Balance

Ich habe das Folgende für einen Freund geschrieben, mit dem ich in schriftlichem Kontakt bin über Beziehungen, Gedankenwelten, Gefühlsbewältigung und Rollenverhalten.
Der Text ist spontan aus einem Gefühl heraus entstanden, dass manches Missverständnis in seinem Leben eventuell mit dieser Thematik zu tun haben könnte.

Ich hab oft das Gefühl, dass so mancher Mann (nennen wir ihn Typ-C11) das, was er an seiner Frau so mag, als naturgegeben empfindet:
Sie ist einfach so, und dabei spendet sie zB jede Menge Energie und Aufmerksamkeit und Anerkennung und Lebensfreude. Und deshalb fühlt er sich bei ihr wohl. Sie ist nährend, bunte Farben und Sonnenschein.

Tjanun.
Frauen* sind aber oft auch deshalb so, weil wir zu völlig anderen “Qualitäten” erzogen wurden als Typ-C11:
(Vor allem!) auf andere Rücksicht nehmen,
sie geduldig aushalten, auch wenn sie nerven,
nachgeben (weil: klüger!),
die eigenen Bedürfnisse zurückstellen zugunsten anderer,
nachfragen und Interesse zeigen,
andere ausreden lassen,
Fehler zugeben, um Verzeihung bitten
(Liste unvollständig ;)
Kurz: Es den anderen so bequem wie möglich machen.

Freilich auch bis hin zu selbstschädigenden Verhaltensweisen, nur damit die anderen auch wirklich kein Äutzerl Bequemlichkeit einbüßen:
Sich über die Erschöpfungsgrenze hinweg aufreiben mit nützlichen Tätigkeiten, sich keine Kritik mehr trauen, eigene Bedürfnisse gar nicht mehr wahrnehmen, sich auch entschuldigen, wenn man gar nichts falsch gemacht hat, die Schuld bei sich suchen, wenn man scheiße behandelt wird, etc.

Jedes Stück Authentizität, jede freimütig geäußerte Ansage, jede geäußerte Wut einer Frau ist freilich auch ein kleiner Sieg gegen diese zugeteilte Rolle. Aber wir schwenken auch wieder zurück und sind lieb und liebenswert. Als Frau spüre ich jedenfalls, dass diese Art von Sozialverhalten zumeist sehr gut funktioniert – auch und vor allem unter Frauen. Wenn man auf Menschen kommt, mit denen dabei die Balance stimmt, dann funktioniert das.

Es ist eine tiefgreifende Konditionierung, und vielleicht entspricht sie auch der weiblichen Wesensart tatsächlich mehr als ständiger Konkurrenzkampf und das Ansammeln von Statussymbolen. (Vielleicht entspräche es auch der männlichen mehr – also einfach der menschlichen Wesensart – so man Männer zu solchen Idealen erziehen würde? Kann ich nicht sagen, wär möglich, ich räume der Natur (was immer…) auch durchaus ihren Platz ein – solange Menschen aber nicht völlig “natürlich” und unbeeinflusst aufwachsen – was immer das konkret überhaupt bedeuten würde – wird sich das nicht final klären lassen.)

Aber es bleibt eine Konditionierung -> die eigenen Bedürfnisse gehen davon nicht weg, sie möchte selbst auch be-rücksicht-igt werden und dass bei ihr nachgefragt wird, sie will Anerkennung bekommen, etc. Besonders, wenn sie dasselbe von sich aus gibt, möchte sie das auch bekommen, ohne darum bitten zu müssen.
(Was wäre eine Aufmerksamkeit oder Anerkennung auch wert, um die man erst bitten musste? Man musste sie, die Frau, ja auch nicht darum bitten!)

Wie gesagt, Typ-C11 glaubt eventuell, sie würde diese Qualitäten(?) einfach freimütig und bedingungslos(!) geben, das wäre aufwandsfrei, eh kostenlos und quasi alles inklusive – und irgendwann glaubt er vielleicht sogar, dass ihm das alles auch zustehen würde – sonst würde er es ja nicht kriegen!

Und übersieht dabei das allmählich anwachsende Ungleichgewicht.

Frau* hingegen hat mitunter bald das Gefühl, dass von ihm nicht viel zurückkommt. Das ist jetzt nicht allein als “sein Fehler” gemeint – siehe oben, nicht alles an diesem Verhalten ist gesund und das Ideal – aber sie hat da Qualitäten, die offenbar von ihm geschätzt werden und auch konsumiert werden, ohne dass er je auf die Idee käme, das als eine besondere Form von Zuwendung zu begreifen. Eine, die nicht jeder von ihr kriegt, und die für sie auch spürbare(!) Kosten bedeutet. Sich zurückzunehmen zB bleibt immer spürbar. Nährend sein kostet uns etwas.

Typ-C-11 kommt leider auch nicht auf die Idee, dass man sowas (oder ähnliches) auch mal zurückgeben könnte. Auch nicht durch die simple Tatsache, dass es doch so angenehm ist, es zu empfangen! Vielleicht, weil er es irrtümlich für eine natürliche Ordnung der Dinge hält?

Aber dass sie es zulässt, dass er öfter in den Vordergrund rückt (als sie/als andere), heißt nicht, dass ihm das auch ständig zustünde.
Es ist ein Vorschuss! Wir betreiben “do ut des” – und erwarten quasi in unserer herzseitigen Balance-Abteilung den Eingang eines Ausgleichs. Eines Ausgleichs auf der Beziehungsebene – keine Geschenke oder Mitbringsel.

Was Typ-C11 daher eventuell für natürliche Liebenswürdigkeit hält, ist tatsächlich ihre jahrelange (und tägliche) Arbeit daran, ein aufmerksamer, halbwegs selbstloser, verständnisvoller, verträglicher und toleranter – und vielleicht zufällig weiblicher – Mensch zu sein. Auch schlicht deshalb, weil dadurch die Chancen steigen, kein einsamer Mensch zu werden.

Es wäre unfair, “do ut des” zu einem “Aufrechnen” umzudeuten. Wer gibt, möchte auch was bekommen, außer es handelt sich um Jesus. Forschungen an Empathie und Altruismus bestätigen das. Man tut es um der anderen willen, aber auch um seiner selbst willen – auf dass einem selbst auch so geschehe.
Die goldene Regel, andere so zu behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte, befolgt man schlicht für funktionierende soziale Beziehungen, wie man sie eben gelernt hat und spüren möchte – Beziehungen, in denen im Idealfall für alle gleichermaßen gesorgt ist.
Auch indem man auf manches verzichtet, und beim nächsten Mal eben jemand anderer dasselbe tut.

Mit manchen Menschen fühlt man sich allerdings irgendwann ausgebeutet, weil man gefühlt nur gibt und kaum was zurückkriegt. Oder die “falschen” Dinge = oft käufliche, glitzernde, florale, essbare oder sonstige “Freikaufungen”. Leider nicht zusätzlich zur ebenso benötigten zB echten Aufmerksamkeit, sondern stattdessen. Oder es kommen fünf Zurückweisungen auf eine Aufmerksamkeit, statt umgekehrt.

Mit anderen Menschen funktioniert diese Balance ganz natürlich, ohne dass beide dabei overgiving werden und sich gegenseitig überbieten müssten. Vielleicht mit Menschen, die es ähnlich gelernt haben.
Man bietet an, was man hat, um das Leben des anderen schöner zu machen – freut sich, wenn’s klappt, und tut es auch in der Gewissheit, dass das irgendwann mit Gleichem beantwortet werden wird. In guten Beziehungen ist das auch an keine bestimmte zeitliche Frist geknüpft, sobald einmal das Vertrauen da ist, dass es prinzipiell funktioniert.

Vielleicht stimmt auch das oft: Wir geben das, was wir uns wünschen.

Take what resonates and leave the rest.
* Bitte keine Kommentare a la “Nicht alle Frauen / nicht alle Männer”, “Ich bin doch nicht kOnDiTiONiErT!” oder “Die Rollen können aber auch andersrum gelagert sein”. Ja, ist alles klar. Ich formuliere, wie ich es empfinde und schon oft empfunden habe – das sind keine Ausschließlichkeiten, sondern meine persönliche Betrachtung.

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

  1. Rene sagt:

    Spricht mir aus der Seele. Als C11, nimmt man leicht – gibt aber selten genug zurück. Versäumt, eine Balance aufzubauen, und scheitert an einer Beziehung. Versucht es wieder … usw. Die Lernkurve bei C11ern (zumindest bei mir) ist dabei wohl deutlich höher als alles andere, was man so im Leben gelernt hat. Bleibt die Hoffnung, es in diesem Leben noch hinzubekommen, ansonsten wird die Lernkurve (vielleicht) als “Fruchtfliege” (FC11) im nächsten Leben noch steiler :-)

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