Kommen wir nun zu den möglichen Strategien. Zur Erinnerung: Es geht hier darum, wie man mit Menschen aus dem engsten persönlichen Umfeld umgehen könnte, die einem VeMy anhängen. Nicht mit Verschwörungsgläubigen am Arbeitsplatz oder auf Social Media, die einem nicht so gut oder gar nicht persönlich bekannt sind.
Begriffshinweise
Ich bezeichne in dieser Serie der Kürze halber:
ஐ die Verschwörungs-Mythen als VeMy
ஐ das Verschwörungs-affine Familienmitglied oder Freund/Freundin als VaFoF-Person
ஐ deren Verwandte, Bekannte und Freunde als Angehörige
EINIGE GEDANKEN VORAB
Allzu ausführliche Empfehlungen habe ich für den Umgang mit VaFoF-Personen bislang nicht gehört oder gelesen. Es wird nur ab- und ausgegrenzt, so wie heutzutage üblich.
Die einen glauben fest, man würde ein sachliches Gespräch bekommen, wenn man nur selbst hübsch sachlich bleibt – was denen, die es schon versucht haben, sicherlich ein schiefes Grinsen entlocken wird.
Die anderen empfehlen sofortigen Kontaktabbruch und warnen obendrein vor der Gefahr der Ansteckung mit dem Verschwörungsvirus für selbst eher labile Geister.
Aus einer distanzierten Position heraus lässt sich ein Thema natürlich auch leichter abwinken und ein Mensch einfach abschreiben. Für Angehörige werden das aber unbefriedigende Antworten sein. Muss man wirklich akzeptieren, dass einem seine Liebsten von Verschwörungsmythen entrissen werden?
Grob betrachtet gibt es drei Möglichkeiten:
• Man akzeptiert den Menschen so, wie er (jetzt) ist.
• Man bricht den Kontakt ab.
• Man findet einen Kompromiss dazwischen.
Auch Menschen mit (anderen) psychischen Erkrankungen muss man akzeptieren, wenn man sie nicht verlieren will. Allerdings gibt es dazu auch Empfehlungen für den Umgang, je nach Art der Störung werden für Angehörige Selbsthilfegruppen und Verhaltenstipps angeboten. Und das macht es auch noch nicht super-easy, sondern nur nicht komplett unmöglich.
Für VeMy gibt es diese Tipps noch nicht. Es wird großflächig ignoriert, dass hier nicht nur die VaFoF-Personen selbst ein Problem haben, sondern auch deren Angehörige. Die VaFoF-Personen wohnen aber nicht abgeschottet auf einer Insel, sondern unter uns, sind jemandes Mutter, Onkel, Cousine oder Freund, und das bleibt auch weiterhin so.
Letztlich muss es also darum gehen, einen Umgang zu finden, der für beide Seiten aushaltbar ist, und der – wenn er ihr schon nicht helfen kann – die betroffene Person zumindest nicht alleinlässt. Solange die Person vereinbarungsfähig ist, wird man versuchen, individuelle Vereinbarungen zu treffen und auf deren Einhaltung zu pochen.
Aber auch für Angehörige darf dieser Umgang nicht über ihre Grenzen gehen. Und diese Grenzen sind leider schnell erreicht, weil die regelmäßige Zurückweisung und Abwertung, wie sie etwa bei psychischen Erkrankungen leider für Angehörige gratis mit dabei ist, in den Empfängern starke Affekte triggern kann – auf Deutsch gesagt: einfach sauweh tut.
Die 180-Grad-Alternative – den Kontakt zu einem Menschen, den man liebt, komplett aufzugeben – tut aber auch sauweh. Selbst wenn man vorher alles Menschenmögliche versucht hat, auch weit über seine Schmerzgrenzen hinaus, tut das Herz für lange Zeit weh. Also hat man im Grunde die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Das alles gilt auch dann, wenn eine erkrankte Person keine Krankheitseinsicht hat. Die Situation mit einer VaFoF-Person ist meiner Ansicht nach genau so zu betrachten. Dazu muss man die Person nicht pathologisieren, denn ob eine Erkrankung vorliegt oder nicht, ist letztlich irrelevant. Es wird kein Richter kommen und ein Urteil darüber sprechen, wer nun recht hat. Es geht darum, miteinander auszukommen, wenn man einen Menschen aus seinem engsten Umfeld nicht verlieren will.
Es gibt immer eine kleine Hoffnung. Bei einer psychisch erkrankten Person ist es immer möglich, dass in ihr ein Leidensdruck erreicht wird, der sie professionelle Hilfe suchen lässt.
Im Fall der VeMy ist es immer möglich, dass sich durch eine Beruhigung der globalen Situation auch die Psyche der VaFoF-Personen wieder stabilisiert und die VeMy in den Hintergrund treten, weil sie nicht mehr benötigt werden.
Oder dass die VeMy-Anführer sich selbst demontieren – wonach manche AnhängerInnen sich allerdings psychisch im freien Fall wiederfinden dürften. Auch dann wird vielleicht ein Leidensdruck erreicht, der eine Veränderung anstößt.
DIE ZWEISEITIGE MEDAILLE DER ANGEHÖRIGEN
Kopf: Die Vertrauensbasis, die ein Therapeut erst allmählich erarbeiten müsste, ist idealerweise bereits vorhanden.
Zahl: Angehörige sind emotional involviert, ihre Affekte werden daher auch viel leichter getriggert. Vulgo: auf der Palme oder den Tränen nahe in 1,8 Sekunden.
SICH AUF EIN GESPRÄCH VORBEREITEN
ஐ SICH AUF DEN GEDANKEN EINLASSEN…
…wie ungemein nützlich die persönliche Vorbereitung auf ein Gespräch ist.
Man stolpert nicht mehr blindlings in eine halbsachlich-emotionale Auseinandersetzung. Viele Aspekte vorab und in Ruhe durchdenken und möglichst auch aufschreiben hilft, die Gedanken und Gefühle zu sortieren und Ziele zu definieren.
ஐ WISSEN BERUHIGT
Es wird Geduld und Nerven erfordern.
Man muss auf emotionale Trigger vorbereitet sein. Welche Verletzungen gab es zwischen dir und der Person immer wieder? Wie fühlt sich Zurückweisung oder Aggression durch diese Person für dich an? Du könntest dich entschließen, diese Trigger im Gespräch (erstmal) möglichst an dir abprallen zu lassen, oder zumindest etwas bewusster darauf gefasst zu sein. Man kann auch mit Vorstellungskraft arbeiten – etwa sich unmittelbar vor dem Gespräch einen gedachten Schutzmantel anziehen, eine Panzerung anlegen oder eine Teflonschicht. Ein paar tiefe Atemzüge und eine gezielte Visualisierung unmittelbar vor dem Gespräch können sehr helfen.
Es mag auch eine Hilfe sein zu wissen, wie Projektion funktioniert und wie massiv sie bei den VeMy zum Einsatz kommt. Projektion erscheint uns oft absurd – dass Menschen in mir ausgerechnet das Schlechte zu erkennen meinen, das sie an sich selbst partout nicht sehen wollen. Man kann sich mit diesem Wissen dennoch etwas besser vor Augen halten, dass Projektionen das Ich des Gegenübers entlasten sollen, und dann die projektiven Attacken weniger persönlich nehmen.
Außerdem kann man sich bewusst machen: Der Glauben an den VeMy ist nicht das Problem, sondern der Lösungsversuch der Psyche. Genau wie Husten nicht die Krankheit ist, sondern der Versuch des Körpers, sich von Fremdkörpern zu befreien. Das hilft vielleicht ein wenig dabei, respektvoll zu bleiben.
ஐ ZIELWASSER
Was will ich erreichen? Welches Ergebnis erhoffe ich? Was will ich demzufolge überhaupt be-/verhandeln?
Es ist überaus wichtig, sich selbst diese Fragen vorab zu stellen. Nicht nur, um ein Ergebnis hinterher überhaupt beurteilen zu können – auch um eigene Erwartungen zu beleuchten, um aufs richtige Ziel zuzusteuern, statt sich erst direkt im Gespräch zu verzetteln, umzuschwenken und sich dabei womöglich eine blutige Nase zu holen – natürlich nur im übertragenen Sinn!
Wenn man sich die Ziele zu hoch steckt, ist Enttäuschung vorprogrammiert. Ein kleiner Etappensieg ist ermutigender als ein Scheitern am großen, aber unerreichbaren Ziel.
Und bitte: Macht euch nicht selbst zur Schnecke, wenn ihr auch kleinere Ziele nicht erreichen konntet oder euch zu emotionalen Ausbrüchen habt hinreißen lassen. Es ist ein unfassbar schweres Thema und eine schwierige Situation für alle Beteiligten. Jeder Mensch, der solche Probleme anpackt, hat meinen größten Respekt. Wir stehen alle unter großem Druck, auch ohne zusätzlich solche Gespräche führen und dann noch ~erfolgreich dabei sein zu müssen.
Wie in der Einleitung erwähnt, ist es vermutlich als Gesprächsziel sinnvoller, den Umgang und das Auskommen miteinander neu zu definieren, als eine Bekehrung der VaFoF-Person erwirken zu wollen. Und auch größeres Verständnis ist ein legitimes und ehrenhaftes Ziel.
Soll das erhoffte Ergebnis trotz aller Überlegungen ein Umdenken der VaFoF-Person sein: Sei dir im Klaren, dass du dafür sehr fundierte Kenntnisse brauchen wirst, inklusive zitierbare Quellen und Studien, und bereite dich inhaltlich vor. Und auch auf den Widerstand, der dir entgegengebracht werden wird. Und dass du damit höchstwahrscheinlich keinen Erfolg haben wirst.
Die Empfehlung lautet daher klar: Von der inhaltlichen Ebene wegbleiben, weg vom reinen Schlagabtausch! Faktenchecks sind nötig, klar. Aber vielleicht erst viel später im Verlauf, wenn überhaupt. Denn Faktenchecks gibt es zuhauf im Internet, die man lesen kann, wenn man es erstmal will.
Zuerst müsste eine Offenheit und ein Vertrauen entstehen, in der Fakten überhaupt ankommen können. Selbst wenn die Person sehr von ihrer Meinung überzeugt wirkt – es ist ein schwankendes Floß, auf dem sie steht, und sie wird es sich dennoch nicht einfach wegziehen lassen. Besonders wenn bisherige Gespräche schon gezeigt haben, dass man mit Fakten und Sachargumenten nicht weiterkommt, sollte es erstmal darum gehen, eine echte Verbindung herzustellen.
Vielleicht entstehen bei diesen Überlegungen zur Gesprächsvorbereitung auch erst Ideen, was man überhaupt erreichen wollen könnte. Etwa, seine Kinder vor “Missionierung” zu schützen; regelmäßigeren Kontakt, aber unter neuen Voraussetzungen; einen Kompromiss, bei dem man Kontakt hält, aber das leidige Thema künftig komplett ausklammert.
Oder Haltung zu zeigen und selbstbestimmte Grenzen zu setzen, was in deinem Beisein/Umfeld okay ist und was nicht. Und das womöglich, ohne dabei auf die Person selbst loszugehen. Ein Gespräch führen, das ohne vorgefasste persönliche Zuschreibungen auskommt.
Höchstwahrscheinlich wird es mit einem einzigen Gespräch nicht getan sein. Wenn man sich vorher Gedanken macht und Ziele setzt, vielleicht auch schriftlich, dann kann man sie hinterher mit dem Ergebnis vergleichen, sie anpassen oder sich neue Ziele und Etappenziele setzen.
Vielleicht ergibt sich durch die Überlegungen zur Vorbereitung auch, dass man das Gespräch gar nicht führen möchte – auch das ist okay.
Meine Empfehlung lautet aber klar, sich auf den Konflikt zuzubewegen, statt vor ihm zu fliehen.
Auch eine wie auch immer geartete neue Vereinbarung zum Umgang miteinander wäre ein Ergebnis und könnte Anspannung aus der Situation nehmen.
ஐ SETTING
Neutraler Boden für das Gespräch
Das sorgt dafür, dass niemand den “Heimvorteil” hat und auch niemand sich von Beginn an im Nachteil fühlt.
Bewegung an der Luft
Äußere Gegebenheiten und Körperbewegungen fördern innerliches Nachmachen. Wer stillsitzt, läuft auch geistig eher Gefahr, festzusitzen.
ஐ WORTE ZURECHTLEGEN
Wo setze ich meine Grenzen, und wie formuliere ich das konkret?
• Mit welchen Worten initiiere ich eine Pause?
• Wie eine Überleitung zu einem anderen Thema?
• Zu einer anderen gemeinsamen Aktivität?
• Wie den Abbruch des Gesprächs?
Wenn man im Gespräch dringend eine Pause braucht, ist die emotionale Bedrängnis schon sehr groß – in so einem Zustand funktioniert unser Denken und Sprechen nicht mehr gut. Um Themenwechsel, Pause oder Abbruch dennoch in Ruhe ansteuern zu können, kann es entscheidend sein, dass man sich vorab einzelne konkrete Sätze für diese Situationen zurechtgelegt hat. Es tut gut zu wissen, dass man jederzeit aussteigen kann, und auch zu wissen, wie.
• Wie reagiere ich auf Aggression?
Man kann um Friedfertigkeit bitten; den Abbruch des Gesprächs ankündigen; das Gefühl benennen und hinterfragen (“Ich hör da viel Wut heraus…?”). Wie oben gilt: Wenn man darauf vorbereitet ist und von der Aggression nicht kalt erwischt wird, fällt die Reaktion etwas leichter.
ஐ NOCH EIN PAAR BASICS…
…die man im Eifer des Gesprächs oft vergisst:
• Eigenes Körpergefühl nicht übergehen, sondern beachten
• Atmen nicht vergessen :)
• Nachfragen statt interpretieren
• Eine Sekunde entscheidet
Die eine Sekunde, die man länger nachdenkt und durchatmet, bevor man spricht. Die eine Sekunde, in der man entscheidet, eine Antwort abzuwarten und zuzuhören, und damit dem Gegenüber Raum gibt.
Die eine Sekunde, die ein Moment dauert. Weil alles nur im Moment passiert.
• Humor
Er kann Schärfe aus Worten nehmen und für Auflockerung sorgen. Lachen baut körperliche und psychische Spannungen ab! Aber nur, wenn beide lachen können. Zynismus ist kein Humor, sondern schlecht bemäntelte Aggression.
ZUERST – DANN
Im Sinne meiner bisherigen Ausführungen bleibe ich dabei:
Zuerst einen neuen Untergrund bieten, ein Rettungsfloß – dann erst das alte wegziehen.
Es umgekehrt zu versuchen, erzeugt nur stärkeren Widerstand.
Da es sich beinah durchgehend um Abwehrmechanismen handelt:
In einer Psychotherapie-Situation würde der/die Therapierende der/dem Betroffenen nicht alle Abwehr auf einmal wegreißen, nur um ihr/ihm seine Abwehrmechanismen zu “beweisen” – das würde nicht nur Widerstand erzeugen, sondern auch die mit der Abwehr gewonnene Stabilität in Gefahr bringen. Denn die Abwehr hat die Psyche stabilisiert, so abstrus und eigenwillig die Ausprägungen auch wirken mögen.
Der/Die Therapeut/in versucht vielmehr, gemeinsam mit dem zu therapierenden Menschen zuerst eine Atmosphäre und Beziehung zu schaffen, in der dieser Mensch sich angenommen und sicher fühlt und sich nicht rechtfertigen muss. Es werden Fragen gestellt. Allmählich wird der/die Therapeut/in die involvierten Gefühle zu benennen beginnen. In kleinen Schritten werden so die abgewehrten Gefühle mit kleinen Lichtpunkten versehen, damit sie für den Menschen in stets erträglichem Maße, aber in zunehmender Menge sichtbar und fühlbar werden.
Ein Ziel könnte also sein, dem Grundgefühl im Gegenüber auf die Spur zu kommen. Nicht über die Sache zu reden, nicht über die Inhalte der VeMy zu streiten, sondern die dahinterliegenden Gefühle zu erkunden. Und das Gespräch auch immer wieder dorthin zurückzulenken. Interesse am Fühlen zeigen – nicht am Glauben.
(Nebenbei bemerkt finde ich auch, dass man sich mit den konkreten VeMy-Inhalten so wenig wie nur möglich auseinandersetzen sollte. Auch wenn ich eine etwaige “Ansteckungsgefahr” nicht so drastisch sehe – von falschen Fakten in Kombination mit gezielter Aggression und Angstmache geht eine emotionale Toxizität aus, der man das eigene System schlicht nicht aussetzen sollte.)
ஐ KONFLIKTE, IGITT?
Ein Schlüssel zu fruchtbaren Konfliktlösungen ist, erstmal eine gemeinsame Basis zu finden – egal, wie schmal sie auch sein mag. Eine Sache entdecken, bei der man sich einig ist, und dort zu beginnen. Eine “gemeinsame Realität” ist auch ein erster Schritt gegen alternative Fakten.
Man könnte also versuchen, eine vertrauensvolle Atmosphäre und sicheren Boden zu schaffen.
Etwa indem man mit der betroffenen Person über die Beziehung zueinander spricht, ihr erstmal versichert, dass sie einem wichtig ist, ihr Wohl und auch die Beziehung zu ihr.
Man könnte auch nachfragen, wie sie die Beziehung sieht, sich ein(ige) Ja abholen auf Fragen nach Vertrauen, Zuneigung und Bindung. Wer einmal ja sagt, öffnet sich leichter.
Man könnte auch aussprechen, dass man bereit ist, für den Erhalt dieser Beziehung einiges zu tun.
Natürlich nur, wenn man dazu auch ehrlich bereit ist. Denn es gilt ja, einen Balanceakt hinzulegen zwischen “du bist mir wichtig” und “ich muss mich schützen” – und das ist eine schwierige Übung. Also Vorsicht mit Versprechen, die man nicht halten kann! Wenn ein Abbruch des Kontaktes tatsächlich eine Option ist, sollte man sich mit “immer für dich da”-Versprechen zurückhalten. “Ich möchte für dich da sein, ich verstehe aber noch nicht …, erzähl mir …” ist dann vielleicht besser geeignet.
Ein weiterer Schlüssel ist es, Ideen von Identität zu trennen.
In diesem Fall ist das besonders schwierig, weil ja gerade an die VeMy-Ideen so viel Identität gebunden ist, dass jeder Versuch, sie zu hinterfragen, mit Aggression beantwortet wird.
Aber ist das denn nicht auch bei allen anderen “Meinungen” der Fall? Wenn man selbst nicht bereit ist einzuräumen, dass man falsch liegen könnte, ist man für eine inhaltliche Diskussion nicht bereit, und sollte den Fokus des Gesprächs auf andere Ziele richten. Denn so absurd VeMy auch sein mögen – zu erwarten, dass das Gegenüber unbedingt sein Falschliegen einräumen müsste, während man selbst das nicht muss, das ist keine geeignete Augenhöhe für eine Diskussion. Wir würden das umgekehrt auch nicht anders empfinden – und das muss man sich klarmachen, wenn auch zähneknirschend.
Und wir wollen auch nicht als Mensch angegriffen und abgelehnt werden, wenn es unsere Überzeugung ist, die abgelehnt wird.
Es macht einen Unterschied, ob man sich einem Menschen mit Mitgefühl nähert oder in Opposition.
Die Intention Mitgefühl verändert alles. Es schenkt dem eigenen Ego eine Auszeit, wenn man sich mal ein paar Minuten auf etwas anderes konzentriert als rechtzubehalten. Solange man sich ständig abgrenzen muss, ist man nicht frei, um einen anderen Menschen wirklich zu sehen und zu hören.
Während man fragt, während man auf eine Antwort wartet, und während man diese Antwort anhört – siehe weiter unten – ist man damit beschäftigt, das dahinterliegende Gefühl zu erkennen und zu verstehen. Und nicht damit, zum nächsten Gegenschlag auszuholen. Dem Gegenüber schenkt diese Intention somit das Wertvollste, was es zwischen Menschen gibt: Interesse.
Ein himmelweiter Unterschied im Erleben, für beide Seiten.
Dabei kann man auch besser auf erhellende Aussagen achten, die Projektionen von Gefühlen darstellen (können) – etwa wenn jemand sagt, dass “die Welt den Bach runtergeht” oder “bald alles zusammenbricht”. Mitunter handelt es sich dabei um Ängste, die nur auf das Außen projiziert werden, sich aber tatsächlich stark auf innere Zustände beziehen.
Vielleicht kann man auf diese Art das erwähnte Grundgefühl im Gegenüber erforschen und in weiterer Folge dort ansetzen.
Möglicherweise bewegt es aber auch schon etwas, wenn der Mensch sich einfach mal wirklich gesehen und gehört fühlt.
Denn vielleicht ist der Zeitpunkt gekommen, an dem wir unser eigenes Urvertrauen einem Menschen zurückgeben können, der es uns geschenkt hat – und der uns damit ermöglicht hat, selbst vor VeMy bewahrt zu bleiben.
ஐ FRAGEN – DER ULTIMATIVE SCHLÜSSEL
“Du weißt nichts! Und selbst wenn – tu so, als wüsstest du nichts. Frage und hör zu!”
Predigen wird abgeblockt: Widersprechende verbale Eindringlinge wird die VaFoF-Person reflexhaft abwehren, und danach ist sie frei, sich eine Entgegnung zu überlegen, und hört längst nicht mehr zu. Genau wie es auch in dir Widerstand auslösen würde, wenn dir jemand erklären will, dass du alles völlig falsch siehst.
Besser:
• Eine Frage stellen.
• Auf die Antwort warten.
Auch wenn dabei eine Stille entsteht.
Menschen brauchen Zeit zum Antworten.
Und diese Stille brauchen sie auch.
Selbst wenn sie sich unbequem anfühlt.
Übung: Dem Drang widerstehen, die Stille zu füllen, weil man sich und den anderen durch Weiterreden aus der Unbequemlichkeit “erlösen” will.
• Immer nur eine Frage stellen.
• Unklarheiten nachfragen!
Davon, wie der Mensch sich beim Antworten fühlt, hängt es ab, ob sich etwas in seinem Inneren bewegt. Man scheint vielleicht nur “schlüssige” Antworten zu bekommen, oder abwehrende; aber wie die Gefühle dahinter aussehen, das merkt erstmal nur der/die Antwortende selbst.
Fragen können sehr viel bewirken, selbst wenn man selbst erstmal nicht den Eindruck hat, das hätte irgendwas gebracht.
Fragen regen das Denken und Fühlen gleichermaßen an.
Fragen ist auch die eleganteste Form, ein Gespräch zu steuern.
Man muss sich die Mythen nicht anhören, wenn man nach dem persönlichen Erlebnis fragt, den Gefühlen dahinter. Und die Ideen von der Identität trennt, selbst wenn die VaFoF-Person das selbst nicht kann. (Wo fühlst du dich missverstanden? Wie ist das für dich?) Wir sind keine Therapeuten, wir ‘dürfen’ Mythen gegebenenfalls auch unterbrechen, um eine Frage zum Erleben zu stellen.
Weiterer Vorteil am Rande: Wenn man erlebt hat, dass Fragen zu stellen Übung erfordert, geht man auch mit empfangenen Fragen viel wertschätzender um.
Auch dass die VaFoF-Person beginnt, ihr Denken und ihre Quellen selbst zu hinterfragen, erreicht man wohl am ehesten durch Fragen.
ஐ ÖFFNEN
Man könnte auch versuchen, im Sinne einer “optimalen Authentizität” bzw. “Stimmigkeit” über die eigenen Gefühle zu sprechen und offenzulegen:
• wie es einem selbst mit der Pandemie geht und welche Gefühle sie auslöst
• welche Strategien man selbst gegen die entstehende Anspannung anwendet und
• welche Gefühle man hat, wenn die VaFoF-Person so ist (Sorge; will dich nicht verlieren; etc.)
Natürlich ist der Grat zu Vorwürfen und damit zu Widerstand hier, je nach Sender und Empfänger, sehr schmal. Eine Predigt mit der Überschrift “Ich bewältige das besser als du” sollte es sicher nicht werden.
Möglicherweise hilft aber dem Gegenüber das Angebot des eigenen Öffnens dabei, sich ebenfalls zu öffnen.
HOFFNUNGSSCHIMMER
Angehörige könnten sich so – zugegeben, mit sehr viel Einfühlungsvermögen – den zugrundeliegenden Gefühlen annähern, sie erfragen und benennen. Das geht sicher nicht an einem Nachmittag. Doch letztlich könnten sie mit dem gewonnenen Verständnis die dahinterliegenden Bedürfnisse auf andere Weise zu stillen versuchen, und in weiterer Folge auch die stattgefundene Distanzierung hinterfragen, vielleicht so:
• Alles tun, was die Zusammengehörigkeitsgefühle stärkt
• Die Person intensiver in den eigenen Alltag einbinden. Gegebenenfalls muss man vorher neue Voraussetzungen verhandeln.
• An die alte, zuverlässige Bindung erinnern (Familie)
• Daran erinnern, dass einem bis vor kurzem vertraut und logisches Denken zugetraut wurde
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Ich hoffe, ich konnte mit dieser Serie eine erste Spur aus der schwierigen Situation legen, die vielleicht zu kleinen Pfaden anwächst.
Eventuell lasse ich konkrete Ideen für Fragen auf der Beziehungsebene, auf der Logik- und Sachebene und ein paar Gedankenspiele / Feedback in einem weiteren Teil nachfolgen. Dem Thema haftet allerdings eine eigene, immense Schwerkraft an, die für mich auch beim Schreiben nicht so leicht zu überwinden ist.
Danksagung
Allen Menschen, die ihre wertvollen (Er-)Kenntnisse geduldig mit mir geteilt haben, danke ich von Herzen!
Hier in der gewünschten Erwähnungsform, sehr leiwanden Input geliefert haben mir die Gespräche mit:
ஐ dederreda
ஐ Alice
ஐ Jakob
ஐ Zwei andere wollten nicht genannt werden. Auch die meisten Kommentare und anderes Feedback wollten privat bleiben. Meine Dankbarkeit schleicht euch trotzdem nach! :)
ஐ Danke auch meinen Freunden und Freundinnen, die mich bestärkt haben, daran weiterzuschreiben. <3