende Fabrik bauen lässt und sich mit der verbesserten Form einen goldenen Arsch verdient. All das weiß ich jetzt noch, und ich weiß auch, an welcher Stelle in der Küche ich genau gestanden bin, als ich diese Gedanken dachte. Aber fünf Minuten später kann ich mich trotz redlicher Anstrengung und sofort eingeleiteter liegender Meditation nicht mehr daran erinnern, worum es sich gehandelt haben könnte. Auch fünf Tage später hat mein Hirn auf die Suchanfrage noch keine Ergebnisse geliefert. Und ich fürchte mittlerweile, die werden auch nicht mehr kommen.

Ich sitze auf dem Klo, da fällt mir ein, was ich meinem Mann unbedingt noch erzählen will. Zwei Minuten später stürze ich mit weit aufgerissenen Augen auf ihn zu, ein “Du…!” ausrufend – und bleibe danach stumm, weil ich nicht mehr weiß, was ich ihm erzählen wollte.

Ich bin andauernd damit beschäftigt, irgendwelche Sachen zu suchen; die AAA-Akkus Marke “blaue Schirft auf weißem Grund”, an deren Namen ich im Moment nicht rankomme, von denen ich aber sicher bin, dass ich sie gekauft habe, und meine zwei spanischen Harry-Potter-Bücher, mit denen ich mich während meiner Verkühlung gern befasst hätte, hab ich bis jetzt nicht wiedergefunden. Aber egal – neue spanische Wörter hätte ich mir sowieso nicht gemerkt.

Ich lege mir Gegenstände mitten in den Weg, und lasse sie dann trotzdem liegen, sodass ich sogar mitunter auf halber Autostrecke nochmal umkehren muss. Ich stelle mir schon für jeden Scheiß eine Handy-Erinnerung – mit Text: ja, Textart: aufschlussreich; Tonsignal: ja, Erinnerungsmodus: laut und nervtötend – weil ich sonst vergesse, Freunde vom Bahnhof abzuholen, die Pflanzen zu gießen oder zu einer Bilanzbesprechung zu fahren.

Dennoch, oder gerade deshalb, habe ich das ständige Gefühl, mit einem Vakuumhirn unterwegs zu sein, das jederzeit implodieren könnte. Man könnte diesen Zustand für unbeschwert halten, aber besonders wohl fühl ich mich damit nicht. Drum ist auch hier nicht viel los, weil ich die meisten blogbaren Erkenntnisse, Ereignisse oder Wuchteln nicht behalten kann. Und drum ist die Wuchtel des Monats auch noch aus dem Vormonat. Ich erinnere mich durchaus, hin und wieder gelacht zu haben, aber nicht worüber.

Meine Mutter übrigens war auch ganz begeistert vom Vergesser-Kapitel und fand, dass ihre beste Freundin das unbedingt auch lesen müsste. Ob ich es ihr wohl ausdrucken kann. Ich frage, ob die Freundin denn keinen Internetanschluss hat, da meint sie, “Naja, ich hab sie danach schonmal gefragt – aber ich habs vergessen.”

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Im falschen Film

Ich finde die Welt jeden Tag ein bisschen schräger. Ich finde es irgendwie schräg, dass man beim Friseur zweieinhalb Stunden damit zubringen kann, das Gestrüpp auf seinem Kopf bearbeiten zu lassen, das man auch Haare nennt – ich würdige wohl die Menschen, die damit ihr Geld verdienen, aber einem Büschel Keratinfäden so viel Aufmerksamkeit zu schenken, ist definitiv sonderbar. Ich finde es schräg, dass man aus gekauften Sonnenblumensamen nie und nimmer auch nur einen einzigen Sonnenblumenkeimling rauskriegt, man aber nur über ein paar gefüllten Blumentöpfen eine geraume Zeit lang einen Meisenknödel hängen lassen muss, um ein paar Monate später gleich zwei Sonnenblumen wachsen zu sehen. Es ist unfassbar, dass ich zuweilen, wie etwa gestern, keine 200 Meter weit mit dem Auto fahren kann, ohne dass sich mir drei (3) lebensmüde Autofahrer, Radfahrer oder Fußgänger in den Weg werfen.

Ich finde es schräg, dass irgendein unbekannter Sack uns mehrmals in der Woche die Außenspiegel an unseren vorm Haus geparkten Autos zuklappt, ohne dass dafür irgendein ersichtlicher Grund vorläge. (Dagegen allerdings habe ich schon eine wie ich hoffe effektive Therapie ersonnen. Mehr dazu vielleicht demnächst.) Schräg ist auch, dass zu Beginn des Sommers schlagartig sämtliche Wochenenden mit privat-sozialen Happenings dermaßen zugepflastert sind, dass ich auf Fragen nach dem nächsten möglichen Termin für ein Treffen am Wochenende ‘Anfang September’ sagen muss.

Ich finde es schräg, dass ein Nachbarssohn, der die Gegend mit Techno Lautstärke 180 tyrannisiert und mit diesem Verhalten sogar schon seinen kleinen Bruder infiziert hat, außer mich niemanden zu stören scheint, obwohl gegen diese Übergriffe gegen den persönlichen Frieden nichtmal Oropax helfen, weil man das Gewummer noch über die Fußsohlen wahrnehmen kann, wogegen sich gewisse Leute über mollig geratene Mitmenschen echauffieren können, die die ungeschriebene Kleiderordnung nicht einhalten (“keine kurzen Röcke oder allzu enge Kleidung in Größen>36”), als wäre ihnen körperliches Leid zugefügt worden, obwohl ein simples Abwenden des Blickes sie von ihrem definitiv freiwilligen Martyrium befreien könnte, wenn sie denn tatsächlich glauben, dass sie einen derartigen Anblick nicht überleben. Oder sie könnten einfach mal selbst über ihren Schatten springen und all das anziehen, was sie schon immer tragen wollten, und sich nicht um die Pölsterchen scheren, die dabei vielleicht hier und dort zum Vorschein kommen, dann wären sie sicherlich auch nicht mehr ganz so empfindlich. (Meine Therapieempfehlung: CSD.)

Der Gipfel der Schräglage jedoch war in meiner Welt heute (Stand 9 Uhr, wer weiß, was noch alles kommt?) erreicht, als der DPD-Mann klingelte. Er stellt seinen Lkw in der Gasse vor unserem Tor ab, die bei uns nicht besonders breit ist, lädt drei schwere Pakete ab, und sofort beginnt hinter ihm einer zu hupen. Als sich kein Sekundenwunder am Horizont abzeichnet, springt der hupende Mensch aus seinem fetten schwarzen Auto und zuckt total aus, wie man hierzulande sagt. Er beginnt so laut zu schreien, dass die Nachbarn am Fenster und teilweise sogar vor ihren Haustüren erscheinen. “Foah jetz zuwe!!” (Fahr an den Rand!) “Foah zuwe, faule Sau!”“I hob jo mei Zeit net gstohln!” Der DPD-Fahrer sagt, es dauere nur noch eine Minute. Ich bestätige den Erhalt der Lieferung, trete einen Schritt vor das Gartentor und sehe dem Auszucker kopfschüttelnd beim Schreien und seiner Glatze beim rotblauen Farbenspiel zu. “Foah zuwe, foah jetz zuwe, du Oaschloch, i hob ka Zeit!” Dann höre ich “Guat, dann foah hoit i!” und erkenne fast gleichzeitig, dass der Lkw sich rückwärts auf mein geparktes Auto zubewegt, während sein Fahrer immer noch neben mir steht. Wir wechseln einen fassungslosen Blick. Mein naives Hirn glaubt als erstes, der Mann wäre wieder in sein Auto gestiegen und hätte dem Lkw von hinten einen Schubs gegeben. Dann erst sehe ich die Rückfahrscheinwerfer. Auf Drohgebärden des DPD-Fahrers hin kommt uns der Auszucker kurz darauf aus dem Führerhaus des Lkws entgegengeklettert, und die offenstehende Ladeklappe des Lkws nur knapp vor der Schnauze meines Autos zum Stillstand. Vorbeifahren kann der Spinner trotzdem nicht.

Man könnte argumentieren, dass Vorbeifahren für den Wahnsinnigen wahrscheinlich auch so möglich gewesen wäre, hätte er in den vergangenen Jahren ähnlich viel Energie in die Entwicklung eines Gefühls für die Breite seines Autos gesteckt wie in die Ausformung seiner cholerischen Ader. Ein Stück zurückschieben und die Parallelgasse nehmen: eine Minute Ersparnis bei der Zeit und 50 mmhg beim Blutdruck. So rechtzeitig wegfahren, dass einen drei Minuten Verzögerung nicht völlig aus der sicheren Bahn der psychischen Unauffälligkeit werfen: unbezahlbar. Man weiß ja nie, welche Art von Tragödien die Leute tatsächlich zu ihrem Verhalten bringt, aber ich kriege immer mehr das Gefühl, dass ich hier von gemeingefährlichen Psychopathen umgeben bin.

Die Gesamtdauer des ganzen Schauspiels betrug, großzügig geschätzt, drei Minuten. Mein Staunen aber hält noch stundenlang an.

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Alles muss raus!

Ein knackfrisches Werk aus der Etosha-Werkstatt steht zur Vergabe:

200906-sonne
Acryl, Airbrush-Alabaster-Relief und Spiegelmosaik auf runder Malplatte, ∅ 40cm
ஐ ஐ ஐ

Wem gefällt’s? Wer will’s haben? Wer bietet mehr? Eure Angebote müssen nicht zwingend finanzieller Natur sein, ich bin auch für andere originelle Vorschläge offen. Ich suche mir dann einfach das schönste Angebot aus. Das Ganze muss nicht öffentlich hier in den Kommentaren geschehen – meine Mailadresse steht im Menü rechts.

Ich habe mich darüber hinaus entschlossen, verschiedene Babys aus meiner Werkstatt liebevollen Pflegeeltern zu überlassen, zum Beispiel dieses:

200805 - DiscMan
Acryl, Airbrush-Alabaster-Relief und CD auf Malplatte, 20x20cm
ஐ ஐ ஐ

Alle Arbeiten sind mit viel Liebe und Zeitaufwand handgemacht. Was es alles gibt, steht auf dieser voll geheimen Seite, mit Foto, Beschreibung und Verfügbarkeit (GalleryWorkInProgress). Weitere Details zu bestimmten Arbeiten (Größe, etc) verrate ich gerne per Mail.