Schäden am Wiener Gemüt

Man ist ja als gelernter Österreicher einiges gewöhnt. Unfreundlichkeit und Grantigkeit im Einzelhandel und in der Gastronomie zum Beispiel. Richtung Westen wird’s freundlicher. Richtung Osten eigentlich auch wieder. Unsere sehr geliebte Stadt Wien und deren Dunstkreis. Außen hui, innen pfui, könnte man lästern – nicht bei allen Gelegenheiten, aber doch bei sehr vielen. Wir sind der Pfuhl, das Zentrum, das Auge des Sturms der gelebten Unfreundlichkeit, Pampigkeit und Patzigkeit.

Wenn man als solchermaßen gelernter Österreicher – oder sagen wir es präziser: als Wien-Dunstkreisler – mal ins Ausland fährt, zum Beispiel über die deutsche Grenze und noch ein Stück weiter, dann merkt man erst, welchen Gemütsschaden dieses Gewöhntsein tatsächlich anrichtet. Da betritt man nichtsahnend eine Bäckerei, sagen wir, an drei aufeinanderfolgenden Tagen, frühmorgens. “Morgen”, sagt man da artig, obwohl man sich als heimatlicher Grüßgott-Trottel schon gar keine Antwort mehr erwartet.

“Schönen guten Morgen!” flötet es einem da jäh entgegen, dass es einen fast aus den Schuhen haut, und “Was hätten Sie denn gerne?” Sprachlose Verdutzung macht sich in einem breit, und so deutet man offenen Mundes auf das eine oder andere fein aussehende Brötchen oder Törtchen, wobei man womöglich etwas zurückgeblieben wirkt. Österreicher halt. “Ja, sehr gerne! Was darf es sonst noch für Sie sein?” An dieser Stelle wird man zum ersten Mal richtig misstrauisch. Ist da irgendwo eine Kamera versteckt? Will die Verkäuferin mich verarschen? Aber mein Kontrollblick tritt sogleich den Gegenbeweis an – ein offenes, freundliches Gesicht schaut zurück, abwartend, aber geduldig.

Ich behaupte also, das wäre alles, obwohl ich noch gerne noch ein paar so freundliche Worte gehabt hätte. Doch ich muss nicht darauf verzichten: Der Eurobetrag wird mir nicht entgegengebellt, sondern von einem “wären das dann bitte” aufs Puscheligste abgemildert. Weil ich so brav bezahle, ernte ich ein “Dankeschön, hier ist Ihr Rest!”. Auch wünscht man mir noch einen schönen Tag und sich selbst, mich bald wiederzusehen. Ich verlasse die Bäckerei wie vom Donner gerührt. Selbst mein Hund, der draußen wartet, erkennt mich kaum wieder.

Am nächsten Morgen wieder Flötenklänge! “Guten Morgen! Was hätten Sie denn heute gerne?” Man deutet also an, dass man mich schon kennt, von gestern! Hier kommt der Gemütsschaden voll zum Ausbruch – mein Verdächtigungszentrum schlägt Alarm. Da stimmt doch was nicht! Die muss doch irgendetwas von mir wollen! Ha, das will sie auch – Geld, für das Brot. Mehr nicht. Auch auf Nachfrage nicht. Und wieder lasse ich die freundlichen Wünsche für einen schönen Tag auf meine Seele prasseln wie Monsun auf ausgedörrtes Land. Aber so richtig genießen und einfach nur genießen kann ich es nicht. Es ist mir einfach zu suspekt. Das, liebe Freunde, ist der Schaden, den man als Wien-Dunstkreisler nimmt, einfach durch das Hier-Sein und -Leben.

Am Sonntagmorgen sind die deutschen Verkäufer etwas im Stress und einen Tick weniger freundlich. (Zum Vergleich: Bei uns sind die Verkäufer sonntagmorgens größtenteils eines: im Bett.) Aber etwas anderes beeindruckt mich: die Fortbewegungsart der Spezies! Der dritte Kollege in der Bäckerei, der gerade noch Brot aus dem Ofen holte, kommt vom anderen Ende der Verkaufstheke herbei, um den beiden Kolleginnen beim Bedienen der Kunden beizustehen. Er geht nicht. Er schlurft auch nicht. Er rollt nicht, wie manch ösitanische Feinkostverkäuferin. Er rennt! Jawohl, ich lüge nicht, und ich habe es mit eigenen Augen gesehen!

Sie mögen uns ja mitunter etwas zugeknöpft erscheinen, unsere deutschen Nachbarn, manchmal mag ihr Humor sich von unserem spürbar unterscheiden oder in Einzelfällen gar völlig absent wirken. Aber eines muss man ganz klar sagen: Im Einzelhandel fühlt man sich dort als Kunde wirklich so, wie man sich sprichwörtlich fühlen sollte. Wären die auch nur halb so freundlich, sie würden sich vom Durchschnittsbäcker in DurchschnittsWienUmgebung immer noch merklich abheben. Ich ernüchtere meine deutschen Leser nur ungern, aber bei dem, was mancher gern als “Wiener Schmäh” anpreist, handelt es sich meist nur um einen gewissen chronischen Grant, wie man ihn von Schmerzpatienten kennt. Echter Schmäh oder auch nur ein freundliches Gesicht ist hier im öffentlichen Leben des Einzelhandels nur noch höchst selten anzutreffen.

(Wie ich so gerne sage: Bei uns schauen sogar die Leute grantig drein, die im Thermalbad zu Wien im warmen Wasser sitzen müssen. Sind aber auch echt arme Schweine.)

11 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. T.M. sagt:

    Und ähm … das war wirklich in der sich selbst so nennenden Servicewüste Deutschland?

    Als ich zum ersten Mal in Basel in einem sog. CD-Geschäft eine Klassik-CD ausgesucht hatte und damit zur Kasse kam, frug mich die Verkäuferin, ob ich die wirklich gleich bezahlen wolle, ungehört meint sie. Nein, das gehe ja überhaupt nicht. Ich solle mich dort hinten mal in die Sitzgruppe setzen (echt Leder!, da sassen schon ein paar andere Gäste mit geschlossenen Augen und nach hinten gefallenem Kopf), sie lege die CD in der Zwischenzeit schonmal ein. “Eine Tasse Kaffee dazu?” Die hätte mir sicher auch eine Massage gemacht.

  2. Etosha sagt:

    Dann musst du mal nach Wien kommen. Da kanns dir passieren, dass du völlig ungesehen nach einer Woche wieder verschwindest, als wärst du nie hier gewesen.

  3. martin sagt:

    “das Auge des Sturms der gelebten Unfreundlichkeit”? Fein, im Auge des Sturms ist es ja windstill, dann hat also alles seine Ordnung! :P

    Darüber hinaus könnte ich mit etwas Nachdenken vermutlich auch einige wenig freundliche Erlebnisse aus .de berichten bzw auch freundliche aus .at. es gibt schon beides hüben wie drüben.

  4. Etosha sagt:

    Natürlich gibt es das. Ich werd mir ein Satire-Warnschild in den Eingang hängen. ;D

  5. rudolfottokar sagt:

    nachdem ich schon mehrmals in D war kann ich das bestätigen. (weiter oben im norden klingts etwas rauer, aber das ist dort so üblich – und nicht unfreundlich).
    der gelernte wiener kann jedoch das von dir beschriebene aha-erlebnis auch weitaus näher erleben. es genügt eine fahrt z.B. in die steiermark.

  6. Etosha sagt:

    Danke. Und: stimmt. Ich hätte ergänzen sollen, dass es südlich und nördlich von hier auch besser wird. ;)

  7. hubbie sagt:

    Servicewüsten sind eine Konsequenz gewissenlosen Kapitalismus´ á la Shareholder Value Maximierung und der stupiden “Geiz ist geil” Mentalität der Konsumenten, dass dann ungelerntes Personal, das für Hungerlöhne engagiert wird, mürrisch die Ware rüberreicht, wundert mich schon länger nicht mehr

  8. hubbie sagt:

    nix Punkti…. ,daher genieße man die raren Momente, Qualitätsware kompetent und freundlich überreicht zu bekommen >Punkti<

  9. Paula sagt:

    Na, da bin ich aber überrascht. Denn seit zwei Jahren sitzt eine österreichische Kollegin neben mir im Büro, die ausgesprochen liebenswürdig und freundlich ist, und ich dachte ihr seit’s alle so! Sie stammt aus Graz. Und die Tiroler (wie der Lanz), wie sind die so?

    Übrigens geht mir als understatementer Hamburgerin das ständige deutsche Geflöte im Einzelhandel manchmal auch ein klein wenig auf die Nerven, ein bisschen weniger ginge auch noch. Aber OK, besser als zu wenig oder gar nicht.

  10. Etosha sagt:

    Wir SIND alle so! Nur bei der Arbeit im Einzelhandel nicht. :D Wirklich, es gibt natürlich ausgesprochen liebenswerte Menschen hier, so wie überall auf der Welt. Die Verbalflöte allerdings ist ein Instrument, das hier nicht unterrichtet wird. ;)
    Von den Tirolern wird erzählt, sie würden alles minderwertig finden, was kein Tiroler ist – aber auch hier gilt: alle in einen Topf – ja, aber nur für die Suppe der Satire.

    Natürlich kann einem das auf die Nerven gehen, wie gesagt, es kann einen ja sogar misstrauisch machen. Aber als Erholung zwischendurch ist es wirklich eine Wohltat.

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