Ich habe zwei Bücher bestellt zum Thema ‘Sternbilder und die ihnen zugrundeliegenden Sagen’, weil in den vorhandenen Astronomiebüchern auf diese Geschichten gar nicht oder nur sehr peripher eingegangen wird. Geschichten jedoch merkt mein Hirn sich sehr gerne und halbwegs gut, und von diesen Geschichten ist es nicht weit zur Wiedererkennung eines Sternbildes am Himmel, das sich zum Beispiel in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem mir bereits bekannten Sternbild findet.
Heute ist bereits das zweite Buch angekommen, ‘Die großen Sternbilder’ von Ian Ridpath, und mein Überfliegen der ersten Seiten war von erleichtertem Aufatmen begleitet. Das erste Buch nämlich, ‘Sternsagen’ von Wolfgang Schadewaldt, hatte ich nicht sehr lange in der Hand. Der Mann drückt sich derart geschwollen aus, dass man die Sätze nicht mehr entwirren mag.
Zum stillen Lesen für sich allein geht das Buch ja gerade noch, zum Vorlesen jedoch ist das angestrengte Geschwurbel völlig ungeeignet. Ob der Autor jemals daran gedacht hat, dass man Geschichten aus so einem Buch eventuell auch vorlesen wollen könnte?
Der gutwillige Vorlesende jedoch, in diesem Fall ich, verliert in den furchtbar langen Schachtelsätzen alsbald den Faden – und damit die richtige Betonung. Das gespannte Glitzern in den Augen des Zuhörers bleibt völlig aus, stattdessen sehe ich mich mit einem verwirrten ‘Hä!?’ konfrontiert. Aber mich noch einmal durchquälen durch den Satz, das möchte ich dann doch nicht. Also übersetze ich dem Zuhörer den Sinn des Satzes, soweit ich ihn selbst überhaupt erfasst habe, in brauchbare und verständliche Sprache.
Ein Buch mit reinen Stichworten zu Sternsagen wäre dafür jedoch genauso gut geeignet – wenn nicht sogar besser.
Im Umschlagtext aber steht zu lesen: ‘In der prägnanten und klaren Sprache Schadewaldts…’
Wem fallen zu solchen Satzungetümen ausgerechnet die Adjektive prägnant und klar ein? Also nein, wirklich nicht, kann ich nicht bestätigen. Schadewaldt mag ja ein angesehener Übersetzer gewesen sein, ein begnadeter Geschichtenerzähler war er aber meiner bescheidenen Meinung nach nicht.
Beispiel gefällig?
Kronos aber, der sich so an dem eigenen Vater auf furchtbarste Art vergangen hatte, wurde später zur Strafe für seine Tat wieder von dem eigenen Sohn Zeus gestürzt, der dadurch, dass er den Frevler beseitigte, die Gerechtigkeit in der Welt für alle Zeiten wiederhergestellt und zusammen mit seinen Söhnen, nachdem er noch furchtbare Kämpfe mit den Unholden der Tiefe, den Titanen und Giganten, bestanden hatte, jenes Lichtreich der olympischen Götter begründet hat, in welchem die großen Helden der Griechen heraufkommen und, wiewohl mit Leid und Schmerzen, ihre herrlichen Taten vollbringen sollten.
Das ist ein einziger Satz! Kann man das nicht einfacher sagen? Doch, man kann. Aber man muss auch wollen! So manchen mag es stolz und glücklich machen, wenn er einen Schachtelsatz von solcher Brillanz gebildet hat, dass zwischen dem Partizip und dem Hilfszeitwort zwanzig (20!) Wörter eingeschoben sind. Juchuuu, neuer Rekord!
Schön ist das nicht. Gut verständlich erst recht nicht. Also kann es sich eigentlich nur noch um eine Art der sportlichen Betätigung handeln. Ich aber bin kein Sport-Leser. Ich fühle auch nicht die fragwürdige Erregung des intellektuell Überlegenen in mir aufsteigen, wenn ich wieder einen Satz verstanden habe.
Wer etwas zu sagen hat, der sage es so deutlich, wie es eben geht. Komplizierte Dinge sind freilich oft nicht in einfachen Sätzen auszudrücken, philosophische Betrachtungen etwa oder verwirrende Sachverhalte. Aber nicht die adäquat komplizierte, sondern die möglichst einfache Formulierung macht für mich den großen Philosophen aus, und verwirrende Sachverhalte haben oft sogar eine spürbare Freude daran, systematisch entfaltet und hernach einfach ausgedrückt zu werden.
(Sternbild Bärin / großer Wagen)
Und zu ihm gehört in seiner Nähe das hoch von unten aufsteigende Sternbild des Bootes, in dem man wohl einen Mann erkennen mochte, der, wenn er zum Wagen gehört, den nach urtümlicher Weise Ochsen zogen, Bootes, der Ochsentreiber, war, wenn zur Bärin, der Arkturos, der Bärenwächter.
Abgesehen von allem, was mit der bloßen Konstruktion des Satzes zu tun hat, frage ich mich, was wohl ein ‘hoch von unten aufsteigendes’ Sternbild sein mag. Wenn etwas aufsteigt, dann tut es dies gemeinhin dermaßen zuverlässig von unten, dass die gesonderte Erwähnung jener Herkunft reichlich unnötig wird. Wenn es denn wirklich später hoch aufsteigt, das Sternbild, dann soll es mir auch recht sein. Ich persönlich würde aber schon aus Gründen der Nachvollziehbarkeit, ganz altmodisch autoritär, meinen Sternbildern nicht erlauben, ‘hoch von unten’ aufzusteigen. Alles, was recht ist.
Wie von selbst stellte die große Konstellation der sieben Sterne in der Nähe des Himmelspols sich entweder als Wagen mit Wagenkorb und Deichsel oder, von der andern Seite her gesehen, auch als ein großes, schwerfälliges Raubtier, den Bären oder, wie die Griechen meinten, eine Bärin, dar.
Es tut nicht weh, das Wörtchen ‘dar’ nach vorne zu ziehen, damit der Leser nicht wie von einer Hundemeute gehetzt durch den Satz stürzen muss, nur um endlich an dessen Ende den ersehnten Verbzusatz zu finden, auf den er schon seit der ‘Deichsel’ gewartet hat.
In dem Bergland der Peloponnes Arkadien verehrte man diese Göttin als die ‘Schönste’, Kalliste, und von ihr zweigte, wie das oft zu beobachten ist, die Sage ein Menschenmädchen, ‘die Schönste’, Kallisto, ab und gab ihr zum Vater den Lykaon, der ein so wilder Mensch gewesen ist, dass Zeus ihn in einen Wolf verwandelte.
Dieser Satz kommt mir vor wie ein Foto, das gleichzeitig alles und nichts zeigt, nur um sich nicht festlegen zu müssen, und zu dem unser Freund Miro sagen würde: ‘Jaaa, äh, und das Motiv ist…?’
Wichtige Dinge kann man durchaus in Hauptsätzen erzählen. Wie interessant können Geschichten schon sein, die in Nebensätzen abgestellt werden? Schlussendlich lässt sich auch mit der exzessiven Verwendung dieser Nebensätze nicht vertuschen, dass der Autor sich verzettelt und immer wieder abschweift, dass er drei Geschichten in einer erzählen möchte, nur weil sie ihm vielleicht zwischendurch gerade einfallen.
Nähme man alle ‘zumal’ und ‘wohl’ aus diesem Buch, wäre es wohl nur noch halb so dick, zumal sie sehr häufig vorkommen.
Es ist wahr: Die prägnante und klare Sprache zeichnet den guten Geschichtenerzähler aus. Das Ende einer Geschichte und der Beginn der nächsten sind eindeutig erkennbar. Gewandt und geschmeidig spannt der begnadete Erzähler seinen Bogen, und wenn er dies nicht ohne Umschweife tut, dann immer zugunsten der Spannung und Plastizität. Für den Zuhörer oder Leser bleibt das zielstrebige Hinsteuern auf den Höhepunkt und auf das Ende der Geschichte zuverlässig im Hintergrund spürbar, sodass er sich vergnügt und vor allem vertrauensvoll in die Obhut des Erzählers begibt.
Sieht sich der Vorlesende dagegen mitten im Satz seines Vertrauens beraubt und daher gezwungen, in einem allerletzten, akuten Zornesschub das Buch mittels einer Schleuderbewegung in die nächstbeste Zimmerecke zu befördern, dass es nur so flattert, dann hat’s nicht so ganz geklappt mit dem Überspringen des erzählerischen Funkens.