Weihnachtsschnorcheln in Ägypten (1)

“Ich habe gesehen – etwas.” Ein Zitat aus dem PC-Spiel “Dark Project”, das mein Mann und ich seinerzeit gemeinsam zu spielen pflegten. Er lief, duckte sich, drückte sich im Schatten rum, und ich bediente die Waffen. Das war gute Arbeitsteilung, machte Spaß und war überaus sozial, gemessen am allgemeinen Sozialfaktor der Tätigkeit Gambling, der ja sonst eher ärmlich ausfällt, weil die Tätigkeit generell eher still und einsam vor sich geht, während der geliebte Partner, mit dem man ab und zu etwas Zeit verbringen sollte, ebenso still und einsam einfach irgendwas anderes macht.
Manchmal kommt mir dieser Satz in den Sinn. Eine der metallenen Wachen, die es im Spiel zu umgehen galt, ohne aufzufallen, sagte das oft, wenn man sich beziehungsweise den Helden zu sehr exponierte, auf sehr metallene, steife Art und Weise, wie Roboter eben so sind. “Ich habe gesehen – etwas.”

Ich habe auch etwas gesehen in der letzten Woche. Beim Hinflug sah ich den ehrwürdigen Nil und das Einzugsgebiet seiner Fruchtbarkeit, ich sah eine Wüste mit endlos leeren, gelben Händen nach dem grünen Luxor greifen. Die Häuser an der Flugbahn haben keine Dächer, nur Dachböden mit Tieren oder Un- und Hausrat. Davor finden sich allerlei Rechtecke im Sand, Lehmziegel werden dort getrocknet. Ich sah die ausladenden Hotelstrände von Hurghada, an denen man sicherlich, wenn man nur mal schnell zur Strandbar wollte, hinterher ein Weilchen suchen muss, um unter den hunderten Windschutzkojen jene wiederzufinden, in der sich der eigene Partner in der Sonne räkelt und nicht irgendein fremder sonnenmilchglänzender Mensch.

Ich sah Wasser bis zum Horizont, ägyptisches Wasser. Ich habe Fische gesehen, und zwar unglaublich viele. Schnorcheln im Roten Meer ist ja wie in einem Aquarium herumzuschwimmen. Da sieht man die exotischsten Fische, prächtig bunte Exemplare, von denen einer sogar nach Picasso benannt ist, und das völlig zu Recht; wild gemusterte oder zart gescheckte Fische, Fische in schreienden Signalfarben oder in Pastelltönen, mit senkrechten oder waagrechten Streifen, vielen farbigen wie auf einem Pyjama oder nur einem einzigen breiten Streifen in Kontrastfarbe, Fische mit wundersamen Funkeleffekten an den Flossen, Fische mit langen Nasen und kleinen Augen, Fische mit flachem Kopf und Glupschaugen, Fische mit Stirnfortsätzen, die sie wie Einhörner wirken lassen, gut getarnte Fische, die wie Steine aussehen, zutrauliche Fische und vorsichtige, große, friedliche und kleine, die finster entschlossen sind, ihre Koralle unter Einsatz ihres Lebens durch blitzartige Angriffe zu verteidigen.
Kürzer gesagt, ich habe Doktorfische gesehen, Drückerfische, Falterfische, Kaiserfische, Schnapper, Barsche, Feuerfische, einen Steinfisch und einen Drachenkopf, einen Barrakuda, einen rotierenden Schwarm Makrelen mit weit geöffneten Mäulern, die in der Sonne wild aufblitzten, Kalmare mit großen Augen (sie; ich aber auch), tausende junge Quallen und wohl ebensoviele Korallen und einen Oktopus in voller Aktion. Ich habe einen Putzerfisch beobachtet, wie er kurzzeitig zur Gänze in der Kieme eines Kugelfisches verschwand. Ich habe Krebse beobachtet und Schlangenseesterne und blaue, gelbe und grüne gewellte Muscheln, die sich schließen, wenn man ihnen zu nahe kommt. Allein der Teil des Urlaubs, der unter Wasser stattfand, füllt schon eine halbe Seite, selbst wenn ich einfach nur aufzähle.

Ich habe aber auch anderes gesehen. Ich sah Mülldünen an Stränden, Plastikflaschen und -becher, Marmeladegläser und deren verrostende Deckel, Glasscherben, alte Taue, dick und dünn, Transportkisten und Elektrokästchen, Kabel und Drähte, Blechbüchsen, Schuhe, ja, sogar eine halbe Flasche Motoröl fischte ich aus dem seichten Wasser, um sie in einem Mülleimer zu versenken, dessen Inhalt vermutlich irgendwann erneut an einem anderen Strand landen wird.

Ich sah ein ganzes Hotel, das nur erbaut wurde, um es dem Verfall zu überlassen. Fehlgegangen im Plan, es ist ja gar kein Strand vorhanden, der Besitzer des Nachbarhotels will seinen Strand auch nicht teilen, wie sich zeigt, diese ohnehin schon sehr kleine Ecke zwischen den geschützten Riffen; daher kein Betrieb möglich. Ich sah ein gefliestes Badezimmer, dessen Kopie und deren Kopien in x-facher Ausfertigung, die allesamt nie benutzt wurden, Badewannen voller Sandstaub, immergleiche Balustradenbalkone an spiegelgleichen Zimmern, eines glatt, eines verkehrt – aneinandergereihte Gefüge von schlichter Leere, mit denen man zwei dreistöckige Blocks zu füllen vermochte. Zwischen ihnen, wo der Pool hinsollte, gähnt gelangweilt ein Loch im Sand, dahinter verwesen Sonnenschirmgerippe in Reih und Glied, ausladend wie Antennen zu nie eingetroffenen Touristenscharen. Laternen umrahmen weite Terrassen, die unbeleuchtet bleiben. Ich sah geschreinerte Schrankecken, Hammam-Nischen, gemauerte Bars mit eingebauter Spüle in einer Diskothek in Blau-Gelb-Rot. Ich sah eine Hotellobby mit einem Boden aus Sand, übersät mit tausenden Fußspuren, die hauptsächlich von Vogelfüßen stammen. Gut und ungestört kann man dort wohnen, als Taube. Niemand sonst wohnt dort. Auch die Meeresschildkröten müssen ihre Eier jetzt woanders legen. Das völlig unnötige Vorhandensein von Struktur. Ich habe gesehen – etwas.

(Fortsetzung folgt)

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