Schulmediziner ärgern sich gerne über Homöopathen, über alternative Heiler und erst recht über sogenannte Wunderheiler, über alles, was nicht über jeden Zweifel erhaben ist, wissenschaftlich fundiert und von zig Studien untermauert. Ich denke, tatsächlich ärgern sie sich über den Erfolg dieser Methoden, denn wären sie nicht erfolgreich, dann wären sie auch gar nicht in das entsprechende Blickfeld gerückt. Manche ärgern sich gewiss auch über sich selbst, und dass sie nicht mehr in der Lage sind, das nötige Mitgefühl aufzubringen – weil so viele kommen, und die meisten davon sich einfach reparieren lassen wollen. Viele Patienten sind in der Tat nicht bereit, die volle Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Manche schicken gar ihre Sekretärin für sich zum Arzt und lassen sie dort die Symptome schildern.
Man darf aber auch nicht vergessen, dass es das schulmedizinische System selbst war, das über Jahrhunderte den Weg für dieses Nichtverantwortlichsein des Patienten gepflastert hat; lange Zeit selber im Duktus eines ammenmärchenartigen Halbwissens, das hinter Selbstsicherheit verschanzt und von oben herab als Wahrheit verkauft wurde – in einer Zeit, als die Menschen davon noch zu beeindrucken und einzuschüchtern waren. Ich Arzt, du kusch. Du liegst, ich stehe. Du sitzt vor dem Wall meines Schreibtisches, ich bin dahinter verschanzt. – Und heute: Du hast da was gelesen? Na, das ist ja sehr niedlich.
Es ist fast müßig zu erwähnen, ich tu’s aber trotzdem: Ich meine hier nicht alle Ärzte, und ich meine nicht alle Patienten. Wenn man sich nicht wiedererkennt, gibt es auch keinen Grund, sich zu ärgern. Bitte in diesem Fall einfach weitergehen, es gibt hier nichts zu sehen.
Ich schrieb drüben bei Frau serotonic, dass verantwortungslose medizinische Mitarbeiter einem verachtende Sätze ins perplexe Gedächtnis brennen, und ich meinte es so. Manche davon vergisst man nie, wie sehr man sich auch bemüht, sie im geistigen Scheißhaus runterzuspülen, sie bleiben in genauem Wortlaut mitsamt dem süffisanten, sarkastischen oder ehrlich bösartigen Tonfall erhalten.
“Wenn Sie eine Diagnose wollen, dann sind Sie hier falsch.” – “Das Brustbein kann einem nicht wehtun.” – “Ich bin hier der Arzt, ich weiß das ein bissl besser.” – “Was Sie das Gefühl haben, is wurscht!” – “Na, ich glaub ja nicht, dass wir da mit Ihnen was zsammbringen.”
Und sowas hält sich für einen Heiler? Ernsthaft? Diese Vorstellung erzeugt heute in mir einen gewissen Lachreiz.
Die Kassenmedizin ist im Großen und Ganzen eine kaltschnäuzige Abfertigungsmaschinerie. Der Patient erzählt dem Arzt bestenfalls die Hälfte, weil für die zweite Hälfte keine Zeit bleibt und nicht die nötige Vertrauensbasis vorhanden ist – oft lügt er sich aber auch selbst in die Tasche, das muss man einräumen. Vertraue niemandem, nichtmal dir selbst!
Daheim tun der Patient dann erst wieder, was er will, er raucht weiterhin, gönnt sich nicht die nötige Ruhe und nimmt seine Antibiotika nicht bis zum Ende ein. Weil er doof ist? Nun, das ist natürlich eine mögliche Erklärung, eine weitere aber ist, dass er kein Vertrauen hat und keine Lust, dem Arzt einen Gefallen zu tun(!), dass er keinerlei Selbstverantwortung hat, dass er selbst machtlos ist, seine Aufgabe auf dem Heilungsweg gar nicht kennt und sich insgesamt wie ein Nebenschauplatz vorkommt, fernab von der Elite in diesem System.
Und derjenige, der in einer geistigen Abwehrhaltung stets ängstlich und mit oberster Priorität darauf konzentriert ist, seine elitäre Stellung zu behalten, hat für das Wesentliche ebenfalls keinen Blick. Es gibt einen Unterschied zwischen Zusammenarbeit und Diktat, einer davon ist die Menge an offener Kommunikation. Der klassisch elitäre Arzt beraubt sich selbst der Hinweise, die ihm die richtige Diagnose und Behandlung vereinfachen oder, im Extremfall, überhaupt erst ermöglichen würden. Es ist ein Kampf innerhalb eigener Beschränkungen, für den man eigentlich nichtmal einen Kontrahenten braucht.
Der Patient jedoch hat dem Arzt eines voraus: Er steckt in diesem Körper drin, der aus dem Gleichgewicht geraten ist. Er hat Empfindungen und Erkenntnisse, die für Diagnose und Heilung relevant sind. Er hat den Willen zur Genesung, oder er hat ihn nicht. Und er hat eine Seele da drin, die auf ihre Umwelt reagiert. Heilung ist ein sehr persönlicher Vorgang, alle Kanäle sollten dafür weit offen sein, und da sind Erwartungen, Hoffnungen und Ängste, auf die in der Regel keine Rücksicht genommen wird. Also ist der Patient gekränkt, seiner Hoffnung beraubt, und zieht seine Seelenfühler mit der Zeit ein; das körperliche Problem wird dann, wenn es an einer Stelle methodisch zurückgedrängt wurde, an anderer Stelle zuverlässig wieder auftauchen.
Faktoren wie Mitgefühl, Aufmerksamkeit, Zuversicht und Humor beeinflussen eine Heilung wesentlich, ob das den Methodengläubigen nun passt oder nicht. Diese Faktoren sind es, die für den Erfolg der alternativen Heiler sorgen; und das Gefühl, dass sich jemand wahrhaft für dich, den Kranken, interessiert, dir neue Wege aufzeigt, aber auch mitunter unbequeme Fragen, die du dir stellen solltest, und nicht nur körperbezogene Fragen – dass jemand dich also anleitet und begleitet, während er dich den Weg aber selbst gehen lässt.
Ein Umdenken und Umfühlen ist auf beiden Seiten des Schreibtisches dringend nötig. Die Schulmedizin hat zweifellos viel erreicht, aber auch viel kaputtgemacht. Wer gewisse Qualitäten nicht mitbringt, sollte Platz machen für eine neue Medizin. Es ist Zeit dafür.