Unlängst gab sich der verehrte Herr Winder in seinem Wörterbuch zur Gegenwart im Standard die Ehre zum Thema Inhaltsstoff-Freiheit:
Beim Greissler und im Supermarkt greift eine, mit Verlaub, trottelhafte Mode um sich, nämlich die, mit Hilfe diverser Zusammensetzungen mit dem Adjektiv “frei” anzupreisen, was in Lebensmitteln nicht drin ist. Dass sich die an Zöliakie Leidenden über glutenfreie Produkte informiert werden wollen, leuchtet ja noch ein; dass pflanzliche Öle mit dem Vermerk “cholesterinfrei” versehen werden, schon weniger.
Ein nur im Tierreich vorkommendes Lipid kommt per definitionem nicht in Rapssamen oder Erdnusskernen vor, sodass der Hinweis auf 100 Prozent chlolesterinfreie Erdnuss- oder Rapsöle ebenso sinnvoll sind wie auf kernlose Erdbeeren oder erdölfreie Limonade.
Die Menschen, denen man ihren eigenen Körper betreffend ein X- für ein O-Bein vormachen kann, sterben trotzdem nicht aus. Ich bin jedenfalls sicher, es gibt mehr Leute, die aufgrund des cholesterinfreien Hinweises akut kaufgefährdet sind, als solche, die sich drüber wundern. Denn kaum einer zerbricht sich den Kopf darüber, ob Cholesterin denn nun tierischer, pflanzlicher oder außerirdischer Herkunft sei.
Zugegeben, das ist bitter für jene, die über ein gewisses Grundwissen in Biologie verfügen. Aber – jede Wette – für die Werber ist diese Kleingruppe von Querulanten vernachlässigbar und wird sich daher weiterhin regelmäßig zumindest ein klein wenig verarscht fühlen.
Die amerikanische Lake Superior State University, die alljährlich eine Referenzliste von “missbrauchten, zuviel gebrauchten und komplett sinnlosen Wörtern” herausgibt, berichtet, dass in den USA Lebensmittel inzwischen auch schon zu mehr als “97 % fat free” beworben werden. Wenn sich das bei uns herumspricht, werden wir es auch bald mit Fastenjoghurts zu tun bekommen, die 99,9 Prozent fettfrei sind. Wetten dass?
Mir tut jetzt schon weh, dass bestimmt einige Leute glauben, sie müssten nur 0,1% des Fastenjoghurts unverzehrt im Becher zurücklassen, um sich sogar völlig fettfrei ernährt zu haben.
Der Effekt jedoch bleibt der selbe: Die einen laufen und kaufen, die anderen schütteln den Kopf und verbrennen eben auf diese Weise ein paar Kalorien.
Die Werbeindustrie sorgt gerne für Knalleffekte mit ihrer einzigartigen Zahlenmagie, weil wir uns davon so zuverlässig beeindrucken lassen:
Einundsiebzigmal mehr Ausdruckskraft für Ihre Mitesser. Zehn von neun Testern sind überzeugt.
Die anderen grübeln noch an ihrer Rechenaufgabe.
Den geschätzten Lesern wird ja vielleicht auch noch das eine oder andere Beispiel von sonderbaren Lebensmittelfreiheiten einfallen.
Auf die vermeintliche Kernfreiheit der Vergleichserdbeeren sind wir ja schon im Standardforum eingegangen, und mit meiner überaus wichtigen Anmerkung, dass Erdbeeren koffeinfrei sind, hab ich meinen Teil beigetragen.
Aber man gibt ja gerne: Werbung – 97% hirnfrei.