Der Feminist, das unbekannte Wesen

Zur Spiegel-Kolumne “Wie kann ich als Mann Feminist sein?” von Margarete Stokowski möchte ich ein paar Punkte hinzufügen.

(Via Twitter gefunden -> Hier hab ich Platz, hier darf ich schreibm. :)

Zur Frage “Warum sollte ich überhaupt einer sein wollen?” eine provokative Überlegung retour: “Die wollen mir doch meine Rechte als Mann wegnehmen!”
-> Hm, bedeutet das nicht auch: “Fairness ist mir unwichtig, solange ich meine Rechte behalte”? Zu welcher Art Mensch würde Sie so ein Gedanke machen? Aus meiner Sicht jedenfalls zu einem, der sich, wenns mal in die andere Richtung unfair wird, auch nicht beschweren dürfte.
Ernsthaft, ich hab dazu schon so viel in der Schublade, hadere aber leider wie so oft mit mir wegen der Länge, in die ich so gerne gehe – und das nur, um in meinen eigenen Worten große Hintergründe zu beleuchten, die jede:r ernsthaft Interessierte mittlerweile genausogut oder besser anderswo nachlesen kann. Unter anderem in den Artikeln, die in der oben zitierten Kolumne verlinkt sind – darum: Lesebefehl auch für diese Artikel.
Ganz unten beleuchte ich aber noch ein paar Quadratzentimeter der Bestrebungen von Feminismus, und dass da auch Männerrechte ein großes Thema sind (woah!).

In den Kommentaren auf Twitter zur Kolumne steht, diese Tipps seien doch zusammenfassbar unter “einfach kein Arschloch sein”. So schön es auch ist, dass das viele Menschen offenbar schon als selbstverständlich betrachten, so sehr wird mir persönlich immer wieder klar: das Bewusstsein über Respekt, Gleichbehandlung und Gleichberechtigung ist in den verschiedenen Hirnen hierzulande nicht sonderlich… sagen wir mal, gleichmäßig verteilt. Und die blinden Flecken sind immer noch kolossal. Daher kommen bei mir auch Punkte vor, die mancherhirns immer noch weit entfernt sind von “das muss man doch echt nicht mehr dazusagen”. Stellen wir uns also einfach vor, das hier wäre nicht nur für moderne Menschen, sondern auch für Saurier.

Wie in jedem systemischen Missverhältnis wirken am Systemerhalt letztlich alle Mitglieder mit und nicht nur die einer privilegierten Gruppe. Daher gelten viele der Tipps freilich für Mann und Frau, und für alle dazwischen und jenseits.

  1. (zu 40.) Bedanken Sie sich bei Frauen auch für andere Leistungen. Die wenigsten davon sollten als Selbstverständlichkeit betrachtet werden.
  2. Wenn Sie einen interessanten Denkanstoß von einer Frau* bekommen haben, machen Sie keine fremden Federn daraus. Zitieren Sie nicht nur den Anstoß, sondern erwähnen Sie diese Frau* auch namentlich; auf Social Media per @-Mention der Nutzerin. Auch dann, wenn der Denkanstoß im echten Leben stattfand!
    [Und ad Twitter: Normaler Retweet schlägt “kommentierten Retweet”. Neue Kommentare zu letzterem sind nämlich von der Verfasserin des Originaltweets nicht mehr per Benachrichtigung verfügbar, das nimmt ihr die Möglichkeit zu reagieren. Eigener Senf gehört in die Kommentare, nicht oberhalb eines RTs, besonders wenn dieser Senf ohnehin nur aus einem Emoji besteht.]
  3. Seien Sie ehrlich zu sich selbst und…
  4. (zu 6.+7.) Hinterfragen Sie Ihren persönlichen Anspruch auf Redezeit, positives Feedback und Anerkennung. Gestehen Sie Frauen im Gespräch denselben Anspruch zu, dieselbe Redezeit. Hören Sie zu und reagieren Sie so, wie Sie es sich auch umgekehrt wünschen.
  5. Versuchen Sie einen Vergleich auch mit Ihrem Anspruch auf Toleranz, Verständnis, persönliche Freiheiten, Relevanz Ihrer Person. Hinterfragen Sie generell Ihre eigenen Ansprüche – besonders die unausgesprochenen – bevor Sie fremde Ansprüche kritisieren. Stellen Sie sich dann vor, wie Sie reagieren würden, wenn eine Frau solche Ansprüche für sich hätte und sie laut aussprechen würde.
  6. Stellen Sie interessierte Fragen. Hören Sie sich die Antwort bis zum Ende an. Fragen Sie auch nach, wenn Sie etwas nicht verstehen.
  7. Dürfen bei Ihnen Frauen nur mitspielen, wenn sie sich den Regeln der Männerwelt beugen? Kommen Sie ihnen auf halber Strecke entgegen.
    D.h.: Interessieren Sie sich für die Gepflogenheiten der Frauenwelt. Das heißt nicht, dass Sie sich umgekehrt beugen müssen. Sondern dass sich beide bewegen müssen, um sich in der Mitte zu treffen.
    (Unter Frauen wird zB weit öfter nachgefragt, weil viele sich von einer Gesprächspause nicht automatisch zum Sprechen aufgefordert fühlen, geschweige denn eine solche als Interesse wahrnehmen würden.)
  8. Zwingen Sie die Frauen in Ihrem Leben nicht in Konkurrenzsituationen, wenn es auch anders geht.
  9. Übernehmen Sie Ihren Teil der Verantwortung für Ihre zwischenmenschlichen Beziehungen.
  10. Erwarten Sie, von den Frauen in Ihrem Leben in aktueller Lebensgröße reflektiert zu werden. Nicht in doppelter.
  11. Reden Sie mit Ihren Kolleginnen über die Höhe ihres Gehalts.
  12. Hinterfragen Sie die Bewertung Ihrer eigenen Zeit und der Zeit Ihrer Partnerin/der Frau(en) in Ihrem Leben. Jeder hat 24h pro Tag, die gleich viel wert sind: 24 Menschenstunden. Die Höhe seines Beitrags zum Haushaltseinkommen sollte niemanden von Rechten ausschließen oder von Pflichten entbinden, und auch nicht definieren, wer die Entscheidungen trifft. Schon allein, weil es für Frauen immer noch schwierig ist, bei selber Position dasselbe zu verdienen. Eine Anspruchshaltung aus einer Beitragsüberlegenheit ist schwer wieder auflösbar, wenn sie sich erstmal in das Wertungsgefühl eingeschlichen hat.
  13. Waschen Sie Ihre intimsten Stellen vor dem Sex mit einem anderen Menschen. Leiern Sie keine Quickies an, wenn Sie nicht gewaschen sind.
  14. welche-privilegien
    “Privilegien? Welche Privilegien?”

    Privilegien gehen auf Kosten anderer Menschen, haben aber überraschenderweise auch ihren Preis für die Nutznießer. Feminismus will überfordernde Rollenbilder aufweichen – sowohl weibliche als auch männliche – um mehr Freiheit für alle zu erreichen. Versuchen Sie, darin auch eine Entlastung zu erspüren. Denn es sind ebendiese Rollenbilder, die die zulässige emotionale Tiefe bei Männern auf Wutgefühle beschränken wollen, während sie selbst dafür nur sehr unzureichende Bewältigungsstrategien anbieten, und damit einen großen Teil des möglichen männlichen Seins zu verbotenem Terrain erklären. Rollenbilder, die jährlich tausende Männer in BurnOuts, Depressionen und Selbstmord treiben. Und viele andere Menschen das Leben kosten, weil sie von wütenden Männern ermordet werden.
    Daher noch zwei abschließende Punkte:

  15. Begegnen Sie Ihrer Angst vor allen anderen negativen Emotionen – Unsicherheit, Hilflosigkeit, Trauer, Angst (haha!). Spielen Sie Detektiv. Versuchen Sie, sich selbst unter dem Einfluss einer negativ besetzten Emotion auszuhalten, bevor Sie die Emotion unter einer Handlung begraben, die diese Emotion lindern soll. Versuchen Sie stattdessen, zu benennen, wie Sie sich fühlen – mit Adjektiven, die Gefühle beschreiben! Das ist keine Schwäche, sondern eine Fähigkeit – Affektkontrolle. Eigene emotionale Tiefe ist die Grundlage für Empathie. Vielleicht hilft Ihnen eine Frau in Ihrer Nähe dabei, wenn Sie sie freundlich darum bitten?
  16. Trotzgefühle sind ein sicherer Indikator für ein kindliches Reaktionsschema, das längst von einer reiferen Strategie abgelöst werden könnte. Wenn Sie welche spüren, reagieren Sie nicht trotzig, sondern hinterfragen Sie die dahinterliegenden Überzeugungen und Ansprüche.

Mehr zu Gefühlsabwehr schrieb ich im Jahr 2016 hier.

4 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. peterB sagt:

    was soll man dazu sagen? Ich hab 2 Probleme mit dem Text
    – für mich sind all diese Punkte wirklich selbstverständlich
    – es ist schlimm, dass man solche Selbstverständlichkeiten erwähnen muss. 2019 wohlgemerkt. Hat sich seit Beginn der schriftlichen Aufzeichnungen eher nix geändert.

  2. roswitha zeininger sagt:

    Ich sage Danke für diesen anregenden Text! Werde nachdenken. Selbstverständlich ist nichts. gar nichts davon. Für mich sowieso nichts mehr seit meinem Schlaganfall mit kompletter Halbseitnlähmung. was für ein Geschenk! Geniessen zu dürfen, dass frau gehen kann. Aufs Klo ohne fremde Hilfe z.B. Schön wenn Männlein und Weiblein aufeinander zugehen, selbstverständlich finde ich es nicht. Selbstverständlich wäre für mich das Beharren in der eigenen Komfortzone. Alles andere ist eher unbequem. Danke nochmals!

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