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Demo-nstra-kratie

Eigentlich wollte ich etwas Belangloses schreiben, wie es in unseren politisch belanglosen Breiten doch so wunderbar möglich ist. Aber dann hab ich kurz bei Frau Serotonic zu #occupygezi kommentiert. Ja, mich entsetzt es auch, welche Bilder in der letzten Zeit aus der Türkei rüberschwappten. Und wie wenig “der Westen” zu alledem zu sagen hat. Dass sich Staatsvertreter bei uns nichtmal die Mühe machen, wenigstens scheinheilige Sätze zu sagen wie “Gegen eine so große Demonstration muss man eben was unternehmen, aber die Leute bis ins Hospital zu pfeffern und zu gasen und von dort wieder raus, das ist dann vielleicht doch ein bisschen grenzwertig”.

Mich entsetzt, dass einer, der sich Demokratie auf seine Fähnchen geschrieben hat, diese Demonstranten erst als prozentuale Minderheit und dann schlicht als Terroristen bezeichnet. Und auch so gegen diese Menschen vorgeht. Aber als das Ganze losging und das erste Mal Bilder in den Nachrichten kamen, sagte ich aus dem Bauch heraus zu meinem Mann: “Die werden sie dort alle niedermetzeln.” Es war so ein Gefühl. Und ich hätte sogar mit Schlimmerem gerechnet als mit Tränengas und Wasserwerfern. Ich hatte entsetzliche Visionen von Panzern und Maschinengewehrfeuer. Alles gegen den Gesichtsverlust.

Der “stehende Mann” #duranadam und seine Nachahmer haben mich dann besonders berührt. Gewaltfreier geht’s eigentlich kaum noch. Was für ein Kontrast!

Ich leiste mir dazu keine politische Meinung, nur eine menschliche – und was ich da sehe, schmerzt natürlich. Aber die Menschen verschaffen sich schon selbst Gehör, früher oder später, wenn eine große oder kleine Angelegenheit das Fass zum Überlaufen bringt. Meistens eine kleine. Sei es nun in der Türkei oder in Brasilien. Dann vereinigen sich Gruppen aus den verschiedensten Ecken, dafür, dass Demokratie und Pressefreiheit mehr sein muss als eine leere Worthülse, gegen Willkür, Machtmissbrauch oder Steuergeldverschwendung, und gehen für eine plötzlich gemeinsam gewordene Sache auf die Straße. Und das ist gut so.

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Spannung

Heute fiel mir beim Anblick eines exzessiv elektrolämpchengeschmückten Baumes wieder jene Szene ein, als wir vor einigen Wintern staunend vor einem riesigen Baum standen, der über und über mit solchen Lämpchen geschmückt war, und Herr M.K. bemerkte:
“Jetzt weiß ich endlich, warum Eichkatzerln so buschige Schwänze haben!”

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Die Fäden und der Grant

Grantig bin ich. Grantig, weil die Dinge nicht schon fertig sind. Die vielen Dinge, in denen ich stets gleichzeitig meine Finger drin hab, die vielen losen Fäden in meiner Hand – nein, in meinen Händen! Ich würde mich auch nicht als geduldig bezeichnen, eher als hartnäckig. Der Schaffensprozess an sich gibt mir relativ wenig. ‘Der Weg ist das Ziel’, was für ein Unsinn! Das Ziel ist das Ziel! Darum heißt es ja so!

Schreiben ist eine der ganz wenigen Unternehmungen, an denen mir das Werden, das Schaffen, das Herstellen und Verfeinern wirklich Spaß macht. Manchmal auch die Malerei, aber auch da möchte ich oft schon fertig sein, bevor ich überhaupt begonnen habe, nur um endlich das zu Gesicht zu bekommen, was bislang nur in meinem Kopf existierte. Und selbst wenn es ‘schön’ wird – ist es nicht das geworden, was ich mir vorgestellt hatte, bin ich damit nicht zufrieden.

Die meisten anderen Unternehmungen beginne ich eben nur, um das Bild, das ich davon in meinem Kopf habe, zu ver-körpern – oder um diese Dinge zu können. Üben will ich nicht. Üben ist was für Loser. Ich will beginnen und können! Sie kam, packte an und erschuf!
Um diese ohnehin schon seltsame Eigenschaft erst zu einer wahren Herausforderung zu machen, bin ich obendrein mit viel zu vielen Interessen gesegnet. Und wie sich das alles mit meinem Hang zum Perfektionismus verträgt, muss ich hier wohl nicht näher beschreiben.

Ob es sich nun darum dreht, ein Kleidungsstück vom Schnitt weg selbst herzustellen, ein Bild zu malen, einen Song zu schreiben, einen Tisch zu bauen oder ein bestimmtes Foto zu schießen – erweist sich meine Fingerfertigkeit, meine körperliche Kraft oder mein Hirn dazu als zu unfähig (ungeübt!), gebe ich mich nicht etwa geschlagen und höre auf, sondern ich werde grantig und verbissen. Wie es mich generell grantig macht, wenn die Welt der physischen, unbelebten Dinge sich mir widersetzt und stattdessen beispielsweise lieber der Schwerkraft gehorcht, oder wenn ich mich andauernd vertippe.

Und dann kommt noch eine Wespe hereingeflogen und tanzt mit ihrem Gesumme und mit ihrer stets gleichbleibenden Unfähigkeit, eine Glasscheibe als solche zu erkennen, auf meinen Nerven Tango, oder die Nachbarin kommt hereingeschlurft und erzählt mir ungefragt von den Wetteraussichten.

Unbeherrscht ist Synonym von passioniert, sagt das Wortschatzlexikon. Ein reichlich schwacher Trost.

Denn ich habe dort die Übersetzung eines umfangreichen Dokuments fertigzustellen, oben habe ich Stoff liegen, den ich gerne zu Hosen, Shirts und Mänteln verarbeiten möchte, hier ist mein Weblog, das gefüttert werden will, es warten Songs, die es noch zu schreiben und Rezepte, die es zu erfinden gilt, E-Mail-Kontakte, die, meistens vergeblich, auf Post von mir hoffen, und darüber hinaus bin ich überhaupt für Größeres bestimmt, das ich noch gar nicht kenne. All diese Vorhaben werden freilich immer wieder aufs Lästigste durchkreuzt von Arbeit im Haushalt, Arbeit im Garten und Arbeit für Geld. (Und von Schmerzen, die mich zudem bei der Ausführung behindern und meine Vorhaben weiter erschweren.)

Diese vielen losen Fäden, die ich in der Hand halte, verheddern und verfilzen sich zuweilen, manche sind auch urplötzlich und ohne mein Zutun zu Ende, und ich hab das Gefühl, nichts jemals fertigzukriegen, niemals je fertig zu sein. Der scharfsinnige Leser könnte natürlich an dieser Stelle einwerfen, das Leben bestehe ja wohl im Großen und Ganzen darin, niemals fertig zu sein. Und recht hätte er. Ja, rufe ich dann, mein Hirn weiß das, aber der Grant kommt dennoch – und diesen dann unmittelbar in die Werke einfließen zu lassen, ist nicht immer die beste Idee. Außerdem lässt der Spaß an der Sache dann noch mehr zu wünschen übrig, als er es ohnehin schon tut. Und nicht zuletzt ist dieser Grant zwar ein effektiver Motor, aber kein besonders behaglicher.

Um einen Faden zu verfolgen, muss man einfach durch das filzige Knäuel hindurch und es dabei entwirren. Dabei besteht aber die Gefahr, einen anderen Faden zu entdecken, den man schon vergessen hatte, und in stiller Trauer darüber zu verharren, dass man bislang noch nicht die Zeit hatte, ihn zu verfolgen.

Gerade wenn ich aber dieses Fertigseinwollen als die offenbare Ursache so eines Grants herausgefiltert habe, fällt es mir schwer, das, womit ich gerade beschäftigt bin, loszulassen und etwa einen Spaziergang zu machen – oder darüber zu schreiben. Es kommt mir kontraproduktiv vor, denn ich will ja fertigwerden!
Dennoch ist es sehr zu empfehlen, denn es ist hilfreich und effektiv.

Dieser Faden ist hier zu Ende. Und mir geht’s jetzt auch besser. Danke fürs Zuhören.