Vor einigen Wochen erhalte ich untertags einen Anruf, mitten in einer Arbeit, die Konzentration erfordert. Ein männlicher Mensch ist am Telefon und will mit mir eine Umfrage machen. Dass ich den Anruf überhaupt annehme, ist dem Umstand zu verdanken, dass er nicht mit unterdrückter Nummernkennung anruft. Unbekannte Anrufer bleiben bei mir unbekannt, die dürfen mir maximal die Mobilbox vollsäuseln. Ich sage ihm, ich hätte für sowas im Moment keine Zeit. Später aber fällt mir wieder ein, dass ich eine Nummer von diesem Menschen habe, und rufe ihn zurück.
Ich frage ihn, wie er heißt, woher er meine Telefonnummer hat, und von welcher Firma sein Anruf beauftragt wurde. Zu letzterer Frage nuschelt er irgendeine Dreibuchstabenkombination. Ich notiere sie, hake nach und frage ihn nach dem genauen Firmenwortlaut, und nach der Rechtsform. Rechtsform? Na, ob das eine GesmbH sei oder eine AG oder wie. Er ist ein bisschen hilflos und gibt schließlich widerwillig zu, dass er das nicht wisse, es sei aber ‘eine große Firma’, und gibt mir die Telefonnummer der Geschäftsführerin, die er kenne. Sie hieße Andrea.
Außerdem meint er, er mache viele solche Anrufe, und diese Fragen habe ihm bislang aber echt noch niemand gestellt, und dass er ja gar nichts dafürkönne und das alles ein bisschen unfair finde. Ich sage, dass ich es unfair finde, in meiner Arbeitszeit von Umfragern gestört zu werden, und komme mir ein bisschen wie im Kindergarten vor. “Solche Fragen können aber offensichtlich vorkommen, also sollten Sie darauf besser vorbereitet sein. Nichtmal Ihren Auftraggeber mit vollem Firmenwortlaut zu kennen, das macht nicht gerade einen seriösen Eindruck”, sage ich. Er verspricht, sich das zu merken. Irgendwie tut er mir ein bisschen leid.
Quid pro quo – dafür beantworte ich dann auch seine Fragen. Es geht um die Zufriedenheit in Sachen Versicherungen und Versicherungsbetreuung. Nach fünf Fragen ist alles erledigt, und er fragt, “Und, war das jetzt so schlimm?”
Ich rufe die Geschäftsführerin aber aus Zeitgründen nicht an, und nach einer kurzen, erfolglosen Internetrecherche bezüglich der Dreibuchstabenkombination und ein paar Tagen werfe ich den Zettel weg.
Ein paar Wochen später erhalte ich schon wieder einen Anruf während einer konzentrierten Arbeit. Ich bin offenbar stets hochkonzentriert. Eine Dame erklärt mir, ich hätte da ja vor einigen Wochen bei einer Umfrage mitgemacht, und die Ergebnisse diesr Umfrage seien so bedenklich für die Versicherungsgesellschaften, dass diese sich zu einer konzertierten Aktion entschlossen hätten, im Rahmen derer sie den Versicherungskunden auf Antrag gewisse Verwaltungsgebühren auf die Prämien erlassen würden. Zu diesem Behufe seien im Rahmen von Outsourcing einige Mitarbeiter unterwegs, um diese Verträge zu besehen und den Gebührennachlass zu beantragen.
Ich höre mir das alles an und frage sie, warum die Versicherungsgesellschaften, wenn sie mir einen Rabatt gewähren wollen, dies nicht einfach tun und mir stattdessen irgendeinen aus der Outsource schicken, einen Ausgequollenen quasi. Mit verschwörerischem Unterton erklärt sie in etwa, dass die sich’s natürlich auch einfacher und billiger machen wollen, indem sie diese Nachlässe nur jenen Kunden gewähren, die an der Umfrage teilgenommen haben und sich von Beratern diese Rabatte hereinholen lassen. Die Information, dass ich in der Umfrage meine volle Zufriedenheit mit meinen Betreuern zum Ausdruck gebracht habe, und dass meine Polizzen bereits vom Vermögensberater optimiert sind, lässt sie an sich abperlen. Wann ich denn für einen solchen Termin Zeit hätte. Vielleicht lasse sich ja trotzdem noch ‘etwas machen’.
Sonderbare Art, zu Maklerterminen zu kommen, denke ich, aber ich habe Feuer gefangen, und dieses Spiel will ich jetzt zu Ende spielen. Ich notiere ihre Telefonnummer und jene des Betreuers, der mich zu einem vereinbarten Termin besuchen kommen soll. Und dieser Termin war heute vormittag.
Zuvor erkundige ich mich natürlich, ob ich denn mit der Vermutung richtig liege, dass dieser Versicherungen-Verwaltungsgebühren-Blabla dem Land der Märchen entspringt. Unser Versicherungsbetreuer weiß davon nichts, und der Vermögensberater ist der Ansicht, da wollte einfach jemand über die Beauftragung eines Callcenters zu Neukunden-Terminen kommen. Kalte Akquise sei verboten, man dürfe nicht einfach irgendeine Privatperson zum Zwecke der Terminvereinbarung anrufen; eine Umfrage sei aber als Erstkontakt legitim und ein späterer Anruf in diesem Zusammenhang dann erlaubt.
Unser Vermögensberater hatte Termine bei uns. Er kennt mich schon und weiß, dass Unbequemsein mir Spaß bereitet. Daher äußert er schon im Vorhinein sein Mitgefühl mit dem Makler, freut sich aber auch mit mir auf meinen unterhaltsamen Vormittagstermin, und auf meinen späteren Bericht.
Der Versicherungsmakler, der hier aufkreuzt, ahnt nichts Böses. Er sagt, “Worum es geht, wissen Sie.” Ich sage, “Erklären Sie mal!” Er sagt seinen Standardsatz auf, der natürlich nichts mit Nachlässen von Verwaltungsgebühren zu tun hat, sondern ein ganz normaler Versicherungsagenten-Einstiegssatz ist. “Unverbindliches, kostenloses Polizzenservice, ich schaue alles durch, mache Ihnen Vorschläge, und Sie entscheiden dann, was Sie tun.”
Ich erzähle ihm daraufhin, wie dieser Termin zustandegekommen ist, vom Fritze ohne Firmenwortlaut-Ahnung und der Tante mit den konspirativen Verwaltungsgebühren. Ich tue in klaren Worten meinen Unmut darüber kund und meinen Unwillen, mich derart verscheißern zu lassen. Der Makler notiert sich alles und will mit dem nachgehen. Dass dies nicht dem vereinbarten Gesprächsleitfaden für das Callcenter entspreche, sei selbstverständlich. Ich lasse ihn wissen, dass er mir persönlich sympathisch ist, dass ich aber nur jemandem Einsicht in meine vertraulichen Versicherungsunterlagen gewähre, zu dem eine Vertrauensgrundlage besteht, welche ich nach einer solchen Anbahnungsmethode nicht sehe. Ebensowenig sehe ich auch eine Grundlage, auf der ich darauf vertrauen könnte, dass diese Anbahnung nicht dem ursprünglichen Auftrag an das Callcenter entsprochen haben soll. Und dass er daher bei mir “en Aufdraht’n” habe, also zu deutsch: keine Chance.
Es tut ihm leid, dem Makler, dass wir nicht ins Geschäft kommen, denn endlich wäre da mal jemand, der ein bisschen einen “Gegenpart” böte, und er wolle auch nur ungern lockerlassen, denn “Sie wären sicherlich ganz interessant zu bearbeiten gewesen”. Wir lachen beide über diese missglückte Formulierung. Quid pro quo: Er lässt mich lesen, was die terminvereinbarende Dame über mich vermerkt hat: “Ist freundlich, aber etwas anstrengend: hinterfragt alles 100x.” Ich lasse der Dame meine besten Grüße ausrichten, und dass ich persönlich es wesentlich anstrengender finde, mich am Telefon schamlos belügen zu lassen, als 100 schwere Fragen zu beantworten.
Etwas ähnlich Unseriöses ist mir seit langem nicht untergekommen. Nicht, dass ich überrascht gewesen wäre, einfach einen ordinären Versicherungsmaklertermin vereinbart zu haben. Ich wollte einfach jemanden persönlich hierhaben, dem ich auseinandersetzen kann, wie es auf Menschen wirken kann, wenn man ihnen am Telefon so unverschämt etwas vorlügt. Wenn ich davon auf die Art schließen darf, wie diese Maklerfirma ihre Geschäfte zu machen pflegt, kann ich auf eine Kooperation gut verzichten. Das schafft nicht den Hauch einer Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Und das wollte ich gesagt haben – persönlich, laut, und ohne, dass jemand einfach auflegt.
Das überaus Sonderbare an dieser Geschichte ist nun nicht die zweifelhafte Art und Weise, wie dieser Termin zustandekam oder die dummdreisten Methoden zum Anlandziehen von Terminen. Vielmehr ist es die Tatsache, die den Aussagen des Umfragemenschen und jenen des Maklers zu entnehmen waren: Dass ich die einzige unter hunderten, vielleicht sogar tausenden angerufenen Menschen bin, die nachfragt, wer spricht, die sich sowohl gemerkt hat, was am Telefon be- bzw. versprochen wurde, als auch den Vergleich zu dem anstellt, was dann beim Termin tatsächlich stattfindet – und die daraus auch noch ihre Schlüsse zieht.
Selbst wenn Kaltakquise erlaubt wäre und der Makler am Telefon ehrlich, würde er keinen Termin bekommen, sagt unser Vermögensberater. Weil die Leute belogen werden wollen? Nein, behaupte ich, weil sie es voraussetzen – vielleicht aufgrund von Erfahrungen, die den meinen ähneln – und daher einfach nein sagen.
Kein Wunder. Sowas kostet Zeit und Nerven. Aber ich bin jetzt um eine Erfahrung reicher – und der Herr Versicherungsmakler bestimmt auch.