Der Nächste bitte!

Normalerweise geht samstags mein Mann einkaufen. Ich bin kein besonderer Fan des Supermarktes, und wenn ich mal mitfahre, dann tapse ich versonnen durch die Gänge und zeige mal hier- und mal dahin, während der Holde zackig die Liste abarbeitet.
Denn das Einkaufen ist im Grunde Männersache. Die haben Jagd und Wettbewerb im Blut.

Weil das so ist, zieht es den Angetrauten jedoch, wie heute, auch zu anderen Wettbewerben, zum Beispiel zu solchen, bei denen man mithilfe handlicher Stahlkonstruktionen stromlininenförmiges Blei derart gezielt durch die Luft beschleunigt, dass es wenig später in auf Papier gedruckten konzentrischen Ringen möglichst nahe an der Mitte einschlägt. Einer ist dann der Beste.

Die Einkäufe bleiben indessen mir überlassen.

Da steh ich also heute vormittag, zugegebenermaßen etwas verträumt, an meinen Einkaufswagen gelehnt vor einer Reihe von Supermarktkassen, denke kurz nach, ob ich alles habe, und wäge ab, bei welcher Kasse ich mich anstelle – es sind bei allen nur wenige Kunden. Plötzlich stürmen wie auf Kommando aus allen Richtungen Menschen mit ihren Einkaufswagen auf die Kassen zu. Aus sämtlichen Gängen strömen sie herbei, wie in diesen spezialeffektiven Filmszenen, in denen der Protagonist den Fixpunkt bildet, während die Welt bewegungsverzerrt und in atemberaubender Geschwindigkeit an ihm vorbeibraust. Ein Regisseur für österreichische Milieustudien hätte es nicht besser machen können.

Verwundert steuere ich die nächstbeste Kasse an, an der eine Kundin gerade zahlt, und eine weitere Kundin, die zwar viermal so breit ist wie ich, aber nur einen Artikel auf dem Förderband hat, und stelle mich samt Wagen dort an. Während ich noch über die unfassbare Regie dieses Vormittages staune, schiebt sich eine fette Schnecke mit ihrem Wagen an mir vorbei, der prall gefüllt ist mit ihrem Nahrungskontingent für das Wochenende. Die Frau vor mir ist nämlich Schnecke junior, und hat schonmal den Platz an der Kasse gesichert.

Ich bin, und das ist selten, baff, und die Verbindung Gehirn-Sprachausgabe wird jäh unterbrochen. Während ich entgeistert zusehe, wie die beiden mit vereinten Kräften ihr Zuckerschockpotential auf das Band räumen, Tiefkühlpizza, Unmengen Billiglimonade, panierte Hühnerkeulen, verdreifacht sich spontan meine Magensäure. Sie zahlen ihre Waren separat, das Kleingeld zählen sie jeweils genauestens ab, um dann – ebenso jeweils – bekanntzugeben, dass es nicht reicht, und sie doch lieber mit der Karte zahlen möchten.

Meine Stimmung wird wenig später wieder treppauf gen Erdgeschoss gebracht, von der freundlichen Angestellten in der Reinigung nämlich, die sich wie immer sehr freut, mich zu sehen, und mir gute Vibes mit auf den Weg gibt. Die Welt ist ja doch nicht ganz schlecht.

Danach steuere ich noch einen anderen Supermarkt an, weil ich noch frischen Fisch kaufen möchte. Die Expresskasse ist wie immer geschlossen.
Also auf zur nächsten, dort steht ein alter Kauz mit einem Joghurt an der Kasse, und hinter einem zweiten Kunden stelle ich mich an. Alles andere ist ja bereits gekauft, also habe ich nur ein Päckchen Fisch in der Hand, als sich zu meiner Verblüffung genau das Gleiche nochmal ereignet. Von hinten drängt sich Kauz 2.0 samt seinem rammelvollen Einkaufswagen an mir und dem Kunden vor mir vorbei, während er seinem Kauzkumpan die redundante Information zuruft, dass er jetzt da sei.

Der Kunde vor mir murmelt was von einer bestimmten Körperöffnung im Plural, und flüchtet zur Nebenkasse. Mir drängt sich der Eindruck auf, ich wär heute im falschen Film.

Ich bin kein Freund von Ellbogentaktik, vielmehr bevorzuge ich menschliche Fairness. Aber das geht zu weit! Diesmal also bleibe ich nicht stumm wie der Fisch in meiner Hand, sondern remple die Käuze zur Seite und tue sehr laut meine Überzeugung kund, dass nur jener Kunde an der Kasse als nächster dran ist, der die Waren, die er zu kaufen gedenkt, zufällig auch dabei hat.

Wer also ist der Nächste? Na völlig klar: jeder sich selbst.

9 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. rotfell sagt:

    gleich zweimal? Wow. So etwas habe ich hierzulande noch nie gesehen. Aber das liegt wahrscheinlich daran, daß ich in einer kleinen Stadt in den Supermarkt gehe, wo jeder jeden kennt und solche Schandtaten einen das Leben lang verfolgen.

  2. hubbie sagt:

    Wir schlucken allzu oft Dinge hinunter, weil wir glauben, es sei ob der banalen Umstaende nicht angebracht sich zu exponieren. Tatsache bleibt, dass die geschilderten Koerperoeffnungen auf den Geschmack kommen, wenn sie einmal mit ihrer Methode Erfolg haben, ergo: zivile Courage raus und mit nicht zu schrillen, dafuer wohlgesetzten Worten solch praepotentes Volk in die Schranken weisen!

  3. Etosha sagt:

    So groß ist meine Stadt auch nicht, Rotfell, aber ich hatte den Eindruck, die Leute pfeifen sich überhaupt nix um ihren Ruf. ;)

    Richtig, hubbie, seh ich genauso. Den Pöbel nicht mit seinen Pöbelmethoden durchkommen lassen.
    Nur die wohlgesetzten Worte fehlen mir ob deren Dreistigkeit und meiner Baffheit manchmal einfach. Vielleicht ist es mir deshalb gleich zweimal passiert? Damit ich in der Zeit dazwischen über eine passende Äußerung nachdenken konnte!?
    Wir sollten mal miteinander einkaufen gehen! :)

  4. hubbie sagt:

    ab Anfang Mai bin ich zurueck…aber Schuhe und Fetzen gehst du weiter allein kaufen ;-)

  5. Etosha sagt:

    Ich bin ja Kummer gewöhnt. ;)

  6. martin sagt:

    das positive an der geschichte: wieder etwas gelernt, denn die scheinbar banale erkenntnis “Wer also ist der Nächste? Na völlig klar: jeder sich selbst.” will erst mal beherzigt sein.

    das erstaunliche an der geschichte: wie man die banale frage der kassenreihenfolge mit dem hehren begriff der zivilcourage in verbindung bringen kann. so rein prioritätsmäßig.

  7. hubbie sagt:

    Martin, ich wollte ja nicht gerade eine Sophie Scholl desavouieren, aber….man faengt ja klein an

  8. T.M. sagt:

    Männer einkaufen schicken ist wie Frauen autofahren lassen. *duck*

  9. Etosha sagt:

    Zivilcourage hat, im Kleinen wie im Großen, die Priorität, den Mund aufzumachen, wenn sich jemand daneben benimmt.
    Was du mir mit deinem ersten Satz sagen wolltest, musst du mir nochmal live erklären. ;)

    Es gibt Männer, TM, die muss man nicht ‘schicken’.

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