Noch eine Forderung nach einem Schulfach für wichtige Fähigkeiten – ich weiß schon, die braucht niemand. Aber hey: Wir lernen nicht, wie man Konflikte löst!
Wir lernen nicht, wie man Konflikte löst. Weder innere noch äußere. Wir schaffen es oft nicht einmal im Kleinen, den Frieden und die Gemeinschaft zu behüten:
Uns um unsere eigenen Gefühle zu kümmern, sodass wir sie nicht unbesehen an anderen auslassen.
Uns für unsere zwischenmenschlichen Beziehungen zuständig zu fühlen und dort den Raum frei zu halten von Altlasten, Unausgesprochenem, Leid und Ressentiment.
Authentisch zu kommunizieren, unsere Grenzen an der richtigen Stelle zu setzen und diese umgekehrt auch zu respektieren.
Wir schaffen es nicht, einander so anzunehmen, wie wir sind, und trotzdem besser werden zu wollen.
Wir können nicht unter einem Dach leben, ohne dass der Respekt voreinander verloren geht.
Und als Frau in diesem Land dürfen sich manche noch nichtmal von jemandem trennen, ohne dafür ermordet zu werden.
Und dann sehen wir uns einem weltpolitischen Konflikt gegenüber und wundern uns, warum bloß kein Frieden auf der Welt herrschen kann?
Als ganz junge Menschen werden wir ohne große Vorbereitung auf das Konfliktpotential in eine Gruppe anderer ganz junger Menschen geschubst, in Kinderzimmer, Kindergärten und Schulen. Dort werden wir das dann schon lernen, so Auge in Auge mit den anderen gleichermaßen Konflikt-Unkundigen. Es mangelt uns an Vorbildern und exemplarisch gelösten Konflikten, aus denen alle lernen könnten. Zuständige Erwachsene haben es eben auch nicht in der Schule gelernt. Dann lernen die Kinder es eben auch nicht. Tja, Pech gehabt.
Kinder sozialisieren einander. Und das nicht selten auf sehr brutale Art.
Erprobte, sinnvolle, konstruktive Strategien, die man vorgelebt bekäme, gemeinsam einüben könnte, davon gibt es zu wenig. Aufsichtspersonen sind tendenziell genervt von kindlichen Konflikten, und ein Eingriff von außen besteht allzu oft aus Augenrollen und Relativismus in Form von „Zum Streiten gehören zwei, also hört jetzt beide auf“ und „Gebt euch die Hand und seid wieder gut.“
Die höchste Parteilichkeit der Gefühle: „Entschuldige dich!“ Ohne Einsicht und Aussicht. Vergebung ist Pflicht, Veränderung nicht.
Es gibt freilich schlaue Tipps. Etwa „nicht zu reagieren“, wenn man geärgert, aufgezogen oder angegriffen wird, sei es wegen seines Geschlechts, seines Aussehens oder wegen eines der anderen beliebigen Dinge, die Kinder dazu bringen, andere Kinder zu drangsalieren. Man muss die einfach ignorieren, dann hören die von alleine auf, weil es ihnen dann „zu langweilig“ wird? Oh wie gut, dass ich wenigstens darauf hoffen darf, für eine dauerhafte sadistische Unterhaltung meiner Altersgenoss*innen dann doch zu uninteressant zu werden!
Mädchen kriegen womöglich zu hören, dass die Burschen sie eben „irgendwie mögen“ würden und es nicht anders zeigen könnten als durch Spott oder körperliche Übergriffe. Dass es also im Grunde “eh ein Kompliment” wäre, wenn du mit – wenn auch negativer – Aufmerksamkeit bedacht wirst, weil yay, wie schrecklich wäre im Vergleich dazu gar keine? Das musst du dir dann jedesmal brav vor Augen halten, wenn du sekkiert, verbal belästigt, körperlich angegriffen oder gemobbt wirst.
Wir lernen (auch auf diese Art), uns zurückzunehmen, es den anderen so einfach wie möglich zu machen, sie können ja auch nichts dafür, wie sie eben sind, nicht wahr? Wir lernen, nicht zu viel Raum einzunehmen, uns selbst nicht so wichtig zu nehmen. Nicht laut zu werden, weil wir dann nicht ernstgenommen werden (emotional! OMG! Es kann ja keinesfalls irgendeine Berechtigung haben, wenn es nicht frei von Emotion vorgebracht wird!)
Wir sollen auch für kleine Zugeständnisse dankbar sein. Die andere Backe auch noch hinhalten, hey Jesus, klar, no prob!
Wir beobachten, dass man schwierigen Menschen am besten durch Vermeidung jeder Konfrontation begegnet (wtf?), was zu einem Sonderstatus mit spezieller Rücksichtnahme auf das Schwierigsein führt, vulgo „gehen auf rohen Eiern“. Man hüte sich, andere nach Fehlverhalten allzusehr bloßzustellen; die Schäden an der eigenen Person sind demnach möglichst zu tolerieren, man hält das schon aus.
Oh, doch das alles ist anscheinend eher Teil der weiblichen Sozialisierung. Das männliche Kind dagegen muss sich beweisen, stark “bleiben” und sich durchsetzen.
Wie man mit Ungerechtigkeit umgeht, wie man die Gefühle von Wut, Scham, Traurigkeit erträgt, wie man sie annimmt, tröstet, vermittelt… Und woher man danach noch die konstruktive Kraft nimmt, aus der heraus man den anderen dann (oft gegen dessen Widerstand) an einen Tisch holt und sich an diesen dazusetzt, halbwegs gefasst und angstfrei natürlich, weil man dabei angeblich durchaus für seine Rechte einstehen darf; wie man Zugeständnisse erbittet und macht, wie man sich um eine tragfähige Lösung bemüht – das hat vielen von uns nie jemand beigebracht.
Ebensowenig wie die Tatsache, dass bei guten Kompromissen die stärkere Seite ein paar Zugeständnisse machen muss, weil die dabei weniger verliert; und dass ein „Kompromiss“, der nur das Nachgeben der schwächeren Seite fordert, keiner ist.
Viele Frauen lernen aber, die Wogen zu glätten und dafür zu sorgen, dass alle Beteiligten möglichst bald zu Ruhe und Stabilität zurückkehren können. Kaum haben wir das so acht-, neuntausend mal brav abgeliefert, merken wir, dass es dabei oder danach oft nicht zu der erhofften Gerechtigkeit kommt. Wir merken ebenso, dass der Gefallen oft nicht erwidert wird. Auch nach Fehlern, die andere machen, müssten wieder wir diejenigen sein, die Gespräch und Kompromiss erbetteln. Wir lernen, dass wir mitsamt unserer Kompromissbereitschaft über den Tisch gezogen werden, immer wieder.
Wir lernen irgendwann aber auch, dass jedes Ausweichen vor einem Konflikt Unebenheiten hinterlässt, die sich schnell zu Bergen auftürmen, wenn wir zu nachgiebig sind, unsere Grenzen nicht setzen und nicht für unsere Bedürfnisse oder unser Recht kämpfen. Berge, die irgendwann zu hoch werden, um sie noch bewältigen zu können. Davon wirds nicht einfacher. Eher endgültiger.
Dann lernen wir, wenn wir da Grenzen setzen, dann müssen wir eben akzeptieren, dass wir überhaupt gemieden werden. Weil wir dann nicht mehr ausreichend unkompliziert sind. “Zu anstrengend, keine Zeit, sorry.”
Und dann merken wir, dass in großen weltpolitischen Konflikten die menschlichen Affekte immer noch unkontrolliert ausagiert werden. Keiner macht sich die Mühe, sich mit dem Konfliktgegner an einen Tisch zu setzen, wenn er auch Bomben werfen kann.
Wir Menschen können anscheinend nur Flucht, Angriff oder Stillhalten.
Wo lernen wir, Gespräche zu führen, in denen die Punkte beider Seiten auch tatsächlich gehört und für gültig befunden werden? Von wem lernen wir, gemeinsam Lösungen zu finden, die für beide Seiten annehmbar sind? Was ist Begegnung, Berührtwerden, Bewusstwerdung und Veränderung?
Wann lernen wir aus Fehlern und arbeiten an uns selbst, damit die Zukunft besser und leichter für alle wird?
Und wie kommen wir zu unserem Recht?
(In gewisser Weise ein Nachtrag zu meinem letzten Artikel.)