Ein hinter Stahlbeton festgehaltener Zeitpunkt wartet auf seine Besichtigung. Von einem der Dächer kann man im Freien über die Donau schauen und den Schornstein aus der Nähe begutachten, wenn man seine Höhenangst überwinden kann. Auf dem Kies hier draußen ist Gras gewachsen über das AKW Zwentendorf.
Ich weiß, wie ein Atomkraftwerk prinzipiell funktioniert, doch sehe ich mich im Inneren dieses Kolosses Gerätschaften gegenüber, über deren Zweck ich nur mutmaßen kann. /Aber so kann ich in meiner Ahnungslosigkeit die volle Wucht der schieren Größe besser auf mich wirken lassen. Tausende Ventile, säuberlich nummeriert und beschriftet, größenwahnsinnige Rohrleitungen und Pumpen, gelangweilt gähnende Metallschlunde. Doch schön der Reihe nach:
39 Meter über Grund. Die Erklärungen sind knapp während der Fotoführung. In der Reaktorbedienungshalle vervielfachen und verlieren sie sich zudem in einem beinah endlosen Hall. So lasse ich meine Phantasie auf den aufgeblähten Worten treiben und komme mir vor wie in einem Raumschiff. Oder in einem U-Boot.
Vom Stahlkäfig der Brennelement-Lademaschine schaue ich dann direkt in das Herz des Kraftwerkes hinab. Damit der Besucher in den Reaktor blicken kann, wurde der tonnenschwere Druckbehälter-Deckel abgehoben und steht nun tatenlos daneben wie ein überdimensionaler Kelomatverschluss.
Der Hall hier verführt mich zum Singen. “Trailers for sale or rent…” Ein paar Fotografen grinsen, doch einer sagt “Pscht!”, er findet mich wohl irgendwie pietätlos.
27 Meter über Grund. Trotz dieser Höhe steigert sich mein U-Boot-Gefühl massiv, als wir am oberen, äußeren Teil der Sicherheitshülle entlanggehen und schließlich durch ein Schott in der ballonförmigen Hülle die Montageöffnung betreten.
Ich erklimme einen schmalen, erhöhten Rundgang mit Metallgitterboden. Um mich herum ein silbergraues Meer aus Rohren, verwinkelten Abstiegen und dichtgepackter Leitungstechnik, durch das ich mich mit Kamera und Stativ nicht ganz mühelos bewege und mir dabei Techniker vorstelle, die dasselbe im Strahlenschutzanzug mit Werkzeugkisten tun müssen.
10 Meter über Grund. Der Name der Kondensationskammer täuscht – sie ist eine völlig unkämmerliche Halle von irrwitziger Höhe im runden, pechschwarzen Inneren der Sicherheitshülle. Wenn ich den Kopf in den Nacken lege, stieren mir schwarze, offene Rohre entgegen, festgemacht in einem erahnten Oben, das sich in der Dunkelheit verliert. Vierflügelige Düsenstöcke aus blankem Stahl blitzen im Dampflampenlicht.
Geswiffert hat hier schon lange keiner mehr, und so kann man jetzt vom Reaktorwall aufschlussreiche Botschaften ablesen wie etwa “Sandra was here” oder “Bitte putz mich”.
Zwei andere Fotografen unterhalten sich am Eingang auf sechs Uhr, und die Wand, diese Innenseite der Hohlkugel, bugsiert ihre Worte hin und her, bis sie bei mir auf drei Uhr als ein mit sich selbst vermixtes Flüstern und Raunen in meinen Gehörgang purzeln, einzelne überdeutlich, andere nur als erahnter Worthauch.
Null Meter. Um sich wie Scotty zu fühlen, braucht man nur durch zwei runde Zutrittsschleusen den Antriebsraum zu betreten.
Aber was für ein Winzling ich doch bin im Angesicht der 113 Antriebsstäbe, die vom Reaktor herabhängen. Und erst im Angesicht des Wortmonsters Steuerstabantriebsgehäuserohre!
Sie bilden das Herz eines Pferchs, der mit Aufstiegen, Seilzügen und Leitungen in die Höhe drängt. So viel glitzernde Technik lässt nicht nur die Herzen meiner männlichen Kollegen höher schlagen.
In der Schaltwarte kann man die brandneue Technik der 70er sehen, Science Fiction der Vergangenheit. An den Schaltpulten glühen einzelne Lämpchen, angesichts der Menge und Beschriftung der Schalter, Hebel und Knöpfe fühle ich mich nicht mehr wie Scotty, sondern erneut atemberaubend ahnungslos.
Hinter den Wänden erzählen Stränge aus tausendundeinem Kabel die Legenden von der Analogie der Zeit. Telefonhörer und Wählscheiben, gleich vier auf einem einzigen Pult, aus einem Jahrzehnt, im dem wir ein Vierteltelefon unser eigen nannten und mit Anrufen warten mussten, bis der Nachbar fertig war. Unterschriften im handgeschriebenen Logbuch berichten von EIN- und AUS-Simulationen eines Raumschiffes, das niemals den Boden verließ. Doch fliegen könnte es, da bin ich sicher.
Auch Fotoführungen sind auf Anfrage möglich, sie dauern länger als die regulären Führungen. Ein Stativ ist dabei erlaubt (und wird von mir empfohlen).
Alle Führungen sind kostenlos.
Vor radioaktiver Strahlung muss man sich bei einer Führung vor Ort übrigens nicht fürchten: Zwar waren die Brennstäbe in Zwentendorf bereits auf Lager, doch das Kraftwerk wurde nie in Betrieb genommen.
Alle Infos auf www.zwentendorf.com.
Oh, da möchte ich auf jeden Fall auch mal hin! Schöner Artikel, danke!
Dankeschön, mein Lieber. Rechtzeitig anmelden – auf der Zwentendorf-Website und bei mir, für einen Besuch!
Eh klar! ;-)
na toll, jetzt hab ich nen ohrwurm!
*summt* “rooms to let, fifty cent …“
Oh :) Tschuldigung!
sehr beeindruckende Bilder sind das :-)
Vielen Dank! Von einem Pfannenlink nehm ich das als echtes Kompliment. ;P