Kampf gegen Desinformation: In Wales wird derzeit im eine neue Strategie zur Bekämpfung von Lügen in der Politik entwickelt. Und in Österreich? Könnte uns so etwas weiterbringen? Ich glaube ja.
Einen Verhaltenskodex für Personen, die öffentliche Ämter bekleiden, gibt es in Großbritannien bereits seit 1995:
„7 Principles of Public Life“ (7 Prinzipien des öffentlichen Lebens, automatische Übersetzung hier).
Dieser Kodex umfasst: Selbstlosigkeit, Integrität, Objektivität, Verantwortlichkeit, Transparenz, Ehrlichkeit, Vorreiterschaft.
Diese Prinzipien gelten nicht nur für Politiker*innen, sondern für alle Personen in der öffentlichen Verwaltung und Dienstleistung: bei Polizei und Ämtern, im Bildungs- und Gesundheitswesen, bei Gericht usw.
In der Einleitung steht: „Alle, die ein öffentliches Amt innehaben, sind sowohl Bedienstete der Öffentlichkeit als auch Verwalter*innen öffentlicher Mittel.“ … Und haben sich daher auch entsprechend zu verhalten, steht zwischen den Zeilen.
Im walisischen Parlament („Senedd“ in Cardiff) entwickelt ein Ausschuss nun Abläufe, um irreführende Aussagen und Desinformation durch Politiker*innen aufzudecken und zu korrigieren. Als parlamentarische Selbstkontrolle gedacht, nicht als strafrechtliche. Die Opposition soll die Regierungsmitglieder kontrollieren (und wohl auch umgekehrt).
Der Ausschuss soll auch Außenstehende zur jeweiligen Beurteilung hinzuziehen können. Im Artikel steht „Laien“, aber ich denke, es werden politikfremde Sachverständige gemeint sein.
Man möchte so in Wales das stark gesunkene Vertrauen des Volkes in die Politik zurückgewinnen. Auch im Wahlkampf 2026 soll die Einhaltung des Verhaltenskodex stärker kontrolliert werden. Sollte jemand Fake-Facts verbreiten, droht ihm/ihr die Disqualifikation.
Der Ausschuss soll im laufenden Parlamentsbetrieb selbständig ermitteln, nicht nur auf Beschwerden reagieren.
Wird ein*e Politiker*in bei absichtlicher Irreführung erwischt, gibt es abgestufte Konsequenzen: Erst soll von der aufgeblattelten Person ein formaler Widerruf der Falschbehauptung gefordert werden, und dieser soll auch erfolgen. Und es setzt einen Vermerk, ein Bummerl*, am persönlichen Profil des Politikers/-in auf der Parlaments-Website.
* für Außerösische: Das ist der Verlustpunkt beim Schnapsen, und kommt in allseits bekanntem Wienerlied vor.
Je nach Schwere und Widerrufsbereitschaft sollen weitere Konsequenzen folgen können: Suspendierung, Mandatsverlust durch ein Misstrauensvotum oder sogar durch eine Abwahl via Wahlvolk.
Es gibt freilich für die Betroffenen auch die Möglichkeit einer Berufung.
Hier ist ein BBC-Artikel dazu. Und hier ein deutscher Videobeitrag mit kurzer Erläuterung.
Ich finde das grundsätzlich sehr gut
Auch bei uns möchte ich solche Maßnahmen haben.
Als ich sowas vor Jahren vorschlug – es müsste eine Instanz geben, die Desinformation und Lügen in der Politik ahndet – ich also mehr Redlichkeit in der Politik sehen wollte, wurde ich belächelt und zurechtgewiesen: Wer denn überhaupt die objektive Wahrheit feststellen sollte und könnte; dass man da ein ~Wahrheitsministerium bräuchte und dann wären wir ja gleich bei Orwell; und überhaupt, haha, Redlichkeit, wie naiv von mir!
Allerdings ergäbe sich ja eine gewisse redliche Folgsamkeit bereits aus den 7 Prinzipien, oder wahlweise aus einer guten Kinderstube, aus moralisch integrer Erziehung oder den zehn Geboten, würde man sie ernsthaft als Werte leben und nicht nur behaupten.
Insofern bemerkenswert, dass man diesen Verhaltenskodex eigens aufsetzen und betonen muss. Aber wenn ich mich so umschaue: Ja, es ist nötig, man muss betonen, dass von Volksvertreter*innen Integrität, Ehrlichkeit, Transparenz etc erwartet wird – und das entsprechende Verhalten wohl auch vehement einfordern.
Diskussion
Gewaltenteilung?
Ein Ausschuss macht aufklärende Arbeit – kennen wir vom Untersuchungsausschuss. Abmahnung durch Ausschuss, ok. Bei härteren Konsequenzen ein unabhängiges Gremium aus der Judikative? Freilich hat Justizia genug zu tun, auch ohne Wahrheitswächterin fürs Parlament spielen zu müssen.
Strudelteig?
Das endlose Hin und Her, das da bei uns zelebriert würde, mag ich mir gar nicht vorstellen. Es müssten Ideen zur zeitlichen und thematischen Eindämmung her. Und gegen Instrumentalisierung, denn: Welch Chance, seiner liebsten Desinformation erst recht zu medialer/öffentlicher Aufmerksamkeit zu verhelfen!
Unabhängiger Rat?
Auch das Zuziehen von Außenstehenden stell ich mir hierzulande schwierig vor. 1) gibts anscheinend kaum politisch unabhängige Personen. 2) findet man inzwischen wohl auch zum einfältigsten Schwurbel irgendwen, der ihn bereitwillig bestätigt. Sachverständigkeit (die echte) müsste natürlich Voraussetzung sein.
Namensgebung?
Hier in Österreich würde so ein Ausschuss wohl (oder übel) „Bummerl-Ausschuss“ genannt. 😅
In Deutschland? Pinocchio-Kommittee vielleicht?
Meine 2 Cents (es sind eher 200)
Werden die Fakten offiziell geklärt, dann könnte man sie besser von den mitgelieferten Emotionen trennen. Die Politik könnte zu einer zutreffenderen Faktenbezogenheit finden. Die immer selben Fake-Facts wären nach Ermahnung und Widerruf für eine Weile vom Tisch. Das Parlament müsste sich nicht von diskurszerstörenden Populisten &-innen gezwungen sehen, immer wieder bei Adam und Eva anzufangen.
Zu Sachlichkeit haben Populisten für gewöhnlich nicht allzuviel beizutragen. Und sie könnten dem Volk auch nicht mehr so leicht das verkaufen, was ihre bevorzugten Lobbys wollen, indem sie drei Zahlen herunterrattern – die zwar völlig falsch sind, aber umso selbstbewusster vorgetragen werden.
Die Spin-Doktoren und PR-Scharen könnten weg. Bei Sachverständigkeit und Expertise wäre dieses Geld nachhaltiger angelegt. Die Politik könnte auf die Wissenschaft dann auch nicht so leicht verzichten, nur weil ihr gerade, ähem, danach ist.
Man könnte von demjenigen, der soeben Desinformation geäußert hat, auch einen Wahrheitsbeweis fordern. Das, während freilich der Ausschuss ebenfalls recherchiert; aber geprüfte Fakten sollten nicht nur Bringschuld des Ausschusses sein.
Statt „Weisen Sie mir doch nach, dass ich lüge! :P“ auch: „Weisen Sie doch nach, dass das belastbare Fakten sind!“
Dann müssten Frau und Herr Desinformation ihre Hausaufgaben machen!
Und wenn sie dabei eine gute Studie nicht von einer schlechten unterscheiden können? Dann würde (vielleicht sogar ihnen selbst?) offenbar, dass sie sich für gewöhnlich einfach die Überschrift aussuchen, die ihre vorgefasste Meinung am besten bestätigt. Oder den passendsten Verschwörungsmythos, den der Telegram-Kanal gerade anschwemmt.
Natürlich ist der Bullshit trotzdem erstmal draußen und macht sich auf seinen Weg.
Doch es würde sich allmählich zeigen, dass es oft gar nicht die Tatsachen sind, die in den Politikpersonen des Rechtsextrem-Populismus so viel Wut und Hass erzeugen. Sondern dass sie sich Behauptungen suchen oder selbst stricken, die zu ihren negativen Emotionen passen.
Selbst wenn sie unter schärferer Kodex-Kontrolle weiter ihren Wuthass verbreiten, würde der aus einer unbelegten Argumentation nach der anderen herausgeschält. Und damit von der vorgetäuschten Faktenbezogenheit abgetrennt.
Einige aus der Anhängerschaft könnten sogar finden, dass ihnen das ohne verlässliche Fakten dann doch zu dünn wird, um es weiterzutragen, und sich abwenden.
Die Richtigstellungen würden Verbreitung finden. Möglicherweise würde es den Bummerlempfängern &-innen sogar irgendwann zu blöd, dass jeder ihrer verbalen Fürze immer gleich faktenbezogene Kritik und Hausaufgaben nach sich zieht. Und sie begännen womöglich von sich aus, faktisch sauberer zu argumentieren, weil das nicht so unbequem ist. Und weil ihnen klar ist, dass die zugehörigen Belege ohnehin früher oder später von ihnen gefordert werden. Oder sie müssten ihren Hass ohne legitimierende „Fakten“ präsentieren.
Damit wäre jene soziale Grenzsetzung vollzogen, die zu lange verabsäumt wurde – die Stoppschilder seitens der Gemeinschaft für Blender, Lügnerinnen, Schwurbler und Hassschleudern.
Man könnte natürlich allerlei einwenden. Etwa, dass doch auch in der NS-Vergangenheit unseres Landes der Hass nie echte Fakten brauchte, um das Volk damit anzustecken. Vergleichen würde man aber auch nur unhinterfragten Gegenwarts-💩 mit genauso unhinterfragtem Vergangenheits-💩 und dessen Folgen. Denn es wurde damals keine Möglichkeit geschaffen, die falschen Behauptungen offiziell und normativ bindend zu hinterfragen, sie als das zu entblößen, was sie waren und heute noch sind: Lügen, die die Menschen gegeneinander aufhetzen sollen. Und als die Gewalt losging, mit der die Nationalsozialisten die Menschen zu Wahlen drängten und auf der Straße willkürlich einschüchterten, war es für solche Aufdeckungen längst zu spät.
Es ist daher auch nicht mehr als eine Behauptung, dass Hass keine Fakten brauchen würde. Wenn das wahr wäre, dann würden manipulative Politiker*innen nicht so häufig und gezielt mit Fake-Facts arbeiten. Und mit Geschichten, die zwar verbogen und erlogen sind, sich aber echt gut weitererzählen lassen.
Ich glaube, dass das Einfordern von gesichertem Wissensstand im Kampf gegen Desinformation etwas bringen würde. Nicht nur im Parlament, sondern bei allem, was öffentlich geäußert wird.
Und nein, ich meine mit alledem nicht, dass Politik komplett von Gefühlen befreit gehört. (Wer regelmäßig hier liest, weiß das bestimmt.) Es gibt keine emotionsbefreite Diskussion, wenn die besprochenen Themen uns wichtig sind. Je mehr wir meinen, wir könnten uns per vermeintlich überlegenem Intellekt von Emotionen freimachen, umso stärker werden wir von Emotionen getrieben.
Im Gegenteil, ich bin für mehr Gefühle in der Politik! Für mehr positive Gefühle, und das ohne Shaming. Für Freude an der Demokratie! An Kompromissen, die gelingen. An fairen Lösungen, die den Menschen, unserer Umwelt, unserem Land für die Zukunft etwas bringen. Nicht nur gewissen Menschen, die irgendwie „gleicher“ sind, sondern allen. Freude an Errungenschaften zeigt uns, dass in der Demokratie unsere größtmögliche Freiheit liegt.
Und ich möchte diese Freude auch in der Berichterstattung sehen, lesen und hören! Nicht immer nur das, was schiefgeht = was Clicks bringt. Weil das auf Dauer jedes Vertrauen in die Demokratie weiter schädigt.
Ich bin dagegen, dass Emotionen untermauert werden mit verzerrter Logik, umgedeuteten Zahlen oder erlogenen Behauptungen, die als Fakten präsentiert werden. Den Wuthass-Populisten &-innen soll das erschwert werden. Denn sie verbreiten und verfestigen so ihre Botschaft von Hass und Neid, von erlittener Demütigung und rachebereitem Opfertum. Ihre „Fakten“ sollen eine unantastbare Rechtfertigung liefern für niederste Emotionen und deren Ausleben.
Diese Botschaft sollen sie nicht mehr in Mäntelchen der Sachlichkeit verpacken können, die ihrem Hass den Anschein einer faktentreuen Schlussfolgerung geben sollen. Zumindest nicht ohne Zwischenruf, Widerspruch, Einforderung der Wahrheit, die nicht einfach ignoriert werden können.
Ich bin dagegen, dass uns weiter Hass auf beliebige menschliche Sündenböcke verkauft wird als rohe, alternativlose Ratio. Und das ungestraft, unkorrigiert und immer wieder.
Denn damit landen wir genau dort, wo wir schonmal waren und nicht mehr hinwollen. Dort, wo die USA bereits sind. Wir müssen uns davor schützen, und ja, sogar diejenigen, die glauben, dass sie dort hinwollen.
Wenn schon blinder Hass, dann ohne falsche Fakten. Soviel Redlichkeit fordere ich.