Den lieben langen Tag bin ich hier allein, spreche maximal mit meiner Hündin, deren passiver Wortschatz zwar erstaunlich groß ist, aber eben auch endenwollend, oder, seltener, mal mit der Nachbarin, auf deren Wortschatz ich hier nicht näher eingehe. Den Großteil der Wochentagszeit aber bin ich allein, ich frühstücke, arbeite, schreibe, fotografiere, surfe, mache ein Schläfchen oder hol mir im Garten schwarze Fingernägel – alles allein.
Abgesehen von den gelegentlich heranknospenden Tagen, an denen ich schon mit einem Mordsgrant aufstehe, der sich dann meist den ganzen Tag über nicht richtig legt oder bei Bedarf sogar noch ausbaufähig ist, bin ich in meinem Inneren stets ich, so scheint es mir – immer gleich, immer das gute alte Tosherl. Ja, ich sehne mich nach diesem oder fühle mich nach jenem, nicht alles ist stets in greifbarer Nähe, die Laune steigt und sinkt, und ich würde mein Inneres nicht unbedingt mit dem Wort gleichförmig beschreiben, aber da ist eine gewisse Zuverlässigkeit in meinem inneren Sein.
Allerdings ist die Facette der sozialen Interaktion aus diesem Sein anscheinend völlig ausgeklammert. Ich weiß aller inneren Zuverlässigkeit zum Trotze nie, wer ich heute bin. Erst in der Interaktion mit anderen zeigt sich meine soziale Tagesverfassung – beinah so, als wäre es gar nicht nötig, eine Tagesverfassung zu haben, solange man nur niemandem begegnet.
Im entspannten Miteinander, aus dem sowohl mein Arbeits- als auch mein Privatleben größtenteils besteht, ist es so: Bemerkungen und Antworten entschlüpfen mir mehr, als dass ich sie planen und vorformulieren würde, und erst aus ihnen erfahre ich, manchmal blitzartig, manchmal allmählich, wie ich an diesem Tag ticke. Dann höre ich, was ich sage, und denke mir was dazu, zetbeh “Puh, Antworten ist abe heuter eztrem xäh, die Laute in welche Feihenrolge schnell gehören mochnal?”, oder aber auch “Holla die Waldfee, heut bin ich ja witzig!”. Ja, fürwahr, ich denke mir “Holla die Waldfee!”, zuweilen. Klar mir. Wem sollte ich es auch sonst denken?
Zwischen diesen Extremen gibt es noch so manche Abstufung. Man möchte meinen, das wäre fast so schwierig wie sich selbst zu kitzeln, aber: ich überrasche mich selbst.
An manchen Tagen kommt wirklich je-des-mal, wenn ich den Mund aufmache, etwas Absurd-Treffendes pfeilschnell hervorgeschossen, ohne dass ich meinem Hirn irgendeine Vorarbeit angemerkt hätte. Die Menschen in meiner Umgebung kennen mich so natürlich auch, aber nicht ausschließlich so – und sie schütteln sich vor Lachen, und manchmal auch ihren Kopf.
Beim Schreiben gehts mir ähnlich. Manchmal weiß ich bereits aus der oben beschriebenen Interaktion, dass ich es am aktuellen Tag mit Worten nicht so habe. Da fallen mir schon beim Reden nur die Zweittreffendsten ein, und beim Schreiben wirds nicht gerade besser, was zur Folge hat, dass ich mit mir selber Wortschatzkramen spiele und über sinnlose Assoziationen, die immer weiter vom Thema abführen – abführen, hihi, Wortverstopfung – und mich darauf bringen, dass ich noch mit dem Hund gehen wollte, weil morgen die Müllabfuhr kommt, hä?, meist den Faden völlig verliere.
Dann aber wieder möchte ich nur ein kurzes E-Mail schreiben und kann nicht mehr aufhören, weil der Unsinn, der mir aus den Tippfingern fließt, so charmant und geschmeidig und melodisch daherkommt, dass ich ihn nicht unterbrechen will, um dem Zauber so lange wie möglich sein buntes Glitzern zu entlocken. Und gar nicht so selten erfahre ich auf diese Weise auch, was ich wirklich denke.
Dem aufmerksamen Leser entgeht natürlich nicht ein gewisser Widersinn, der sich daraus ergibt, dass man auch E-Mails meistens dann schreibt, wenn man alleine ist. Ich aber sage euch, Mailen ist soziale Interaktion. Witzigen Menschen kann ich auch witzige Mails schreiben, bei unwitzigen Menschen gelingt mir das nur höchst selten. (Ich fürchte mich schon jetzt vor der mutmaßlichen Perzeption jedes E-Mails, das ich von heute an verschicke. “Bin ich unwitzig, weil sie mir so ein unfassbar fades Mail schickt?” Ok, ist nur ein Leitsatz, das Ganze. Ausnahmen bestätigen die Regel. Und Angeschriebene sind immer ausgenommen. =)
Es ist jedenfalls ein interessantes und erstaunliches Phänomen, wie zuverlässig ich über mich selbst immer nur die Hälfte weiß, solange ich alleine bin. Es kommt mir vor, als wäre in mir ein Segel aus glänzender Seide gespannt, das jeden Tag eine andere Farbe annimmt, ein Segel mit unterschiedlichen Bereichen der Reflexion, die immer andere Fragmente meiner Umgebung einfangen, tönen und zurückwerfen. Als übernähme täglich ein Aspekt von mir die Führung, den auch ich selbst erst dann wiedererkenne, wenn er den Mund aufmacht. Bis dahin weiß ich nicht, wer heute Dienst hat – ist es der Narr? Der aufbrausende Großkotz? Meister Scheißminix? Der Schöpfer oder der Erschöpfte? Oder ist es gar ein Debütant?
Wie stellt man also fest, wie man zu einem konkreten Zeitpunkt gelaunt ist? Man treffe jemanden und höre sich selbst zu, was man sagt, und wie man es sagt. Das Phänomen ist auch und gerade deshalb so spannend, weil man nicht die volle Kontrolle darüber hat.
Man höre also nicht nur in sich hinein, sondern manchmal auch aus sich heraus.