Nullsummenspiel, irrelevantes

Mein Freund Miro schickte mir diesen Link zum Zwiebelfisch. Dieser betrauert den Mangel an Bindestrichen, der in unserer Sprache seit geraumer Zeit durch ein Mehr an Nichts kompensiert wird. Vor kurzer Zeit betrauerte er noch, dass der Bindestrich in gewissen Fällen mehr trennt, als er verbindet. Jetzt wünscht er ihn sich zurück.

Alles völlig wahr. Alleinstehende Hauptwörter ohne jedes sprachliche Gleitmittel sind ein trauriger Anblick, an den wir uns jedoch wohl gewöhnen müssen, so wie man sich immer an das gewöhnen muss, was die Mittelpracht der Bildungsschicht für richtig hält. Ja, Sprache verändert sich täglich, das ist natürlich. Nicht immer jedoch sind die importierten Einflüsse, in diesem Fall aus Übersee, zu ihrem Wohl, das muss man auch mal sagen dürfen.

Selbst Hauptwörter, die man einst sorgfältig mit einem Binnen-s verbunden hat, damit sie beim Zusammenspiel nicht quietschen, diese gefälligen, widerstandsberuhigten Wesen, die keiner Zunge was zuleide tun, werden heute auseinandergerissen, was meinem Gefühl nach eine besondere Grausamkeit erfordert.

Aber, aber, wirft mir der gerechte Leser nun vor, es muss doch mehr um den Inhalt als um die Form gehen! Das wäre schön – in einem Neuronennetz ohne Vorurteile. Leider kann man sein Hirn nur schwer davon abhalten, einem orthografisch mangelhaften Text auch gleich seine Glaubwürdigkeit und Durchdachtheit abzusprechen, und damit dem Autor seine Kompetenz. Selbst wenn man hinterher dieses Urteil abzumildern versucht – der Schaden ist angerichtet, ein schaler Nachgeschmack bleibt. Nicht bei euch allen, nicht bei jedem, aber bei mir.

Vor allem ist es doch aber so, dass es sich über ein so irrelevantes Thema vorzüglich schreiben lässt. Viel leichter als über wirklich schwierige Themen, Texte, die politische, soziale oder gar persönliche Problematiken aufgreifen. Manchmal ist selbst das Schreiben im Kontrast zum Nichtschreiben eine Flucht vor dem Schreiben. Sicher keine echte Alternative, aber Hauptsache, es fließt überhaupt etwas aus den Fingern. Die bösen Themen behalte ich zur Zeit lieber auf lokalen oder sogar nur auf geistigen Festplatten. Was wohl der Zwiebelfisch gerade alles nicht niederschreibt?

Dabei macht ja orthografisch sowieso jeder, was er will. Ich auch! Daran stören sich vielleicht auch manche Menschen. Das dürfen die, mich stört ja auch oft, wie sie schreiben. Ich weigere mich etwa, dem rauh das h abzusprechen, weil es danach viel zu glattrasiert aussieht, um ernsthaft als rauher Gegner respektiert zu werden. Vorschriften hin oder her, interessiert mich nicht. Rau ist und bleibt der größte Loser im Business der Kratzbürstigkeit.

Auch die Getrenntschreibung von radfahren oder haltmachen leuchtet mir nicht ein. Gerade in Zeiten der sinkenden Aufmerksamkeitsspanne, in denen jeder Text jenseits der 140 Zeichen schon als lähmend lang empfunden wird, finde ich es eher unklug, dem Leser mithilfe allzu funkelnder Kurzwörter die Sitzgruppe der geistigen Trägheit auch noch zum Schlafsofa auszuziehen. Zum anderen sorgen einsame Substantive, die eigentlich gar keine sind, am Zeilenende für Respekt
einflößende Verwirrung. Oder etwa nicht?

Irritierend ist es, wenn Menschen einen Satz nicht beenden, bevor sie den nächsten beginnen. Auf Facebook sieht man das oft ohne Punkt und Komma so sprechen sie dann wohl auch mit einem vermute ich ihr nicht? Haben die nicht mehr alle Satzzeichen in der Tastatur? Dabei liest man doch täglich, dass Interpunktion nicht nur Ehen, sondern auch Menschenleben retten kann. Mir fällt es auch auf, wenn Leute “keine drei Deka weit denken”, wie man hierzulande so schön sagt, wenn sie etwa vermelden, dass etwas “einer der größten Überraschungen” für sie war.

Doch nun zurück zur gähnenden Leere. Sie gedeiht ja nicht nur zwischen eigentlich zusammengehörenden Hauptwörtern vorzüglich, sondern auch im Milieu der zusammengesetzten Verben, seit unbekümmerte Bildungsoptimisten bei der letzten Reform einige siamesische Zeitwörter operativ getrennt haben – gegen deren Willen, wohlgemerkt. Damals waren diese Entscheidungsträger offenbar völlig frei von jeglicher Befürchtung, man könnte damit womöglich einen ganzen Rattenschwanz an weiteren Verben der breiten Masse und ihren wenig gewetzten Sprachgefühlsskalpellen schutzlos ausliefern.

Diese Masse hatte seither viel Zeit, im Stillen rumzuschnibbeln, und nun platzt sie tagtäglich mit den Ergebnissen heraus. So liest man dann etwa, dass jemand “sein Versprechen ein halten” werde, aber dafür auch, welches Chaos entstünde, “wenngleich alle Konsumenten gleichzeitig diese neuen Geräte wollen”. Sie sind also nur verrutscht, die Leerzeichen, von den passenden Stellen an die etwas weniger passenden. Das ist alles. Fügt man dort Nichts ein, lässt man dafür da Nichts weg. 0-0=0! Ergo: Wurscht. Erkennt ihr die Irrelevanz?

8 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. _mathilda_ sagt:

    Ich nenne das “nicht für zwei Cent” mitdenken. Dass mich dieser Vorgang rasend zu machen droht, ist unschwer nachzuvollziehen, denke ich.

    So richtig ordentlich heftiglich porös machen mich aber Menschen, die ohne Punkt und Komma, ohne Absätze und Hervorhebungen, ohne eine Art von Gliederung ihrem Mitteilungsbedürfnis stattgeben. Da stellt sich mir unwillkürlich die Frage, wie es im Hirn dieser Exemplare homo (sapiens?) zugeht? Ich kann nicht mal willentlich Beistriche, Punkte, Semikolons und ähnliches weglassen. Die fließen automatisch aus meiner Tastatur. Sollte ich ein Beispiel produzieren wollen, müsste ich manuell alle Satzzeichen wieder entfernen. Schon schlimm, wenn das eigene Hirn so strukturiert ist ;)

    Ich kann dein Leiden definitiv nachvollziehen. Auch in meinen Hirnwindungen knirscht und grammelt es, wenn ich fehlerhafte Texte lese. Manchmal werfe ich mir selber Dünkelhaftigkeit vor, aber so ganz kann ich nicht abstellen, bei fehlerhafter Textgestaltung an der Intelligenz und Kompetenz des Schreibers zu zweifeln. Das schlechte Gewissen bleibt – blöd eigentlich, wo doch derjenige, der seine Gedanken nur mangelhaft zu verschriftlichen in der Lage ist, damit geplagt sein sollte.

    • Etosha sagt:

      Nein, sollte er nicht. Man sollte drüber wegsehen können. Das wär immens praktisch! Oder man sollte uns in der Schule gleichmäßig wenig mit Rechtschreibung und Grammatik quälen, dann wär das Leseerlebnis für alle gleich gut. ;)

  2. _mathilda_ sagt:

    Ach übrigens – schön, mal wieder von dir zu lesen! Habe deine Einblicke und Gedanken vermisst.

  3. Ceh sagt:

    Stimm ich dir von Herzen zu. Genauso hätt ich’s auch formuliert. Also … wenn ich’s formuliert hätt halt :D.

    • Etosha sagt:

      Freut mich. Ich versuche, es leicht zu nehmen und hinzunehmen, was sich so tut, aber nicht immer gelingt es mir. Vielleicht wirds ja mit der schriftlichen Aufarbeitung etwas besser?

  4. hubbie sagt:

    q.e.d., daher findet man keine Zwitschereien oder Gesichtsbücher von mir anywhere……..somit habe ich ein Dutzend Satzzeichen eingestreut, wer mag, darf sich welche klauen, aber bitte nicht sinnentstellend

    Anregung: würde dir eventuell eine Eloge an den leidenden Genitiv aus den Fingern rinnen, would be appreciated very much, schon des nachgestellten “wegen” wegen

    • Etosha sagt:

      Ach, der Genitiv leidet nicht. Er ist da oder eben nicht da. Man wird sich weiterhin gut um ihn kümmern, weil es ohne ihn in der schriftlichen Sprache ohnehin nicht geht. Schon des wegens wegen.

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