Von Hühnern und Menschen

Das Huhn an sich ist nicht so sehr mit dem Attribut Kuscheltier assoziiert wie beispielsweise ein Hund, eine Katze oder diverse Nagetiere. Dem an Tierfell gewöhnten Menschen mag ein Huhn ein wenig spröde erscheinen, vielleicht sogar hässlich, mit all seinen Falten, seiner porösen Haut, seinen eigenartigen Augenlidern, und ungewohnt in der Art, wie steif sich Federkiele trotz all der Weichheit seiner Federn anfühlen. Dennoch: So ein Huhn ist kuschelig, warm und weich. Und es lässt sich gerne hochnehmen und streicheln.

Ein flauschiges Hühnerküken weckt mit Leichtigkeit unsere natürlichen Beschützerinstinkte. Halte ein Hühnerküken in einer Hand, und deine andere Hand wird eine schützende Wölbung bilden, die sich ganz von selbst vorsichtig über das Küken bewegt.

Natürlich kann man so ein Huhn auch essen. Man kann es eines schönen Tages am Hals packen und so schnell schlachten, dass es nicht besonders viel davon mitkriegt. Wenn viele Menschen Hühner essen wollen, muss man das sehr oft machen. Vielleicht muss man es auch im Stile eines Großbetriebes organisieren.

Im diesem Fall wird das Hühnerei in einem Mastbetrieb per Raumwärme bebrütet, fein aufgereiht auf Paletten neben anderen Hühnereiern, in einem industriellen Brutschrank, der so gar nichts gemein hat mit dem fedrigen, flauschig warmen Mutterbauch der Hühnermama, die das Ei liebevoll bebrütet und das Küken wärmt, wenn es ausgeschlüpft ist.

Was das geschlüpfte Küken im Halbdunkel des Mastbetriebes sechs Wochen lang zu tun hat, ist dicht an andere Hühner gedrängt fressen, fressen, fressen, und sich ab und zu duldsam von einem Hahn besteigen lassen, bis es zum fetten Junghuhn herangewachsen ist. Dann gehts ab zur Schlachtung.

Stolz präsentiert der Hühnerzüchter vor den Doku-Kameras das blaue Licht in der Schlachtvieh-Anlieferungshalle. Damit die Hühner keinen Stress haben, sagt er, denn für sie wirkt es dunkel, sie können das blaue Licht nicht sehen.

Die Hühner kommen lebend, zusammengepfercht in Kisten, dort an. An einem Auffangbehälter werden diese Kisten kurzerhand in die Vertikale gekippt, sodass die Hühner hektisch gackernd und sich gegen den unfreiwilligen Fall wehrend dort hineinfallen, haben darin kaum Platz zum Stehen, purzeln durcheinander und aufeinander. Stressfrei, weil im Dunkeln, versteht sich.

Dann beginnt der Boden unter den Hühnern, sich vorwärts zu bewegen: Das Förderband ist angelaufen. Von der Seite filmt die Kamera durch eine Öffnung in diese Förderanlage, die gerade mal Huhn-Höhe hat. Die Tiere versuchen, der ungewollten Richtungsgebung zu entkommen. Als eines von ihnen die Öffnung und das Licht erblickt und mit seinen noch viel zu großen Füßen hoffnungsvoll darauf zuwatschelt, bevor es doch im Dunkel verschwindet, schießen mir heiße Tränen in die Augen.

Am Ende des Förderbandes werden die Hühner von menschlichen Händen gepackt und an den Füßen aufgehängt. Gackern hört man die Hühner hier nicht mehr, sie piepen nur noch. Eines der Hühner im Bild übergibt sich. Meine eigenen Magensäfte rebellieren auch, Tränen kullern, ich stehe auf und lasse meinen Mann alleine vorm Fernseher sitzen.
Als ich aufstehe, faselt der Hühnerzücher gerade etwas von unter Strom stehenden Wasserbädern, mit denen die Hühner dann betäubt würden. Es hätte bessere, weil frühere Zeitpunkte dafür gegeben, denke ich.

Was für ein Zynismus, zu behaupten, das blaue Licht nähme den Hühnern den Stress, wenn danach eine derartige Tortur folgt. Und wozu noch Elektroschocks, zu einem Zeitpunkt, an dem die Angst wohl nicht mehr größer werden kann?
Der Mensch muss nicht alles tun, nur weil er es kann.

Ja, ich bin wahrscheinlich weltfremd, und habe keine Ahnung von Masttierzucht. Aber ich weiß, was mir schon beim Sehen wehtut. Anzunehmen, dass es dem Huhn beim Erleben auch wehtut, entspricht dem gesunden Menschenverstand.
Ist es da nicht sehr bequem, den Tieren ein Bewusstsein pauschal abzusprechen, damit Schlagzeilen wie ‘Huhn bei vollem Bewusstsein kopfüber aufgehängt’ keine Grundlage haben?

Auch ein Huhn braucht Liebe. Respektvolle Behandlung sollte auch Tieren zuteil werden, die wir irgendwann essen werden. Das schließt auch einen respektvollen Preis ein, den wir für das Fleisch zu zahlen bereit sein müssen. All die Lieblosigkeit, mit der ein Tier leben, und all die Angst, mit der es sterben musste, essen wir schließlich mit.

10 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. claudia sagt:

    Gute Gedanken zum Federviech. Nur einmal in der Woche Fleisch essen, kann Tieren schon viel bringen. Überlegen wo es herkommt, wenn man es kauft, lieber seltener Fleisch essen, dafür meinetwegen etwas mehr Geld hinlegen. Respekt vor seiner Nahrung haben und dem Tier gegenüber dankbar sein – damit könnte man sich selber auf mehreren Ebenen Gutes tun.

  2. hubbie sagt:

    ich ess ohnehin lieber p.c. Fisch, aber wenn schon Hendl, dann nur ein Sulmtaler im Kirchenwirt in Kitzeck

  3. Etosha sagt:

    Hey Claudia, willkommen in der Pfanne! :)
    ‘Überlegen wo es herkommt’ ist gut, aber schwierig. Woher weiß man denn, wenn du die Angaben auf der Verpackung liest, ob an der Adresse ‘Hintertupfing 128’ ein Bauernhof liegt – oder ein Mastbetrieb? Hier im Land der grünen Weiden glaubt man ja überhaupt, alles Vieh wachse ausschließlich am Lande auf, wo es Freilauf und Licht und Respekt genießt.

    hubbie, welcher Fisch ist denn noch p.c.? Und woher weiß man in seinem Fall, wie er gefangen wurde und wie lange er schon im Schiffskühlraum lag, bevor er in den Laden kam?

  4. waschsalon sagt:

    grundsätzlich gebe ich dir recht. andererseits – und das ist das wahre problem – wollen eben viele menschen fleisch (oder eier) essen und nicht nur die, die es sich leisten können. das führt zu einer möglichst kostengünstigen produktion und damit zu dieser tierquälerei. würde anders produziert, könnten es sich vermutlich nur noch besserverdiener leisten. und dann erklär tierliebe mal einer klassengesellschaft.
    um nicht falsch verstanden zu werden: ich finde diese masttierhaltung auch nicht gut. aber erst, wenn tierfreundliche haltung sich auch ökonomisch rechnet, löst sich das problem, vermute ich.

  5. nikita sagt:

    Ich hab bei dem Film auch viel geweint und das schon auch zu einem früherem Zeitpunkt. Es ist ganz schrecklich, wenn man plötzlich mit dem konfrontiert wird, was so wirklich “hinter den Kulissen ” passiert und ich würde mir wünschen, dass man als Einzelperson viel mehr verändern könnte. Aber wie schon Waschsalon gesagt hat, das Geld regiert die Welt und solange sich das für jemanden nicht lohnen wird, bessere Bedingungen zu schaffen, wird sich daran wohl auch nichts ändern. Also man kann da nur sein bestes tun und hoffen, dass es was bringt.

  6. Etosha sagt:

    Lieber Waschsalon, realistische Einschätzung. Dennoch: Es kann sich auch nicht jeder leisten, täglich Kaviar zu essen, oder echte Diamanten zu tragen: weil deren Wert offenbar mehr respektiert wird.
    Dass in einer Gesellschaft, in der nicht alle das gleiche verdienen, sich auch nicht jeder das gleiche leisten kann, sollte doch völlig klar sein. Und man muss nicht täglich Fleisch essen, um gesund zu bleiben.

    Als ich ein Kind war – und so lange ist das gar nicht her – waren wir weit davon entfernt, jeden Tag Fleisch zu essen. Kompott kam oft vor. Nudeln. Gemüse. Spinat. Ab und zu Leberkäse. Das Sonntagsschnitzel war etwas ganz Besonderes – ein Luxusgut.

    Natürlich hatten wir damals trotzdem keine zwei Autos, keine fünf Handys mit Monatsabrechnung, keine Markenjeans, Kameras, kein Internet, Pay-TV oder ähnlich Luxuriöses zu bezahlen.
    Wir können uns also doch sehr vieles leisten. Es kommt nur auf die Verteilung an.
    Heutzutage sind viele GEbrauchsgüter leistbarer geworden, das heißt aber nicht, dass man sie alle haben MUSS.
    Lebensmittel aber sollten am besten gratis sein, nur weil sie VERbraucht werden?

    Es wird von der EU forciert, viele Produkte für jedermann leistbar zu machen; aber das ist imho nicht ihre erste Intention, sondern vielmehr die Wahrung von Konzerninteressen und Wertschöpfung, und die Monopolisierung von Know-How. Mit staatsübergreifenden Vorgaben kann man freilich sehr leicht die Gepflogenheiten eines Landes umkrempeln, und steuern, wo welche Produkte noch produziert werden können – und wo das aus Rentabilitäts- oder gar Überlebensgründen nicht mehr geht.

    Ökonomisch rechnen würde sich also die tierfreundliche Haltung durchaus, wenn faire EU-Vorgaben für eine sanfte(!) Steuerung sorgen würden, sodass einem Bauern noch die Wahl bleibt, was er produzieren möchte; und wenn ebenso faire Preisniveaus für landwirtschaftliche Produkte festgelegt würden.

    Welcome, Nikita :)
    Ich denke, das Mitgefühl mit dem Tier wird in Ökonomengehirnen vom Wirtschaftlichkeitsgedanken einfach verdrängt. Ich würde aber nicht tauschen wollen – lieber gelegentlicher Weltschmerz als eine eiskalte Seele.
    Klar, dass man da als unrealistischer Spinner betrachtet wird; dies passiert aber auch unter jenen Gegebenheiten, die die Wirtschaft sich (und uns) selbst(!) geschaffen hat.
    Wäre dieses Mitgefühl in allen Menschen stärker ausgeprägt, mit der selbstverständlichen Voraussetzung, Tiere nicht zu quälen, dann würde die Wirtschaft auch ganz selbstverständlich andere, ebenso ökonomische Möglichkeiten finden.
    Hier und jetzt jedoch geht’s weder um das Tier noch um den Mensch – es geht um die Macht.

  7. hubbie sagt:

    ich hab Glueck, denn meine Fische hier im spanischen Exil bringen noch die kleinen Boote der Santa Pola Fischer, die werden nicht in Fjorden mit Antibiotika hochgepaeppelt, werden auch nicht mit riesigen Schleppnetzen gefangen und wochenlang in Schiffsfabriken “frisch gehalten”, ich zahle dafuer gern etwas mehr fuer meine “lenguado”, bin aber besorgt, weil das industrielle (Ueber)Fischen die heimische Flotte der p.c. Fischer drastisch reduziert hat…

  8. Etosha sagt:

    So ein Glück, aber wirklich! Schmeckt auch gleich ganz anders!
    Hab letztens eine Fischerin an der Mitterbach/Neubach-Kreuzung angeln sehen. Ist aber wohl nicht ganz dasselbe ;)
    Leider muss man sich Sorgen machen. Ich hoffe trotzdem weiter, dass sie überleben, die Betreiber der kleinen Fischkutter.

  9. serotonic sagt:

    Mir hat es schon alleine beim Lesen zutiefst wehgetan. Da mich Bilder aus Reportagen über Tiertransporte seit Mitte der 90er ständig verfolgen, muss ich zugeben, solche Sendungen komplett zu meiden, sie schmerzen zu sehr. Nichtsdestotrotz vergesse ich nie, dass das Stück Wurst auf meinem Brot einmal ein Tier war, mit Bedürfnissen und Gefühlen. Genausowenig wie ich vergesse, dass mein Brathähnchen nicht zufällig die Form eines Lebewesens hat, das ein Recht auf artgerechte Haltung, einen respektvollen Umgang und schlussendlich schmerz- und angstfreie Tötung hat.

    Das Problem, die der Konsumentenhaltung „Tierprodukt = günstig und massenhaft zu konsumieren“ zugrunde liegt ist, dass so ein Stück Fleisch vollkommen anonym ist, normgerecht zurechtgeschnitten und sauber verpackt, hygienisch rein im Supermarktregal neben Ananaskonserven und Fertigsuppen zu finden. Da fällt es den meisten Menschen viel zu leicht, über die Herkunft hinwegzusehen und reichlich zuzugreifen.

  10. Etosha sagt:

    Ich seh mir sowas auch nur in Ausnahmefällen an, Frau serotonic. Zum Beispiel, wenn ich nicht weiß, was auf mich zukommt. ;)

    Die anonym-normgerechte Präsentation ist ein Problem, das stimmt. Aber andererseits: Man kann sich ein Bewusstsein bilden, wenn man will. Es bleibt die Wahl des Einzelnen.

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