Corona – fünf .. Was wird bleiben?

Dieser Artikel ist Teil 5 von 18 in der Serie "Corona" ...

Was lernen wir aus der Corona-Krise? Was hat sich geändert, was wird davon bleiben? Diese Fragen drängen sich auf, wenn man sich so umschaut.

Es sind weite Felder, und bei aller Länge dieses Artikels erhebe ich keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit der Licht- und Schattenseiten. Gern könnt ihr drunterschreiben und ergänzen! Schreibt auf, was ihr gelernt habt und nicht vergessen wollt, hier bei mir oder zumindest für euch selbst!
Denn die Dinge verändern sich schnell, hin und auch wieder zurück. Wie ein Gummiringerl schnalzt alles womöglich bald wieder in seine gewohnte Position, und im Nu ist alles so wie vorher (und man selbst genauso doof).

Das Bittere zuerst
Was wird bleiben? Meine Vorhersage lautet: nicht viel. Dazu sind die Etablierten im System zu etabliert und die kurzfristig Relevanten zu schnell wieder unsichtbar.

Erstmal ist es so: Ein guter Teil der hiesigen Wirtschaft hatte jetzt ein ganzes Monat lang keinen Umsatz. Es wird also von euch erwartet werden, dass ihr hinterher drölfmal so schnell konsumiert wie sonst, um den Rückschlag aus dem ersten Quartal im zweiten wieder aufzuholen. Und das wird eine sehr dringliche Dynamik ergeben.

Mehr als nur “bemerkenswert”
Dennoch ist es außergewöhnlich, was sich in den letzten Wochen alles getan hat:

* Corona hat in kurzer Zeit geschafft, wozu eine Gesellschaft oft Jahre oder noch öfter Jahrzehnte braucht. Umso mehr, wenn diese Gesellschaft große stur-konservative und daher träge Anteile hat, die sich schon aus Prinzip jeder Veränderung widersetzen.
* Corona hat manches gnadenlos offengelegt, was bisher unbemerkt* vor sich ging – und das just, während gerade so viele Menschen Zeit zum Hinschauen haben.
* Da ist “unbemerkt” nicht ganz das richtige Wort; wer möchte, kann einen Vorschlag für ein Adverb einbringen, das eine gute Mischung ist aus “verstohlen” und “von großem äußeren Desinteresse betroffen”.

Die Irrelevanz hat sich abschnittsweise verschoben – weg von denen, die bisher von der Gesellschaft gerne übersehen wurden, hin zu manchen, die sich bislang für wichtig hielten. Da werden Menschen plötzlich nicht mehr in Flieger gesetzt, weil sie das “über Zoom ja wohl genausogut können”. Da werden Menschen plötzlich gesehen, die bisher zur Einrichtung zu gehören schienen.

Doch klar – nur vorübergehend. Und ich fürchte leider, das wird für beide Aspekte gelten – für “geschafft” und für “offengelegt”.

Überall alles anders
Trotzdem – haben wir jemals in der jüngeren Geschichte innerhalb weniger Wochen einen so rasanten Wandel erlebt?
⦿ Veränderung beim Verhalten: zwischenmenschlich, innerfamiliär, nachbarschaftlich.
⦿ Beim CO2-Fußabdruck; wirtschaftlich und medizinisch – neue Ideen werden geboren und rasant umgesetzt, Workarounds gefunden, helfende Hände hochgeschätzt.
⦿ In der Bildung, politisch, in der Bürokratie.
⦿ Persönlich: Bei der Lebenssituation – die für viele jäh eine andere geworden ist. Beim Abstand zu anderen (wie schon in einem der früheren Artikel unter „Coronabewusstsein“ erwähnt – bleibt uns das?)
⦿ Beim Medieninteresse, bei Körperbewusstsein, Achtsamkeit, Rücksichtnahme und Wertschätzung.
⦿ Nicht zuletzt: Wertewandel. Ein Wandel im Denken. Viele haben Zeit zum Nachdenken. Sich und die Welt zu hinterfragen. Und hinzuschauen.

Alles das war kein Umschwung, sondern ein Ruck, auch kraft der blitzartigen Gesetzgebung.
Und über jedes einzelne Stichwort ließen sich lange Absätze schreiben.

Wir wussten ja gar nicht mehr, wie wunderbar eine Welt ohne Fluglärm ist. Wie blau der Himmel und wie klar die Luft sein kann. Plötzlich geht das, was vorher für Kondensstreifen gesorgt hat, auch online. Bürokratie wird abgebaut. Medikamente bestellen kann man endlich telefonisch, oder sich krankschreiben lassen – was besonders am ersten Tag oft eine zu große Hürde dargestellt hat, weil “ob ich jetzt zum Arzt check und dort zwei Stunden sitze oder gleich krank in die Firma fahr, is auch schon wurscht”. Und nein, es ist nicht ok, krank in die Firma fahren zu müssen.

Plötzlich kann man vieles auch online erledigen, wofür man vorher zumindest die Zugangsdaten in persönlicher Vorsprache beantragen musste, oder auch die Leistung selbst. Die Schule ist online, Lehrer*innen und Direktor*innen finden neue Methoden. Einige Handels- oder Gastro-Betriebe steigen auf Zustellung um, und plötzlich ist nur noch ein Fahrzeug unterwegs statt n Fahrzeuge für n Kunden an diesem Tag.
Alles das mussten Menschen in sehr kurzer Zeit anpacken, schultern und in Bewegung bringen.

Doch vieles davon geht auch nur, weil alle Welt jetzt gleichzeitig zurückstecken muss. Es fällt nicht so extrem auf, dass man kurzfristig nicht 100% konkurrenzfähig ist, wenn viele andere es gerade auch nicht sind. Als Dauermaßnahmen für ein einzelnes Land gehen sich etwa Fahrt- oder Flugbeschränkungen (oder, oder, oder…) eben einfach nicht aus, weil: “Die anderen machens ja auch weiterhin, wir können sonst nicht mithalten”. Der Markt regelt das.

Vieles wird sichtbar
Wie egal die Gesundheit des einzelnen ist, solange es um den Gesamtumsatz einer Wintersaison geht. Wie gerne manche Politik glaubt, alles richtig gemacht zu haben, wenn sie nur ihre Klientel erwartungsgemäß bedient hat. Wie furchtbar sich Privatisierungen und Sparkurse auswirken, und dass sich das überraschenderweise doch noch innerhalb der Lebensspanne der verantwortlichen Politiker*innen zeigen kann.

Es fällt stärker auf, wie viele Frauen Systemerhalterinnen sind. Allein im Gesundheitswesen sind zwei Drittel Frauen.

sichtbar. Gewaltschutz
Da wird so ein Staat jetzt besonders gut achtgeben auf diesen Teil der Bevölkerung – oder nicht?
Nicht für jede Frau ist Daheimbleiben eine gemütliche Abwechslung, wenn sie dort einem gewalttätigen Mann ausgesetzt ist und dieser Situation jetzt noch schwerer entkommen kann.
Doch während die Regierung der Wirtschaft millardenschwere Pakete mit dem Samtbändchen schnürt, wird das Frauenbudget mit Peanuts abgespeist. Im Lichte der offensichtlich so systemrelevanten Frauen ist das schon auffällig zynisch. Werden schon die Wirtschaftsmilliarden irgendwie dafür sorgen, dass er bald wieder was anderes zu tun hat als seine Frau zu verdreschen? Hoffentlich?

Das Budget für Fraueninitiativen wurde 2019 zusammengekürzt, mit der Begründung, es werde Geld in den Gewaltschutz umgeschichtet; man hat also den Frauenorganisationen die Mittel gekürzt, um beim Gewaltschutz die jährliche Inflation zu decken, statt beiden das Budget endlich mal ordentlich zu erhöhen. Es braucht mehr Geld für Gewaltschutz und Prävention, und das nicht erst seit gestern.

Die Regierung hat im Vorjahr beim Ersinnen ihrer “Maßnahmen” für das “Gewaltschutzpaket” die Expertinnen aus Gewaltschutzorganisationen außen vor gelassen, und so arbeitet man an Sinnhaftem vorbei, für den schönen Schein, ohne Expertinnen, und knausert weiter mit dem Geld. PR-Gags zum Weltfrauentag reichen aber nicht aus!

Aber klar, wenn dann etwa die Frauenhelpline aus finanziellen Gründen bald nicht mehr ganztägig erreichbar sein kann, weil ein paar tausend Euro fehlen, wird das bestimmt letztlich auch die Anzahl an Frauen sinken lassen, die Hilfe und Schutz vor Gewalt suchen. Auf dem Papier. Und wenn sie dann ermordet wurden, werdens noch weniger. Sehet, die Kurve!
Wenn ihr was tun wollt – beim Frauenvolksbegehren kann man Mitglied werden. Die Frauenhäuser freuen sich über Spenden, die Frauenhelpline ebenso.

sichtbar. Expertise
Was weniger auffällt – aber auch wenig erstaunlich ist, wo man doch schon in Frauenfragen Frauen nicht fragt – ist auch, wie sehr in dieser Krise fast ausschließlich auf Männer gehört wird, wenn es um Expertentum geht – Virologen, Forscher, Ärzte, Politiker – ohne *innen.
(Und bei letzteren, abgesehen von der roten Opposition, scheinen einige *innen nur Pappfiguren mit vorgegebenem Text zu sein. Man hört eventuell auf Frau Rendi-Wagner, aber man gibt es nicht zu.)

Schon seltsam, wie in einer Krise nur Männern die nötige Glaubwürdigkeit zugeschrieben wird, um Sicherheit zu vermitteln, während innerlich alle nach ihrer Mami rufen.
Und vielleicht ist genau das unser Problem in dieser männerhörigen Gesellschaft. Wir suchen nicht an allen zur Verfügung stehenden Stellen. Outcome dann, wie zu erwarten: 50 von 100.

sichtbar. Zurück?holen, aber flott! Rausholen, warum?
Man merkt auch, wie viele Ausländer*innen uns fehlen, wenn sie “raus” sind. Dabei war das Wort “Pflegenotstand” schon vor Corona ein (deutscher) Begriff. Und jetzt? Schickt man ein Flugzeug, um die Pflegerinnen aus dem östlich benachbarten Ausland zurückzuholen. Ja, genau die Pflegerinnen, denen man in der Regierung Kurz I ab vorigem Jahr die Familienbeihilfe “indexiert” hat, also auf ausländisches Maß zusammengekürzt. Frauen, die eh nur neun Hunderter im Monat verdienen, und die dafür sehr viel von dem verpassen, was daheim bei ihrer Familie täglich passiert, weil sie “im Radl” tage-/wochenlang im Ausland sind. Oder glaubt vielleicht jemand, dass die 24h-Pflege so heißt, weil sie nach 24h abgelöst würde?

Diese Aktion mit dem “Zurück(!)holen der Pflegekräfte” empfinde ich als gesellschaftliche und politische Peinlichkeit erster Güte. (Und stelle mir unwillkürlich vor, wie viele von diesen Frauen wohl zum ersten Mal in ihrem Leben in einem Flugzeug saßen.) Man möchte meinen, dass von der Regierung zugleich erwogen würde, die Kürzungen bei der Familienbeihilfe wieder rückgängig zu machen – jetzt, wo die Relevanz dieser Arbeitskräfte auf so blamable Weise deutlich geworden ist. Wird es aber nicht. Wozu auch, wenn man sie eh in ein Flugzeug packen kann? Als wären es geflohene Leibeigene.
Als hätten wir noch nicht genug Schaden angerichtet, siehe Ischgl. Verwunderlich, dass uns diese unfassbare Arroganz nicht auf den Kopf fällt, aber wer weiß, wie lange noch.
(Und ich schäme mich dafür, dass es dann im Ausland heißt “Die Österreicher haben…”.)

Vor diesem menschlich kontrastarmen Hintergrund fällt dann auch stärker auf, wie leicht man ein Flugzeug schicken könnte, um Geflüchtete aus einem überfüllten Lager in Griechenland zu retten, wenn man wollte. Aus Moria. Und wie willkürlich es ist, es nicht zu tun. Wie leichtfertig da von einem – ererbten, nichtmal selbst erwirkten – Oben herab andere Menschen in Wertigkeiten eingeteilt werden, die sich je nach Situation drehen lassen, wie es gerade opportun ist – und das nur aus einem Grund: weil man dafür reich genug ist.
Gleichzeitig gibt es eine Menge Asylwerber, die bereits hier sind, die befähigt wären, die aber nicht arbeiten dürfen – in der Pflege, am Feld, you name it. Es ist absurd.

An all diesen Stellen wäre der Perspektivwechsel gefragt, der Wandel im Denken und im Handeln! Und was tut sich da? Nix.
“Die Österreicher” bleiben so arrogant wie eh und je. (Man stelle sich nur das Geschrei vor, wenn “de Auslända” uns nicht nur die Arbeitsplätze wegnehmen, sondern auch noch eine – wieder gleich hohe – Familienbeihilfe und die Intensivbetten!)

Oder dieser Mangel an Erntehelfern jetzt. Es kursiert ein Meme mit dem Titel “Scheiße, die Ausländer geben uns unsere Arbeitsplätze zurück!” Zihihi. Auch da sollen jetzt welche eingeflogen werden, hört man.
Für Jobs, die für so wenig Geld doch hierzulande oder in DE oder einem anderen reichen EU-Land kaum wer machen will. (Nicht unbedingt, weil die Leute zu faul wären. Sondern weil das Leben mit unseren Standards weit mehr kostet als das, was man dort verdient.) Wer ‘stellt’ sich für 8€ oä Stundenlohn hin (in gebückter Haltung) und erntet Erdbeeren oder Spargel? Und das, ähem, in einem Risikogebiet?

Würde man dort mehr verdienen, wäre auch die Ware für den Endverbraucher teurer. (Auch nicht unbedingt, weil das so fix sein müsste. Sondern wohl auch, weil von den Gewinnen, die zwischen Erzeuger und Endverbraucher entstehen sollen, niemand dazwischen was abgeben wird.) Damit steigen wiederum die Lebenshaltungskosten, zack, Endlosschleife.

Wir hecheln unseren eigenen Preisen und Standards hinterher. Es ist ein System, das auf Gewinne angewiesen ist, und zwar auf höhere als im vorigen Jahr. Eine Rolltreppe, die von denen angetrieben wird, die darauf laufen.

sichtbar. Der Welten Lohn
Mir kam auch zu Ohren, dass bei so manchem Supermarkt-Konzern ein Corona-Bonus für die Mitarbeiter locker gemacht wird. Und das mitunter in Form von… wait for it… Warengutscheinen! So bei 250€ sind wir da pro Nase. Pfu, da könnts euch jetzt aber was drauf einbilden.
(Ja, mir ist klar, dass die Zuwendung an Mitarbeiter zu diesem Zeitpunkt nur als Gutschein steuerfrei möglich war. Der Antrag der SPÖ auf steuerfreie Prämien am (iirc) 21.3. wurde abgelehnt und musste hernach erstmal türkis angemalt werden, bevor diese Befreiungen beschlossen wurden – auf “Gesetzesinitiativen des Finanzministeriums”. So läuft das eben. Erstmal rechnen. Lohnsteuer heikel weil viel!

Popelich, sag ich da! Was für ein Geiz. Da haben die allein beim Klopapier mehr Gewinn gemacht in den letzten vier Wochen. Dieser Warengutschein, so witzelten wir letztens zu zweit ein bisserl bös, das ist, als würde man Baumwollpflücker*innen für ihre wochenlange Mühe in einem verseuchten Gebiet einen Meter Stoff schenken. Statt sie ordentlich zu entlohnen, und das immer.

Aber sicher, schlimmer geht immer, manche kriegen für ihren Einsatz nichtmal einen feuchten Händedruck. Wie wirds im Gesundheitswesen ausschauen – in den Spitälern, bei den Ärztinnen, Krankenpflegerinnen, Reinigungs- und Transportkräften, Studentinnen, Helferinnen? (Männer sind mitgemeint ;)

“Aber ich bin systemrelevant!” – “Jo, waaß i eh, und jetzt gusch und hackl weiter!” Ich will ja nicht subversiv sein, aber der Zeitpunkt für einen Streik der sogenannten Systemrelevanten – der chronisch unterbezahlten Erlediger*innen von Oaschhackn aller Art – der wäre JETZT.
Und das sind alle, die sich für das seit Jahren und in den letzten Wochen Geleistete zu gering entlohnt fühlen; die schon davor – für den geringen Verdienst nämlich – die undankbarsten Arbeitszeiten hatten, und das mitunter (zB im Einzelhandel) obendrein unter zumindest druckintensiven arbeitsrechtlichen Verhältnissen.

Weil, hinterher so ein “Wir waren jetzt voll brav, weils nötig war, aber jetzt fordern wir…”? Das interessiert dann keinen mehr. Wenn der Hut nicht mehr brennt, sind die Feuerlöscher im Abverkauf.

Manchen kommt’s vielleicht sogar folgerichtig vor, dass jetzt diejenigen herhalten müssen, die gesellschaftlich sowieso schlechter gestellt sind. Ich mach’s kurz: Willkürliche gesellschaftliche Schlechterstellung ist per se nicht fair. Sie begründet niedrigere Entlohnung. Während diese wiederum als Nachweis für die Schlechterstellung selbst herangezogen wird. Man nennt das einen Zirkelschluss.

Weitere weite Felder
Neben diesem weiten Feld gibt es natürlich noch andere Felder der Veränderung und Erkenntnis. Etliche Leute werden in den letzten Wochen bemerkt haben, dass gewisse Tätigkeiten gar nicht so einfach sind, wie sie sich das gern vorgestellt haben. Daheimsein und auf die Kinder schauen. In der Schule sein und lernen. In der Schule sein und Kinder unterrichten. Täglich kochen und den Haushalt schupfen. Für Angehörige einkaufen, kochen, Dinge checken. Angehörige pflegen.

Oder von zu Hause aus arbeiten – doch nicht nur Party und Ausschlafen, man muss sich organisieren und motivieren; sich konzentrieren können, auch wenn andere frei haben; einen Teil seines Wohnbereiches opfern; man kommt nicht so leicht “aus der Arbeit” wie bei echtem Heimgehen, und so müssen private Abende viel häufiger einem spontanen Weiterarbeiten weichen.

Wird aus alledem eine “neue Wertschätzung” übrigbleiben? Mehr Verständnis?
Die Mehrheit wird wohl das Gespür dafür wieder verlieren, sobald es aus der unmittelbaren Gegenwart des Uff-ich-muss-plötzlich-selber verschwunden ist. Weil’s hinterher von außen immer noch genauso einfach aussieht wie vorher, wenn man dann wieder nur minutenweise zuschaut. Manchen wird diese Zeit aber bestimmt auch eine Lehre sein, die sie nie mehr vergessen werden, und sie werden wertschätzender mit denen umgehen, die bisher so unbemerkt so viel unter einen Hut gebracht haben, ohne jemanden zu vernachlässigen.

Doch letztlich muss Wertschätzung auch finanziell sein, damit innerhalb dieses Systems jemand dauerhaft und zuverlässig was davon hat. Manche könnten etwa für 24h-Pflege ihrer Angehörigen sicher auch mehr bezahlen, wenn sie wollten. Aber das werden sie nicht. Sie werden weiterhin so viel wie möglich für sich behalten wollen von dem, was sie dann in ihrem viel wichtigeren Job wieder leisten und verdienen werden, bei dem sie jetzt grad daheim vorm Laptop nasebohren. (Ich weiß, das ist sehr bös und plakativ, alle Zwischenversionen sind natürlich auch denkbar. Leute, die sowieso mehr zahlen. Ab jetzt mehr zahlen. Mehr Trinkgeld geben. Jetzt wegen Kurzarbeit weniger verdienen. Gekündigt wurden. Immer noch wichtig sind. Sich einen anderen Job suchen werden, weil sie gerne was Sinnvolleres täten als bisher.)

Schwarzweißgemalt wird ja viel in Zeiten von mangelnder Vielfalt wie unserer (wie heißt das, Awiglwogl, das Wort, geringe… Ambiguitätstoleranz?) Musste mich auf Twitter rechtfertigen, weil ich als Einzelerscheinung die Theorie untergrub, es gäbe jetzt nur noch Leute, die entweder gar nichts mehr zu tun haben oder aber unendlich viel. Diese Untergrabung wurde dann der Tatsache zugeschrieben, dass ich dann ja wohl keine Kinder zu betreuen hätte. (?)
Hab druntergeschrieben, nö, nur einen Hund. Hatte an vielen Tagen seit Krisenbeginn auch weit mehr Arbeit als Schlaf, aber dazwischen auch ein bisschen Zeit freigeräumt für Sonne oder Freunde. Und ja, für den Hund.

Von denen, die jetzt viel mehr Freizeit haben, sind die Menschen mit introvertierten Anteilen (vielleicht erstmals?) etwas besser dran. Ihnen wird auch nicht fad, wenn die Live-Bespaßungsindustrie wegbricht. Sie haben nicht das Bedürfnis, es müsse “was los sein”, damit sie sich spüren. Innen ist immer was los.
Wer hingegen bisher meinte, “wohin gehe ich aus und wen treffe ich da” generiere oder definiere Persönlichkeit oder Lebensinhalt, der oder die findet sich womöglich jetzt in kargeren inneren Verhältnissen wieder.

Unter der Schließung von Bundesgärten in so mancher Großstadt leiden sie aber sicher gleichermaßen. Die Natur ist vielen Menschen Trost und Energiequelle, und das wissen wir sicher nicht erst seit ein paar Wochen.

Andere werden in ihrem ganz kleinen, privaten Rahmen erkannt haben, worauf sie wirklich zählen können, when the shit hits the fan. Dass gewisse Leute selbst in so einer Krise nicht für sie da sind. Andere dafür umso mehr. Dass sie ihren Partner nicht dauerhaft aushalten, oder ihre Kinder. Was Sicherheit bedeutet, körperliche, emotionale, soziale, berufliche, gesundheitliche. Was wirklich wichtig ist, und in welcher Reihenfolge.

Dass man manches nicht nachholen kann. Dass es unvorsichtig ist, keinen Kontakt zu jemandem zu haben, den man mag, weil man selbst oder auch diese*r Jemand schon morgen tot sein könnte.
Was eigentlich immer gilt und gelten sollte, umso mehr jetzt, ist dieses Vielleicht: Vielleicht sind es die letzten Wochen unseres Lebens – womit wollen wir sie verbringen?

Feststellen kann man auch, was eine Solidargemeinschaft im Kleinen, im Großen und im ganz Großen wirklich wert ist. Oder wie unerreichbar plötzlich alles ist, wenn Grenzen geschlossen werden, deren Offenstehen lange selbstverständlich war – für unsere Köpfe, die ja alles selbstverständlich finden wollen, was gerade mal ein paar Jahre überdauert hat. Im Verhältnis zur Geschichte der Zivilisation sind offene Grenzen und Reisefreiheit so kurze Abschnitte, dass sie auf einer Zeitlinie nichtmal Punkte wären – für die Köpfe dennoch zu lange?
Vielleicht ergibt sich ja daraus so manches Umdenken, von dem etwas bleibt.

Und was ist mit unserer Freiheit?
Die politischen Gefahren, die sich aus der Gelegenheit zum Alleingang ergeben, wenn so eine Ausnahmesituation es zu rechtfertigen und auch die nötige Ablenkung zu bieten scheint – siehe Ungarn oder Israel; die vielen Gratwanderungen, die sich in puncto Gesetzgebung, Sicherheit, Überwachung und Datenschutz ergeben:
. dass Machtdemonstrationen seitens der Exekutive auch in Ausnahmesituationen wie dieser in einem Rechtsstaat nichts zu suchen haben
.. gerade, wenn Regelungen keinen Sinn ergeben und (auch daher) Unsicherheit darüber herrscht, was man denn darf, (auch weil) sich das wöchentlich ändert
. dass womöglich Kanäle geöffnet werden, über die
.. etwa dem Dienstgeber bekannt werden könnte, welche Erkrankungen oder Medikation seine Angestellten haben, um sie freizustellen; während für Angehörige “relevanter Berufe” keine Freistellung vorgesehen ist, auch wenn sie zur Risikogruppe gehören
.. etwa der Regierung bekannt wird, wohin ich mich bewegt habe, warum und mit wem
.. Bürger*innen sich nicht nur freiwillig via App überwachen lassen, sondern sich und ihre Lieben davon auch noch “besser beschützt fühlen” – der feuchte Traum jedes totalitären Bestrebens

Das alles würde den Rahmen hier endgültig sprengen.
Wir dürfen unsere Holzaugen keinesfalls schlafen schicken, auch wenn die neu gewonnene Freizeit (≠ Freiheit) manche dazu verlocken mag.

Ende der Durchsage
Ich persönlich hoffe, dass mehr Leute spüren, wie heilsam die Stille sein kann. Ich habs gerne ruhig im Homeoffice. Empfand es andererseits auch in einer der letzten Nächte als geradezu tröstlich, bei der Hunderunde von weitem wieder ein bisschen stärker die Autobahn zu hören – und damit, dass es doch einzelne Menschen gibt, die in dieser Nacht noch ein echtes Ziel haben, und vielleicht Menschen, auf die sie sich freuen.

Ich hoffe, dass in den letzten Wochen mehr Menschen gehalten wurden als fallengelassen.
Und ich hoffe, ihr habt es gut und gewaltfrei und bleibt gesund.

Was soll von der Veränderung, die für euch positiv ist, später bleiben? Was muss unbedingt wieder weg?

∙∙∙∙∙·▫▫▫▫ᵒᵒᵒᴼᴼ ᴼᴼᵒᵒᵒ▫▫▫▫∙∙∙∙∙·

Update: Eva Maria, die “Stadtstreunerin“, hat zeitgleich einen lesenswerten Artikel mit dem Titel “Stadtplanung per Virus” in ihrem Blog veröffentlicht, wie immer mit leiwanden Fotos. Der ist so hübsch verschwestert mit meinem und wird daher hier verlinkt.

Dieser Artikel ist Teil der Serie "Corona".<< Zum vorigen Teil: "Corona – vier"Zum nächsten Teil: "Corona – sechs .. Bash the bash" >>

12 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Franzi Michalek sagt:

    Danke für die vielen Gedanken. Doch wie ich auch meine wird sich “danach” nix ändern. So wie das eingangs erwähnte Gummiringerl, das zurück schnalzt und die selbe Form hat wie vorher.

  2. T.M. sagt:

    Ich fange übrigens sehr viele Sätze mit “Die Österreicher …” an. Kommt immer gut.

  3. Oda Schwehla sagt:

    “viva la revolución!”
    …Zeit wär’s…
    Hoffe, es bewegt sich was, wenn wir es endl ernst meinen und uns zumindest iwie engagieren… für alle….bloß nicht locker lassen, ich hoffe, hoffe, hoffe, hoffe!

    btw: toller Blog, fabelhafte Texte! Danke

    • Etosha sagt:

      Danke, liebe Oda! <3 Für die Blumen, und auch für die positiven Vibes. Ich hab von denen mitunter schon zu wenige, und mehr von den resignierten. Kampfgeist und punktgenauer Idealismus verfliegen mit den Jahrzehnten.

  4. laluna80 sagt:

    Super Text!
    Meine Gedanken spontan: Nur weil Zeit zum nachdenken ist, heißt das noch lange nicht, das man es auch tut. Ich glaube, die Leute die jetzt kritisch und wirklich nach/mitdenken haben auch vorher schon sich und ihre Umwelt reflektiert. Nur weil es Obst gibt, heißt es ja auch nicht, dass man sich automatisch gesund ernährt :)
    Es gibt immer noch genug Ablenkungsmöglichkeiten von A wie Alkohol bis z wie zocken.
    Die Leute die auf billigen Lebensersatz ala ständig shoppen, instagrammen, im Automatik-modus “duracellen” ect. stehen, werden das genauso weiter machen, so wie es wieder möglich ist…koste es was es wolle….
    So mancher Großkonzern reibt sich sicherlich die Hände, wenn viele kleine Einzelhändler (im wahrsten Sinne des Wortes) flöten gehen und er somit noch mehr Macht und Kauflustige zugeschustert bekommt. Somit wächst der Einheitsbrei (schon jetzt vielerorts sichtbar) umso mehr. Schade um die Vielfalt.

    Liebe Grüße aus Bayern von einer extrem introvertierten (ich musste sehr über den Absatz der Intros schmunzeln) mir geht es bestens, ich hab endlich nicht mehr die Gedanken, das ich irgendwie seltsam bin, nur weil es mir alleine besser geht. Jetzt kann ich herrlich entspannt soviel lesen, stricken, im Netz surfen, kochen, nachdenken ect. und habe nicht mehr das Gefühl irgendwas wichtiges ala Veranstaltung, Party und Co zu verpassen.
    Ich habe oft versucht mich den anderen anzupassen (extrovertierter zu werden) und habe immer mit meiner Gesundheit bezahlt. Achja menschenleere Feld-und Wiesenwege genieße ich natürlich auch sehr ;) weil es hier ja “nur” eine Ausgangsbeschränkung und keine Sperre gibt.

    Nun aber: liebe Grüße ;)

    • Etosha sagt:

      Merci für die ausführlichen Gedanken! :)
      Wenn es auch bestimmt so sein mag, wie du es beschreibst – “genau so weitermachen” – es wird nicht zu 100% so sein. Das große Erwachen erwarte ich mir davon auch nicht, aber punktuell wird der Groschen fallen oder bereits gefallen sein, und das ist vor allem eins: Mehr als vorher.

      Ad “Habe nicht mehr das Gefühl, was zu verpassen” – auch das halt ich für eine wichtige und heilsame und selbststärkende Erfahrung. Auch wenn sie nur temporär ist. Vielen Dank fürs Kommentieren!

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