Gastbeitrag: Hausbauer

Da ich zur Zeit ohnehin nicht zum Schreiben komme, hier ein Gastbeitrag von meinem lieben Freund R., der sich schriftlich so seine Gedanken macht und sich über Feedback von Ähnlich-Empfindenden freuen würde. Oder wohl auch von Umgekehrt-Empfindenden. Falls ihr dazu also etwas empfindet, ab in die Kommentare damit!

Ich habe in den letzten Wochen gefühlt nicht die Bohne zustande gebracht.
Manchmal, da wäre ich gerne ein „Hausbauer“. So ein ganz Normaler, mit Familie und geregeltem Einkommen und Zeitungsabo und so. Dann könnte ich jeden Tag sehen, wie meine Häuser immer größer und letztlich irgendwann einmal fertig werden. Und wenn ich dann so mit meiner Familie am Sonntag nach dem Kirchgang (OK, übertrieben), also nach dem Wirtshausgang, den Schweinsbraten und die Knödel verdauend, durch die Straßen schlendere (aka spaziere), dann könnte ich an jeder Straßenecke irgendwann einmal sagen: „Das habe ich gebaut!“ Und „Das da auch!“.

Und irgendwann, wenn ich einmal nicht mehr bin und nur noch welke Blumen meinen von immer mehr Moos überwucherten Grabstein zieren, dann könnten meine Kinder sagen: „Das Haus hat mal der Papa gebaut, und jetzt reißen die das weg und bauen einen Hofer dahin“. Oder so.

Manchmal denke ich mir, wie viele Menschen es wohl gibt wie mich. Also Menschen, die ihr Leben lang Dinge bewegen, die niemals einer sieht, die keiner wahrnimmt und die alle als ganz „normal“ betrachten. Und zack, einmal nicht beim Über-die-Straße-Gehen aufgepasst, und man liegt mit dem Profilabdruck eines MA48-Fahrzeuges auf dem Asphalt. Also weggewischt, die ganze Sauerei. Und vergessen den Menschen. Denn der hatte ja keine Familie, keine Nachkommen, nichts. Man war nie – und dann ist das „nie“ auch noch weg von der Bildfläche. Wie Grashalme nach dem Rasenmähen. Weg, aus, Ende – danke für die Mitarbeit.

Und dann komme ich oft ins Grübeln und denke mir, an welcher verdammten Kreuzung in meinem Leben bin ich nur falsch abgebogen? Wann habe ich links statt rechts meinen Weg fortgesetzt, wann die blaue statt die rote Pille genommen? Und noch viel spannender, man ist ja eh gerade am Denken: Wer nimmt jetzt meinen Platz ein? Wer ist an den entscheidenenden Weggabelungen in meinem Leben eben „richtig“ abgebogen, also nach rechts, nicht so wie ich, nach links. Wer sind die Männer, die anstatt mir „richtig“ abgebogen sind? Und haben die das absichtlich getan, weil die das wussten? Oder war es auch nur der Zufall, so wie bei mir?

Und wem sind die dann begegnet in weiterer Folge, wer sind Ihre Frauen geworden? Haben die Familien gegründet? Bauen die jetzt Häuser anstatt mir? Sind die glücklich? Oder fragen die sich das Gleiche? Vielleicht würden die ja gerne mit mir tauschen? Vielleicht denken die sich etwas Ähnliches wie ich, gerade in diesem Augenblick. Vielleicht schreiben die gerade einem lieben Freund oder einer lieben Freundin und schildern dabei, dass Sie so gerne ein „Nichts“ wären. Gerne etwas machen würden, was keiner sieht und niemand wahrnimmt. Es hassen, dass sie Häuser bauen, und jeder das sieht und sich fragt: „Wer hat denn das Haus gebaut?”

Und vielleicht nervt sie ihre Familie extrem, und sie wünschen sich, dass ein Fahrzeug der MA48 sie selbst oder die Frau oder die pubertierenden „Blagen“ einfach dahinrafft, und sie dann frei und selbstbestimmt leben könnten, so wie ich jetzt und heute?

2 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Forscher sagt:

    Danke, das spricht mir aus der Seele. Ich hab mir die Fragen die letzten Monate häufiger gestellt als sonst, weil der status quo durch die Pandemie einzementiert wurde. Unsichere Jobsituation, eher nichts mit sesshaft werden oder gar Eigentum erwerben. Partner finden ist schwierig, wenn es infektionstechnisch wichtiger wäre, einander aus dem Weg zu gehen statt Fremde zu treffen, die man nicht einschätzen kann. Irgendetwas zu hinterlassen, wenn es schon nicht Familie ist, der Wunsch ist schon da. Das Internet alleine ist keine Befriedigung. Wenn die Infrastruktur zusammenbräche, dann wären auch alle Verdienste und Errungenschaften im Netz auf einen Schlag weg. Also ist der Zugang schon näher am erdgebunden sein.

    Vielleicht rührt aber auch dieser Anspruch an sich selbst, eine Familie gründen zu müssen von der sozialen Norm her, denn es gibt in Wahrheit viele Einzelne, die zusammen eine Gruppe Gleichgesinnter bilden. Man ist damit gar nicht so alleine. Eher gibt es viele “Nichtse”. Und vielleicht bedeutet man doch mehr für nahestehende Menschen, auch wenn sie es einem nicht immer zeigen können oder wollen.

    In einer Ära, in der so viel Egoismus und Narzissmus herrscht, ist dieser Gedanke ein Hoffnungsstrohlhalm.

    Lg, F.

    • R. sagt:

      Bester Forscher,
      ja das hat was. Vielleicht ergeben viele “Nichtse” zusammen etwas Erstaunliches. Und ja – wahrscheinlich unterschätze ich mein näheres Umfeld tatsächlich. Vielleicht hat man wirklich mehr Bedeutung, als man glaubt, auch wenn die Einzelnen einem das nicht immer so zeigen oder sagen, wie es einem selbst zu irgend einem Zeitpunkt vielleicht gerade guttäte. Ich stimme komplett überein mit der Wahrnehmung, dass der Egoismus und der Narzissmus teilweise schon erstaunliche Dimensionen annehmen.
      Danke für Deinen Kommentar! Jetzt bin ich glatt nicht mehr alleine :-) #freu
      R.

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