Ich bin kein guter Sachensucher. Mein Mann sagt immer, ich konzentröre mich zu wenig auf die optische Erscheinung des Gesuchten, hätte es nicht in ausreichend buntem Geschiller vor meinem geistigen Auge. Tatsache ist, ich habe, wenn ich etwas suchen muss, gar nichts vor meinem geistigen Auge mit Ausnahme dieser in ihrer Sättung rapide ansteigenden rötlichen Färbung.
Ich hasse Sachensuchen. Dieser Hass steigert sich noch, wenn es um ein Ding geht, auf das ich aufgepasst und das ich nicht achtlos irgendwo hingeworfen habe (wonach es mir ja (auch nicht) recht geschähe, dass ich es nicht finde), sondern es stets hütete – und dann? Isses trotzdem weg. Einfach weg. Futsch. Wie vom Erdboden verschluckt. Die Sau. Da könnt ich, da tät ich, das macht mich, da würd ich am liebsten… da steigert es meinen Zorn noch, dass Gebiss und Gesäß so weit voneinander weg sind, zumindest mein jeweils eigenes.
Ich habe irgendwann im Jahr 2011 in einem vorübergehenden Moment der Verträumtheit in einem Wiener Kino meinen Lieblingshut liegenlassen (Filz, grau-schwarz, wärmend, passt zusammengeknüllt in jede meiner Jackentaschen und auf meinen Kopf so perfekt, dass man denken könnte, er wäre maßgeschneidert, sogar und besonders bei Wind; zum Verlustzeitpunkt in meinem Besitz und Eigentum seit gut fünfzehn Jahren, dies nur für die Akten, Herr Spinektor).
Kein Aufwand war mir zu groß, um das Ding wiederzukriegen. Ich telefonierte rum, fuhr am nächsten Tag nochmal zum Kino in die große Stadt, musste daselbst der gestrengen Meisterin der Kammer der liegengebliebenen Gegenstände eine exakte Beschreibung des Geliebten liefern, denn da könnte sonst ja jeder kommen und sich liegengebliebene Sachen aus dem Kino holen, doch es gelang mir, nicht perfekt, nicht ohne Stammeln und Innehalten, aber offenbar mit ausreichender Eloquenz, um die Meisterin damit zu überzeugen, was hab ich geschwitzt und Ängste ausgestanden, doch am Ende lohnten sich all die quälenden Strapazen, denn tatsächlich, man händigte ihn mir aus! Ich war so glücklich, man kann sich das überhaupt gar nicht vorstellen, so glücklich war ich, jawohl.
Und dann, keine zwei Wochen später, war er plötzlich weg. Gerade erst hatte ich ihn aus den Fängen der ewigen Dunkelheit befreit, und so dankte er es mir, das wunderschöne, zusammenknüllbare, perfekt passende, heißgeliebte, gottverdammte Scheißding. Ich fragte jeden, den ich in den zwei Wochen gesehen, besucht oder sonstwie genervt hatte, aber nichts. Der Hut bleibt weg, immer noch, mein Herz blutet.
Unlängst suchte ich die Mikrohalterung meines Mikrofonständers. Zuletzt hatte ich die in der Hand, als wir mit der Band eine Homerecording-Aufnahme machten, denn da Bassist Deh zwar sowohl Besitzer als auch Eigentümer eines gar prächtigen Kondensatormikrofons ist, aber keinen Mikroständer besitzt, und da Sänger gerne im Stehen aufnehmen, weil sich so das Zwerchfell besser entfalten kann, und weil es auch einfach viel stylisher aussieht, wenn so ein Sänger im Stehen singt und nicht zusammengefaltet auf einer Couch lümmelt und dabei undeutliche und in ihrer Tonhöhe zu wünschen übrig lassende Melodien von sich gibt, aus all diesen Gründen hatte ich meinen Mikroständer mitgenommen.
Während ich ihm, dem Herrn Bassist, zusah, als er diese Mikrohalterung von meinem Mikroständer abschraubte, weil die Spinne des Kondensatormikros ein ganz eigenes Schraubgewinde hat und man diese Halterung nicht braucht, schrillten in mir sofort alle Sachensuchhassalarmglocken, ich hielt ich sogleich die Hand auf und vermeldete: “Gib das her, ich steck das gleich ein, sonst muss ich das sicher suchen.” Und beim zuvor erwähnten Unlängst, später in der Zeit, da wollte ich selbst meinen Mikroständer benutzen, daheim, zum Aufnehmen, ich hatte schon alles vorbereitet, jede Menge Gerätschaft sowie den zugehörigen Kabelsalat und den Ständer selbst, der sich auch nicht allein die Stufen heraufbewegt und immerhin eine gusseiserne Bodenplatte hat. Das Notebook war bereit, und der Aufnahmefips (ja, so heißt der bei mir, der H2 von Zoom) war sogar mittlerweile mit seinem Haltegriff versehen, der nur selten benutzt wird, und dessen Aufenthaltsort sich mir zuvor auch nicht gerade auf Anhieb erschlossen hatte – da endlich, in diesem Moment der Finalität, des alles-Hergerichtet-Habens-und-dann-schön-langsam-doch-mal-Loslegen-Wollens, blicke ich diesem Mikroständer tief in die Augen – und zurück blickt doch tatsächlich ein Loch mit einem Außengewinde. Ein Außengewinde, das man eigentlich gar nicht sehen sollte, weil dieses nämlich von einer angeschraubten Mikrohalterung verdeckt sein müsste.
Ich schwöre, ich habe hier alles umgedreht, alle Schränke und darin befindlichen Kisten, in denen sich Musikzeugs befindet, und auch Schränke und Kisten, in denen sich kein Musikzeugs mehr befindet, aber früher mal befunden hatte, und dann noch Schränke und darin befindliche Kisten, in denen sich noch nie zuvor auch nur ein Häuchlein von Musikzeug befand. Eineinhalb Stunden lang betrieb ich das. Danach war mir nicht mehr nach Singen zumute, und ich hätte auch recht heiser geklungen, da sich ein gewisser, nicht zu kleiner Anteil an Stimmsubstanz in Flüche und Fäkalworte ergossen hatte und darin spurlos versickert war. War aber auch egal, ob ich noch Stimme hatte, denn die verwunschene Mikrohalterung tauchte nicht mehr auf.
Mein Großvater hatte alle Gebrauchsgegenstände drei-, vier- oder fünfmal, sagte mein Papa am Telefon zum Thema. Weil der Großvater beim Suchen immer genauso narrisch wurde wie mein Vater es wird. Es liegt also in der Familie, das Sachensucher-Antitalent sowie die rötliche Färbung und das Fluchen. Es ist prinzipiell nicht verkehrt, alles, was man nicht findet, einfach neu zu kaufen. Man hat dadurch wieder das, was man möchte, und das doppelt, weil ja verlegte Gegenstände vorübergehend in einer anderen Dimension wohnen, einer Dimension, in der sich übrigens vor allem Pinzetten, einzelne Handschuhe und Socken, Hüte, mindestens ein Leatherman, jede Menge Adapterstecker und Scheren rumdrücken, wobei ein Teil dieser Dimension sich mit dem Inneren von gewaschenen Spannleintüchern überschneidet. Und dies ist eine ganz besonders gut verdrahtete Dimension, eine, in der jeder Gegenstand sofort vom stattgefundenen Nachkauf seines ehemaligen Eigentümers informiert wird, sodass er – der Gegenstand – sogleich nach Hause zurückkehrt, sobald man – der ehemalige Eigentümer – Ersatz beschafft hat.
Ein weiteres Problem am Nachkauf ist aber folgendes: Du musst dich dazu in ein Geschäft begeben – sei dies nun ein richtiges Geschäft in der wirklichen Wirklichkeit oder ein Shop in der virtuellen. Dort gibt es Dinge zu kaufen, die du mitunter möchtest, weil der Shop nunmal Ware aus deinem Interessensbereich anbietet. Manchmal wusstest du noch gar nicht, dass du sie möchtest, wärst du nicht nach Tobsuchtsanfällen beim vergeblichen Sachensuchen und daraus resultierender Jagd nach einem geeigneten Ersatzgegenstand vom Leben zum Besuch des Ladens gleichsam gezwungen worden.
Eine Mikrohalterung bei thomann.de: € 2,98. Gesamtbestellwert bei thomann.de: € 383,97. Benötigte Gegenstände sofort daheim auffinden, wenn man sie sucht: Unbezahlbar.
Du Ärmste, ich fühle mit dir.
Ich hoffe nur, dass ich nie in die Lage komme, mal eben bei der Beschaffung eines Ersatzteils das 130-fache von dessen Wert in den Einkaufswagen zu donnern. Wobei ich da schon auch Potential hätte….
;-) sehr schöner wortgewaltiger erlebnisbericht;-)
(das erinnerte mich an…war da nicht was mit “sachensucher” bei pipi langstrumpf??)
Der schlaue Tipp des Tages:
Sachen lassen sich rascher finden, indem man sie zuerst an dem Ort sucht, wo man sie zuletzt hingetan hat.
irgendwo zwischen Alicante und Cartagena…
kombinierter Auftrag an den Müllbeseitigerundhinuntertrager v.D.: Mistsackl in Riesencontainer vor der Haustür und neue – wenn auch leicht müffelnde – Laufschuhe des liebend Weibes in die Garage schaffen. Dabei musste ich mit einer Hand die Mechanik des Containers bedienen und mit der anderen das Mistsackl über die Arbeitshöhe von 1,60 Meter schmeißen und ….erraten, die Joggingbock wanderten mit in den Müll.
Nicht, dass mich das gestört hätte, es fiel mir gar nicht auf, erst als drei Tage später der nächste Jogger stattfinden sollte, waren die Schuhe nicht(mehr) da.
Mathilda, danke für dein Mitgefühl, das tut gut.
Das mit der Ersatzbeschaffung geht ganz leicht: Einloggen, klicken, klicken, klicken, paaasst. :) Musst du bei Gelegenheit mal ausprobieren! Ich werde das teuerste Ding aus der Bestellung aber voraussichtlich zurückschicken, also ist es nicht ganz so dramatisch, wie’s ursprünglich klang. Trotzdem irgendwie bedenklich. Aber andererseits: Die monetäre Energie muss man ungehindert fließen lassen!
Rudolfottokar, danke dir! Ich weiß nicht so recht… war da was? Ist auch schon ein Zeitl her! Doch ich fühlte mich der Pippi immer recht verwandt, sowohl von der mentalen Einstellung her als auch in Sachen Modebewusstsein.
nömix, ja, das ist mir bekannt, und auch dass Schnittblumen länger halten, wenn man sie in der Tiefkühltruhe aufbewahrt, und Fettflecken länger frisch bleiben, wenn man sie täglich mit etwas Butter einreibt.
Das Komische ist ja – wenn man Dinge wiederfindet, fällt einem meistens auch in diesem Augenblick ein, wann und weshalb sie dort zu liegen kamen, wo sie eben liegen, und das mit einer ganz erstaunlichen Vielfalt an Einzelheiten. Die Information ist also da, man kommt nur nicht ran. Man müsste einen Hypnotiseur daheimhaben!
Hubbie, hihihi! So kanns gehen! Würd mich nicht wundern, wenn mein geliebter Hut in irgendeinem Müll gelandet wäre. Hauptsache, die Hände sind bei der Rückkehr leer, nicht?
Aber sag, was hat dein liebend Weib denn für eine immense Schuhgröße, dass ihre Laufschuhe in die Garage müssen? 8)
Jaaaaa, spricht mir exakt aus dem Herzen!!! Was da oft an Nerven nötig ist, um solche Such-Situationen zu überstehen, es ist ein Wunder, daß man nicht im Irrenhaus landet. Vielleicht ist so mancher hohe Blutdruck darauf begründet….
Betreffend Garage: Wenn man auf großem Fuß lebt, braucht man halt vielleicht eine Garage für die Schuhe, da kann doch lieber das Auto draußen stehen bleiben, das kann besser naß werden……
Christa? Meine Mama?? Genetisch. Das ist alles genetisch! Ich bin hier das Opfer! xD
Stimmt. Die Gesundheit leidet. Man sollte es einfach lassen, das Gesuche. Aber das geht nicht immer – oder gibts schon einen Webshop für Autoschlüssel? Wär eigentlich gar nicht unpraktisch: Man hinterlegt sein Schlüsselprofil, und wenn man seinen nicht findet, druckt man sich einfach einen neuen aus. Schont die Nerven. Man darf nur sein Passwort nicht verlegen, äh, verlieren.
Oder man lässt sich 28 Autoschlüssel nachmachen und verteilt sie zwanglos im ganzen Haus. (note to self: Schlüsseldienst aufsuchen!)
das l.W. lebt auf kleinem Fuß (Gr. 36), aber die Schuhe müffeln…
Dann waren sie im Müll eh besser aufgehoben. :)
Vielleicht könnte ja das Abhilfe verschaffen: http://derstandard.at/1331780225384/U-Grok-It-Idee-fuer-Schluesselproblem
:-)
Haa! Gute Sache. Blöd ist, wenn man das Ding dann auch nicht findet.