Die Fäden und der Grant

Grantig bin ich. Grantig, weil die Dinge nicht schon fertig sind. Die vielen Dinge, in denen ich stets gleichzeitig meine Finger drin hab, die vielen losen Fäden in meiner Hand – nein, in meinen Händen! Ich würde mich auch nicht als geduldig bezeichnen, eher als hartnäckig. Der Schaffensprozess an sich gibt mir relativ wenig. ‘Der Weg ist das Ziel’, was für ein Unsinn! Das Ziel ist das Ziel! Darum heißt es ja so!

Schreiben ist eine der ganz wenigen Unternehmungen, an denen mir das Werden, das Schaffen, das Herstellen und Verfeinern wirklich Spaß macht. Manchmal auch die Malerei, aber auch da möchte ich oft schon fertig sein, bevor ich überhaupt begonnen habe, nur um endlich das zu Gesicht zu bekommen, was bislang nur in meinem Kopf existierte. Und selbst wenn es ‘schön’ wird – ist es nicht das geworden, was ich mir vorgestellt hatte, bin ich damit nicht zufrieden.

Die meisten anderen Unternehmungen beginne ich eben nur, um das Bild, das ich davon in meinem Kopf habe, zu ver-körpern – oder um diese Dinge zu können. Üben will ich nicht. Üben ist was für Loser. Ich will beginnen und können! Sie kam, packte an und erschuf!
Um diese ohnehin schon seltsame Eigenschaft erst zu einer wahren Herausforderung zu machen, bin ich obendrein mit viel zu vielen Interessen gesegnet. Und wie sich das alles mit meinem Hang zum Perfektionismus verträgt, muss ich hier wohl nicht näher beschreiben.

Ob es sich nun darum dreht, ein Kleidungsstück vom Schnitt weg selbst herzustellen, ein Bild zu malen, einen Song zu schreiben, einen Tisch zu bauen oder ein bestimmtes Foto zu schießen – erweist sich meine Fingerfertigkeit, meine körperliche Kraft oder mein Hirn dazu als zu unfähig (ungeübt!), gebe ich mich nicht etwa geschlagen und höre auf, sondern ich werde grantig und verbissen. Wie es mich generell grantig macht, wenn die Welt der physischen, unbelebten Dinge sich mir widersetzt und stattdessen beispielsweise lieber der Schwerkraft gehorcht, oder wenn ich mich andauernd vertippe.

Und dann kommt noch eine Wespe hereingeflogen und tanzt mit ihrem Gesumme und mit ihrer stets gleichbleibenden Unfähigkeit, eine Glasscheibe als solche zu erkennen, auf meinen Nerven Tango, oder die Nachbarin kommt hereingeschlurft und erzählt mir ungefragt von den Wetteraussichten.

Unbeherrscht ist Synonym von passioniert, sagt das Wortschatzlexikon. Ein reichlich schwacher Trost.

Denn ich habe dort die Übersetzung eines umfangreichen Dokuments fertigzustellen, oben habe ich Stoff liegen, den ich gerne zu Hosen, Shirts und Mänteln verarbeiten möchte, hier ist mein Weblog, das gefüttert werden will, es warten Songs, die es noch zu schreiben und Rezepte, die es zu erfinden gilt, E-Mail-Kontakte, die, meistens vergeblich, auf Post von mir hoffen, und darüber hinaus bin ich überhaupt für Größeres bestimmt, das ich noch gar nicht kenne. All diese Vorhaben werden freilich immer wieder aufs Lästigste durchkreuzt von Arbeit im Haushalt, Arbeit im Garten und Arbeit für Geld. (Und von Schmerzen, die mich zudem bei der Ausführung behindern und meine Vorhaben weiter erschweren.)

Diese vielen losen Fäden, die ich in der Hand halte, verheddern und verfilzen sich zuweilen, manche sind auch urplötzlich und ohne mein Zutun zu Ende, und ich hab das Gefühl, nichts jemals fertigzukriegen, niemals je fertig zu sein. Der scharfsinnige Leser könnte natürlich an dieser Stelle einwerfen, das Leben bestehe ja wohl im Großen und Ganzen darin, niemals fertig zu sein. Und recht hätte er. Ja, rufe ich dann, mein Hirn weiß das, aber der Grant kommt dennoch – und diesen dann unmittelbar in die Werke einfließen zu lassen, ist nicht immer die beste Idee. Außerdem lässt der Spaß an der Sache dann noch mehr zu wünschen übrig, als er es ohnehin schon tut. Und nicht zuletzt ist dieser Grant zwar ein effektiver Motor, aber kein besonders behaglicher.

Um einen Faden zu verfolgen, muss man einfach durch das filzige Knäuel hindurch und es dabei entwirren. Dabei besteht aber die Gefahr, einen anderen Faden zu entdecken, den man schon vergessen hatte, und in stiller Trauer darüber zu verharren, dass man bislang noch nicht die Zeit hatte, ihn zu verfolgen.

Gerade wenn ich aber dieses Fertigseinwollen als die offenbare Ursache so eines Grants herausgefiltert habe, fällt es mir schwer, das, womit ich gerade beschäftigt bin, loszulassen und etwa einen Spaziergang zu machen – oder darüber zu schreiben. Es kommt mir kontraproduktiv vor, denn ich will ja fertigwerden!
Dennoch ist es sehr zu empfehlen, denn es ist hilfreich und effektiv.

Dieser Faden ist hier zu Ende. Und mir geht’s jetzt auch besser. Danke fürs Zuhören.

13 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Lily sagt:

    Ach ja… soviel Dinge, so wenig Zeit.
    Mir gehts oft wie dem Affen: Monkey see, monkey do. Deshalb krieg ich selten etwas zu Ende, kann vieles, aber so weniges richtig. Du scheinst die Dinge wenigstens zu beenden. Ich hör meist mittendrin auf, weil es dann doch langweilt- und irgendwas anderes glitzernd am Straßenrand liegt.
    Aber auf jeden Fall herrscht Abwechslung, wenn auch keine Ordnung- und wer braucht die schon :-/

    Lily

  2. G. Schwätz sagt:

    Das Problem an Deinen Postings ist, dass Du Deinen gesamten eigenen Gedankengang ausgesprochen ausführlich darlegst – und auch gleich sämtliche Pro- und Kontraargumente mitlieferst. Du nimmst einem geradezu die Mutter aller Winde aus einer ganzen Flotte an Segelschiffen! ;)

    Aber zum Thema. Wie gut ich Dich verstehe. Wir sind da völlig seelenverwandt. Zumindest, was die jeweilige Selbstwahrnehmung betrifft. Denn – zu meiner persönlichen Schmach – es mögen Dir die von Dir geschaffenen Dinge vielleicht unvollkommen erscheinen; mir hingegen erscheint, egal was Du tust, von einer geradezu boshaften Perfektion; nur dazu angetan, mir vor Augen zu führen, wie sehr ich selbst eigentlich nur in alles, was mich interessiert, hineinschnuppere, ohne jemals auch nur mittelmäßiges Können (und somit befriedigende Resultate) zu erreichen. Das ist eigentlich eine Frechheit. Und ich dachte, Du wärst eine gute Freundin *grml*.

    *gg* ;)

  3. mkh sagt:

    Hihi, ähm *grmmmpf* ´tschulchung! Will ja nicht kichern, ich Fiesling! ;-) Also, leieb Etosha, ich mag deine unausgegliche Art und innere Ruhe sehr! :-)

    Und nun mach dir mal gefälligst eine Kanne Darheeling oder meinetwegen Kräutertee und nimm dir bissel Zeit, übers Leben, das Universum und den ganzen Rest nachzudenken und dir eins zu kichern…

  4. mkh sagt:

    ´jeeling, meine ich!

  5. Etosha sagt:

    Mhm, Lily, das kenne ich gut, der ewige Universallaie sein. Aber dafür hat man von allem ein bisserl Ahnung, kann überall seinen Senf dazugeben und muss nix wirklich beweisen. :) Aber unbeendete Dinge nerven mich, auch wenn nichtmal jemand darauf wartet. ICH weiß, dass es sie gibt, und das ist schlimm genug. Meine Festplatte ist voll mit solchem Zeug.

    Herr G., die Ausführlichkeit liegt darin begründet, dass meine Geschreibsel sehr oft therapeutischer Natur sind. Und sowas bringt halt wesentlich mehr, wenn man den Dingen auf den Grund geht und sie so ausformuliert, dass sie den Punkt genau treffen – und nicht nur ungefähr. Dann ist der Effekt da, dann ist es raus und steht da, lesbar und irgendwie auch endlich durchschaubar.
    Aber die respektvollsten Verneigungen sind bekanntlich jene bis zum Boden – und wenn dabei auch meine Bandscheiben in alle Richtungen davonhupfen, eine solche mach ich jetz. Ich hab zwar sehr gelacht über die “geradezu boshafte Perfektion”, aber ich sehe natürlich auch, was da tatsächlich steht. Und bedanke mich sehr inniglich. Und erwidere alles vollinhaltlich.
    Die Selbstwahrnehmung is offenbar ein Hund. ;) Für einen selbst befriedigende Resultate sind eben einfach nicht deckungsgleich mit der Wahrnehmung anderer. Umgekehrt gehts mir bei dir sehr oft ganz genauso. Vielleicht muss man sich das gegenseitig einfach öfter sagen – dann klappt’s auch mit der Freundschaft. ;)

  6. Etosha sagt:

    Vielen Dank für das sehr Mögen und für die Kicher-Energie, mkh – sehr brauchbar, das! Und viel zu selten ist das Kichern leider, gerade in der Grantphase. Aber ich kann mich mittlerweile eines sehr ausgedehnten Spazierganges rühmen, bei dem ich viel gekichert habe über meinen Hund, der partout die uralten Karotten vom Misthaufen am allerliebsten mag.
    Und dar-hee(-hea)ling find ich gar nicht soo daneben. ;)
    PS: Wo ist denn dein Hexengedicht hingekommen?

  7. Schwarze Tasten sagt:

    Vielleicht hilft das hier ja: http://www.rowohlt.de/passiglobo (gefunden bei creezy)

  8. Ich weiß auch genau, wovon du redest. Es ist dabei nicht so, dass du, ich, wir mehr zu tun hätten als Andere, die ihr Pensum auch nicht schaffen und trotzdem entspannt und ungrantig durchs Leben gehen. Ich habe dieses Wochenende auch wieder damit verbracht, ein selbsteingebrocktes Pensum abzuarbeiten, was ich unter der Woche einfach nicht schaffe. Memo:
    1. sich fragen, wieso man die eh viel zu kurze Lebenszeit mit fiktiven Verpflichtungen belädt
    2. in sich gehen und alles Überflüssige aus dem Programm werfen
    3. sich ernsthaft mit Zeitmanagement befassen.
    Muss jetzt los, die Sommerschuhe aus dem Regal räumen und wegpacken.

  9. Etosha sagt:

    Herr oder Frau Schwarze Tasten, ich hab kein Management-Problem, ich hab ein Grant-Problem! ;) Ich werde ja fertig, es dauert mir nur zu lange.

    Liebe Nachtschwester, es ist ja gar nicht so, dass ich mein Pensum nicht schaffen würde – siehe oben – es zieht sich nur einfach so, und irgendwann zwischendurch geht mir dann geduldmäßig die Luft aus. Überflüssiges ist bereits seit Jahren aussortiert. Nur noch Flüssiges vorhanden.

  10. mkh sagt:

    /Hexengedicht
    War nur kurz beim Nachschleifen, ist schon wieder vor Ort!
    /Hund
    War schon bei Dr. Faustus ein gemütsaufhellendes Tierchen! Aber Achtung: der Pudels Kern und so…
    /Karottenspaziergang
    Ich denke oft (wenns mir gerade mal wieder ähnlich ging wie dir gestern), die Stunden, die ich meinem Hund (wahlweise einsetzen: Kind, Freund, Partner…) Aufmerksamkeit schenke, sind in Wahrheit bedeutender als alle Schaffensprozesse der Welt!

    Schöne Tage! mkh

  11. Etosha sagt:

    Bedeutend sind meine Schaffensprozesse ohnehin nicht – nur grantbeladen. ;) Ich brauch trotzdem beides – eines geht nicht ohne das andere. Aber natürlich ist es schön, wenn man beizeiten loslassen, locker werden, lachen und spielen kann.

    Gemütsaufhellend ist so ein Tierchen allemal! Allein wenn ich, wie zB gestern abend, meiner lustigen Hündin zuschaue, was die für einen Heidenspaß mit einem kleinen Stück Brot haben kann, wie sie es wegschleudert, dann um es herumhüpft und anknurrt, wieder erjagt und schüttelt – sehr erheiternd! Und die ganze Show nur für mich!

  12. mkh sagt:

    Wow! Sie könnte sich ja als Robin Williams bewerben?!

  13. Etosha sagt:

    Eher als Cuba Gooding jr. – sie ist schwarz.

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