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Vom Sachensuchen

Ich bin kein guter Sachensucher. Mein Mann sagt immer, ich konzentröre mich zu wenig auf die optische Erscheinung des Gesuchten, hätte es nicht in ausreichend buntem Geschiller vor meinem geistigen Auge. Tatsache ist, ich habe, wenn ich etwas suchen muss, gar nichts vor meinem geistigen Auge mit Ausnahme dieser in ihrer Sättung rapide ansteigenden rötlichen Färbung.

Ich hasse Sachensuchen. Dieser Hass steigert sich noch, wenn es um ein Ding geht, auf das ich aufgepasst und das ich nicht achtlos irgendwo hingeworfen habe (wonach es mir ja (auch nicht) recht geschähe, dass ich es nicht finde), sondern es stets hütete – und dann? Isses trotzdem weg. Einfach weg. Futsch. Wie vom Erdboden verschluckt. Die Sau. Da könnt ich, da tät ich, das macht mich, da würd ich am liebsten… da steigert es meinen Zorn noch, dass Gebiss und Gesäß so weit voneinander weg sind, zumindest mein jeweils eigenes.

Ich habe irgendwann im Jahr 2011 in einem vorübergehenden Moment der Verträumtheit in einem Wiener Kino meinen Lieblingshut liegenlassen (Filz, grau-schwarz, wärmend, passt zusammengeknüllt in jede meiner Jackentaschen und auf meinen Kopf so perfekt, dass man denken könnte, er wäre maßgeschneidert, sogar und besonders bei Wind; zum Verlustzeitpunkt in meinem Besitz und Eigentum seit gut fünfzehn Jahren, dies nur für die Akten, Herr Spinektor).

Kein Aufwand war mir zu groß, um das Ding wiederzukriegen. Ich telefonierte rum, fuhr am nächsten Tag nochmal zum Kino in die große Stadt, musste daselbst der gestrengen Meisterin der Kammer der liegengebliebenen Gegenstände eine exakte Beschreibung des Geliebten liefern, denn da könnte sonst ja jeder kommen und sich liegengebliebene Sachen aus dem Kino holen, doch es gelang mir, nicht perfekt, nicht ohne Stammeln und Innehalten, aber offenbar mit ausreichender Eloquenz, um die Meisterin damit zu überzeugen, was hab ich geschwitzt und Ängste ausgestanden, doch am Ende lohnten sich all die quälenden Strapazen, denn tatsächlich, man händigte ihn mir aus! Ich war so glücklich, man kann sich das überhaupt gar nicht vorstellen, so glücklich war ich, jawohl.

Und dann, keine zwei Wochen später, war er plötzlich weg. Gerade erst hatte ich ihn aus den Fängen der ewigen Dunkelheit befreit, und so dankte er es mir, das wunderschöne, zusammenknüllbare, perfekt passende, heißgeliebte, gottverdammte Scheißding. Ich fragte jeden, den ich in den zwei Wochen gesehen, besucht oder sonstwie genervt hatte, aber nichts. Der Hut bleibt weg, immer noch, mein Herz blutet.

Unlängst suchte ich die Mikrohalterung meines Mikrofonständers. Zuletzt hatte ich die in der Hand, als wir mit der Band eine Homerecording-Aufnahme machten, denn da Bassist Deh zwar sowohl Besitzer als auch Eigentümer eines gar prächtigen Kondensatormikrofons ist, aber keinen Mikroständer besitzt, und da Sänger gerne im Stehen aufnehmen, weil sich so das Zwerchfell besser entfalten kann, und weil es auch einfach viel stylisher aussieht, wenn so ein Sänger im Stehen singt und nicht zusammengefaltet auf einer Couch lümmelt und dabei undeutliche und in ihrer Tonhöhe zu wünschen übrig lassende Melodien von sich gibt, aus all diesen Gründen hatte ich meinen Mikroständer mitgenommen.

Während ich ihm, dem Herrn Bassist, zusah, als er diese Mikrohalterung von meinem Mikroständer abschraubte, weil die Spinne des Kondensatormikros ein ganz eigenes Schraubgewinde hat und man diese Halterung nicht braucht, schrillten in mir sofort alle Sachensuchhassalarmglocken, ich hielt ich sogleich die Hand auf und vermeldete: “Gib das her, ich steck das gleich ein, sonst muss ich das sicher suchen.” Und beim zuvor erwähnten Unlängst, später in der Zeit, da wollte ich selbst meinen Mikroständer benutzen, daheim, zum Aufnehmen, ich hatte schon alles vorbereitet, jede Menge Gerätschaft sowie den zugehörigen Kabelsalat und den Ständer selbst, der sich auch nicht allein die Stufen heraufbewegt und immerhin eine gusseiserne Bodenplatte hat. Das Notebook war bereit, und der Aufnahmefips (ja, so heißt der bei mir, der H2 von Zoom) war sogar mittlerweile mit seinem Haltegriff versehen, der nur selten benutzt wird, und dessen Aufenthaltsort sich mir zuvor auch nicht gerade auf Anhieb erschlossen hatte – da endlich, in diesem Moment der Finalität, des alles-Hergerichtet-Habens-und-dann-schön-langsam-doch-mal-Loslegen-Wollens, blicke ich diesem Mikroständer tief in die Augen – und zurück blickt doch tatsächlich ein Loch mit einem Außengewinde. Ein Außengewinde, das man eigentlich gar nicht sehen sollte, weil dieses nämlich von einer angeschraubten Mikrohalterung verdeckt sein müsste.

Ich schwöre, ich habe hier alles umgedreht, alle Schränke und darin befindlichen Kisten, in denen sich Musikzeugs befindet, und auch Schränke und Kisten, in denen sich kein Musikzeugs mehr befindet, aber früher mal befunden hatte, und dann noch Schränke und darin befindliche Kisten, in denen sich noch nie zuvor auch nur ein Häuchlein von Musikzeug befand. Eineinhalb Stunden lang betrieb ich das. Danach war mir nicht mehr nach Singen zumute, und ich hätte auch recht heiser geklungen, da sich ein gewisser, nicht zu kleiner Anteil an Stimmsubstanz in Flüche und Fäkalworte ergossen hatte und darin spurlos versickert war. War aber auch egal, ob ich noch Stimme hatte, denn die verwunschene Mikrohalterung tauchte nicht mehr auf.

Mein Großvater hatte alle Gebrauchsgegenstände drei-, vier- oder fünfmal, sagte mein Papa am Telefon zum Thema. Weil der Großvater beim Suchen immer genauso narrisch wurde wie mein Vater es wird. Es liegt also in der Familie, das Sachensucher-Antitalent sowie die rötliche Färbung und das Fluchen. Es ist prinzipiell nicht verkehrt, alles, was man nicht findet, einfach neu zu kaufen. Man hat dadurch wieder das, was man möchte, und das doppelt, weil ja verlegte Gegenstände vorübergehend in einer anderen Dimension wohnen, einer Dimension, in der sich übrigens vor allem Pinzetten, einzelne Handschuhe und Socken, Hüte, mindestens ein Leatherman, jede Menge Adapterstecker und Scheren rumdrücken, wobei ein Teil dieser Dimension sich mit dem Inneren von gewaschenen Spannleintüchern überschneidet. Und dies ist eine ganz besonders gut verdrahtete Dimension, eine, in der jeder Gegenstand sofort vom stattgefundenen Nachkauf seines ehemaligen Eigentümers informiert wird, sodass er – der Gegenstand – sogleich nach Hause zurückkehrt, sobald man – der ehemalige Eigentümer – Ersatz beschafft hat.

Ein weiteres Problem am Nachkauf ist aber folgendes: Du musst dich dazu in ein Geschäft begeben – sei dies nun ein richtiges Geschäft in der wirklichen Wirklichkeit oder ein Shop in der virtuellen. Dort gibt es Dinge zu kaufen, die du mitunter möchtest, weil der Shop nunmal Ware aus deinem Interessensbereich anbietet. Manchmal wusstest du noch gar nicht, dass du sie möchtest, wärst du nicht nach Tobsuchtsanfällen beim vergeblichen Sachensuchen und daraus resultierender Jagd nach einem geeigneten Ersatzgegenstand vom Leben zum Besuch des Ladens gleichsam gezwungen worden.

Eine Mikrohalterung bei thomann.de: € 2,98. Gesamtbestellwert bei thomann.de: € 383,97. Benötigte Gegenstände sofort daheim auffinden, wenn man sie sucht: Unbezahlbar.

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Kicher kicher lach lach

Gestern eine Wuchtel aus dem Wuchtelarchiv (die mit dem ‘Cnouch kotzen’) meiner Mutter erzählt, worauf sie sich veranlasst sah, einer spontanen Laune folgend ihren Apfelsaft quer über den Tisch zu prusten. Im Restaurant.

Überhaupt waren es ein paar lustige Stunden, die wir gemeinsam verbrachten. Wir haben Tränen gelacht, unter anderem wieder mal über die Radiopannen – und über das da:

Und über dieses hier:

Und das da von Erhardt, “frei nach Johann Sebastian Goethe”, gnihi. (Siehe zweiter Abschnitt!)

Und über alles andere lachten wir eigentlich auch. Das war viel besser als arbeiten. Ich brauchte diese Pause dringend. Der Entspannungswert eines solchen verlachten Nachmittags ist ungemein hoch!

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Lehrreich

Die Selbstkritik hat viel für sich.
Gesetzt den Fall, ich tadle mich;
So hab ich erstens den Gewinn,
Daß ich so hübsch bescheiden bin;

Zum zweiten denken sich die Leut,
Der Mann ist lauter Redlichkeit;
Auch schnapp ich drittens diesen Bissen
Vorweg den andern Kritiküssen;

Und viertens hoff ich außerdem
Auf Widerspruch, der mir genehm.
So kommt es denn zuletzt heraus,
Daß ich ein ganz famoses Haus.

(Wilhelm Busch)

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Heul!!

Die Website der ifta, der Internationalen Tierregistrierung, ist eine Frechheit. Ja, das Tier mit dieser Transpondernummer ist registriert. Für die Weitermeldung an die Ösi-Behörden gibts ein Webformular, dieses sagt aber nach Eingabe aller Daten (Führerscheinnummer, Geburtsdaten, etc pp), das Tier sei bereits registriert (i.e. ‘weitergemeldet’, würd ich da annehmen, befinde ich mich doch in einem Weitermeldungsformular).

Um die zugehörige Adresse zu sehen, vielleicht haben die ja noch die alte, und deswegen findet die Gemeinde uns nicht in der Datenbank, müsste man sich als Benutzer registrieren (Vermutung meinerseits, dass man sich dann die registrierte Adresse anschauen könnte). Man landet aber bei der Benutzeranmeldung sogleich in einer Sackgasse aus unleserlichen Captchas ohne Ersatz-Captcha, und ohne Reload-Möglichkeit des Formulars, die Sackgasse endet bei den Mülltonnen und Graffitis: “Keine Berechtigung – haben Sie den Back-Button Ihres Browsers benutzt?” JAAA, war ja die einzige Möglichkeit, ihr Vögel.

Also werd ich dann doch morgen den Gang auf die Gemeinde antreten, die in einem freundlichen Schreiben samt Strafandrohung behauptet, mein Tier wäre nicht registriert. *seufz* Hab ja eh sonst nix zu tun.

(Gerade hab ich ein Deja-vu. Ich hab das nämlich vor zwei Jahren schonmal probiert, gute Bürgerin, die ich bin; mit ähnlichem Erfolg. Dann die Tierärztin befragt, die abgewunken hat und meinte, ich solle warten, ob die Gemeinde was will.)

EDIT: Ich muss der Fairness halber allerdings einräumen, dass die Mitarbeiter der ifta überaus firm sind. Eine Nachricht über das dortige Kontaktformular, und zwei Antworten später war die Weitermeldung erledigt, und das an einem Sonntag – und kostenlos. Die Unklarheiten in diesem Zusammenhang konnte man mir zwar nicht so ganz erhellen, und zu Beginn klang alles ein bisschen nach ‘Dialog mit kranker Kuh’, aber man bemüht sich augenscheinlich um pragmatische Problemlösung und nimmt Service am Kunden ernst. Find ich gut.

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Mal politisch, ausnahmsweise

Wenn man sich mit Politik beschäftigt, der Politik, die nach außen hin, dem Bürger ins Gesicht, gemacht wird, stellt man bald ein paar Dinge fest, die sich immer wiederholen. Vor den Wahlen schreiben sich die Parteien allerlei Errungenschaften auf die Fahnen, die sich mit ihren tatsächlichen Leistungen nicht so recht decken oder gar welche, gegen die sie noch vor ein paar Monaten im Parlament gestimmt haben. Es gilt das Motto: Schuld sind immer die anderen, und das waren sie auch in dieser Angelegenheit. Das tun sie völlig ungeniert, als hielten sie uns für blöd und unsere Gedächtnisleistung für eine, die jener einer gewöhnlichen Stubenfliege nicht unähnlich ist.

Nach den Wahlen sind sie wieder genauso kleingeistig, konservativ und verhandlungsunwillig wie vorher, und besonders erlahmt wirkt jener, der den begehrtesten aller Sitzplätze erjagt hat: Den Kanzlersessel. Das Möbel muss ja so unfassbar bequem sein. Nicht, dass man darin eine Macht besäße, die man tatsächlich zu nutzen plant. Es ist offenbar mehr das Sitzen an sich.

Dann kommt eine Steuerreform. Es werden Steuern abgeschafft, dass man denken könnte, wir würden im Geld schwimmen, und Absetzbeträge und Freibeträge aus dem Hut gezaubert, die jede Steuererklärung noch ein bisschen aufregender machen – anstatt frühere Beschränkungen in Absetzbarkeiten mal wieder aufzuheben und das zu vereinfachen, was schon vor Jahrzehnten zu kompliziert war und seither nicht eben besser wurde. Es sollen ja die Formulare nicht leerer werden und die Steuerberater sich nicht langweilen. Außerdem will die Wirtschaft zur Investition stimuliert und die Kinderkrieger belohnt werden.

Und dann passiert es, plötzlich und zur kolossalen Verblüffung aller: Es geht am Arsch die Haut net zsamm, und zwar hinten und vorne gleichermaßen, und das meine ich rein finanziell. Seit Neuerem wird diese Tatsache hilfsbereiterweise auch von außen in Form von diversen AA-Kriterien taxiert. Unglücklicherweise wird ein Sparpaket nötig. Nicht das erste in der Republik, und ganz bestimmt auch nicht das letzte. Wir wollen uns die nächste Reform ja auch noch leisten können.

Daher werden die zuvor abgeschafften Steuern wieder eingeführt, oder es wird lange darüber diskutiert, ob und wie man das könnte, Dinge, die schon tausendmal diskutiert wurden, für unser Geld Verhandlungsstundensätzen, wohlgemerkt. Oder noch besser, man denkt sich einfach ein paar neue Manöver aus, die den Menschen genau das aus der rechten Hosentasche ziehen, was man ihnen gerade erst in die linke gesteckt hat. Dazu behauptet man, Xy käme ganz bestimmt nicht, sodass das ahnungslose Bürgerohr sich schonmal an den Begriff Xy gewöhnen kann.

(Und nebenbei, um es hier mal ganz klar zu sagen, bei allem Verständnis für den Neid auf die “Besserverdiener”: Vermögensteuern besteuern Geld, das bereits versteuert ist. Wenn man gegen Schwarzgeldverdiener vorgehen will, muss man das anders anpacken: Erleichtern, wo Gewerbe-, Sozialversicherungs- und Steuerrecht einem Selbständigkeitswilligen die Zukunft verbauen, nicht hinterher Dinge besteuern, die man sich von bereits verdientem und (allenfalls) versteuertem Geld leisten konnte.)

Wird einem Politiker im TV eine Frage gestellt, dann antwortet er stets recht ausweichend und lenkt das Thema gar nicht unauffällig auf etwas völlig anderes, am liebsten auf das, was die gegnerische Partei sich an Unterlassungen geleistet hat und… siehe oben. Sieht man allzu oft bei solcherlei Befragung zu, führt das zu Aggressionsschüben oder Traurigkeit, und zum Gefühl, dass man als Bürger für die Wahrheit nicht für wertvoll genug gehalten wird. Vulgo: “Verarscht doch wen anderen, ihr Deppen, ich dreh jetzt ab.”

Für all diese Leistungen wird der Politiker fürstlich entlohnt und sieht daher keinen Grund, sich anständig zu benehmen in seinen Äußerungen und Behauptungen, oder gar selbst mal ein wenig zurückzustecken, was seine Bezüge oder Sonderleistungen betrifft. Oder sich einfach mal verständlich zu äußern und eine Frage direkt zu beantworten.

Sparen heißt in der Politik, mehr Geld hereinzuholen als vorher, das ist mit der überaus schwierigen Entscheidung verbunden, an welcher Stelle man sich am meisten unbeliebt machen möchte. Das ist nicht die wörtliche Bedeutung von Sparen, die uns beigebracht wurde. Für den Bürger heißt es vor allem, den Gürtel enger zu schnallen. Sparen ist, liebe Politiker, wenn ich weniger ausgebe und mir daraufhin Geld übrig bleibt, das ich in mannigfachen Sparformen oder kunterbunten Kopfkissenbezügen anlegen kann.

Nach einigen Jahren gibts dann – Achtung, völlig neue Strategie! – eine neue Steuerreform. Für alle Steuerzahler, die nicht gerade erst aus dem Ei geschlüpft sind, haben die angebotenen Zuckerln einen ungemein bitteren Nachgeschmack. Sich solchermaßen verarscht zu fühlen führt dann ganz natürlich dazu, dass man sich nicht mehr mit Politik beschäftigt. Ich persönlich bin nicht politikmüde. Ich bin tot.

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Freiheits-Fragen

Ich habe soeben eine Umfrage zum Thema Freiheit ins Netz gestellt. Das schließt an meinen Eintrag zum Thema Freiheit an. Die Antworten sollen auszugsweise in die dort erwähnte Ausstellung einfließen.

Bitte keine testweisen Aufrufe ohne ernsthafte Absichten, ich hab nur 25 freie Teilnehmer, danach wirds kostenpflichtig.
Wenn Ihr also gern ein paar Fragen frei beantwortet, bitte hier lang!

Bin schon sehr gespannt! Vielen Dank fürs Mitmachen!

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Weihnachtsschnorcheln in Ägypten (2)

Ich sah nachts die Sterne der südlicheren Gefilde, den Phoenix mit seinem Hauptstern Ankaa, und wie der Nachthimmel ohne Ursa major, die große Bärin, aussieht, die ja bei uns immer zu sehen ist, stattdessen mit einem kompletten großen Hund bestückt, der bei uns im Winter tief im Süden nur zum Teil auftaucht. Ich sah die Milchstraße so hell und schön wie schon lange nicht mehr. Und ich sah an zwei Abenden noch vor Einbruch der Dunkelheit Sternschnuppen über den blassblauen Himmel zischen.

Einen großen Raubvogel sah ich, einen, der am Meer lebt und jagt, weiß mit schwarzen Flügeln, großen Klauen und elegantem Flug. Einmal schaute ich ihm zu, als er lautlos über den Strand segelte. Ein andermal sah ich ihn ganz aus der Nähe, und er fühlte sich von mir zu Recht überhaupt nicht bedroht, wie er da auf einem ausgedienten Laternenmast saß und mit hellen, stechenden Augen den Strand und das Riff überblickte. Zu zweit nisten sie in einer dieser künstlichen Palmen, die, vom pfeifenden Wind über den Hotelmauern völlig ungebeugt, mit roten Lichtern von ihren Spitzen eine Warnung vor ihrer eigenen Höhe in die Gegend blinken.

Beim Rückflug sah ich, wie die Sichel des zunehmenden Mondes Venus den Rücken zukehrte, in einem Meer aus rotem Licht, das der verschwundenen Sonne nacheilte, so prächtig und leuchtend, wie nur echte Augen es wahrnehmen können. In der Dunkelheit sah ich Kairo und Alexandria friedfertig zu mir heraufleuchten. Ich sah viele kleine, kompakte Spinnweben aus Licht, die einzelne kleine Lichter über einen ihrer Stränge in ihre Eingeweide saugen und sie an anderen Ausläufern wieder in die Zwischenräume aus Nacht hinausspucken.

Ich sah vorm Wegfahren ein aufgeräumtes Haus. Viel Wäsche war noch gewaschen worden. Das Geschirr war gespült und weggeräumt. Der Kühlschrank war ausgemistet, damit da nichts wächst, wo nichts wachsen soll, und der Müll wurde selbstverständlich noch rausgebracht.
Angesichts des Obstmangels beim Urlaubsfrühstück wollte ich mir heute früh zum ersten Frühstück nach der Heimkehr ein Stück kühlschrankkalte Mango in der Mikrowelle ein bisschen anwärmen, zehn Sekunden, damit mir nicht die Zähne ausfallen. Hinter der Tür des Gerätes traf ich ein Schüsselchen mit einem Deckelchen an, das genauso überrascht war wie ich. Ich guckte hinein und sah wundersame Schimmelgewächse. Es handelte sich um ein Restchen vormaliger Baked Beans, das ich am Abreisetag zum Frühstück essen wollte, damit auch wirklich nichts übrig bleibt.
Das unbestimmte Gefühl, irgendwas Wichtiges vergessen zu haben, hatte ich beim Wegfahren übrigens nicht.

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Weihnachtsschnorcheln in Ägypten (1)

“Ich habe gesehen – etwas.” Ein Zitat aus dem PC-Spiel “Dark Project”, das mein Mann und ich seinerzeit gemeinsam zu spielen pflegten. Er lief, duckte sich, drückte sich im Schatten rum, und ich bediente die Waffen. Das war gute Arbeitsteilung, machte Spaß und war überaus sozial, gemessen am allgemeinen Sozialfaktor der Tätigkeit Gambling, der ja sonst eher ärmlich ausfällt, weil die Tätigkeit generell eher still und einsam vor sich geht, während der geliebte Partner, mit dem man ab und zu etwas Zeit verbringen sollte, ebenso still und einsam einfach irgendwas anderes macht.
Manchmal kommt mir dieser Satz in den Sinn. Eine der metallenen Wachen, die es im Spiel zu umgehen galt, ohne aufzufallen, sagte das oft, wenn man sich beziehungsweise den Helden zu sehr exponierte, auf sehr metallene, steife Art und Weise, wie Roboter eben so sind. “Ich habe gesehen – etwas.”

Ich habe auch etwas gesehen in der letzten Woche. Beim Hinflug sah ich den ehrwürdigen Nil und das Einzugsgebiet seiner Fruchtbarkeit, ich sah eine Wüste mit endlos leeren, gelben Händen nach dem grünen Luxor greifen. Die Häuser an der Flugbahn haben keine Dächer, nur Dachböden mit Tieren oder Un- und Hausrat. Davor finden sich allerlei Rechtecke im Sand, Lehmziegel werden dort getrocknet. Ich sah die ausladenden Hotelstrände von Hurghada, an denen man sicherlich, wenn man nur mal schnell zur Strandbar wollte, hinterher ein Weilchen suchen muss, um unter den hunderten Windschutzkojen jene wiederzufinden, in der sich der eigene Partner in der Sonne räkelt und nicht irgendein fremder sonnenmilchglänzender Mensch.

Ich sah Wasser bis zum Horizont, ägyptisches Wasser. Ich habe Fische gesehen, und zwar unglaublich viele. Schnorcheln im Roten Meer ist ja wie in einem Aquarium herumzuschwimmen. Da sieht man die exotischsten Fische, prächtig bunte Exemplare, von denen einer sogar nach Picasso benannt ist, und das völlig zu Recht; wild gemusterte oder zart gescheckte Fische, Fische in schreienden Signalfarben oder in Pastelltönen, mit senkrechten oder waagrechten Streifen, vielen farbigen wie auf einem Pyjama oder nur einem einzigen breiten Streifen in Kontrastfarbe, Fische mit wundersamen Funkeleffekten an den Flossen, Fische mit langen Nasen und kleinen Augen, Fische mit flachem Kopf und Glupschaugen, Fische mit Stirnfortsätzen, die sie wie Einhörner wirken lassen, gut getarnte Fische, die wie Steine aussehen, zutrauliche Fische und vorsichtige, große, friedliche und kleine, die finster entschlossen sind, ihre Koralle unter Einsatz ihres Lebens durch blitzartige Angriffe zu verteidigen.
Kürzer gesagt, ich habe Doktorfische gesehen, Drückerfische, Falterfische, Kaiserfische, Schnapper, Barsche, Feuerfische, einen Steinfisch und einen Drachenkopf, einen Barrakuda, einen rotierenden Schwarm Makrelen mit weit geöffneten Mäulern, die in der Sonne wild aufblitzten, Kalmare mit großen Augen (sie; ich aber auch), tausende junge Quallen und wohl ebensoviele Korallen und einen Oktopus in voller Aktion. Ich habe einen Putzerfisch beobachtet, wie er kurzzeitig zur Gänze in der Kieme eines Kugelfisches verschwand. Ich habe Krebse beobachtet und Schlangenseesterne und blaue, gelbe und grüne gewellte Muscheln, die sich schließen, wenn man ihnen zu nahe kommt. Allein der Teil des Urlaubs, der unter Wasser stattfand, füllt schon eine halbe Seite, selbst wenn ich einfach nur aufzähle.

Ich habe aber auch anderes gesehen. Ich sah Mülldünen an Stränden, Plastikflaschen und -becher, Marmeladegläser und deren verrostende Deckel, Glasscherben, alte Taue, dick und dünn, Transportkisten und Elektrokästchen, Kabel und Drähte, Blechbüchsen, Schuhe, ja, sogar eine halbe Flasche Motoröl fischte ich aus dem seichten Wasser, um sie in einem Mülleimer zu versenken, dessen Inhalt vermutlich irgendwann erneut an einem anderen Strand landen wird.

Ich sah ein ganzes Hotel, das nur erbaut wurde, um es dem Verfall zu überlassen. Fehlgegangen im Plan, es ist ja gar kein Strand vorhanden, der Besitzer des Nachbarhotels will seinen Strand auch nicht teilen, wie sich zeigt, diese ohnehin schon sehr kleine Ecke zwischen den geschützten Riffen; daher kein Betrieb möglich. Ich sah ein gefliestes Badezimmer, dessen Kopie und deren Kopien in x-facher Ausfertigung, die allesamt nie benutzt wurden, Badewannen voller Sandstaub, immergleiche Balustradenbalkone an spiegelgleichen Zimmern, eines glatt, eines verkehrt – aneinandergereihte Gefüge von schlichter Leere, mit denen man zwei dreistöckige Blocks zu füllen vermochte. Zwischen ihnen, wo der Pool hinsollte, gähnt gelangweilt ein Loch im Sand, dahinter verwesen Sonnenschirmgerippe in Reih und Glied, ausladend wie Antennen zu nie eingetroffenen Touristenscharen. Laternen umrahmen weite Terrassen, die unbeleuchtet bleiben. Ich sah geschreinerte Schrankecken, Hammam-Nischen, gemauerte Bars mit eingebauter Spüle in einer Diskothek in Blau-Gelb-Rot. Ich sah eine Hotellobby mit einem Boden aus Sand, übersät mit tausenden Fußspuren, die hauptsächlich von Vogelfüßen stammen. Gut und ungestört kann man dort wohnen, als Taube. Niemand sonst wohnt dort. Auch die Meeresschildkröten müssen ihre Eier jetzt woanders legen. Das völlig unnötige Vorhandensein von Struktur. Ich habe gesehen – etwas.

(Fortsetzung folgt)

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Wo ist der Trost?

Ich bin immer wieder entsetzt, was für eine überaus trostlose Angelegenheit ein katholisches Begräbnis ist. Entstehen Religionen nicht vor allem aus der Not des Menschen, die Sterblichkeit allen Lebens irgendwie bewältigen zu müssen? Daher erhofft man sich doch von einer Religion, gerade wenn man einen geliebten Menschen verloren hat, noch am ehesten Nähe, Wärme, Trost, Verständnis, Menschlichkeit. Stattdessen wird man mit endlos heruntergebeteten Litaneien abgespeist, die bei jeder Wiederholung etwas mehr ihres Sinnes entleert werden, und mit dem Hinweis, man möge doch an ein Leben nach dem Tod glauben, um Erleichterung zu erfahren, und statt dass man sich gräme lieber dankbar sein, dass man den verstorbenen Menschen überhaupt bei sich haben durfte.

Dieser Mensch, der wahrscheinlich jemandes Mama oder Papa war, jemandes Oma oder Uropa, jemandes Bruder oder Schwester oder Kind, jemandes bester Freund, wird darin zwar ab und zu erwähnt, dabei wird er jedoch mit einem Vornamen tituliert, mit dem er im Leben von niemandem angesprochen wurde, oder gar mit einem unpersönlichen Herr/Frau Nachname. Dieser Mensch, dessen Gesicht für immer verschwunden ist, lebte ein ganzes Leben; darüber wird beim Begräbnis nicht gesprochen. Nicht über seine Berge und Täler, nicht über seinen Mut oder seine Hartnäckigkeit, seinen Stolz oder seine Treue oder seine Schrulligkeit, nicht über die Liebe, die er geben und erfahren durfte, oder die Spuren und Prägungen, die er hinterlassen hat. Wer nicht bereits das Glück oder Pech hat, gläubig zu sein, lernt es bei einem solchen Begräbnis sicher nicht. Die Gläubigen fühlen sich von dem armseligen Rest, der nach all dem Ungesagten übrig bleibt, vielleicht tatsächlich getröstet; ich persönlich kann diesen distanzierten Phrasen allerdings nicht den geringsten Trost abgewinnen. Noch die zurückhaltendsten protestantischen Begräbnisse stellen die katholischen in einen Schatten, der nicht viel mit einem liebenden, gütigen Gott zu tun hat.

Meine eigene Trauer mal beiseite genommen – für meine Freunde bin ich ohnehin selbstverständlich da, wenn sie jemanden verloren haben; für Bekannte aus Kindheitstagen, aus dem Heimatdorf sieht das aber oft anders aus. Es betrübt mich, dass mein Erscheinen bei einer so unterkühlten Veranstaltung die vielleicht einzige Möglichkeit ist, meine Anteilnahme zu zeigen. Irgendwie habe ich dabei das Gefühl, betrogen werden und selbst zu betrügen, als würde ich mich damit den Hinterbliebenen gegenüber auf denselben Standpunkt stellen wie die katholische Kirche – oder vielmehr gestellt werden. Ein kleiner Trost: Es ist wohl etwas mehr wert als ein Nichterscheinen.

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Neues von der Band

Blacktime Bird – Fading Memory – unsere neueste Bandkreation. Der Song von Ceh, die Fotos von mir, das kreative Video von Deh. Also ich bin sowas von stolz.
Entstanden aus Cehs Weihnachtswunsch. Die Version mit diesem schönen Gesang wollten wir nicht im virtuellen Regal verstauben lassen, auch wenn sie rauscht und nicht so perfekt ist. Er hatte den Song mal ganz roh aufgenommen, der Rest war Band Zwonull – also dropboxen, draufsingen, draufbassen, zurückschicken. Ceh wünschte sich ein Video dazu. Und brave Mitbänder, die wir nun mal sind, haben wir uns sofort an die Arbeit gemacht und Weihnachten auf den 28.11. vorgezogen. Here goes. Merry Christmas!