Artikel-Serie "Gesundheitsvorherrschaft":
- Die Vorherrschaft der Gesunden
- Gesundheitsvorherrschaft: Aspekte (1)
- Gesundheitsvorherrschaft: Aspekte (2): Kinder
Hier ein weiterer Aspekt der Vorherrschaft der Gesunden, der selbsterklärten “Starken” und ihrer latenten Feindlichkeit gegenüber den angeblich Schwächeren: Kinder sind verletzbar.
Kinder können sich nicht wehren
In einer Begegnung zwischen zwei gleichberechtigten Menschen müssen 50% des Infektionsschutzes von jedem Beteiligten kommen. Niemand kann sich da ebenso gut ausschließlich “selber schützen”.
Doch Kinder können das am allerwenigsten. Sie sind völlig davon abhängig, was ihre Eltern, Großeltern und ihre Lehrer und Lehrerinnen denken und für richtig und wahr halten. Sie sind durch die Schulpflicht gezwungen, sich täglich mit vielen anderen Menschen in geschlossenen Räumen aufzuhalten. Und sie sind noch viel stärker dem familiären Druck und dem Gruppendruck ausgesetzt, als man das als Erwachsener ist, sofern man eine gewisse mentale Unabhängigkeit erreicht hat.
Der Staat müsste demnach besonderes Augenmerk auf den Schutz von Kindern legen.
Es macht mich fassungslos, dass das Gegenteil der Fall ist:
Die Absonderungspflicht für Infizierte aufzuheben, wie dies in Österreich ab 1. August 2022 vom Gesundheitsministerium verordnet wurde… Und jetzt der Plan, die Unterrichtenden, “wenn sie sich gesund fühlen” *, auch infiziert zum Unterricht zuzulassen (wenn diese das “für sich(!) verantworten können und wollen”, mit Maske natürlich) – Kinder mit einem Virus zu durchseuchen, der die Gefäße schädigen kann, die Organe, das Gehirn und Nervensystem und das Immunsystem, der für Folgeerkrankungen sorgt, und das alles mit noch unbekannten Folgen für die Zukunft der Menschheit – das ist das Unvorsichtigste und Verantwortungsloseste, was man diesem Land seit 1945 verordnet hat.
- Wenn alle, die “sich gesund fühlen”, auch nicht ansteckend wären, hätten wir diese Pandemie wohl gar nicht. Das weiß unsere Regierung, oder?
Die Zitate im obigen Absatz stammen von Österreichs Wissenschafts-(!) und Bildungsminister Martin Polaschek. Als es um die Absage der Rektorenchefin Seidler ging, infizierte Vortragende auch an die Unis zu lassen, hat Polaschek diesen Beweggrund auch unumwunden in einer Pressekonferenz rausgehauen:
“Die Universitäten tun sich leichter, weil ja die Schulen auch die Funktion haben, dass ja die Kinder in der Schule sind, und damit die Eltern ja auch davon entlastet(!) sind, auf die Kinder zuhause schauen zu müssen.”
[Im Video-Link ab Minute 24:18]
Die Belastung eines angesteckten und erkrankten Kindes möchte der Herr Minister dann aber schon gern den Eltern überlassen, richtig? Die Belastung durch eine darauffolgende eigene Ansteckung der Eltern oder eines anderen Familienmitglieds sicherlich auch.
Auf die Journalisten-Frage, ob man sein Kind wenigstens problemlos daheimlassen kann, wenn man nicht will, dass es von Unterrichtenden angesteckt wird, meint Polaschek, er wolle, dass wir zu “einer Art Normalität” zurückfinden.
Es soll also künftig normal sein, dass eine infizierte Lehrkraft in der Klasse vor den Kindern steht? Und dass Eltern nichts weiter zum Schutz ihres Kindes und ihrer Familie tun können, als diese Situation als “eine Art Normalität” zu akzeptieren, weil unser Gesundheitsminister diese will?
Normal ist, dass man sich einer neuen Situation anpasst, um sie möglichst unbeschadet zu überstehen. An diese Anpassungen gewöhnt man sich dann, und zack – normal! Das ist “mit der Situation umgehen”.
Es ist normal, dass man das Wohl der Gemeinschaft über die eigene Bequemlichkeit stellt. Wenn das einzelnen Individuen nicht eingeht, hilft idealerweise eine verantwortungsvolle Regierung dabei, indem sie dazu Bestimmungen verordnet, in denen sie weitsichtige Vernunft und Vorsicht walten lässt. Auch und gerade für die, die zu wenig oder falsch informiert sind. Auch und gerade für Kinder!
Das ist die Normalität, die wir wirklich brauchen: Ein reifer und weitblickender Umgang mit einer veränderten Situation. Nicht irgendein Umgang, Hauptsache es wirkt so “normal” wie früher(tm).
Niemand braucht eine Scheinnormalität, in der alle sich hinter ihren Händen verstecken und “Du siehst mich nicht!” rufen. So tun, als wäre alles wie vor der Pandemie, obwohl es das nicht ist und wohl auch nie mehr wird – was soll das bringen? Diese Scheinwirklichkeit prallt dann heftig gegen die echte Wirklichkeit all jener Menschen, die ihre Kinder, sich selbst und/oder ihr übriges menschliches Umfeld schützen müssen und denen das einfach verwehrt wird. Diese Menschen haben bereits zu viele Belastungen, als dass sie die von den Bequemen abgelehnte Verantwortung noch mitschultern könnten.
Eine Scheinnormalität, in der Kinder und andere schutzbedürftige Menschen diesen Schutz vor einer Infektion einfach nicht wert sind? Auf so eine können wir gut verzichten.
Und das ist nicht nur mein persönlicher Wunsch. Ich erinnere daran, dass Kinder Rechte haben, etwa Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit und darauf, dass ihr Wohl bei Entscheidungen vorrangige Berücksichtigung findet.
Die österreichische Bundsregierung sieht das anders
Wie schwimmend Gesundheitsminister Rauch sich durch das Interview in der ZIB2 mit Martin Thür zum Thema Aufhebung der Absonderungspflicht bewegte, ist schon geradezu legendär. (zur Transkription)
Wir erinnern uns, dass er diese Verordnung unter Verzicht auf die Stellungnahmen der Länderrunde unterschrieben hat. (Dennoch behauptete BM Polaschek in der Pressekonferenz am 9. August, es wären dem Aus für die Quarantäne, “dieser Entscheidung” “intensive Besprechungen vorausgegangen”.)
Mit der Begründung seitens Rauch, dass es bei den Jugendlichen “Kollateralschäden” durch die Schutzmaßnahmen geben würde (was sich dann überraschenderweise gar nicht so richtig belegen ließ), war hier der wohl auch nur vorläufige Gipfel des Zynismus erreicht: Die Kinder zum viralen Abschuss freigeben und dieses Vorgehen auch noch mit dem Kindeswohl rechtfertigen wollen.
Der Jurist und Antikorruptions-Volksbegehren-Mitinitiator Oliver Scheiber hat in seinem Gastkommentar im Falter die beklemmende Dysfunktionalität in unserer Regierung und deren Verwaltung treffend zusammengefasst.
Kinder sind doch gesund?
Menschen mit instabiler Gesundheit, mit Autoimmunerkrankungen, mit Chemo oder Bestrahlung wegen Krebs, mit Diabetes, mit Immunschwäche, übergewichtige, ältere oder uralte Menschen oder auch Menschen mit einer psychischen Erkrankung oder mit Behinderung – vulgo “Vulnerable” – werden also von krankenfeindlichen Arroganzlern als eh nicht so wichtig für die Gesellschaft und irgendwie minderwertig erachtet, und das wird immer offensichtlicher.
Dagegen fallen Kinder in Österreich offenbar überhaupt unter “komplett wurscht”. Dabei sind doch Kinder meist gesund – noch, zumindest.
Viele Kinder haben aber auch mit eingeschränkter Gesundheit zu kämpfen. Die Familien dieser Kinder führen so ein Schattendasein seit Beginn der Pandemie, dass sich mittlerweile für sie der Begriff “Schattenfamilien” etabliert hat; ebenso wie für Familien mit einem stärker gefährdeten erwachsenen Familienmitglied, wie Tante mit Immunsuppression, Papa mit Diabetes oder schwangere Mama. Diese Familien konnten das alltägliche Leben vor lauter “sich selber schützen” auch schon vor den Verordnungen der neuen Wurschtigkeit nur noch schwer bewerkstelligen. Von einer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ganz zu schweigen.
Und kleinere Kinder können dieses “sich selber schützen” einfach aufgrund ihres Alters nicht umsetzen; noch weniger als gesundheitlich beeinträchtigte, aber zumindest erwachsene Menschen, die risikobewusst agieren können.
Kinder sind verletzlich
Wann immer also von diesen ominösen “Vulnerablen” die Rede ist, empfehle ich hiermit, auch jedesmal die Kinder mitzudenken. Denn sie können sich nicht im Geringsten wehren gegen alles, was auf der Welt aus Gründen der Gier, des Egoismus und der dummdreisten Selbstüberschätzung über ihre Köpfe hinweg beschlossen und unbekümmert an ihnen durchgezogen wird.
Das Risiko für LongCovid besteht auch bei Kindern (11% laut Zwischenergebnis dieser Studie) und steigt wohl mit jeder Reinfektion. Wer glaubt, da würde einem nötigenfalls dann schon irgendwer irgendwie helfen, irrt. Die (wenigen) LongCovid-Ambulanzen sind so ausgebucht, dass man für einen Termin dort oft schon eine SARS-Cov-2-Infektion nachweisen können muss. Was man nicht kann, wenn man sich nicht mehr um einen PCR-Nachweis bemüht, weil jetzt eh alles wieder so normal und Omikron ja so mild wär. Nicht beirren lassen: Covid-19 ist lt. EpidemieG immer noch eine anzeigepflichtige Infektionskrankheit und muss daher gemeldet werden.
Wer das Leben mit einem LongCovid-Kind oder das (verpasste) Leben mit ME/CFS eher nicht ausprobieren sollte, sind ausgerechnet solche Leute, die finden, schon das Maskentragen wäre für Kinder eine “Strafe” oder “reine Schikane”.
Die ominösen “Vulnerablen”
Der Begriff “Vulnerable” für die unterschiedlichsten Menschen, die sich voraussichtlich nicht so gut gegen eine Infektion mit SARS-Cov-2 wehren können, ist ja auch ein Un-Wort. Es fasst diese Menschen, die Beeinträchtigungen ihres Lebens erleiden, Erkrankungen, Behandlungen, Schmerzen, Sorgen und Bedürfnisse haben, als gesichtslose, anonyme Masse unter einem lateinischen, massiv distanzierten Namen zusammen. Und wie wir aus politischen Framings wie “Flüchtlingswelle” wissen, wirkt sich das negativ auf das Mitgefühl für das Individuum aus. “The Unrelatables” oder “die Vernachlässigbaren” wäre für so eine Bedeutungsebene noch ehrlicher gewesen.
“Stärker gefährdete Menschen” wäre hingegen passender.
Menschen, die wiederholte Infektionen nicht unbeschadet überstehen werden, gilt jedoch mutmaßlich für alle:
Die Folgen der Infektionen akkumulieren sich. Die Risiken für neurologische Folgen nach einer Infektion bleiben über zwei Jahre lang erhöht (kognitive Defizite, Demenz, Psychotische Störungen, Epilepsie, Schlaganfälle); bei Kindern nur kürzer, aber ebenfalls signifikant. Das angeblich so “milde” Omikron macht dabei übrigens keine Ausnahmen.
Menschen mit erhöhtem Risiko sind da, sind Individuen mitten in der Gesellschaft, sind Kinder und Erwachsene. Und wir stemmen unser Leben genauso wie andere, gesündere Menschen, nur gegen weitaus mehr Widrigkeiten, mit mehr persönlichem, zeitlichem und finanziellem Aufwand, und das bei geringerem Energielevel, und seit der Pandemie mit noch mehr Vorsicht und Rückzug.
Viele von uns müssen genauso zur Schule, zur Uni, zur Arbeit, einkaufen und all die anderen Dinge machen, die jeder Mensch macht. Allerdings tun wir das mit dem Wissen ausgestattet, wie es ist, zB mit einer chronischen Erkrankung zu leben – und dabei oftmals ganz normal funktionieren zu müssen.
Wer davon keine Vorstellung hat, sollte sich auch keine realistische Einschätzung der Gefahr zutrauen.
Und dann gibt es ja noch andere Menschen mit erhöhtem Risiko – die wissen nichtmal was von ihrem Risiko.
Außerdem gibt es auch Lehrer und Lehrerinnen, die ein erhöhtes Risiko haben – was tun die, wenn von ihnen ihr Antanzen in einer Schule erwartet wird, wo infizierte Kollegenschaft und SuS rumrennen?
Vorsicht und Weitsicht
Solange unklar ist, wie die Folgeerscheinungen einer Infektion sicher verhindert werden können, müsste also jeder Mensch mit vernünftigem Geist hier größte Vorsicht walten lassen, wenn er sein Leben und seine Kinder liebt. Andere, sorglosere Haltungen dazu bestehen wohl mehr aus Verdrängung und falscher Sicherheit aus verharmlosenden “Alternativfakten” als aus ihrer gern vorgetäuschten, abgeklärten Rationalität.
Denkt doch daher einfach künftig auch euch selbst mit, wenn das Wort “Vulnerable” fällt – das erhöht die Empathie, und es wäre weitaus klüger als etwa krankenfeindlichen Bullshit rauszuhauen. Bullshit, der die Vorsichtigen heute noch als merkwürdig oder ängstlich hinstellen will, der euch aber schon morgen leid tun könnte. Vorsicht und Weitsicht sind nämlich überaus rationale Entscheidungsgrundlagen, mit “Angst” hat das wenig, mit “Panik” gar nichts zu tun, sondern mit vernünftiger Abwägung von möglichen Konsequenzen und (un)erwünschten Zukunftsszenarien.
Wir alle benötigen Schutz vor den Folgen dieses Virus – auch und vielleicht sogar besonders die, die ihn nicht zu brauchen glauben.
Trotz alledem soll das neue Schuljahr in Österreich in wenigen Tagen anscheinend ohne Schutzmaßnahmen beginnen.