Windiges

Selten wurden wir vor starken Winden so früh und so eindringlich gewarnt wie dieses Mal, scheint mir. Vor dem neuglänzenden Hintergrund des Klimawandels wirkt die Freude der Medien an der Berichterstattung viel echter. Es gibt ihn wieder, den Stoff, aus dem die Gespräche sind.

Kein Lüftchen bewegt sich, aber man bereitet sich eilig auf den großen Sturm vor, wie archaische Bewohner einer alten Welt mit Kristallkugeln aus Satellitenbildern. Leutselige Katastrophenstimmung kommt auf, man wird von plötzlich wohlwollenden Nachbarn angesprochen, die bislang mühelos ohne einen Gruß auskamen.

Danach hat sich gezeigt, dass der kyrillische Sturm unseren großen Sonnenschirm nicht mochte. Nicht, dass er aufgespannt gewesen wäre. Aber ihn wegzuräumen war bei seiner Größe in Ermangelung des dazu nötigen Raumes einfach nicht möglich. Ihn aus seiner Halterung zu ziehen für meine mickrigen Ärmchen auch nicht, und nicht einmal für den Sturm, darum hat der ihn einfach abgebrochen. Jetzt liegt der Schirm da und sieht irgendwie traurig aus. Mit dieser frühen Pensionierung hat er nicht gerechnet, nicht nach diesem mickrigen Halbsommer.
Des Nachbarn große, aber kärgliche und zerfranste Lärche ist bei uns nicht sonderlich beliebt, sie sorgt zum einen im Sommer für allzufrühen Schatten in unserem Garten, zum anderen verteilt sie bei Wind ganze Äste zwanglos auf unserem Rasen.

Meinen Schlaf hat er auch gestört, der Sturm. Schon davor wurden vom Flughafen aus im Minutentakt Flugzeuge in den Himmel geschossen, als gäbe es kein Morgen. Die Startgeräusche verwoben sich später mit dem Donnern des Sturms und ließen keine Unterscheidung mehr zu. Mit diesen Passagieren hätte ich nicht tauschen wollen.

Vielleicht kam meine Schlaflosigkeit auch den Umweg über den Bewegungsmelder für das Ganglicht. Häuser sind nicht annähernd so winddicht, wie man glauben möchte. Bläst es draußen, zieht es auch drinnen. Ungünstig platzierte Bambusvorhänge mit Motiv gaukeln dann dem halogenen Light-on-demand einen vorbeiwandelnden Bedürftigen vor, der bereit ist, seine mühevoll erworbene Schläfrigkeit dem spontanen Durchbrennen seiner Pupillen zu opfern.
Wir bewegten uns aber gar nicht. Der Mann auf der anderen Bettseite starrte in seiner Faszination für Wind halb sitzend, halb liegend auf die nur indirekt sichtbare Expressluft vor dem Schlafzimmerfenster.

Ein wenig flexibel muss man schon sein, so als Haus. Diese Biegsamkeit äußert sich bei Sturm in Geräuschen, die den Schlaflosen flüchtig an davonfliegende Dächer und luftig aufgewirbelte Schlafzimmerinhalte denken lassen. Oder an plötzlich aufklaffende Risse in Mauern und einstürzende Holztreppen. Je nach Haus.

Für meinen Geschmack zu aufgewühlt, das alles. Es darf gerne wieder ruhiger werden.

6 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Eugene Faust sagt:

    Wieder einmal ganz wundervoll ge- und beschrieben. LG von Eugene

  2. Sehr schöner, gelungener Text, meine Liebe! :-)

  3. Etosha sagt:

    *aufdenrückenroll* *schnurrrrr* :)
    Der Sturm lässt zur Höchstform auflaufen – auch beim Herrn Waschsalon gabs einen sehr schönen Text.

  4. rotfell sagt:

    sehr schön die Feder geführt…äh, die Tasten gedrückt. ;) Gefällt mir!

  5. nömix sagt:

    hatte das windige Vergnügen, die Randausläufer Kyrills während der Überfahrt von Ramsgate nach Oostende zusammen mit anderen Fernfahrerkollegen in der Schiffsbar der Autofähre abzuwettern. Unsere berufstypische Großmäuligkeit war etwas gedämpft, dass wir Fernfahrer gern “mit’n Tee umeinand schütten” diesmal nicht redensartlich, sondern wörtlich zu verstehen :)

  6. Etosha sagt:

    Danke, Rotfell! Für dich schnurr ich extra nochmal los!

    nömix, klingt seeehr gemütlich ;) Schade, dass es darüber keinen ausführlicheren Bericht gibt! *rempel*

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