Der Tag, an dem der Spam aufhörte

Eines Tages war es plötzlich ruhig. Merkwürdig ruhig, so hatte man anfangs den Eindruck.

Keine unerwünschten Postsendungen (‘Info-Mail, Postentgelt bar bezahlt’) mit ihrem ewig gleichen Inhalt verstopften die Briefkästen oder Altpapiertonnen. Keine lästigen Anrufe durch ausschließliche Geschäftsführer-Verlanger und einzigartige Angebotsmacher störten die konzentrierte Arbeit oder die wertvolle Freizeit.

Keine unangeforderten Mails mit seltsamen Betreffs tauchten wichtigtuerisch im Posteingang auf. Keine Kommentare zweifelhaften Inhaltes und ebensolcher Rechtschreibung erschienen in Online-Gästebüchern und Blogs; die von Tränen der Wut und Ohnmacht geröteten Augen der Betrieber blieben an diesem Tag trocken – und auch an allen folgenden.
Die Kommentare und Mails echter Menschen wurden nicht mehr versehentlich als blacklisted gekennzeichnet.
Sogar all der alte Spam war mit einemmal schlagartig verschwunden.

Die Entlastung war so gewaltig, dass die Welt hörbar aufatmete. Die Postsortierung und das Austragen der Briefe ging plötzlich rasend schnell vonstatten. Auch die Server ließen ihre Kapazitäten wieder in die Verbindung zwischen echten Menschen fließen. Der Trend zur neuen Natürlichkeit hatte es vollbracht, ganz nebenbei!

Alles wurde schneller und leichter.

Menschen, die online zocken oder blaue Pillen kaufen wollten, wurden von den Suchmaschinen in rasantem Tempo auf die passenden Seiten gelotst. Menschen, die nicht online zocken oder blaue Pillen kaufen wollten, taten dies auch weiterhin nicht.
Menschen, die schon immer fanden, dass es nur auf die Größe ankommt, suchten sich per Inserat einen entsprechenden Partner. Der Rest war weiterhin mit dem zufrieden, was er (respektive sie) hatte – und freute sich an schmerzfreiem Sex.

Die Freude über das Plöng, welches eine neue Nachricht in der Inbox anzeigte, wurde nicht mehr von einer nachfolgenden Talfahrt der Enttäuschung erstickt. Sie war wieder ungetrübt und strahlend wie zu Anbeginn, und sie wurde weitergetragen – in jedem Mail und Telefonat, jedem Brief und jeder persönlichen Begegnung. Menschen lachten und winkten einander auf der Straße zu, und die derart Bewunkenen empfanden das überhaupt nicht als unerwünschte Botschaft.

Es wurde mehr gearbeitet, mehr umgesetzt – und erstaunlicherweise auch mehr verkauft, ohne all die bremsenden Fresser von Zeit und Ressourcen. Die Gehälter stiegen. Einige Geschäftszweige mussten sich neu orientieren, jene, die aus Hass und Auflehnung gegen Spam entstanden waren, konzentrierten sich auf neue Gebiete der Zustimmung und des Wohlwollens.

Mails, Anfragen und private Nachrichten wurden schneller und fröhlicher beantwortet, denn niemand war mehr mit der Abwicklung völlig unnötiger Kommunikation beschäftigt.

Die gute Laune wuchs – und auch die Kaufwilligkeit.
Es war ein glücklicher, ein guter Tag.

(inspiriert von percanta)

14 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. T.M. sagt:

    Leider war’s auch der St.Nimmerleinstag … Mit Verlaup. :(

  2. zonebattler sagt:

    Spam-Problem kenne ich schon seit Jahren nicht mehr dank

    http://spamfence.net

    Vorher waren es dank meiner auf zahlreichen Websites verewigten Klartext-Mail-Adresse ca. 1500 Müll-Mails am Tag, jetzt kommt alle Woche gerade mal eine durch. Paradisische Zustände schon in der Gegenwart!

  3. Etosha sagt:

    Natürlich weiß ich, dass es gute Spamfilter gibt; und dass es eine unrealistische Vision ist, auch. Darum geht es hier gar nicht.
    Es geht um verlorene Freude und um zweckfreies Luft-um-die-Ecke-schaufeln.

    Es ist der Schleier, der, gewirkt aus scheinbar Sinnhaftem oder Nötigem, uns am wahrhaft sinnhaften und ungetrübt freudigen Tun hindert. Spam ist nur eine Metapher dafür, eine umgelegte Erscheinung im Bewusstsein des Internet.

  4. mkh sagt:

    Träume aus e-topia! :-)

  5. G. Schwätz sagt:

    … und nicht zu vergessen, wieviel zeit man für die suche nach, wartung und installation diverser filter, firewalls, virenkiller, updates, patches … aufbringt, nur um diesen pseudo-paradiesischen zustand herzustellen. oder aufbringen sollte, wenn einen nicht – wie mir – beim bloßen gedanken an solch fade, frustrierende tätigkeiten das spontane projektil-kotzen überkommt. ich würde so gerne meinen computer und das netz als simple tools verwenden, die mein leben erleichtern und um die ich mich nicht mehr kümmern muss als um meine waschmaschine. stattdessen wird er – ganz gegen meinen willen – fast zum lebensmittelpunkt, indem ich ihn gegen alle widrigkeiten der virtuellen welt am leben erhalten muss.

  6. Etosha sagt:

    Die ‘bremsenden Fresser von Zeit und Ressourcen’ inkludieren das. Aber pseudo-paradiesisch ist sehr treffend – danke! :)

  7. zonebattler sagt:

    Ich verstehe schon: Zuweilen ertappe auch ich mich dabei, nennenswerte Mengen an Lebenszeit mit dem Orientieren in und dem Navigieren durch die “moderne” Lebenswelt zu verbringen, sei es beim Vergleichen von Mobilfunktarifen, Tagesgeldkonditionen, Blogplattformprovidern oder auch dem Evaluieren technischer Verheißungen, die Probleme lösen sollen, die ich ohne die Technik gar nicht erst hätte. Neue Freiheitsgrade bringen natürlich neue Entscheidungszwänge mit sich. Nur: Dem ganzen Ärger steht ja auch ein Gewinn gegenüber. Die Bloggerei zum Beispiel: Wer wollte leugnen, daß die dadurch gestifteten Kontakte eine Bereicherung sein können? Und falls einem alles zuviel wird: Zumindest als Privatmensch kann man sich entschleunigen und auf ein als natürlich empfundenes, rein analoges Leben zurückziehen. Mit allen Konsequenzen. Wenn man denn mag…

  8. G. Schwätz sagt:

    Naja … ich muss sagen, dass ich aus eigener Erfahrung weiß, dass das Zurückziehen in eine rein analoge Welt eher illusorisch ist. Es gleicht an Radikalität in etwa dem, was früher das Eremiten-Dasein war. Klar konnte man – wenn man wollte – sich in die Wüste Thar zum Kamelhüten zurückziehen und sich so dem Konsumzwang entziehen … aber sagen wir mal, die Gesellschaft hat so etwas nicht gerade gefördert, und also musste man dazu eine große Menge Mut und Entbehrungen auf sich nehmen. (Und damit meine ich nicht die Entbehrungen vor Ort, sondern die, um dies überhaupt zu verwirklichen.) In etwa so ist es heute, wenn man beschlöße, ganz ohne Computer, Handy und iPAQ sein Dasein zu fristen. Ich hatte für mich die Minimalvariante gewählt und war 2 Jahre ohne Handy. Es war herrlich – aber mein Umkreis spielte nicht mit. Und vor der drohenden Vereinsamung musste ich mir dann doch so ein blödes Ding zulegen, das ich heute noch regelmäßig verfluche. Aber das ist ein anderes Thema :).
    Aber ich darf da eigentlich gar nicht mitreden, denn ich hab ja nicht mal ein Blog ;).

  9. mkh sagt:

    Bei SPAM gehts dir, Etosha, ja nur um eine Metapher, wie ich jetzt nochmals genauer gelesen hab. Das “scheinbar Sinnhafte” legt einen fast unsichtbaren Schleier auf das “wahrhaft Sinnhafte” und das “ungetrüft freudige Tun”. – Hmmm. Der Gedanke ist mir nicht unbekannt…

    Vielleicht muss man sich mehr darüber im Klaren sein, dass man im Grunde die Prioritäten seines Lebens täglich aufs Neue selbst festlegen könnte. Man vergisst allzu leicht, dass man viel zu oft viel zu viel Dingen hinterher rennt, die einen vielleicht gar nicht wirklich interessieren. Man könnte vermutlich auch eine Menge Lebens-Zeit sparen und aufbewahren, wenn man den “Schleier” wegzupfen würde, und die solchermaßen gesammelte Zeit wäre vielleicht besser nutzbar, besser “verbring-bar”. Man vergisst zuweilen leicht, wo die womöglich wesentlicheren Prioritäten des Lebens liegen könnten und welche besseren Alternativen es für die gesammelte Zeit geben könnte.

    Aber was ist das, was einem vielleicht wichtiger wäre. Am Ende rationalisiert man womölich alles weg, was keinen unmittelbaren “Nutzen” bringt? Und sollte ich jetzt besser nicht hier sitzen und dir schreiben? Wäre auch schade! Fragen über Fragen…

  10. Etosha sagt:

    Ad ‘Nutzen’: Bei der Analogie mit dem Spam ist es natürlich verlockend, die Konzentration der Menschen auf wirtschaftliches Handeln zurückzulenken. Deswegen hab ich, als Kontrast quasi, die gesteigerte Freude dazugenommen.

    Deshalb aber sprach ich auch von sinnhaftem, und nicht von nützlichem Tun. Nützlich hat diese Konnotationen von erwartungskonformem Verhalten und/oder Einkommenssteigerung. Das meinte ich nicht, kann man aber auch so praktizieren, wenn man der Typ dazu ist. Glücklich machen wird’s einen halt nicht unbedingt, aber zum persönlichen Ziel (Geld) führt’s wahrscheinlich auch.

    Vielleicht schließe ich ja zu leichtfertig von mir auf andere. Aber mir sagt mein Gefühl ganz genau, welche Dinge für mich sinnhaft sind, und welche mich nur davon ablenken, mich vorbeischleusen am Kern meines Tuns und damit auch meines Wesens, auf irgendeine Art ‘Zeit schinden’ – für was-weiß-ich-was. Vielleicht gehts nur ums Spielchen spielen, wer weiß?
    Wenn mir Beziehungen in meinem Leben wichtig sind, seien es nun persönliche oder schriftliche, wenn mir der Kontakt mit Menschen Erfüllung schenkt und Freude, dann ist es sicher nicht nutzlos, hier zu sitzen und zu schreiben.

    Deinen zweiten Absatz, mkh, find ich sehr gelungen, dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

    Wohlerzogene mögen einwerfen, man ‘könne sich nicht immer nur die Rosinen rauspicken’. Ich behaupte: Doch, man kann, und die Wahl hat man auch, jeden Tag. Und da für jeden die Rosinen etwas anderes sind, wird die Welt sich deswegen auch nicht aufhören zu drehen. Wir täten gut daran, öfter mal unsere eigenen Erwartungen vorwegzunehmen und nicht die der anderen.

  11. Etosha sagt:

    @G. & zonebattler:
    Man kann ja durchaus am Spamfilter-Erjagen und am Sieg über die ‘dunklen Mächte’ *g* auch seine Freude haben. (“Mit mir nicht!” :)
    Diese Tätigkeiten, von denen ich ja nicht behaupte, dass sie nicht notwendig wären, fressen aber nicht nur viel Zeit; vor allem vergisst man in ihrem Strudel allzu leicht, wozu man all das eigentlich tut.
    Wenn die Abwehrmaßnahmen zum Selbstzweck werden, wo man doch eigentlich nur mailen/bloggen/surfen wollte, dann ist am Abend zwar die Wartungs-, Abwehr- und Vergleichsarbeit getan, aber die eigentliche Absicht kam zu kurz.
    Wir verhungern sozusagen vor der vollen Schüssel.

    Ja, eindeutig, sie sind eine Bereicherung, die Kontakte durchs Bloggen! Aber wie oft schicken wir uns tatsächlich mal eine Mail, Herr zonebattler? Vergeht dazwischen nicht sehr viel Zeit für (nicht nur, aber auch) sehr viel von diesem ‘Schleierweben’?

  12. G. Schwätz sagt:

    Also, wenigstens besteht bei mir kein Risiko, mich in erwähnten Wartungs-, Abwehr- und Vergleichsarbeiten zu verfangen. Ich habe seit 5 Monaten einen Drucker zu Hause, der nicht druckt, weil ich mich nicht mal aufraffen kann, irgendeinen Treiber dafür zu suchen. Geschweige denn, dass ich mich auf die Suche nach einem optimalen solchen machen würde *g*. Ich wünschte, ich würde die für solche Tätigkeiten investierte Zeit nicht so stark als Lebensverschwendung empfinden – aber es ist nun mal so. Hilfe, ich bin in der heutigen Zeit nicht lebensfähig :P. Aber wurscht, es gibt ja immer noch die Wüste Thar mit ihren Kamelen :).

  13. zonebattler sagt:

    @Etosha:
    Zugegeben, die persönliche Mailerei fernab der Blog-Öffentlichkeit passiert (zu) selten. Zum einen aus dem leidigen Grunde, daß ich dazu neige, jene meiner vielen täglichen Mails zuerst zu beantworten, die am schnellsten zu bearbeiten sind. Ist ja auch schön, wenn von zwölf Nachrichten im Eingangskörbchen danach nur noch ein bis zwei übrig sind. Dummerweise ist danach meist schon viel Zeit und Energie verpufft, so daß ich die private Korrespondenz mit näherstehenden Leuten (welche mir weit mehr am Herzen liegt als das das Ping-Pong-Bla-Bla mit Unbekannten) dann auf “später mal” verschiebe. Nur: Der Tag, an dem Zeit und Muße und Lust und Inspiration zusammen auftrteten, ist vermutlich der Sankt-Nimmerleins-Tag… ;-)

    Bei mir kommt noch ein Aspekt dazu, der im Grunde ein erfreulicher ist: Durch mein an jedem Monatsersten veranstaltetes Bilder-Preisrätsel und den auch ansonsten oft lokalpatriotischen Bezug meiner Blog-Beiträge habe ich mir einen nicht nur virtuellen, sondern höchst realen und greifbaren LeserInnen-Stamm erschrieben, der sich mittlerweile auch 2x im Monat zum Stammtisch und ungezählte Male dazwischen in kleinen und kleinsten Untermengen trifft. Will sagen, die Bloggerei hat mein soziales Umfeld vor Ort regelrecht explodieren lassen. Da geraten dann Freund- und Bekanntschaften auf Distanz leider leicht etwas out-of-focus. Was keine Entschuldigung sein soll, aber eine Erklärung…

  14. Etosha sagt:

    Neiiin, zonebattler, das war ja kein Vorwurf. Der Mailtraffic in die andere Richtung, nämlich in deine, lässt ja frequenziell eher auch zu wünschen übrig. :) Und mir gehts genauso: So zwischen Tür und Angel schnell ein paar Worte hinfetzen, das mach ich eher nicht. Und dann dauerts eben. =)

    Aber schön, wenn das persönliche soziale Umfeld explodiert! *gg* So soll’s sein (wenn man ein sozialer Mensch ist und das mag)!
    Um soo viele Menschen kann ich mich wiederum gar nicht kümmern; bei mir ist es die Intensität, mit der ich mich mit Menschen beschäftigen möchte, die dem Ganzen von vornherein eine gewisse zahlenmäßige Obergrenze setzt – schon aus Zeitgründen.

    G., eine Gefährdung weniger! Ist doch was Schönes! ;) Man muss eben Prioritäten setzen!

Schreibe einen Kommentar zu Etosha Antworten abbrechen

Pflichtfelder sind mit * markiert.


* Die DSGVO-Checkbox ist ein Pflichtfeld

*

Ich stimme zu