Jeder, der schon mal das Bedürfnis hatte, im Programm des Lebens einen Mausklick auf Bearbeiten-Rückgängig auszuführen – aus dem Wunsch heraus, im Nachhinein verändern zu wollen, was nicht mehr veränderbar ist – kennt das Gefühl, dass die Uhr sich nicht zurückdrehen lässt, dass getane Dinge geschehen bleiben.
Aber hattet ihr dieses Gefühl schon mal nach schönen Erlebnissen? Die Empfindung, dass all die wunderbaren Momente unwiederbringlich sind, für immer verloren in der Flut mehr oder weniger nebliger Erinnerungen, die wir unsere Vergangenheit nennen?
Einige technische Errungenschaften sind der profane Ausdruck dieser verzweifelten Sehnsucht nach dem Gestern, all die Tonbandgeräte, Fotoapparate und Videokameras ein kläglicher Versuch, den Augenblick zu bannen. Wir denken kaum jemals darüber nach, doch jede CD, die wir heute hören, jeder Film, den wir ansehen, ist ein geistiges Enkelkind dieser ursprünglichen Sehnsucht, gefühlsintensive musikalische oder szenische Momente für die Ewigkeit festzuhalten und wiedererleben zu können.
Wenn wir aber auch solcherart unserer Leben aufzeichnen und später betrachten oder anhören – wir erleben den Moment nicht wieder. Wir sind nicht auf die gleiche Weise dabei. Wir sind dann nur noch zu spät gekommene Zuschauer der ehemaligen Gegenwart unseres Lebens.
Ich erlebe dieses Gefühl sehr häufig. Wenn, wie etwa gestern, schöne Abende mit Freunden zu Ende gehen, und noch Tage danach habe ich – neben den schönen Erinnerungen – die intensive Empfindung des Verlierens an und gegen die Vergangenheit. To be continued… but not to be rerun.
Hervorgerufen wird diese Stimmung vermutlich durch die nachträgliche Befürchtung, Momente nicht ausreichend genutzt zu haben, gepaart mit dem Unwillen zur Selbstverständlichkeit und ebenjenem starken Bewusstsein, diese Augenblicke nicht wiederholen zu können.
Sogar während der schönen Erlebnisse habe ich zwischendurch bereits kleine vorgeschmacksartige Gedanken an diese baldige weil zuverlässige Wehmut.
Zwei meiner Freunde empfinden Ähnliches. Wir haben im Hirntschecheranten*jargon diese Gedanken vorausschauende Sentimentalität getauft und uns T-Shirts drucken lassen, auf denen ‘sentimentaler Trottel’ steht.
Ich nehme diese Wehmuts-Vorankündiger mittlerweile positiv und zum Anlass, mich noch stärker im Moment einzufinden und Nebensächliches auszublenden.
(* hirntschechern: nachdenken, geistiges was-wäre-wenn-spielen)
Das Ganze mündet tags darauf in einem zähen Gefühlsmix, einer mit Freude vermengten Sentimentalität und Wehmut, so intensiv, als wäre das Erlebte bereits 30 Jahre her. Vordergründig äußert sich das in so banalen wie ausführlichen Überlegungen, ob ich nicht noch mehr hätte tun können, damit meine Freunde sich bei mir wohlfühlen, ob ich jedem Einzelnen genug Aufmerksamkeit geschenkt habe. Tatsächlich aber glimmt im Untergrund das Feuer des Verlustes: Momente gewonnen, Momente zerronnen.
Momente gewonnen, ja, aber Momentene zeronnen? Auch wenn der Moment vorrüber geht und nur als Schimmer der Erinnerung verbleibt, so ist er doch da gewesen, hat einen glücklich gemacht und einem etwas gegeben, was man vielleicht nie vergessen wird. Natürlich fordern die Spielregeln, dass man den Abend ziehen läßt und sich nie wieder vollständig in die Empfindungen dieser Nacht zurückversetzen kann. Aber diese Vergänglichkeit ist doch zumindest ein Teil dessen was das Glücksgefühl ausmacht, denn sonst würden wir diese Zeiten kaum als etwas Besonderes wahrnehmen. Für mich bleibt immer die Hoffnung und Vorfreude auf den nächsten dieser Momente, der mich ungeplant überwältigen wird und darauf drängt in einem kleinen Heiligtum in meinem Inneren bewahrt zu werden.
Schöner Kommentar, vielen Dank. Natürlich hast du recht. Rein rational betrachtet seh ich das natürlich auch so: Die Vergänglichkeit gehört dazu.
Ich empfinde sie nur eben sehr stark. Veränderung, obwohl sie mir gut tut, ist im Grunde nicht mein Ding. Zumindest seelisch nicht, oder sagen wir lieber: nicht immer.
Ich brauche meine Zeit, um loszulassen, egal was, und mir scheint, das wird mit jedem Jahr stärker. Ich möchte Augenblicke festhalten, mich darin einwickeln und wärmen. Dabei ist die Zeit der Feind meiner Seele.
Ich versuche, den Gedanken der Vergänglichkeit nicht zuzulassen.
Ein schöner Moment ist vorüber und als genau derselbe nicht zu reproduzieren, und genau das zeichnet ihn aus, wie Gunnar schon sagte. Ich kann aber dafür sorgen, ähnliches in anderer Ausprägung wieder und wieder zu erleben. Freundschaften pflegen, viel unternehmen, reisen. Das Leben bietet zu viel immer Neues, um an Vergangenem festhalten zu wollen. Sich erinnern -ja, nachtrauern – nein.
Nicht zuzulassen passt nicht in mein Konzept der sich selbst gegenüber durchsichtigen Etosha.
Und irgendwo drin bin ich immer noch ein Kind, das nicht einsieht, warum es seine Zeit nicht ausschließlich mit schönen Dingen und liebgehabten Menschen verbringen darf.
Der Kernsatz in meinem Geschwurbel ist wohl ‘der Unwille zur Selbstverständlichkeit’. Ich glaube, dass diese Gefühle einen Lernzweck verfolgen. Den versuche ich so gut wie möglich zu erfüllen, indem ich diese Augenblicke in vollen Zügen genieße, solange sie eben dauern, und sie nicht für selbstverständlich nehme. Vielleicht verschwindet die nachträgliche Wehmut, wenn ich eben das richtig gut gelernt habe.
“hirntschechern”? Sie meinen “werweissen”. (Hat nix mit “Werwolf” o.ä. zu tun, sondern der Schweizer leitet es schlicht von “wer weiss?” ab)
Was den Moment angeht, so kann man sich noch darüber gewiss werden, dass er erstens notwendigerweise vorbeigehen muss, denn sonst herrschte Stillstand und wir wären am Ende der Welt angekommen, und zwotens auch nicht wiederkehren darf, denn sonst könnte man ihn womöglich beliebig oft reproduzieren und verlöre dadurch seinen Wert völlig aus dem Auge, der ja in seiner Unwiederbringlichkeit besteht.
Ich stelle gerade fest, ich muss wohl auch mal etwas über die Wehmut schreiben …
Also, werweißen… ich weiß nicht. Ich würds dann eher mit Najawerweißdennwennnajasonstaberandererseizen übersetzen.
Mit dem Stillstand hast du völlig recht, das würde uns überhaupt nicht gefallen.
Dass der Wert des Moments in seiner Unwiederbringlichkeit liegt, kommt mir gefühlsmäßig langsam verquer vor. Auch unschöne Momente sind durchaus unwiederbringlich, das macht sie aber nicht wertvoller. Wert hat daran maximal, dass ich sie nie wiedererleben muss.
Klar, das alles ist eigentlich paradoxe Wortklauberei. Natürlich wären mir Augenblicke nicht so wertvoll, wenn ich sie beliebig wiederholen könnte, was aber müßig zu diskutieren ist, weil ich das ja sowieso nicht kann. Die verbale Formulierung ist wie so oft profan – die empfundene Wahrheit dahinter jedoch ist es nicht.
Ich kann da Gunnar auch nur zustimmen!
Wollte aber noch beiwürzen, wie das mir geht, wenn ich nach einiger Zeit (kann Tage, Wochen oder auch Jahre später sein) an einen solchen Moment erinnert werde: Wehmut erfasst mich eher selten, eher die Freude, so einen schönen Moment erlebt zu haben und mit der Gewissheit im Hinterstübchen, diesen Moment jetzt sowieso nicht mehr so erleben zu können, weil ich in irgend einer Form anders in dieser Situation sein würde, ergreift mich dann eher ein Lächeln und die spannende Frage, wie sich derartige Momente in der Zukunft gestalten.
Und dann sind es diese Medien, die oft hilfreich oder gar der Auslöser sind, und mich dazu bringen, den emotionalen Strudel dieses Erlebnisses nachleben zu können. Letztlich war nichts weiter der Auslöser damals für diesen Post
Womit wir wieder bei der Freude wären… und bei der Musik. :) Schön, dass du das so ziemlich frei von Wehmut empfinden kannst!
Und gut, wenn man solche Vergleiche nur in entsprechend freudiger Stimmung postet. Sonst käme womöglich mal sowas raus wie ‘Männer sind Staubsaugergeräusche.’ *kicher*