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Rain

Ich habe einen Schub. Heißt, meinem Körper geht’s überwiegend beschissen. Dabei sah alles so gut aus. Die höchst private Physiotherapie mit meiner lieben Freundin K. schien die erste wirkliche Erleichterung seit langem zu bringen. Eines Morgens taten mir sogar beide Schultern nicht weh, einfach so! Zumindest in der entspannten Ruhestellung – was viel bedeutsamer ist, als du vermuten würdest, waren zuvor doch die misslichen Empfindungen in meinen Schultern nur in einer unentspannten Schonhaltung halbwegs kontrollierbar gewesen.

Es war jedoch so trügerisch wie eh und je – mein Zustand war einfach über den Sommer besser geworden. Nicht, dass die Schmerzen je völlig aufgehört hätten in den letzten neun Jahren. Aber sie waren doch diesen ganzen Sommer lang recht schläfrig. Ließen sich auch durch Schlaf wieder beruhigen, waren sie doch einmal aufgerüttelt worden. Auch das war nicht immer selbstverständlich, und jetzt ist es das auch nicht mehr. Nach ausreichend Schlaf völlig gerädert aufzuwachen ist für dich vielleicht ein gelegentliches Ärgernis oder gar ein Ausnahmefall – für mich ist es eine tägliche Erfahrung.

Zuerst kam der Ausschlag an den Händen und Füßen. Ich schob es auf die Chemikalien im Pool.
Dann kamen die Schmerzen. Zaghaft erst, kniffen sie mal hier und stachen mal dort zu. Nicht, dass ich an irgendeinem Tag in den letzten Wochen sagen hätte können, Scheiße, heute gehts mir aber echt wesentlich dreckiger als gestern. Aber solche perfiden Tage, die sich ein paar Wochen lang, einer nach dem anderen, mit einer beinah unmerklichen Verschlechterung heranstehlen, die reichen völlig aus, um einen Zustand herzustellen, der mit Lebensqualität nur noch ganz entfernt zu tun hat.

Im Sommer konnte ich ohne für meine Verhältnisse nennenswerte Schmerzen meine Kamera durch die Stadt tragen. Jetzt kann ich nichtmal einen Teller aus dem Schrank nehmen, ohne dabei vor Schmerz zu fluchen. Meine Arme lassen sich kaum heben, beim naiven Versuch schießen Dolche jäh durch meine Schultern. An meinem Brustbein sind unsichtbare Krabben am Werk, die meine Knorpel anzwacken und immer wieder ihre spitzen Waffen in meine Knochen bohren, bis nach hinten zu einem meiner Brustwirbel, auf den ständig mit einem Baseballschläger eingedroschen wird. In meinen Handgelenken und Knien werden Sehnen und Nerven ausgewunden, das Toben darin kann einen wahnsinnig machen. Mein Herz stolpert ständig – vielleicht über Krabbenbeine?
Meine Füße sind morgens oder nach längerem Sitzen so schwach und steif, dass ich kaum darauf stehen kann. Stehe oder gehe ich dann endlich, dann knirscht Sand im Getriebe der linken Hüfte. Tage mit Kopfschmerzen sind mittlerweile häufiger als solche ohne. Jedes Drehen des Kopfes ist begleitet von einem ziehenden Schmerz vom Nacken bis zwischen die Schulterblätter.

Ich kann mich kaum konzentrieren, und das nicht mal vor Schmerzen – denn es ist in der Tat unfassbar, woran man sich alles gewöhnen kann – sondern aus einem undefinierbaren Krankheits-Zusatzbonus heraus, der die Welt hinter diffusen Nebeln verbirgt und sie zum Schwanken bringt. Selbst meine eigenen Gedankengänge verbergen sich vor mir, und sogar wenn ich sie aufschreibe, weiß ich im nächsten Moment einfach nicht mehr, was ich gerade noch gedacht habe. Ich finde die Worte nicht, egal ob ich gerade schreibe oder spreche, und wenn, gehen sie frustrierend knapp oder sogar erschreckend weit am Wesentlichen vorbei. Ordentlich statt akribisch. Oder aber Kindergarten statt Wintergarten.
Ich will mir die Zähne putzen und lande in der Küche. Ich unterbreche mein Tun irgendwo und starre einfach ins Leere.

Ich bin maßlos genervt, jedes Geräusch, jeder Lichtschein ist mir zu viel, jede Antwort oder Erklärung zu mühsam, jeglicher Handgriff oder Anruf, jedes einzelne Lächeln, erfordert mein erneutes Aufraffen mit aller Kraft.
Es entsteht eine gewaltige innere Leere, in der ich mich selbst kaum wiederzufinden vermag.

Einschlafen dauert seine Zeit. Nicht nur die Schmerzkaskaden, auch jene der Gedanken plätschern dann lauter – und beide drehen sich im Kreis. Da capo al fine.
Die verzweifelte Suche nach einem Ausweg hat sich schon lange verselbständigt und stand auf Abruf bereit, sich wieder vor jener undurchdringlichen Wand weiter und weiter zu tasten mit rastlosen, zerschundenen Händen. Die Zweifel am eigenen Durchhaltevermögen, die Angst, dass jenes meines Mannes schwinden könnte; sie kommen gemeinsam mit einer dunklen, erdrückenden Gewissheit, dass ich wohl nie wieder in meinem Leben einen völlig schmerzfreien Tag erleben werde. Und aus Erfahrung schwebt ein Bewusstsein über allem: Es geht noch schlimmer, als es jetzt ist. Sollte ich nicht froh sein?

Es ist wieder kalt geworden, und es regnet.
To you it’s just summer’s ending. To me it’s rain in the cup of my life.

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Die Freiheit nehm ich mir

Geht soeben über das Kontaktformular an die Betreiber der Freenet-Community:

Ich selbst bin kein Mitglied der Freenet-Community. Über Counterfunktionen habe ich aber festgestellt, dass der Benutzer tontechniker67 in seinem Profil unter ‘Homepage’ die URL meines Weblogs verwendet. Da man dort mit ein bisschen Grips relativ schnell feststellt, dass es sich um eine Frau handelt, die auf dieser Adresse bloggt, hätte mich nur interessiert, wie er sich das so vorgestellt hat mit der falschen Identität – so schmeichelhaft das auch für mich sein mag.

Lieben Gruß aus NÖ,
Etosha

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Vertrauensbildung

Auf dem Rückflug von Valencia:

Meine Damen und Herren, wie versprochen melde ich mich nun aus dem Cockpit mit ein paar Informationen. Mein Name ist Thomas Sowieso, ich bin Ihr Flugkapitän auf diesem Flug nach Wien. Die Flugzeit wird ab jetzt noch etwa drei Stunden betragen. Wir fliegen derzeit mit einer Geschwindigkeit von 730 km/h in einer Höhe von 11300 Metern. Die Außentemperatur beträgt… Oh! Hehe. Jetzt hab ich den falschen Knopf gedrückt!

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Das Un-Buch des Monats

Ich habe zwei Bücher bestellt zum Thema ‘Sternbilder und die ihnen zugrundeliegenden Sagen’, weil in den vorhandenen Astronomiebüchern auf diese Geschichten gar nicht oder nur sehr peripher eingegangen wird. Geschichten jedoch merkt mein Hirn sich sehr gerne und halbwegs gut, und von diesen Geschichten ist es nicht weit zur Wiedererkennung eines Sternbildes am Himmel, das sich zum Beispiel in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem mir bereits bekannten Sternbild findet.

Heute ist bereits das zweite Buch angekommen, ‘Die großen Sternbilder’ von Ian Ridpath, und mein Überfliegen der ersten Seiten war von erleichtertem Aufatmen begleitet. Das erste Buch nämlich, ‘Sternsagen’ von Wolfgang Schadewaldt, hatte ich nicht sehr lange in der Hand. Der Mann drückt sich derart geschwollen aus, dass man die Sätze nicht mehr entwirren mag.

Zum stillen Lesen für sich allein geht das Buch ja gerade noch, zum Vorlesen jedoch ist das angestrengte Geschwurbel völlig ungeeignet. Ob der Autor jemals daran gedacht hat, dass man Geschichten aus so einem Buch eventuell auch vorlesen wollen könnte?

Der gutwillige Vorlesende jedoch, in diesem Fall ich, verliert in den furchtbar langen Schachtelsätzen alsbald den Faden – und damit die richtige Betonung. Das gespannte Glitzern in den Augen des Zuhörers bleibt völlig aus, stattdessen sehe ich mich mit einem verwirrten ‘Hä!?’ konfrontiert. Aber mich noch einmal durchquälen durch den Satz, das möchte ich dann doch nicht. Also übersetze ich dem Zuhörer den Sinn des Satzes, soweit ich ihn selbst überhaupt erfasst habe, in brauchbare und verständliche Sprache.
Ein Buch mit reinen Stichworten zu Sternsagen wäre dafür jedoch genauso gut geeignet – wenn nicht sogar besser.

Im Umschlagtext aber steht zu lesen: ‘In der prägnanten und klaren Sprache Schadewaldts…’
Wem fallen zu solchen Satzungetümen ausgerechnet die Adjektive prägnant und klar ein? Also nein, wirklich nicht, kann ich nicht bestätigen. Schadewaldt mag ja ein angesehener Übersetzer gewesen sein, ein begnadeter Geschichtenerzähler war er aber meiner bescheidenen Meinung nach nicht.

Beispiel gefällig?

Kronos aber, der sich so an dem eigenen Vater auf furchtbarste Art vergangen hatte, wurde später zur Strafe für seine Tat wieder von dem eigenen Sohn Zeus gestürzt, der dadurch, dass er den Frevler beseitigte, die Gerechtigkeit in der Welt für alle Zeiten wiederhergestellt und zusammen mit seinen Söhnen, nachdem er noch furchtbare Kämpfe mit den Unholden der Tiefe, den Titanen und Giganten, bestanden hatte, jenes Lichtreich der olympischen Götter begründet hat, in welchem die großen Helden der Griechen heraufkommen und, wiewohl mit Leid und Schmerzen, ihre herrlichen Taten vollbringen sollten.

Das ist ein einziger Satz! Kann man das nicht einfacher sagen? Doch, man kann. Aber man muss auch wollen! So manchen mag es stolz und glücklich machen, wenn er einen Schachtelsatz von solcher Brillanz gebildet hat, dass zwischen dem Partizip und dem Hilfszeitwort zwanzig (20!) Wörter eingeschoben sind. Juchuuu, neuer Rekord!

Schön ist das nicht. Gut verständlich erst recht nicht. Also kann es sich eigentlich nur noch um eine Art der sportlichen Betätigung handeln. Ich aber bin kein Sport-Leser. Ich fühle auch nicht die fragwürdige Erregung des intellektuell Überlegenen in mir aufsteigen, wenn ich wieder einen Satz verstanden habe.
Wer etwas zu sagen hat, der sage es so deutlich, wie es eben geht. Komplizierte Dinge sind freilich oft nicht in einfachen Sätzen auszudrücken, philosophische Betrachtungen etwa oder verwirrende Sachverhalte. Aber nicht die adäquat komplizierte, sondern die möglichst einfache Formulierung macht für mich den großen Philosophen aus, und verwirrende Sachverhalte haben oft sogar eine spürbare Freude daran, systematisch entfaltet und hernach einfach ausgedrückt zu werden.

(Sternbild Bärin / großer Wagen)
Und zu ihm gehört in seiner Nähe das hoch von unten aufsteigende Sternbild des Bootes, in dem man wohl einen Mann erkennen mochte, der, wenn er zum Wagen gehört, den nach urtümlicher Weise Ochsen zogen, Bootes, der Ochsentreiber, war, wenn zur Bärin, der Arkturos, der Bärenwächter.

Abgesehen von allem, was mit der bloßen Konstruktion des Satzes zu tun hat, frage ich mich, was wohl ein ‘hoch von unten aufsteigendes’ Sternbild sein mag. Wenn etwas aufsteigt, dann tut es dies gemeinhin dermaßen zuverlässig von unten, dass die gesonderte Erwähnung jener Herkunft reichlich unnötig wird. Wenn es denn wirklich später hoch aufsteigt, das Sternbild, dann soll es mir auch recht sein. Ich persönlich würde aber schon aus Gründen der Nachvollziehbarkeit, ganz altmodisch autoritär, meinen Sternbildern nicht erlauben, ‘hoch von unten’ aufzusteigen. Alles, was recht ist.

Wie von selbst stellte die große Konstellation der sieben Sterne in der Nähe des Himmelspols sich entweder als Wagen mit Wagenkorb und Deichsel oder, von der andern Seite her gesehen, auch als ein großes, schwerfälliges Raubtier, den Bären oder, wie die Griechen meinten, eine Bärin, dar.

Es tut nicht weh, das Wörtchen ‘dar’ nach vorne zu ziehen, damit der Leser nicht wie von einer Hundemeute gehetzt durch den Satz stürzen muss, nur um endlich an dessen Ende den ersehnten Verbzusatz zu finden, auf den er schon seit der ‘Deichsel’ gewartet hat.

In dem Bergland der Peloponnes Arkadien verehrte man diese Göttin als die ‘Schönste’, Kalliste, und von ihr zweigte, wie das oft zu beobachten ist, die Sage ein Menschenmädchen, ‘die Schönste’, Kallisto, ab und gab ihr zum Vater den Lykaon, der ein so wilder Mensch gewesen ist, dass Zeus ihn in einen Wolf verwandelte.

Dieser Satz kommt mir vor wie ein Foto, das gleichzeitig alles und nichts zeigt, nur um sich nicht festlegen zu müssen, und zu dem unser Freund Miro sagen würde: ‘Jaaa, äh, und das Motiv ist…?’

Wichtige Dinge kann man durchaus in Hauptsätzen erzählen. Wie interessant können Geschichten schon sein, die in Nebensätzen abgestellt werden? Schlussendlich lässt sich auch mit der exzessiven Verwendung dieser Nebensätze nicht vertuschen, dass der Autor sich verzettelt und immer wieder abschweift, dass er drei Geschichten in einer erzählen möchte, nur weil sie ihm vielleicht zwischendurch gerade einfallen.

Nähme man alle ‘zumal’ und ‘wohl’ aus diesem Buch, wäre es wohl nur noch halb so dick, zumal sie sehr häufig vorkommen.

Es ist wahr: Die prägnante und klare Sprache zeichnet den guten Geschichtenerzähler aus. Das Ende einer Geschichte und der Beginn der nächsten sind eindeutig erkennbar. Gewandt und geschmeidig spannt der begnadete Erzähler seinen Bogen, und wenn er dies nicht ohne Umschweife tut, dann immer zugunsten der Spannung und Plastizität. Für den Zuhörer oder Leser bleibt das zielstrebige Hinsteuern auf den Höhepunkt und auf das Ende der Geschichte zuverlässig im Hintergrund spürbar, sodass er sich vergnügt und vor allem vertrauensvoll in die Obhut des Erzählers begibt.

Sieht sich der Vorlesende dagegen mitten im Satz seines Vertrauens beraubt und daher gezwungen, in einem allerletzten, akuten Zornesschub das Buch mittels einer Schleuderbewegung in die nächstbeste Zimmerecke zu befördern, dass es nur so flattert, dann hat’s nicht so ganz geklappt mit dem Überspringen des erzählerischen Funkens.

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My only friend the end

Seit neun habe ich ein seltsames Gefühl im Bauch. Seit zehn warte ich darauf, dass die Welt untergeht. Genauer gesagt seit dem Augenblick, als alle Vögel in der Umgebung des Gartens einander mit allerlei lauten Schreien gewarnt haben und dann Richtung Osten davongeflogen sind. Ich vermute daher berechtigterweise, der Weltuntergang kommt aus westlicher Richtung.

Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass der heutige Tag ein völlig stinknormaler Tag mit einem Beginn und einem Ende, mit Arbeit untertags und Couchhorchdienst abends sein soll.

Nein, ich habe nichts geraucht. Einfach nur ein verdammt merkwürdiges Gefühl hab ich. Das kommt manchmal vor. Ich denke, es ist hormonell. Aber für den Fall, dass tatsächlich die Welt untergeht, möchte ich klargestellt haben, dass ich es schon vorher gewusst habe. Sonst glaubt mir nachher wieder keiner.

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Beislkind

Grillsonntag. Die Schwiegereltern sind bei uns zu Gast, außerdem Martins Onkel mit seiner Frau und seinem knapp zweijährigen Sohnemann.

Am Anfang ist der Knirps etwas verschreckt, aber er taut sehr schnell auf und wird aktiv, isst die grünen Tomaten von meinem Strauch, er drückt alle Knöpfe auf meiner Kamera, putzt mit einem ihm auf Wunsch überreichten Feuchttuch den Holzpflock, der normalerweise unser Balkontürstopper ist, damit er darauf keimfrei sitzen kann, und er lässt sich dort von Mutters Hund beschnuppern.

Wir essen Fisch, es gibt Wein, später trinken wir Kaffee und essen dazu Kuchen, noch später gibts Bowle und Trauben. Klarerweise wird das alles auf Tabletts von mir dahergekarrt und auch wieder abgeräumt.

Später, als der Kleine immer müder wird – er hatte keinen Mittagsschlaf – und er nicht mehr verheimlichen möchte, dass er jetzt aber endlich nach Hause will, schaut er sehr intensiv in meine Richtung. Dann hebt er die Hand und ruft: ‘Zahlen!’