Schon Jesus wollte die Lauwarmen ausspucken

In der abgeschlankten Online-Version des Bankspots mit dem Krawattengetacker sehen wir nur die Kurzversion, das Nötigste. Und das wäre fürs TV auch kein Fehler gewesen. Was wir nämlich im TV erblicken, nachdem die Frau voll des neuen Mutes und Elans zur Tür hinausbraust, ist, wie der Bankmann mit verschwörerischem Blick der Sekretärin des soeben festgetackerten Chefs eine unbeschädigte Krawatte in die Hand drückt.

‘Meine Bank ist wie ein Fels in der Brandung und steht auf meiner Seite.’ Wenn die Bank mir das ernsthaft mit diesem Spot vermitteln möchte, dann muss sie das transportieren – und nur das. Aber nein, man ist ja schwer originell, und taktisch schlauer ist es doch, die Gelegenheit zu nutzen und sich auch die Gegenseite warm zu halten. Im Spot handelt es sich dabei um meinen (gerade erst) erklärten Feind, in der wirklichen Welt um alle zuschauenden Chefs und Wannabes, die sonst womöglich konsterniert die Nase rümpfen – und die es daher zu beschwichtigen und zurück auf die Seite der Bank zu ziehen gilt. So pfiffig. Bravo.

Hier geht es nicht um wirtschaftliche Notwendigkeiten – denn ja, es ist für einen Betrieb notwendig, Kunden zu gewinnen. Wobei man nach einer solchen Szene freilich unterstellen könnte, dass es der betreffende Betreuer aber schon sehr dringend nötig haben muss.

Mir geht es vielmehr um die transportierte Emotion, denn das ist doch der Kanal, auf dem Werbung wirken möchte. Hat dieser Spot mein Vertrauen erweckt? Nun, lasst es mich so sagen: Wenn mein neuer Fels in der Brandung schon bei der ersten sich bietenden Gelegenheit meinem Feind die Hand reicht, ist er für mich ein prinzipienloser Verräter – aber sicher nicht der richtige Bankbetreuer. Der hat überall seine Finger im Spiel, und bei der ersten Gelegenheit, bei der sich ihm ein besseres Geschäft bietet – selbst wenn es mit meinem ärgsten Feind ist – wird er mich fallenlassen und dabei noch ungerührt mit den Schultern zucken – so mein Eindruck.
Ich kann euch also ganz gut beschreiben, welche Emotion da in mir erweckt wird: Es ist eine, die in meiner Phantasie zu einer Situation führen könnte, in der eine Zweckentfremdung der Krawatte eine Rolle spielt und jemand, der blau anläuft. Mein Bankmensch, der opportunistische Scheißer.

Unberechenbare Durchtriebenheit mag zu finanziellen Vorteilen führen, über die der Mensch, der in seinem Leben keine wahre Freude finden kann, meinetwegen heimlich frohlocken soll. Eine geschätzte menschliche Qualität ist sie jedoch nicht, weder an Freunden noch an Geschäftspartnern. Hat man diese ‘Qualität’ trotzdem, entspricht es der größtmöglichen taktischen Schläue, diese Tatsache für sich zu behalten.

Liebe “In jeder Beziehung zählen die Menschen”-Bank: Wenn man in einer solchen Beziehung zuverlässig, entschieden und mit Rückgrat auf jemandes Seite steht, nimmt man dabei ein eventuelles Naserümpfen der Gegenseite und insbesondere auch verpasste finanzielle Gelegenheiten gelassen in Kauf. Das ist wahre Loyalität.

10 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Lily sagt:

    Mir ist nicht ganz klar, ob es bei dem Spot um einen neuen Arbeitsplatz (den alten tackert die Lady da ins Nirwana, oder?) oder um eine neue Bank geht- also ist auch schon auf dem Level die Botschaft versaut.
    Ansonsten hast du Recht. Vertrauen kann man solchen Gestalten nun wirklich nicht schenken.

  2. janocjapun sagt:

    Man kann sich schon auch ZU viele Gedanken machen. Typisch Fra … *duckundrenn* ;)

  3. Etosha sagt:

    Ich mach mir keine Gedanken, ich habe Empfindungen. ;)

  4. susanne sagt:

    Vielleicht will der Herr Bankberater nur anbandeln mit der Sekretärin. Was eignet sich dafür besser, als seine getragene Krawatte zu überreichen?
    Oder aber er will ihr ein Werkzeug zur Umsetzung ihrer Phantasie, die der Deinen vielleicht nicht unähnlich ist, an die Hand geben.
    Mah, was bin ich heute wieder für eine Positiv-Denkerin …
    :-)

  5. Lily sagt:

    Getragene Krawatte. Pheromone?
    Hm.

  6. Etosha sagt:

    Naja, das Anbandeln müssert dann aber passendererweise ankrawatteln heißen. Oder anpheromonerln. *g* Und ihre Phantasien zu fördern wär ja für ihn selbst nicht gerade sehr förderlich und daher nicht im Sinne von ‘survival of the fittest’. ;)

  7. Lily sagt:

    Vielleicht ist die Sekretärin ja eine von der altmodischen Sorte, die ihre Phantasien nicht sofort mit jedem hergelaufenen Bankberater-Darsteller austauscht, und er, auf die betörende Wirkung seiner Bankberater-Darsteller-Pheromone vertrauend-
    Nein. Das führt zu weit.
    Da graust es mir.

    :-)
    Lily

  8. susanne sagt:

    Uiui, darf ich eine kleine „Richtigstellung“ meiner Gedanken einbringen?
    Bei Möglichkeit 1, beim Ankrawatteln, sind wir uns soweit einig.
    Bei Möglichkeit 2 dachte ich eher daran, dass die Sekretärin ihrem Chef, dem schmierigen Ausbeuter, mit einer unbeschädigten Krawatte leichter das Krawattl abschnüren kann.
    Kleiner Gedankenanstoß zur Solidarität unter ehemaligen Kolleginnen also.
    Möglichkeit 1 ist eindeutig mehr zum Grausen ;-)
    Und nun liebe Lily, liebe Etosha, wünsche ich Euch schöne Träume. Mögen darin keine durchgetackerten und/oder pheromongetränkten Krawatten vorkommen :-)

  9. Etosha sagt:

    Die Sekretärin des schmierigen Ausbeuters wäre womöglich mit einem neuen Tacker besser bedient gewesen. ;)

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