Kann mir mal jemand verraten, ob es seit Neuestem verboten ist, dass Nichtmediziner an medizinischen Themen und neuen Entwicklungen interessiert sind, sich über Körpervorgänge, Diagnosemöglichkeiten und Therapien informieren und sich dabei entsprechend Fachwissen und -ausdrücke aneignen?
Bei beiden meiner letzten Arztbesuche wurde ich gefragt, ob und was ich denn beruflich mit Medizin zu tun hätte, dies wurde begründet mit meiner Verwendung von ‘medizinischen Fachausdrücken’. Und stets kam diese Frage etwas ruppig und mit leicht vorwurfsvollem Unterton.
Viele Ärzte wissen: Je seltener die Erkrankung, desto Spezialist der Patient. Liebe Leute, seit 1999 bin ich Schmerzpatientin, und zwar mit einer Erkrankung, die ich nicht mit 200.000 anderen Menschen in diesem Land teile. Oft ist eben der am besten informierte Mensch in so einer Situation der Patient selbst.
Die Angewohnheit, sich selbst zu informieren, greift dann aber auch in anderen gesundheitlichen Situationen. Wenn der erste Besuch beim Hausarzt gegen die Beschwerden nichts gebracht hat – was bei mir meistens der Fall ist – informiere ich mich schon vor dem Facharztbesuch über mögliche Diagnosen und Therapien, damit ich dort die richtigen Fragen stellen kann. Dies auch, damit ich nach Möglichkeit dort nicht dreimal hinrennen muss. Ich hab nämlich auch noch was anderes zu tun.
Um sich im Internet zu informieren, muss man die richtigen Suchbegriffe eingeben, und hier ist sie auch schon, die recht profane Begründung für meine Kenntnis von Fachausdrücken.
Dazu kommt, dass ich schon haufenweise negative Erfahrungen mit Ärzten hatte. Was mir dabei oft den entsprechenden Konter auf offensichtliche Inkompetenz oder lapidare Abwimmelung verunmöglicht hat, war oft meine mangelnde (fach)sprachliche Kenntnis.
Ihr dürft euch jetzt aber nicht vorstellen, dass ich ultrawichtig zum Arzt reinpoltere und mit Fachausdrücken um mich werfe. Ich schreibe aber auch nicht in einen Fragebogen, ich hätte da ‘so ein komisches regelmäßiges Pochen im Ohr’ – nur damit der Arzt mich weiterhin für einen Durchschnittspatienten halten darf – wenn ich davor schon siebenundfünfzig Artikel über puls-synchronen Tinnitus gelesen habe.
Wenn im Fragebogen nach Stoffwechselerkrankungen gefragt wird, muss ich Hypophosphatasie angeben; für die Erkrankung, welche bei mir seit längerem vermutet wird, gibt es keinen simpleren Ausdruck. Und bei ‘hormonelle Störungen’ hab ich PMS hingeschrieben.
Das waren die einzigen ‘Fachausdrücke’, die ich mich erinnere, heute benutzt zu haben. Noch dazu musste ich sie nichtmal sagen, sondern nur schreiben.
Ich bin umgekehrt immer wieder erstaunt über Menschen, die – manchmal sogar trotz eigener Erkrankung – nicht mal eine grobe Ahnung davon haben, wie ihr Körper funktioniert.
Was also soll die Frage? Da bemüht man sich um ‘Patientenaufklärung’, und bin ich dann aufgeklärt, isses auch nicht recht.
Fühlt man sich in seinem Status ‘schwebendes weißes Wesen’ bedroht? Darf Fachausdrücke nur benutzen, wer promoviert hat? Oder – die wahrscheinlichste Lösung – will man Klarheit haben, ob man es mit einem Kollegen zu tun hat, um seine Behandlung und/oder Sprache dieser Tatsache anzupassen? Hätte ich behauptet, ich wär Mediziner, hätte der Arzt dann Latein mit mir weitergesprochen? *g* Quod licet Iovi, non licet bovi?
Kann mich mal jemand aufklären? Vielleicht weiß ja die liebe Nachtschwester mehr!
Ich vermute, es ist eine Mischung. Bestimmt gibt es eine Menge Halbwissen da draußen im Netz oder missverstandene Begriffe, deren Richtigstellung einen Arzt verständlicherweise nerven muss. Und dass sich ein Patient umfassend informiert hat, heißt ja noch nicht, dass er z. B. bei einer Selbstdiagnose richtig liegt. Ärzte selbst sollen übrigens die gefürchtetsten Patienten sein, heißt es. :)
Andererseits steckt bei vielen sicher ein verletztes Ego dahinter, die sich und den Patienten eben nicht als Team verstehen, das nur gemeinsam funktioniert. Und es ist nun mal lästig, wenn man jemandem nicht einfach irgendetwas erzählen kann. Ich kenne aber auch Ärzte, die froh sind, wenn Patienten Information und Fachverständnis mitbringen, zumal wenn es sich um seltene Krankheitsbilder handelt.
Ich kenne auch welche. Also, eigentlich nur eine, um genau zu sein.
Manche wollen ja noch nichtmal die Symptome beschrieben kriegen. Wie das dann funktionieren soll, weiß ich nicht, aber ich habs schon oft erlebt.
Originalzitat: ‘Was Sie das G’fühl haben, is wurscht.’
Die Qualität der beschafften Information ist eben auch eine Aufgabe des Sich-Informierenden, nicht nur des Informanden. Man muss oft eine Weile suchen und nicht das Erstbeste lesen und glauben, und man muss schauen, woher die Information kommt.
Meine Selbstdiagnose war übrigens richtig.
Ich glaube auch, dass Ärzte in erster Linie am verlorenen Gottstatus leiden. Dabei haben persönliche Egoschmerzen in einem solchen Beruf meiner Meinung nach einfach nichts verloren.
Ich kenne Ärzte, die sehr misstrauisch reagieren gegenüber jeder Nachfrage oder selbst Logik. Wer gar selbst mit Selbstdiagnosen kommt (weil man ja helfen will, gelle?), macht sich von vornherein suspekt.
Nachfragen is ganz schlimm. Man wird doch nicht das ärztliche Urteil in Frage stellen wollen, oder – noch schlimmer – womöglich verstehen wollen, was da mit einem passiert. Geht einen schließlich als Patient gar nichts an.
Die Tatsache, dass immer mehr nach Fallpauschalen bezahlt wird, hilft der Kommunikationsfreudigkeit allerdings auch nicht besonders auf die Sprünge. (Gespräch = kostbare Zeit ohne Vergütung)
Hierzulande sieht man ja an der Vergütung, die man für eine Privatordination zurückkriegt, was der Kassenarzt für die Behandlung gekriegt hätte. Und ‘abgecasht’ kann man dazu eher nicht sagen. Das sind immer so um die 10-15 Euro.
In unserer Politik findet sich in Reformzeiten ja immer wieder irgendein Kasperl [ösi-sprich: Kaschpal], der den Satz von sich gibt: ‘Es darf keine Zweiklassenmedizin entstehen.’ Da muss ich jedesmal lachen. So realitätsfremd!
Ich verstehe ja die Frustration und die Unwilligkeit zur Fortbildung der Ärzte unter diesen Umständen. Im System ist einfach der Wurm drin. Zu viel Verwaltungsaufwand im aufgeblasenen Kassenapparat bedeutet zu wenig Vergütung für die, die am Patienten arbeiten.
Die liebe Nachtschwester kratzt sich am Kopf. Alle reden vom mündigen Patienten, aber wie du es beschreibst, scheint ihn keiner zu wollen.
Erst mal, bitte, die Weißkittel nicht alle in einen Topf werfen.
Zu den Niedergelassenen kann ich nicht viel sagen, in der Klinik nimmt man den Patienten nach meiner Erfahrung zunehmend ernst und bezieht ihn im Rahmen seiner Möglichkeiten partnerschaftlich ein. Eins von vielen Beispielen hierfür ist der Diabetiker, der auch im Krankenhaus, sofern er bewusstseinsklar und feinmotorisch dazu in der Lage ist, seine Blutzuckerkontrollen und Insulingaben selbständig ausführt. Vor 10 Jahren war so ein Kontrollverlust für uns noch unvorstellbar.
Dieses Konzept ist Teil der evidenzbasierten Medizin, die vielleicht mancher ältere Niedergelassene in der Isolation seiner Praxis noch nicht verinnerlicht hat.
Andererseits haben wir es in der Klinik auch eher mit Patienten zu tun, die (wie du) mit einer bekannten Diagnose schon längere Zeit leben. Ihnen billigt man unbedingt zu und begrüßt es eher, wenn sie über ihre Erkrankung gut Bescheid wissen, als jemandem, der sich mit einem Symptom erstmalig beim Arzt vorstellt, sich aber schon eine Menge Halbwissen dazu angelesen hat. So etwas nervt, wie blue sky oben schon richtig bemerkt hat.
Man kann sich nämlich Krankheiten anlesen, das weiss jeder Mediziner, das gilt erst recht für Laien, und eine Menge Patienten tun das auch.
Was Therapiemöglichkeiten betrifft, über die man vielleicht hoffnungsvoll im Internet gelesen hat, sind diese vielleicht in der entsprechenden Einrichtung nicht praktikabel, entsprechen nicht Richtlinien/Konsensuserklärungen von Expertenkommissionen, die man als Laie nicht kennt, oder es gibt schlicht keine Kostenübernahme seitens der Kassen.
Ich kenne natürlich auch Mediziner mit riesigem und maximal empfindlichen Ego, aber das reicht hier nicht als Erklärung.
Ach so, natürlich spielt es für das Gespräch eine Rolle, ob ein Patient selbst vom Fach ist oder nicht, vor allem, wenn man ihn nicht kennt und sein Wissen nicht einschätzen kann.
Ist er vom Fach, muss ich mich einerseits nicht bemühen, meine Sprache einfach und verständlich zu halten.
Und andererseits, noch wichtiger, kann ich mich darauf verlassen, dass er selbst weiß, was er sagt, wenn er zum Beispiel paroxysmale Palpitationen angibt.
Denn Symptomenbeschreibungen mit falsch verwendeten Fremdwörtern ziehen u.U. falsche Massnahmen nach sich. Das hat nichts mit Arroganz zu tun.
Die “Zeit” hat heute auch einen längeren Artikel zur Kommunikation zwischen Medizinern und Patienten:
http://www.zeit.de/2006/32/M-Beziehungsmedizin
Wenn ich für mich ein Urteil fälle, ob ich jemanden für einen “guten Arzt” halte, dann spielt es eine ganz wichtige Rolle, ob er in der Lage ist einzuschätzen, was ich als Laie verstehen kann und was nicht.
Da hört und liest man immer wieder von Ärzten, die einen auf Latein volltexten und man versteht kein Wort: ist mir noch nie passiert. Ich erlebe immer nur das Gegenteil, dass Ärzte erstmal gar nichts erklären, und wenn man nachfragt, erklären sie so, als ob ich doof wäre und noch nie was von den Grundfunktionen des Körpers gehört hätte. Ich meine, mit ein bisschen Menschenkenntnis müsste es möglich sein, Erklärungen patientenadäquat zu gestalten. Einmal sagte mir ein Arzt, er hätte es noch nie erlebt, dass eine Patientin so gründlich nachfragt wie ich – ich war total verblüfft, denn ich hatte gar nicht den Eindruck, ich würde ihn über Gebühr löchern. Mir jedenfalls hilft es zu wissen, was genau im Körper passiert. Wenn ich eine Krankheit “verstehe”, wenn ich eine Art wissenschaftlichen oder zumindest sachlichen Abstand zu den körperlichen Vorgängen habe, kann ich besser mit der Krankheit umgehen. Und damit kann ich doch nicht die einzige sein.
Vielen Dank, ihr Lieben, für Eure ausführlichen Kommentare!
Mit Halbwissen hat man es in anderen Branchen auch zu tun, nehmen wir mal mein Beispiel, die Steuerberatung: Egal, ob einer nicht informiert oder halb informiert ist, ich erkläre ihm, wie’s richtig geht. Das ist nicht mehr oder weniger Aufwand als sonst. (Viele glauben zum Beispiel, dass ihre Privatentnahmen aus der Einzelfirma Einfluss auf ihre Einkommensteuer haben.)
Trotzdem hat einer mit Halbwissen mehr nahrhaften Geistesboden für Informationen als einer, der themenmäßig gerade erst aus dem Ei geschlüpft ist (denn der hat mitunter das Wort Privatentnahmen überhaupt noch nie gehört).
Was die Therapiemöglichkeiten betrifft, so kann man, wenn man sich als Patient darüber informiert hat, wenigstens danach fragen.
Sind sie nicht in den Richtlinien, oder werden sie nicht bezahlt, weiß man zumindest mehr und hat alle Möglichkeiten ausgereizt.
Kennt der Arzt die Möglichkeit nicht einmal, weiß man hinterher trotzdem mehr, wenn auch nur, zu welchem Arzt man nicht mehr geht.
Wie gesagt, ich habe zum aktuellen Problem nicht mit Fachausdrücken um mich geworfen, sondern nur für bei mir chronisch vorhandene Phänomene.
Isabo beschreibt sehr treffend, was ich auch immer wieder genau so empfinde. Es gibt offenbar nix zwischen Trottel und Mediziner. Und auch ich möchte verstehen, was da in mir passiert, ich möchte wissen, wie die einzelnen Phänomene zusammenhängen(!), und ich möchte auch verstehen, was die Medikamente tun.
Ich ärgere mich häufig, dass ich Medikamente verschrieben kriege, die ich aufgrund meiner Magenproblematik, gar nicht nehmen kann, weil der Arzt darauf einfach keine Rücksicht nimmt, obwohl ich es jedesmal dazusage. Feststellen kann man dies erst, man den Beipackzettel in der Hand hat – und dann hat man das Medikament bereits bezahlt.
(!)Was diese Zusammenhänge betrifft, die werden oft überhaupt nicht berücksichtigt, Vorerkrankungen gar nicht erhoben, oder Symptome, die nicht ganz direkt etwas mit dem akuten Problem zu tun haben. Ich komm mir manchmal körperlich auf Teile zerlegt vor. Für die Ohren ist einer zuständig, aber für den Magen der nächste. Und zwar ausschließlich – siehe Medikamentenverträglichkeit.
Das ist, als würde ich mein Auto zum Mechaniker bringen, der würde mich wegen eines Loches in der Ölwanne erst zum CT schicken, auf das ich zwei Wochen warten muss, dann würde er mich mit dem Befund wiedersehen wollen, nur um mir zu sagen, dass ich mir für dieses spezielle Problem einen Termin in einer anderen Werkstätte vereinbaren muss. Aber zuvor füllt er mir noch Öl nach, das ich bezahlen muss.
Der Artikel in der Zeit ist recht gut und ausführlich, danke für den Link.
Neu ist das Thema nicht. Es wird nur immer wieder zurückgestellt und dann bei Gelegenheit hervorgezerrt, mit einem neuen Mäntelchen bekleidet, und so getan, als wär das ein ganz neuer Ansatz.
An einer Stelle des Artikels steht, dass jemand, der frohgemut und voll positiver Erwartungshaltung zum Arzt geht, schon in diesem Moment etwas für seine Gesundung tut.
Der Arzt sollte sich dann aber auch darauf einstellen, dass sein Patient insgeheim womöglich die Hoffnung hegt, der Arzt könne ihm helfen, sein Wohlbefinden, seine Lebensqualität, ja sein Leben zurückzugewinnen.
Wenn die Leistungen des Arztes, von dem man sich so viel erhofft hat, dann mehr als hinter den Erwartungen zurückbleiben, der Patient kurz abgefertigt und womöglich noch mit den unbedachten, negativen Erwartungen des Arztes verbal konfrontiert wird, dann macht das alles diese ersten positiven Vorgefühle und den damit verbundenen Gesundungswert radikal zunichte. Der Patient, der schon bei -5 startete, landet auf -50.
Warum Patienten nicht häufiger ihre Meinung sagen, ist auch klar: In einem schlechten gesundheitlichen Zustand hat man gar nicht die Energie für Diskussionen. Der Patient nimmt sicher vieles hin, was er sich im gesunden Leben nie gefallen ließe.
Dabei wäre ein bisschen Feedback für manche Ärzte sicher nicht schlecht.
Noch etwas: Niedergelassene Ärzte werden nicht evaluiert. Wie gut der Wissensstand des Arztes ist, wie sehr er sich für Neuerungen interessiert und wie er seinen Patienten gegenübertritt, ist ganz allein seine Sache. Das finde ich ähnlich problematisch wie die fehlende Kontrolle von Lehrern. Viele würden von fachlicher Unterstützung profitieren.
Ich glaub, unser Problem – und das nicht nur in dieser Angelegenheit – ist wahrscheinlich, dass der Großteil der Menschheit ziemlich dumm ist, und deswegen gleich alle entsprechend behandelt werden. Da wird nicht viel Unterschied gemacht.
Wenn man ein Spürchen heller belichtet ist, hat ma’s eben auch net leicht.