Das Verschwörungsvirus

Dieser Artikel ist Teil 1 von 5 in der Serie "Verschwörung in der Psyche" ...

Die Corona-Krise hat einen verhängnisvollen Nebeneffekt.
Es gibt eine Parallel-Pandemie, manche nennen sie “Infodemie”: Die Menschen, die sich mit dem Verschwörungsvirus infizieren, werden täglich mehr.

Das Problem läuft anscheinend aus dem Ruder
Vorab: Die sog. “Maskenverweigerer & Impfgegner” werden online oft als #Covldioten bezeichnet – damit ist echt niemandem geholfen. Spätestens, wenn einer deiner liebsten Menschen, die du hoffentlich bisher auch nicht als geistig behindert bezeichnet/beschimpft hast, mit dem Weiterleiten von zweifelhaften Videos und Postings anfängt, wirst auch du aufhören, diesen Begriff zu benutzen. Er ist ableistisch und sollte unterbleiben.

Ebenso menschenfeindlich ist für mich der Standpunkt “Die rotten sich doch eh über kurz oder lang selber aus”. Das möchte ich nichtmal bei einer anonymen Masse hinnehmen – dazu dient übrigens die oben beanstandete Bezeichnung: um per Framing aus Menschen eine Masse zu machen, mit der man dann folglich auch kein Mitgefühl mehr haben muss. Aber schon gar nicht würde ich das bei meinen Liebsten hinnehmen.
Zudem gefährden sie ja nicht nur sich selbst.

Die schiere Menge an Kommentaren von Angehörigen und Freunden, die sich derzeit der Problematik “verschwörungsgläubiges Familienmitglied” ohnmächtig gegenübersehen (beispielsweise in diesem Twitter-Thread), hat mich bewogen, einen Versuch zu starten:
Eine Artikel-Serie, in der ich mein Verständnis der vielfältigen psychischen Funktionen von Verschwörungsmythen mal zusammenschreibe und Ideen zur Intervention sammle, sichte und zur Verfügung stelle. Crowdsourcing, auf Neudeutsch. Es soll hier um die Situation von Angehörigen und Freunden gehen, darum, was sie versuchen könnten, wenn ihre Liebsten in Verschwörungsmythen abgleiten, diese weiterverbreiten und andere dazu bekehren wollen.
Wie ihr dabei mithelfen könnt, steht ganz unten in diesem Artikel!

Disclaimer:
Ich bin keine Ärztin. Ich gebe hier mein persönliches Verständnis wieder, berate mich mit PsychotherapeutInnen und PsychologInnen, nehme eure Tipps entgegen und veröffentliche die Ergebnisse hier.
Informationen aus dem Internet ersetzen nicht den persönlichen Besuch bei Arzt oder Ärztin. Beratet euch mit Spezialisten!

Begriffshinweise:

Ich bezeichne im Folgenden der Kürze halber:
ஐ die Verschwörungs-Mythen als VeMy
ஐ das Verschwörungs-affine Familienmitglied oder Freund/Freundin als VaFoF-Person
ஐ deren Verwandte, Bekannte und Freunde als Angehörige

Aber Moment! Können wir das nicht einfach so lassen?
Sind VeMy nicht auch einfach Meinung, die wir respektieren müssen?

Ich sehe das so:

1) bedeutet Meinungsfreiheit, dass man seine Meinung frei äußern darf, ohne vom Staat dafür belangt zu werden. Nicht, dass diese Meinung nicht hinterfragt, kritisiert oder auch als hirnverbrannter Unsinn eingestuft werden dürfte.

2) beschränken sich VaFoF-Personen nicht nur darauf, eine Meinung zu haben, nicht nur verwechseln sie Meinung mit Wissen(schaft), sondern sie versuchen teils fanatisch-verbissen, andere von einer Sicht zu überzeugen, die jeder aufgeklärten Grundlage entbehrt. Auch die Kinder von Verwandten werden damit konfrontiert – und die können sich nun wirklich nicht selber davor schützen!

3) bergen und fokussieren VeMy ein immenses Aggressionspotential. Die Geschichte lehrt uns, dass das Benennen eines willkürlichen Sündenbocks, der für eine komplexe Problemsituation verantwortlich sein soll, zum VeMy gehört wie die Axt zum Holzfäller. Auch die Story von der “jüdischen Weltverschwörung” war ein VeMy. Dieses aggressive Feindbild hat die gefährliche und starke Tendenz, in der mörderischen Vernichtung dieses (willkürlichen) Feindes zu gipfeln – millionenfach.
Wollen wir darauf warten, dass ein aggressiver Mob sich gegen jedes beliebige menschliche(!) Ziel steuern lässt? Menschen, die für die aktuelle Situation in Wirklichkeit nicht das geringste können? Nur weil dieser Mob jedes weitere beliebige VeMy-Puzzlesteinchen unbesehen schluckt?
Oder wollen wir schon vorher was unternehmen?

4) kommt die aktuelle Polarisierung nicht nur einer Spaltung der Gesellschaft gleich, sondern auch einer Spaltung von Familien, Freundschaften und Beziehungen. Ich persönlich würde mit Sicherheit einzugreifen versuchen, bevor mir ein Familienmitglied womöglich für immer verlorengeht. Denn es ist kaum abzusehen, was es mit der Psyche meiner VaFoF-Person macht, wenn sie letztlich ungebremst auf den Boden der Tatsachen knallt.
Ließe ich das Eingreifen bleiben, bestünde die Auswahl nur noch aus Pest oder Cholera: Radikalisieren lassen – oder eben fallen lassen.

Der VeMy macht da was mit der Psyche
Der VeMy ist ein tiefenpsychologisches Phänomen. Er erfüllt in der Psyche eine ganze Menge an Funktionen. Diese werden gern zusammengefasst unter “gibt der VaFoF-Person wohl Kontrolle zurück” – aber das ist mir zu oberflächlich. Es handelt sich um eine breit aufgestellte Kombination – wie ein Floß aus einzelnen Brettern, auf dem ein/e Ertrinkende/r Sicherheit gefunden hat. Nur, dass ihnen davor gar nicht bewusst war, dass sie zu ertrinken drohen. Oder dass die Bretter morsch sein könnten.

Angehörige, die versucht haben, auf der Sachebene zu diskutieren, eine neue Richtung in das Denken dieser Menschen zu bringen, kennen das:
Jedes sachliche Gegenargument, jeder Faktencheck, scheint für die VaFoF-Person den Mythos weiter zu “beweisen”. Das ist Absicht im VeMy und liegt an der (auch psychisch gewollten) lückenlosen Abdeckung jeder einzelnen Ungewissheit, und damit deren Auflösung.

Was dabei weniger sichtbar ist, aber mE ungemein essentiell:
Jedes Gegenargument warnt die VaFoF-Psyche, dass da jemand die Bretter des rettenden Floßes unter ihr wegziehen will, während sie noch darauf steht! Und löst daher den bekannten, erbitterten Widerstand aus.

Wenn fünf oder sechs simple Bretter den einzigen Untergrund bilden, auf dem du gerade stehst, und jenseits davon spürst du die Haie, wenn auch nur unbewusst – dann lässt du dir keines davon so einfach wegziehen.
Zusätzlich dazu wäre es gefühlt eine riesige Blamage, mit seinem vehement verteidigten Glauben letztlich doch falsch gelegen zu haben – eine Blamage, die man in der seelischen Unsicherheit schon gar nicht ertragen könnte.

Daraus ergibt sich für mich logisch:
Zuerst das Rettungsfloß bieten – dann die morschen Bretter rausziehen. Nicht umgekehrt!
und
Es ist sinnlos, ausschließlich mit Fakten gegen Gefühle anzutreten.

Ja, aber das sollen die Profis machen! Oder?
Ich verfüge über ein gutes Verständnis für seelische Zusammenhänge und einen Haufen Empathie. Ich hab keinen Abschluss in Psychologie – aber den haben die Angehörigen auch nicht, die sich derzeit durch den Widerstand ihrer VeMy-gläubigen Verwandten oder Freunde kämpfen müssen.

Im Rahmen einer Psychotherapie würde die Therapeutin gemeinsam mit dem Klienten – oder umgekehrt – einen sicheren Beziehungsraum aufbauen und in dieser Beziehung als vertrauenswürdiges menschliches Beziehungs-Gegenüber zur Verfügung stehen.
In unserem Bild wäre das ein Rettungsfloß, das Therapeut/in zur Verfügung stellt, und auf dessen sicheren Boden die Person allmählich ihr Gewicht verlagern kann, sodass der behutsame, allmähliche Austausch der morschen Bretter im eigenen Floß möglich wird. Quasi. :)

Nur leider, die Therapeuten und -innen werden diese VaFoF-Personen größtenteils nicht in ihren Ordis sehen. Schon gar nicht bei der täglich wachsenden Anzahl. Vermutlich würden diese es sogar als weitere Attacke auf ihre Psyche werten, wenn Angehörige ihnen eine Psychotherapie anraten: “Du hältst mich also für verrückt!?” Die Gräben würden davon noch tiefer, da wette ich. Wer als Angehörige/r nicht zur Zwangseinweisung greifen will, könnte sich daher nur noch zurückziehen.

Es gibt aber genügend vertrauenswürdige menschliche Beziehungs-Gegenübers da draußen, die – noch – das persönliche Umfeld der VaFoF-Person bilden! Die sich Sorgen machen; die nicht so einfach auf ihre Liebsten verzichten werden. Denen nicht nur daran gelegen ist, zu intervenieren, sondern denen gar nichts anderes übrigbleibt, solange sie den Kontakt nicht völlig abbrechen wollen.

Daher finde ich Hilfe zur Selbsthilfe besonders wichtig. Besser Ideen an der Hand haben, was man probieren könnte, mit einem fundierteren Bild von den psychischen Funktionen der VeMy – als blind und emotional in einen “sachlichen” Schlagabtausch nach dem anderen zu stolpern. Der die Fronten noch verhärtet. Mit dem man nichts erreicht außer (noch mehr) Widerstand auszulösen.

Gut! Schlecht? Oder beides: Angehörige und Freunde sind emotional bereits involviert.
Das hat bekannterweise große Nachteile für eine Intervention.
Durchzudringen könnte einem so wichtig sein, dass man zu emotional agiert, sich seelisch aufreibt. Man muss dabei sicher auch persönliche Grenzen überschreiten.
Und: Man hat außerhalb dieses Themas das ganz normale (Zusammen)leben miteinander zu bewältigen, in dem man nicht durchgehend der bedingungslose Part einer Rettungsfloß-sicheren emotionalen Bindung sein kann wie ein/e TherapeutIn – außer man wäre Jesus oder eine erleuchtete Meisterin.
Nicht umsonst folgen Psychotherapeuten ihrem Abstinenzgebot, das ihnen jeden privaten Kontakt zu Klienten außerhalb der Therapie untersagt.

Vorteile gibts aber auch.
Im Idealfall gibt es den sicheren Beziehungsraum zwischen Angehörigem/er und VaFoF-Person bereits. Man kann ein Vertrauensverhältnis also eventuell als Rettungsfloß nutzen, das ein/e TherapeutIn erst langsam aufbauen müsste. Oder es – dünneres Eis – als Verhandlungsgegenstand aufs Spiel des Betroffenen setzen, wenn es gar nicht anders geht.
Dafür muss man sich aber wirklich (zumindest temporär) als Bezugsperson binden wollen, um dem Betroffenen ein echtes, tragfähiges Rettungsfloß bieten zu können.
Vorteil auch: Man kennt einander. Man weiß um die Vergangenheit, die Gewohnheiten, die Empfindlichkeiten der betroffenen Person – und kann diese vielleicht mit ein paar neuen Kenntnissen zumindest grob einem psychischen Bedürfnis zuordnen.

So wie die Psychotherapie kein normierter Vorgang ist, den man automatisiert auf alles und jeden gleichförmig anwenden könnte, wird auch jede persönliche Beziehung andere Ansatzpunkte für ein Durchdringen bieten. Aber ich bin überzeugt, dass es diese Ansatzpunkte gibt.

Was man bösartig als “Herumdoktern” bezeichnen könnte, ist also womöglich zur Zeit die einzige Chance, innerhalb einer durchaus kritischen Zeitspanne die Menschen zurückzugewinnen, die in den Fängen einer nicht gerade wohlwollenden “Glaubensgemeinschaft” verlorenzugehen drohen. Diese Chance kann man freilich dogmatisch ablehnen, weil es zwingend den Profis zu überlassen sei. Und damit achselzuckend zusehen, wie unzählige Menschen ihr menschliches Umfeld verlieren. Mit ungeahnten Folgen.

Oder man kann neue Wege beschreiten, seine Mitmenschen mit den wichtigsten Kenntnissen ausstatten, sodass sie den Kampf, den sie ohnehin bereits führen, mit dem erworbenen Verständnis in etwas Neues verwandeln können.

Im Interesse der eigenen psychischen Gesundheit werden sich Angehörige allerdings ein zeitliches und emotionales Limit setzen müssen, bei dessen Erreichen sie sich konsequent aus der Beziehung zurückziehen, auch wenn es unglaublich weh tut.
Und vielleicht werden sie das der VaFoF-Person auch vorab ankündigen müssen.

Für Interventionen ist aber mE ein Grundverständnis der psychischen Funktionen hinter den VeMy essentiell.
Unsere Psychen sind oft widersprüchlich und nicht durchgehend so hübsch “logisch”, wie wir uns das gerne einreden. Wir sind irrationale Wesen und erwarten gerne logisches Verhalten – von den anderen. :)

Wie lautet also der Plan?
In diesem Sinne wage ich folgendes Experiment:
ஐ Im nächsten Artikel: Die verschiedenen psychischen Funktionen der VeMy erstmal kurz beschreiben, später auch detaillierter, bzw auf entsprechende gute Artikel verlinken.
ஐ Feedback und Ideen zur Intervention sammeln und einarbeiten, von euch allen und von Experten
ஐ Eine Fülle an Ideen zur Intervention hier zur Verfügung stellen

Feedback erwünscht!
Eure Story über erfolgreiche Interventionen bei einer VaFoF-Person ist daher höchst willkommen!
Habt ihr Verwandte oder Freunde überzeugen können, von den VeMy zu lassen? Was hat bei euch funktioniert?

Schreibt bitte:
ஐ per Mail an etosha ÄT weblog.co.at
ஐ in die Kommentare hier im Blog.

Diese Kommentare bleiben der Öffentlichkeit vorerst verborgen, sind aber für mich abrufbar.
Schreibt mir bitte kurz dazu, ob ihr einer eventuellen späteren Veröffentlichung zustimmt!

… und sagt es weiter!
Das Wording ist hier so gestaltet, dass Google mich eher nicht an prominenter Stelle listet, daher ist Mundpropaganda ganz wichtig.
Der Link zum Weitergeben lautet https://etosha.weblog.co.at/vemy-1

Zum Feedback auf Twitter:
ஐ Retweets meines Artikel-Tweets sind natürlich willkommen!
ஐ Kommentar – da bin ich ein bisschen zerrissen. Geht natürlich auch als Reply im entsprechenden Artikel-Tweet. Mir wärs allerdings lieber, wenn sie nicht so auf die Plattformen verteilt kommen, weil Zusammensuchen unübersichtlich, etc.
Und die Armada der Diskurs-Zerstörer muss ich auf Twitter auch nicht unbedingt an der Backe haben. Es ist mein privater Account; ich mache das hier in meiner Freizeit und aus rein idealistischen Beweggründen.
ஐ Aber schon klar, dass ein Twitter-Kommentar als “barrierefreier” empfunden wird, als hier zu kommentieren.
Bevor ihr also gar nix schreibt – tuts auch eine Twitter-Reply oder auch -DM. :)
Bitte helft dann aber auch fleißig bei der Troll-Abwehr = Melden + Blocken!

Bitte bedenkt auch, dass ich keine Benachrichtigungen über Kommentare auf DrüKo-Tweets bekomme. Also haltet euch nur an diesen Tweet oder leitet mir Kommentare auf eure DrüKos weiter. Danke!

Fortsetzung folgt!

Dieser Artikel ist Teil der Serie "Verschwörung in der Psyche".Zum nächsten Teil: "Ein paar psychologische Grundlagen" >>

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

  1. Peter sagt:

    Bin schon sehr auf den nächsten Artikel gespannt.
    Zu Personen im selben Haushalt – da hab ich schon ein paarmal gehört, dass sich hier eine stillschweigende Vereinbarung ergibt.
    Der Mann redet nicht über die Echsenmenschen und die Frau sagt, dass er davon abgesehen ein großartiger Mensch ist.
    Ganz anders im weiten Verbund. Da höre ich nur von Streit und Kontaktabbruch.
    Peter

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