8. WEM DER SCHUH PASST…
Die Verhaltens- und Denkweisen in diesem Video mögen recht verbreitet sein, und es finden sich offenbar auch viele darin wieder. Die Menschen lachen. Das ist gut. Vereinzelt sieht man im Publikum aber auch welche, die sich ohne ein Lächeln etwas verloren am Kopf kratzen.
Gar nicht mehr lustig ist es, wenn die Bestätigung dieser Verhaltensweisen dazu führt, dass sie alternativlos bleiben und in jeder Beziehungssituation angewendet werden mit der fundamentalen Begründung “isso”. Auch dann, wenn sie sich auf die Beziehung ungünstig oder sogar zerstörerisch auswirken.
Es ist prinzipiell nichts dagegen einzuwenden, jemandem zu sagen, dass er in Ordnung ist, so wie er (bisher geworden) ist. Und es passt vielleicht auch ganz gut zum momentanen Selbstbild. Was mich stört, ist das vermeintlich wertvolle Bestätigen und Einzementieren eines Entwicklungsstandes als naturgegebene, definitive Endstation. Was hindert uns daran, ganz wir selbst zu sein? Angst. Was hindert uns daran, Neues zu erlernen? Angst. So halten uns Angst und einschränkende Rollenbilder in einem Niemandsland gefangen, zwischen Konformität und der Eroberung neuer Gefilde, und das Video bedient und bestärkt diesen Stillstand. Es ist ein Standpunkt, der bei dauerhaftem Verbleiben beschränkt, isoliert, Beziehungen kaputtmacht und spätere Krisen zusätzlich erschwert.
Natürlich stört mich auch der frauenverachtende Stil. Aber ich trete hier für die Rechte beider – aller! – Geschlechter ein, sämtliche Fähigkeiten eines menschlichen Hirns für sich zu beanspruchen, zu erlernen und zu nutzen, die sie für sich persönlich als erfolgversprechend empfinden. Denn abgesehen von vereinzelten Trotz-Reaktionen ist kaum etwas weniger hilfreich als jemand, der dir sagt: Das kannst du nicht, schon von Natur aus.
Der Standpunkt aus dem Video ist deshalb verführerisch, weil er sehr bequem ist. Keine Verantwortung, keine Veränderung, alles ist gut. Einen kleinen Trost kann es tatsächlich bieten – es gibt sehr viele andere Männer, deren Strategien sehr ähnlich geartet und in den meisten persönlichen Beziehungen erfolglos sind. Es gibt sehr viele andere Frauen, die gerne reden, zuhören und Gespräche anbieten und von ihren Männern dafür sanktioniert oder verschmäht werden. Es ist aber auch sehr einfach, einen Beweis für die Theorie zu erbringen, dass Gespräche sinnlos sind – indem man sie sabotiert. Das Gegenteil ist allein unmöglich zu beweisen, da gehören nämlich zwei dazu. Es erfüllt sich auf diese Art also einer ständig seinen vorgefassten Glauben, und dabei bewegt sich, außer dass jemand anderer Frust schiebt, gar nichts.
Neues zu erlernen ist möglich, und wir alle wissen das! Es kommt geradezu einer Anstrengung gleich, diese Tatsache auszublenden. Ja, wir fühlen uns auf ungewohntem Terrain weniger sicher und weniger wohl, und diese Empfindungen hindern uns oft daran, neue Wege zu probieren. Doch es wäre unvernünftig, sich nur deshalb dauerhaft dort einzurichten, wo man nur noch jene Verschaltungen seines Hirns nutzt, die bis dahin entstanden sind. Es könnte ein menschliches Wesen die Freiheit kosten – die Freiheit, sich weiter zu verändern und neuen Umweltbedingungen und Anforderungen anzupassen. Wieso sollte jemand, der täglich dazulernen kann, seinen aktuellen Zustand als endgültig betrachten? Und wie arrogant wäre das? Niemand sollte je “angekommen” sein, außer als Leichnam.
Sich zur schnellen Stabilisierung eines schwankenden Untergrundes zwischendurch auf der Plattform “TwoBrains” auszuruhen und sich die kleine Bestätigung abzuholen, ist sicher völlig okay. Für einen ständigen Aufenthalt ist die Plattform meiner Ansicht nach viel zu einschränkend und verächtlich, und zu wenig respekt- und liebevoll.
Für das Bewältigen einer Krise und für echte Veränderung ist ein seelischer und geistiger Einsatz nötig, der sich vom Ausruhen auf einem “Ich bin eben so” sehr stark unterscheidet. Und vor allem muss gegeben sein: Betroffenheit über gemachte Fehler empfinden zu können sowie die Zuversicht, dass mein Hirn überhaupt veränderbar ist. Nach der Pause sollte man also aufbrechen und weiterziehen, um dazuzulernen und sein Selbstbild allmählich zu heben. Und die Grenzen der Komfortzone wieder ordentlich anpieksen. Weil wir doch hoffentlich alle etwas mehr sein wollen als nur das, was fein isoliert und unergründet in irgendwelchen Kisten liegt.
9. SALBUNGSVOLLE SCHLUSSWORTE
Wenn man schon die Gelegenheit hat, auf einer Bühne vor vielen Menschen ein Bild von Mann und Frau zu malen, könnte man dann nicht auch ein respektvolles Bild malen statt eines verachtenden? Ein buntes Bild statt eines schwarzweißen? Man könnte die Menschen auf Gemeinsamkeiten hinweisen und auf die immense Lernfähigkeit ihrer Gehirne. Und darauf, dass diese Gehirne vor allem eines sind: menschliche Gehirne, die Gefühle wahrnehmen können und miteinander in Kontakt treten möchten.
Wir sind soziale Wesen und können voneinander lernen, von dem, was wir geworden sind, und von dem, was wir noch werden. Wir können einander zu besseren Menschen machen, wenn wir uns einander anvertrauen. Sich öffnen lernen statt Rückzug. Lösen lernen statt nur darüber zu reden. Abschalten lernen – und ja, auch gemeinsam. Zueinander Vertrauen fassen. All das geht nur ohne Verachtung!
Manche machen aus einem misslungenen Unternehmen eine Verpflichtung, und weil sie einen Irrweg eingeschlagen haben, meinen sie, es wäre Charakterstärke, darauf weiterzugehen.
(Baltasar Gracián, 1601-1658)