Schuldgefühlrecycling

Ich habe ein Problem: die Sache mit dem Essen-Wegwerfen. Also Feldforschung – ich fragte erstmal meine Mutter, ob sie uns Kindern eingeimpft hätte, dass man keine Lebensmittel wegwirft. Sie glaubt nein. Aber ich weiß noch, dass sie uns zur Schnecke gemacht hat, wenn sie entdeckte, dass wir unser ungeliebtes Jausenbrot zu Hause in den Müll geworfen hatten. So kam es, dass wir es fortan am Heimweg von der Bushaltestelle entsorgten – in das Kornfeld am oberen Ende der Gasse, samt Alufolie. Guter Wurf!
Also muss ja doch was dran sein an der Impfung.
Heute lasse ich immer alles so lange im Kühlschrank, bis es ungenießbar ist. Danach ist wegwerfen legitim: kaputt. Etwas vorher schon wegzuwerfen, weil ich bereits weiß, dass ich es nicht essen werde – das kann ich nicht. Die armen äthiopischen Kinder, oder was weiß ich. Ich denke dann immer: Warum hast du das unbedingt kaufen müssen, wenn du es jetzt nicht isst? Zum Beispiel hat das arme Hühnchen sein Leben dafür gegeben, einen Menschen zu ernähren, und was machst du? Schmeißt es einfach in den Müll. Aber das Hühnchen ist bereits tot. Es war bereits tot, als ich es im Supermarkt vorfand. Hat sich nicht für mich schlachten lassen. Der Hühnerbauer hat sein Geld bekommen.
Als militanter Vegetarier könnte man doch auch Fleisch aufkaufen und dann wegwerfen. Damit niemand es isst.
Aber wie befreit man sich von solch geistigem Unrat? Er ändert ja nichts, außer die Schuldgefühlbilanz in meinem Kopf! Mein neuer Glaubenssatz lautet daher: „Ich habe dafür bezahlt, mit diesem Stück Fleisch zu machen, was immer mir gefällt.“

8 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. filmmogul sagt:

    Oh ja, Pausenbrotweitwurf, eine Schülerdiziplin!
    Ich kann es auch nicht leiden, wenn was wegfliegt und da waren meine Eltern auch mit im Spiel.
    Deine Schlußfolgerung finde ich ein wenig kurz gedacht, das schlechte Gewissen kann man immer noch zwischen den Zeilen lesen. Weniger einkaufen, abwechslungsreicher vielleicht. Naja, eine Notlösung, dem Kläffer von gegenüber vorbeibringen, damit er still ist.

  2. Etosha sagt:

    Ha! Letzteres! Gute Idee! Da kann ich dann den Baldrian gleich mit reinpacken :D

  3. Thundercat sagt:

    ja, ja, ich kenne das. und DAS ist der grund, warum ich mir kein teures Tupper mehr anschaffe, das muß man dann immer ausleeren und abwaschen, wenn das zeug da drinnen schon wächst und Geräusche macht. (Ich hab kein schlechtes Gewissen wegen dem Essen, sondern wegen dem Tupper *tztztzt*)
    ich verwend dafür die billigen plastikdinger die man vom chinesen bekommt, wenn man Futter bestellt. da seh ich dann nicht WAS drinnen ist. Ergo könnte es sich “nur” um billig produzierte Sojasouce handeln, ob da nicht doch Ente süß sauer dinnen ist….*mir doch egal*
    Das Gefühl des GUTEN GEWISSEN kann man dann ganz leicht weiter ausbauen: Wenn die lieben Mütter den Kühlschrank mit fertig gekochtem Essen zustopfen , welches dann sowieso vor sich hingammelt, weil Blunze mit Kartoffeln seit mehr als 30 Jahren NICHT zu meinem Speiseplan gehört, einfach WEG damit in den Mist – und wie gesagt :
    Immer schön warten, bis man NICHT mehr erkennt ob es Blunze ist – oder Hundefutter ;-)

    in diesem Sinne einen schönen Faschingsdienstag !
    Lei Lei *ggg*

  4. Etosha sagt:

    Jaja, noch schlimmer als das Echo im Kühlschrank sind die Inhalte eindeutig nicht mehr essbaren Zustandes. Noch schlimmer, wenn sie von der Mutter kommen – das Wort Mama ist ja geradezu ein Synonym für Schuldanfälle.
    Gut, sie in Wegwerf-Verpackung zu sammeln – es lebe die Wegwerfgesellschaft! Sogar dabei hab ich aber ein schlechtes Gewissen, weil doch das enthaltene Essen relativ schnell verrotten würde, während die Chinesen-Wegwerfverpackung sicher hundertausend Jahre vor sich hingammelt.

    Wenn man mir meine Schuldgefühle rausoperieren würde, zerfiele ich wahrscheinlich zu Asche.

  5. Mein Gott. Ich kann kaum glauben, dass du armes totes Hühnchen kaltblütig entsorgt hast.
    Sonst bin ich konform.
    Lebensmittel wirft man nicht weg, ich habe das von meinem Kriegshalbwaisenvater voll absorbiert. Das führt zu Zwangshandlungen: Zwar haben wir richtig Lust auf Brathuhn im Gemüsebett, aber das Lachsgulasch muss doch weg! Versehentlich zuviel gekocht, den Zeitpunkt zum Einfrieren verpasst, schon dreimal davon gegessen und es ist immer noch was da…
    Aber meine Prinzipien weichen schon allmählich auf. Wenn MamS etwas wegwerfen will, das uns beiden nicht schmeckt, sage ich nun schon mal- ach, lass es noch drei Tage stehen, bis es richtig gammelig ist.

  6. Etosha sagt:

    Ja, mach ich auch so, aber nur, wenn es sich nicht in hauseigener Tupperware befindet. Sonst ist nämlich die Reinigung eine echte Zumutung.

    ‘Es ist immer noch was da’ und ‘mich freuts nicht, was zu kochen, weils immer nur das selbe ist’ hat irgendwie miteinander zu tun. Ich brauche Blogscript, in der man die Posts mindmapmäßig verzweigen kann.

  7. MC_Ypsilon sagt:

    Ich habe auch massive Probleme mit dem Wegwerfen vom Essen und habe da auch immer wieder Diskussionen mit meiner Familie, die das nicht so eng sieht.

    Eines hast du aber, meiner Meinung nach, nicht berücksichtigt.
    Wenn du z.B. das Hühnchen weg wirfst, dann musst du deinen Energiebedarf anderweitig decken.
    Dies heißt, du kaufst dir dann z.B. ein neues Hühnchen oder andere Fleischprodukte und erhöhst somit die Nachfrage, was mit vermehrter Produktion einhergeht (also global gesehen).
    Somit ist das schlechte Gewissen also durchaus angebracht.

    • Etosha sagt:

      Selbstverständlich ist es angebracht. Es hilft nur nix mehr. Man muss vorher entsprechend handeln, das schlechte Gewissen an sich führt ja noch zu keiner Änderung von Konsum- und Konsumierungsverhalten.

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