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Fassade

Eine schöne Fassade braucht Pflege, Schutz und Zierde. Man kann sich vorne unaufhörlich mit der Optik beschäftigen, ziselieren, staffieren und korrigieren. Hinter einer schönen Fassade kann man allerlei verschwinden lassen, was sich vorne nicht so gut macht. Man muss dann auch nicht ständig hinschauen, nicht mehr so oft hinschauen, gar nicht mehr hinschauen; hineinschauen, in das Verborgene, das im Schatten liegt, im Schatten der Fassade.

Man kann sich dann sagen, das Unschöne wäre hinter der Fassade ohnehin besser aufgehoben. Doch nicht nur das. Auch die gar nicht so unschönen Empfindsamkeiten. Alles, was jemand wahrnehmen und daraufhin falsch verstehen oder ausnützen könnte. Was jemand gegen dich verwenden könnte. Dir einen Strick draus drehen. Dir damit ins weiche Bauchfell stechen. Alles, worüber man mal reden müsste. Was schiefgegangen ist. Was sich entfernt hat, abgetrieben ist – davongedriftet im Sog der Zeit.

Man kann so eine Fassade weitläufig gestalten. Platzt der Platz aus allen Nähten, dann baut man einfach noch einen Breitenmeter dran. Und noch einen. Anstückeln, verbinden, verstärken, verkitten, verzieren, da capo al fine. Und dahinter aufstapeln, anhäufen, türmen, zusammenballen, auf engstem Raum, unter steigendem Druck.

Selbst dann noch, wenn es bereits zu qualmen beginnt. Noch einen Meter. Bis die kritische Masse erreicht ist, sich das Verborgene unter dem Druck verflüssigt wie Lava. Langsam, aber unaufhaltsam sickert es durch, gräbt kleine Kanäle, die sich mit anderen kleinen Kanälen zu Bächen verbinden.

Und die Bäche werden breiter, mächtiger, schwellen an zu einem heißen Fluss, der alles mit sich reißt und jedes Sandkorn aus jeder Ritze ausschwemmt. Bis der Druck zu groß wird, die Last zu schwer, bis Risse entstehen, Schwellungen, Platzwunden, und die Fassade schließlich zerbirst und alles nach vorne ausspeit – das ganze Sammelsurium: Unschönes und vermeintlich Verbergenswertes, scheinbar Schutzbedürftiges und nicht mehr Funktionierendes, Begründungen, Erwartungen, Enttäuschungen, Schund, Schand, Schuld, Recht, Verrat – Unrat… oder Rat?

Im rauchenden Trümmerfeld liegen dann auch Brocken der schönen Fassade, ihre Verzierungen zerbrochen, ihre Stücke aufgeweicht und verschmutzt.

All die Mühe umsonst! Nochmal von vorn?

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#Fassade
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Dein

dein möcht ich nicht sein
lieber mein eigenes mein
mit recht, fug und gefühl
bestimmen was ich will

nach langem, bangem zwang
ganz dein zu sein im sinn
kein drang von mir verlang
verlör sonst, wer ich bin

möchte mich gern behalten,
will lieber von mir geben
als genommen in gewalten
unbehagen überleben

deine seite, augenhöhe,
einfach, ganz und offen sein
tausche ferne gegen nähe
mein wird dann von selber dein

keine rechte, nur erlauben,
keine pflichten, sein lassen,
nur empfangen, nicht errauben,
vertrauen zu gezeiten fassen

ich bleibe lieber mein
und was du bist ist dein
im brennpunkt sammelt sich
das teilen zutraulich

#dein
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Bistro Poetry von damals – Neue Übersetzung

Ihr erinnert euch sicher nicht, dass ich anno 2006 ein formschönes und stabiles Mundart-Gedicht veröffentlichte, das ich für einen Wettbewerb namens „Bistro Poetry Contest“ geschrieben hatte.
Ich hatte es im Dialekt verfasst und dann auch noch nach Außerösisch übersetzt. Auch einen Podcast gab es dazu, man nötigte mich geradezu zur Klarstellung der korrekten Betonung und Aussprache des eigenwilligen Ösitanischen. Und das alles findet ihr in diesem alten Eintrag.

Nun gibt es dazu auch eine englische Übersetzung – und wieder habe ich eigens für einen Twitter-Freund geschrieben, nämlich den schrägen Vogel @dephunkt. Der wollte eine Demonstration meiner Mundart, und da fiel mir nur dieses Gedicht ein.

In den jeweils ersten beiden Zeilen wehrt das Gedicht sich hartnäckig gegen jeglichen Reim, wir haben aber ausgemacht, dass es zum Ende der Strophe hin jeweils klein beigeben muss:

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Vom Wünschen

Wünschen darfst du dir, was du willst!
Ich wünsch mir auch einen Mercedes.
Zwei Sätze, ein Urheber: mein Papa, wortwörtliche Begleitung durch meine Kindheit.

Seit meinem Schlüpftag hab ich mir schon so einiges gewünscht. Vieles war aus finanziellen Gründen früher nicht machbar, heute aber schon. Ich hab mich daher ein wenig zum Jäger und Sammler zurückentwickelt.

Natürlich erschaffe ich auch wirklich zuweilen kleine Kunst, aber in erster Linie bin ich wohl ein Kunstmaterialsammler. In meinem Werkzimmer türmen sich die Farben, Stifte und Bastelmaterialien. Doch ich kaufe nicht nur, ich hebe auch vieles auf, was gratis daherkommt. Mein Mann schüttelt darüber oft den Kopf. Er freut sich aber, wenn er etwa Bedarf anmeldet nach einem „länglichen Schaumgummi-Eumel mit ungefähr so einem Durchmesser“ (hier Zweifinger-Geste imaginieren) – und ich aus meinem Fundus tatsächlich so einen hervorzaubern kann.

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Vom reflexiven Schleichen

Auf meinen letzten schriftlichen Schnappschuss der konjunktivischen Sprachgepflogenheiten dieses Landes hat Kollege nömix wieder einen gar hübsch amtsdeutschen Folgeeintrag gedichtet. Er spricht dort von iterativen Appendices und allerlei anderen unanständigen Termini, wo es doch nur um den Fortsatz „-ad“ oder „-adad“ geht, der den Konjunktiv II hierzulande kennzeichnet. Die ösitanische Sprache ruft, und wir beide folgen, das ist so smooth wie Pingpong zu dritt.

Schön sind dabei auch immer die Kommentare, wo man sich im diesmaligen nömixschen Folgeeintrag im Zusammenhang mit diesem schönen Satz etwas wunderte:
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Gratwanderung

Hier erzählen die letzten lebenden Zeitzeugen vom Holocaust und dem Horror, den sie erlebt haben, während dort schon die Nächsten aufmarschieren und nach Säuberung rufen von den Feindbildern, denen sie hinterherjagen. Wahllos und mannigfach wirkt die Wahl der Feindbilder, aber irgendjemand wird schon schuld sein an ihrer Misere.

Hat man ein bisschen Bildung genossen, so ist einem zumindest ansatzweise klar, was diese Zeit für die Menschen bedeutet hat, und dass immer die Gefahr besteht, plötzlich selbst als Untermensch zu gelten – je nachdem, wie das Fähnlein sich gerade bewegt im Wind der Sündenbockhatz.

Das Paradoxe an der Bildung: Nur sie schafft ein Bewusstsein für die gedanklichen und emotionalen Fallen, in die man tappen kann, wenn man sie nicht hat. Und nur Bewusstsein kann zuwege bringen, dass die Vergangenheit sich nicht wiederholt.

So wandern wir auf dem Grat zwischen Vergangenheit und Zukunft.

Man muss wissen, was passieren kann. Insoferne glaube ich, dass diese Nächsten, die da marschieren, Ahnungslose sind.

Doch gestern habe ich den ersten „Freund“ auf Facebook entfernt, der ein Bild mit Mottosprüchen dieser Gruppierung geteilt hat, ohne kritisch darauf einzugehen. Das war jemand, der ein Leben in Saus und Braus lebt und sich überhaupt nicht nach Feindbildern umsehen müsste. Dieser eine macht mir viel größere Angst als die Tausend da drüben.

#Gratwanderung
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Jetzt noch einfacher!


„Betrifft: Antrag auf Vergütung der Vorsteuer AT201409xxx
von: vatrefund-de@bzst.bund.de

[…]
Für eine ordnungsgemäße Antragstellung muss der Antrag der Richtlinie 2008/9/EG entsprechen, vollständig sein und fristgerecht einschließlich der vorlagepflichtigen Belege eingereicht werden.

Sofern Sie über das Portal Ihres Ansässigkeitsstaates dem Antrag nicht alle gemäß Artikel 10 der Richtlinie 2008/9/EG vorzulegenden eingescannten Originalbelege beifügen konnten, reichen Sie die fehlenden Belege bitte unverzüglich per E-Mail, auf CD oder USB-Stick nach.
[…]
Bitte beachten Sie, dass Antworten auf diese E-Mail bzw. Nachrichten an die Absenderadresse nicht verarbeitet werden können.“

Es wär ja schon fast lustig, wenn’s nicht so traurig wär. Müßig zu erwähnen, dass in diesem Mail nicht womöglich eine andere, empfangsbereitere E-Mail-Adresse oder gar eine Telefonnummer erwähnt wird.
Die wesentlichen Teile wurden von mir im Fettdruck formatiert, nicht etwa vom Absender.

Die angesprochenen Belege muss man übrigens im Antrag beinahe 1:1 abtippen: Rechnungsaussteller, Adresse, UID-Nummer, Rechnungsnummer, Nettobetrag, Vorsteuerbetrag… Wozu man dann noch Belege einreichen soll, ist mir schleierhaft. Vielleicht um das Papieraufkommen nicht zu gefährden?

Antworten auf solche Rückvergütungsanträge an andere Länder, etwa Tschechien, erhält man übrigens freilich in der Sprache des jeweiligen Landes. Nichts Geringeres erwarte ich von einem Amt, das sich mit internationalen Anträgen befasst. Ist ja nicht so, dass die wüssten, aus welchem Land der Antrag kommt, gell?

Ich hoffe, die Tschechen wollten nicht auch noch Belege per Unerreichbarkeits-E-Mail. Mein Amtstschechisch ist nämlich leider ein bisschen eingerostet.

Alles happy in der EU.

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Bubi

Ja, ich weiß, dass täglich schlimme Dinge passieren auf dieser Welt, in dieser Stadt. Und ich weiß auch: schlimmer geht immer.
Manche davon treffen aber mitten ins Herz – gewisse Nachrichten lassen mich lange nicht los, sind mir beim Einschlafen genauso präsent wie beim Aufwachen, und entlocken mir die eine oder andere Träne. Jeder hat eben seine besonders weiche Stelle im Bauchfell. Hier ist ein Treffer:

Heute vor einer Woche hat ein Unbekannter in der Wiener U6-Station Jägerstraße grundlos einen Hund totgetreten. Der Hund hieß Bubi. Sein Frauchen war dabei. Der Hund des Täters ebenso. Und eine Begleiterin.

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Probenentnahme ganz ohne Außerirdische

Im Juni hatte ich an die zuständige Wasserbehörde gemailt, weil sich in der Schwechat (dem Fluss) regelmäßig Schaum bildet. Diese Schaumbildung ist an manchen Stellen richtig massiv, und das seit Jahren. An den Flüsschen hier in der Gegend bin ich regelmäßig mit dem Hund unterwegs, der Hund trinkt und badet, ich stapfe barfuß da durch – da wüsst ich schon gern, was da zu meinen Füßen schäumt.

Ich wurde im Juni auch schnell zurückgerufen – es dauerte allerdings ein Weilchen, bis wir einen passenden Termin für drei Leute finden konnten (Mitarbeiter von der Gewässeraufsicht, Chemikerin sowie meine Wenigkeit zum gezielten Auffinden einer schäumenden Stelle).

Heute früh fand aber hochoffiziell und in meinem Beisein eine Wasserprobenentnahme aus der Schwechat und dem Neubach in Pellendorf statt. Die beiden sehr netten Herrschaften sind auch jetzt noch an den Flüssen unterwegs, um weitere Proben zu entnehmen.

Der ge- und befürchtete Demonstrationseffekt trat zum Glück nicht ein – ich konnte den Experten gleich an der ersten aufgesuchten Stelle auf Anhieb den Schaum zeigen, demzufolge stand ich freundlicherweise nicht da wie eine hysterische, übersensible Dramaqueen. Dem Gewässerschutzbeauftragten zufolge bin ich die einzige, die das jemals gemeldet hat, obwohl viele Leute hier in der Gegend den Fluss nutzen – zum Fischen, als Badegelegenheit für sich, ihre Kinder, ihre Hunde…

Bin schon sehr gespannt auf die Analyseergebnisse!

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Von Trauer und Traurigkeit

So viel los, so viel Arbeit, so viel junger Hund, so wenig Zeit. Immer wieder plötzlich ein wenig Blut an den Fingern, Fräulein Hund verliert ihre Milchzähne. Sie hat allerlei Ideen, was man zum Spielen benutzen könnte. Gestern hat sie einen Teppichrest auf tausend kleine Wuzerln zerlegt. In diesem Moment fischt sie ein Pflanzsubstrat-Steinchen aus einem meiner Blumentöpfe und kaut krachend darauf herum. Einer der unteren Reißzähne ist schon ganz locker, sitzt aber an der Basis noch fest im Zahnfleisch. Sie würde alles probieren. Den anderen unteren Reißzahn hat sie vorgestern ausgespuckt.

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