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Gnadenlos

schlägt der Vergesser-Schweinehund in mir zu, seit ich das zweiteilige Kapitel über ihn veröffentlicht habe.

Ich stehe in der Küche rum und habe eine sensationelle Geschäftsidee, in Bezug auf irgendeinen Gebrauchsgegenstand, der so unfassbar inkompatibel mit dem menschlichen Körper ist, wie er nur sein kann, ohne dass mir das jemals zuvor aufgefallen wäre, obwohl es doch so offensichtlich ist! Ich sinniere darüber, dass die Angelegenheit so ähnlich liegt wie die Sache mit den kratzenden Schildchen in der Kleidung, aber noch viel krasser, und denke, zumindest könnte man doch darüber schreiben, wenn man schon nicht eine entsprechende Fabrik bauen lässt und sich mit der verbesserten Form einen goldenen Arsch verdient. All das weiß ich jetzt noch, und ich weiß auch, an welcher Stelle in der Küche ich genau gestanden bin, als ich diese Gedanken dachte. Aber fünf Minuten später kann ich mich trotz redlicher Anstrengung und sofort eingeleiteter liegender Meditation nicht mehr daran erinnern, worum es sich gehandelt haben könnte. Auch fünf Tage später hat mein Hirn auf die Suchanfrage noch keine Ergebnisse geliefert. Und ich fürchte mittlerweile, die werden auch nicht mehr kommen.

Ich sitze auf dem Klo, da fällt mir ein, was ich meinem Mann unbedingt noch erzählen will. Zwei Minuten später stürze ich mit weit aufgerissenen Augen auf ihn zu, ein “Du…!” ausrufend – und bleibe danach stumm, weil ich nicht mehr weiß, was ich ihm erzählen wollte.

Ich bin andauernd damit beschäftigt, irgendwelche Sachen zu suchen; die AAA-Akkus Marke “blaue Schirft auf weißem Grund”, an deren Namen ich im Moment nicht rankomme, von denen ich aber sicher bin, dass ich sie gekauft habe, und meine zwei spanischen Harry-Potter-Bücher, mit denen ich mich während meiner Verkühlung gern befasst hätte, hab ich bis jetzt nicht wiedergefunden. Aber egal – neue spanische Wörter hätte ich mir sowieso nicht gemerkt.

Ich lege mir Gegenstände mitten in den Weg, und lasse sie dann trotzdem liegen, sodass ich sogar mitunter auf halber Autostrecke nochmal umkehren muss. Ich stelle mir schon für jeden Scheiß eine Handy-Erinnerung – mit Text: ja, Textart: aufschlussreich; Tonsignal: ja, Erinnerungsmodus: laut und nervtötend – weil ich sonst vergesse, Freunde vom Bahnhof abzuholen, die Pflanzen zu gießen oder zu einer Bilanzbesprechung zu fahren.

Dennoch, oder gerade deshalb, habe ich das ständige Gefühl, mit einem Vakuumhirn unterwegs zu sein, das jederzeit implodieren könnte. Man könnte diesen Zustand für unbeschwert halten, aber besonders wohl fühl ich mich damit nicht. Drum ist auch hier nicht viel los, weil ich die meisten blogbaren Erkenntnisse, Ereignisse oder Wuchteln nicht behalten kann. Und drum ist die Wuchtel des Monats auch noch aus dem Vormonat. Ich erinnere mich durchaus, hin und wieder gelacht zu haben, aber nicht worüber.

Meine Mutter übrigens war auch ganz begeistert vom Vergesser-Kapitel und fand, dass ihre beste Freundin das unbedingt auch lesen müsste. Ob ich es ihr wohl ausdrucken kann. Ich frage, ob die Freundin denn keinen Internetanschluss hat, da meint sie, “Naja, ich hab sie danach schonmal gefragt – aber ich habs vergessen.”

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Im falschen Film

Ich finde die Welt jeden Tag ein bisschen schräger. Ich finde es irgendwie schräg, dass man beim Friseur zweieinhalb Stunden damit zubringen kann, das Gestrüpp auf seinem Kopf bearbeiten zu lassen, das man auch Haare nennt – ich würdige wohl die Menschen, die damit ihr Geld verdienen, aber einem Büschel Keratinfäden so viel Aufmerksamkeit zu schenken, ist definitiv sonderbar. Ich finde es schräg, dass man aus gekauften Sonnenblumensamen nie und nimmer auch nur einen einzigen Sonnenblumenkeimling rauskriegt, man aber nur über ein paar gefüllten Blumentöpfen eine geraume Zeit lang einen Meisenknödel hängen lassen muss, um ein paar Monate später gleich zwei Sonnenblumen wachsen zu sehen. Es ist unfassbar, dass ich zuweilen, wie etwa gestern, keine 200 Meter weit mit dem Auto fahren kann, ohne dass sich mir drei (3) lebensmüde Autofahrer, Radfahrer oder Fußgänger in den Weg werfen.

Ich finde es schräg, dass irgendein unbekannter Sack uns mehrmals in der Woche die Außenspiegel an unseren vorm Haus geparkten Autos zuklappt, ohne dass dafür irgendein ersichtlicher Grund vorläge. (Dagegen allerdings habe ich schon eine wie ich hoffe effektive Therapie ersonnen. Mehr dazu vielleicht demnächst.) Schräg ist auch, dass zu Beginn des Sommers schlagartig sämtliche Wochenenden mit privat-sozialen Happenings dermaßen zugepflastert sind, dass ich auf Fragen nach dem nächsten möglichen Termin für ein Treffen am Wochenende ‘Anfang September’ sagen muss.

Ich finde es schräg, dass ein Nachbarssohn, der die Gegend mit Techno Lautstärke 180 tyrannisiert und mit diesem Verhalten sogar schon seinen kleinen Bruder infiziert hat, außer mich niemanden zu stören scheint, obwohl gegen diese Übergriffe gegen den persönlichen Frieden nichtmal Oropax helfen, weil man das Gewummer noch über die Fußsohlen wahrnehmen kann, wogegen sich gewisse Leute über mollig geratene Mitmenschen echauffieren können, die die ungeschriebene Kleiderordnung nicht einhalten (“keine kurzen Röcke oder allzu enge Kleidung in Größen>36”), als wäre ihnen körperliches Leid zugefügt worden, obwohl ein simples Abwenden des Blickes sie von ihrem definitiv freiwilligen Martyrium befreien könnte, wenn sie denn tatsächlich glauben, dass sie einen derartigen Anblick nicht überleben. Oder sie könnten einfach mal selbst über ihren Schatten springen und all das anziehen, was sie schon immer tragen wollten, und sich nicht um die Pölsterchen scheren, die dabei vielleicht hier und dort zum Vorschein kommen, dann wären sie sicherlich auch nicht mehr ganz so empfindlich. (Meine Therapieempfehlung: CSD.)

Der Gipfel der Schräglage jedoch war in meiner Welt heute (Stand 9 Uhr, wer weiß, was noch alles kommt?) erreicht, als der DPD-Mann klingelte. Er stellt seinen Lkw in der Gasse vor unserem Tor ab, die bei uns nicht besonders breit ist, lädt drei schwere Pakete ab, und sofort beginnt hinter ihm einer zu hupen. Als sich kein Sekundenwunder am Horizont abzeichnet, springt der hupende Mensch aus seinem fetten schwarzen Auto und zuckt total aus, wie man hierzulande sagt. Er beginnt so laut zu schreien, dass die Nachbarn am Fenster und teilweise sogar vor ihren Haustüren erscheinen. “Foah jetz zuwe!!” (Fahr an den Rand!) “Foah zuwe, faule Sau!”“I hob jo mei Zeit net gstohln!” Der DPD-Fahrer sagt, es dauere nur noch eine Minute. Ich bestätige den Erhalt der Lieferung, trete einen Schritt vor das Gartentor und sehe dem Auszucker kopfschüttelnd beim Schreien und seiner Glatze beim rotblauen Farbenspiel zu. “Foah zuwe, foah jetz zuwe, du Oaschloch, i hob ka Zeit!” Dann höre ich “Guat, dann foah hoit i!” und erkenne fast gleichzeitig, dass der Lkw sich rückwärts auf mein geparktes Auto zubewegt, während sein Fahrer immer noch neben mir steht. Wir wechseln einen fassungslosen Blick. Mein naives Hirn glaubt als erstes, der Mann wäre wieder in sein Auto gestiegen und hätte dem Lkw von hinten einen Schubs gegeben. Dann erst sehe ich die Rückfahrscheinwerfer. Auf Drohgebärden des DPD-Fahrers hin kommt uns der Auszucker kurz darauf aus dem Führerhaus des Lkws entgegengeklettert, und die offenstehende Ladeklappe des Lkws nur knapp vor der Schnauze meines Autos zum Stillstand. Vorbeifahren kann der Spinner trotzdem nicht.

Man könnte argumentieren, dass Vorbeifahren für den Wahnsinnigen wahrscheinlich auch so möglich gewesen wäre, hätte er in den vergangenen Jahren ähnlich viel Energie in die Entwicklung eines Gefühls für die Breite seines Autos gesteckt wie in die Ausformung seiner cholerischen Ader. Ein Stück zurückschieben und die Parallelgasse nehmen: eine Minute Ersparnis bei der Zeit und 50 mmhg beim Blutdruck. So rechtzeitig wegfahren, dass einen drei Minuten Verzögerung nicht völlig aus der sicheren Bahn der psychischen Unauffälligkeit werfen: unbezahlbar. Man weiß ja nie, welche Art von Tragödien die Leute tatsächlich zu ihrem Verhalten bringt, aber ich kriege immer mehr das Gefühl, dass ich hier von gemeingefährlichen Psychopathen umgeben bin.

Die Gesamtdauer des ganzen Schauspiels betrug, großzügig geschätzt, drei Minuten. Mein Staunen aber hält noch stundenlang an.

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Alles muss raus!

Ein knackfrisches Werk aus der Etosha-Werkstatt steht zur Vergabe:

200906-sonne
Acryl, Airbrush-Alabaster-Relief und Spiegelmosaik auf runder Malplatte, ∅ 40cm
ஐ ஐ ஐ

Wem gefällt’s? Wer will’s haben? Wer bietet mehr? Eure Angebote müssen nicht zwingend finanzieller Natur sein, ich bin auch für andere originelle Vorschläge offen. Ich suche mir dann einfach das schönste Angebot aus. Das Ganze muss nicht öffentlich hier in den Kommentaren geschehen – meine Mailadresse steht im Menü rechts.

Ich habe mich darüber hinaus entschlossen, verschiedene Babys aus meiner Werkstatt liebevollen Pflegeeltern zu überlassen, zum Beispiel dieses:

200805 - DiscMan
Acryl, Airbrush-Alabaster-Relief und CD auf Malplatte, 20x20cm
ஐ ஐ ஐ

Alle Arbeiten sind mit viel Liebe und Zeitaufwand handgemacht. Was es alles gibt, steht auf dieser voll geheimen Seite, mit Foto, Beschreibung und Verfügbarkeit (GalleryWorkInProgress). Weitere Details zu bestimmten Arbeiten (Größe, etc) verrate ich gerne per Mail.

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Zweifelhafte Methoden

Vor einigen Wochen erhalte ich untertags einen Anruf, mitten in einer Arbeit, die Konzentration erfordert. Ein männlicher Mensch ist am Telefon und will mit mir eine Umfrage machen. Dass ich den Anruf überhaupt annehme, ist dem Umstand zu verdanken, dass er nicht mit unterdrückter Nummernkennung anruft. Unbekannte Anrufer bleiben bei mir unbekannt, die dürfen mir maximal die Mobilbox vollsäuseln. Ich sage ihm, ich hätte für sowas im Moment keine Zeit. Später aber fällt mir wieder ein, dass ich eine Nummer von diesem Menschen habe, und rufe ihn zurück.

Ich frage ihn, wie er heißt, woher er meine Telefonnummer hat, und von welcher Firma sein Anruf beauftragt wurde. Zu letzterer Frage nuschelt er irgendeine Dreibuchstabenkombination. Ich notiere sie, hake nach und frage ihn nach dem genauen Firmenwortlaut, und nach der Rechtsform. Rechtsform? Na, ob das eine GesmbH sei oder eine AG oder wie. Er ist ein bisschen hilflos und gibt schließlich widerwillig zu, dass er das nicht wisse, es sei aber ‘eine große Firma’, und gibt mir die Telefonnummer der Geschäftsführerin, die er kenne. Sie hieße Andrea.

Außerdem meint er, er mache viele solche Anrufe, und diese Fragen habe ihm bislang aber echt noch niemand gestellt, und dass er ja gar nichts dafürkönne und das alles ein bisschen unfair finde. Ich sage, dass ich es unfair finde, in meiner Arbeitszeit von Umfragern gestört zu werden, und komme mir ein bisschen wie im Kindergarten vor. “Solche Fragen können aber offensichtlich vorkommen, also sollten Sie darauf besser vorbereitet sein. Nichtmal Ihren Auftraggeber mit vollem Firmenwortlaut zu kennen, das macht nicht gerade einen seriösen Eindruck”, sage ich. Er verspricht, sich das zu merken. Irgendwie tut er mir ein bisschen leid.

Quid pro quo – dafür beantworte ich dann auch seine Fragen. Es geht um die Zufriedenheit in Sachen Versicherungen und Versicherungsbetreuung. Nach fünf Fragen ist alles erledigt, und er fragt, “Und, war das jetzt so schlimm?”

Ich rufe die Geschäftsführerin aber aus Zeitgründen nicht an, und nach einer kurzen, erfolglosen Internetrecherche bezüglich der Dreibuchstabenkombination und ein paar Tagen werfe ich den Zettel weg.

Ein paar Wochen später erhalte ich schon wieder einen Anruf während einer konzentrierten Arbeit. Ich bin offenbar stets hochkonzentriert. Eine Dame erklärt mir, ich hätte da ja vor einigen Wochen bei einer Umfrage mitgemacht, und die Ergebnisse diesr Umfrage seien so bedenklich für die Versicherungsgesellschaften, dass diese sich zu einer konzertierten Aktion entschlossen hätten, im Rahmen derer sie den Versicherungskunden auf Antrag gewisse Verwaltungsgebühren auf die Prämien erlassen würden. Zu diesem Behufe seien im Rahmen von Outsourcing einige Mitarbeiter unterwegs, um diese Verträge zu besehen und den Gebührennachlass zu beantragen.

Ich höre mir das alles an und frage sie, warum die Versicherungsgesellschaften, wenn sie mir einen Rabatt gewähren wollen, dies nicht einfach tun und mir stattdessen irgendeinen aus der Outsource schicken, einen Ausgequollenen quasi. Mit verschwörerischem Unterton erklärt sie in etwa, dass die sich’s natürlich auch einfacher und billiger machen wollen, indem sie diese Nachlässe nur jenen Kunden gewähren, die an der Umfrage teilgenommen haben und sich von Beratern diese Rabatte hereinholen lassen. Die Information, dass ich in der Umfrage meine volle Zufriedenheit mit meinen Betreuern zum Ausdruck gebracht habe, und dass meine Polizzen bereits vom Vermögensberater optimiert sind, lässt sie an sich abperlen. Wann ich denn für einen solchen Termin Zeit hätte. Vielleicht lasse sich ja trotzdem noch ‘etwas machen’.

Sonderbare Art, zu Maklerterminen zu kommen, denke ich, aber ich habe Feuer gefangen, und dieses Spiel will ich jetzt zu Ende spielen. Ich notiere ihre Telefonnummer und jene des Betreuers, der mich zu einem vereinbarten Termin besuchen kommen soll. Und dieser Termin war heute vormittag.

Zuvor erkundige ich mich natürlich, ob ich denn mit der Vermutung richtig liege, dass dieser Versicherungen-Verwaltungsgebühren-Blabla dem Land der Märchen entspringt. Unser Versicherungsbetreuer weiß davon nichts, und der Vermögensberater ist der Ansicht, da wollte einfach jemand über die Beauftragung eines Callcenters zu Neukunden-Terminen kommen. Kalte Akquise sei verboten, man dürfe nicht einfach irgendeine Privatperson zum Zwecke der Terminvereinbarung anrufen; eine Umfrage sei aber als Erstkontakt legitim und ein späterer Anruf in diesem Zusammenhang dann erlaubt.
Unser Vermögensberater hatte Termine bei uns. Er kennt mich schon und weiß, dass Unbequemsein mir Spaß bereitet. Daher äußert er schon im Vorhinein sein Mitgefühl mit dem Makler, freut sich aber auch mit mir auf meinen unterhaltsamen Vormittagstermin, und auf meinen späteren Bericht.

Der Versicherungsmakler, der hier aufkreuzt, ahnt nichts Böses. Er sagt, “Worum es geht, wissen Sie.” Ich sage, “Erklären Sie mal!” Er sagt seinen Standardsatz auf, der natürlich nichts mit Nachlässen von Verwaltungsgebühren zu tun hat, sondern ein ganz normaler Versicherungsagenten-Einstiegssatz ist. “Unverbindliches, kostenloses Polizzenservice, ich schaue alles durch, mache Ihnen Vorschläge, und Sie entscheiden dann, was Sie tun.”

Ich erzähle ihm daraufhin, wie dieser Termin zustandegekommen ist, vom Fritze ohne Firmenwortlaut-Ahnung und der Tante mit den konspirativen Verwaltungsgebühren. Ich tue in klaren Worten meinen Unmut darüber kund und meinen Unwillen, mich derart verscheißern zu lassen. Der Makler notiert sich alles und will mit dem nachgehen. Dass dies nicht dem vereinbarten Gesprächsleitfaden für das Callcenter entspreche, sei selbstverständlich. Ich lasse ihn wissen, dass er mir persönlich sympathisch ist, dass ich aber nur jemandem Einsicht in meine vertraulichen Versicherungsunterlagen gewähre, zu dem eine Vertrauensgrundlage besteht, welche ich nach einer solchen Anbahnungsmethode nicht sehe. Ebensowenig sehe ich auch eine Grundlage, auf der ich darauf vertrauen könnte, dass diese Anbahnung nicht dem ursprünglichen Auftrag an das Callcenter entsprochen haben soll. Und dass er daher bei mir “en Aufdraht’n” habe, also zu deutsch: keine Chance.

Es tut ihm leid, dem Makler, dass wir nicht ins Geschäft kommen, denn endlich wäre da mal jemand, der ein bisschen einen “Gegenpart” böte, und er wolle auch nur ungern lockerlassen, denn “Sie wären sicherlich ganz interessant zu bearbeiten gewesen”. Wir lachen beide über diese missglückte Formulierung. Quid pro quo: Er lässt mich lesen, was die terminvereinbarende Dame über mich vermerkt hat: “Ist freundlich, aber etwas anstrengend: hinterfragt alles 100x.” Ich lasse der Dame meine besten Grüße ausrichten, und dass ich persönlich es wesentlich anstrengender finde, mich am Telefon schamlos belügen zu lassen, als 100 schwere Fragen zu beantworten.

Etwas ähnlich Unseriöses ist mir seit langem nicht untergekommen. Nicht, dass ich überrascht gewesen wäre, einfach einen ordinären Versicherungsmaklertermin vereinbart zu haben. Ich wollte einfach jemanden persönlich hierhaben, dem ich auseinandersetzen kann, wie es auf Menschen wirken kann, wenn man ihnen am Telefon so unverschämt etwas vorlügt. Wenn ich davon auf die Art schließen darf, wie diese Maklerfirma ihre Geschäfte zu machen pflegt, kann ich auf eine Kooperation gut verzichten. Das schafft nicht den Hauch einer Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Und das wollte ich gesagt haben – persönlich, laut, und ohne, dass jemand einfach auflegt.

Das überaus Sonderbare an dieser Geschichte ist nun nicht die zweifelhafte Art und Weise, wie dieser Termin zustandekam oder die dummdreisten Methoden zum Anlandziehen von Terminen. Vielmehr ist es die Tatsache, die den Aussagen des Umfragemenschen und jenen des Maklers zu entnehmen waren: Dass ich die einzige unter hunderten, vielleicht sogar tausenden angerufenen Menschen bin, die nachfragt, wer spricht, die sich sowohl gemerkt hat, was am Telefon be- bzw. versprochen wurde, als auch den Vergleich zu dem anstellt, was dann beim Termin tatsächlich stattfindet – und die daraus auch noch ihre Schlüsse zieht.

Selbst wenn Kaltakquise erlaubt wäre und der Makler am Telefon ehrlich, würde er keinen Termin bekommen, sagt unser Vermögensberater. Weil die Leute belogen werden wollen? Nein, behaupte ich, weil sie es voraussetzen – vielleicht aufgrund von Erfahrungen, die den meinen ähneln – und daher einfach nein sagen.
Kein Wunder. Sowas kostet Zeit und Nerven. Aber ich bin jetzt um eine Erfahrung reicher – und der Herr Versicherungsmakler bestimmt auch.

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Trübe Aussichten

Mit Restverkühlung an tristen Regentagen langweilige Arbeit erledigen. *gähn-gähn* Ich plädiere für sofortige Einstellung des Regens, schon weil meine Blumen draußen bereits mehr als ausreichend unter Wasser stehen. Und weil ich in den letzten Tagen von drei Hundespaziergängen, gestartet während kurzer Regenfrei-Phasen, dreimal völlig gebadet zurückgekommen bin – vom Hund ganz zu schweigen. Man könnte es in gewisser Weise also durchaus als stabile Wetterphase bezeichnen.
Aber wenigstens haben wir keinen überschwemmten Keller.

Is bei euch irgendwas Erzählenswertes los?

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Stimmliches

Immer wieder fragt ihr mich, ob ich denn nicht mal was Gesungenes online stellen könnte. Der Zauber der modernen Technik machts möglich: Ihr könnt heute zuhören, wie ich bei der Hochzeit meiner Schwester vor drei Wochen Hallelujah singe. Zwar ists mitunter recht wackelig und nicht ganz sauber gesungen, auch weil mich die Tränen der Rührung in den Augen meiner Schwester aus der Fassung bringen – aber es war einer der schönsten Momente, deshalb hab ich aus den paar Songs, die mein Bruder und ich bei der Hochzeit gesungen haben, diesen ausgesucht.
(Und im Moment wär ich schon froh, wenn ich außer Husten und Krächzen überhaupt irgendwas herausbrächte.)

Das Lied wurde dem Anlass zuliebe gekürzt und ist daher auch im Text nicht ganz schlüssig. Es gibt da nämlich im Originaltext Passagen, die sich für eine Hochzeit nicht ganz so gut eignen.

Der Szenenapplaus zu Beginn gilt übrigens nicht mir, sondern dem Trauungskuss in diesem Moment.

      Etosha singt Hallelujah

Falls die eingebettete Anwendung oben nicht funktionieren sollte, hier der Direktlink zur Datei.

Ich hoffe, ihr habt Freude dran!

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A-7. C.i. asocialis: Der Eremit

Dieser Artikel ist Teil 10 von 11 in der Serie "Schweinehunde" ...
Nanü, worum gehts denn hier? Bitte zum ersten Eintrag in dieser Serie!

A-7. C.i. asocialis: Der Eremit

‘Stille Wasser sind tief.’

Der Eremit ist, so widersinnig es scheinen mag, ein leidenschaftlicher Teamplayer und arbeitet eng mit anderen Schweinehunden aus der Vermeider-Klasse zusammen. Hier zeigt sich das volle Potential der Schweinehunde, ihre Vernetzung und ihr Teamwork zumindest sind überaus beeindruckend. Tritt der Eremit auf den Plan, geben sich auch andere Schweinehunde die Türklinke in die Hand. Im Nu dirigiert der Eremit ein ganzes Orchester, und es grunzt die Eremiten-Lobeshymne Nummer eins: “Alle Menschen san ma zwida” (Kurt Sowinetz / Beethoven).

Seine ganz großen Zeiten hat der Eremit in den frühen Morgenstunden oder eben nach dem Aufstehen, außerdem in Stresssituationen und in den Phasen nach persönlichem Scheitern. Bei Frauen lässt er sich am liebsten in der prämenstruellen Phase blicken. Dabei wird das Sprechen dir stark erschwert; obwohl manchmal sogar ganze Sätze vorgeformt in deinem Kopf bereitliegen, bringst du einfach den Mund nicht auf. In anderen Fällen schlägt der Eremit dir ausschließlich Worte vor, die immer ein, zwei Spürchen neben dem tatsächlich Empfundenen liegen, und am Ende stellst du entsetzt fest, dass das, was dabei rauskam, vom ursprünglichen Gedanken himmelweit entfernt war.

Der Eremit sorgt dafür, dass sich auf jegliche Form eines Klingelns dein Seelchen empört zurückzieht wie der angetippte Fühler einer Schnecke. Ein Anruf, eine Kurzmitteilung oder eine andere Form vorsichtiger Kontaktaufnahme, und sogleich zuckt ein fuchtiges “Was wollt ihr jetzt schon wieder von mir?” durch dein Gehirn.

Menschen, die etwas von dir wollen, sind in der akuten Infektionsphase generell ein großes Problem. Manche von ihnen glauben gar, ein Gespür dafür zu haben, dass jetzt der richtige Zeitpunkt sein könnte, dir ihre konstruktive Kritik zu unterbreiten. Du könntest lachen, wenn es nicht so zum Weinen wäre – und wenn du den Mund aufbrächtest.

Denn alles in dir sträubt sich gegen soziale Kontakte. Also gehst du nicht ans Telefon, öffnest nicht die Tür, du schickst keine Kurzmitteilungen, und schon gar nicht rufst du von selbst irgendjemanden an, wo doch schon einen Termin beim Zahnarzt zu vereinbaren eine unüberwindliche Hürde darstellt – denn du möchtest mit niemandem reden. Du beantwortest auch deine E-Mails nicht, und irgendwann werden die Versuche von außen weniger. Dann kann der Eremit dir endlich das Gefühl geben, dass niemand dich mag und niemand sich um dich kümmert.

Mithin die größte Qual während des akuten Eremitenbefalls sind jedoch soziale Anlässe von so verpflichtendem und offiziellem Charakter, dass der Eremit bei aller Anstrengung dein Fernbleiben nicht erwirken konnte, weil dich die Wichtigkeit des Anlasses über alle Schweinerei hinweg zu einem Erscheinen zwingt. Hier wird dir jedes Wort, das du hervorwürgen musst, Schmerzen verursachen; der innere Widerstand und deine Fratze, die ein gekünsteltes Lächeln darstellen hätte sollen, führen nach kürzester Zeit zu einer Starre in der Kieferregion und einem verkrampften Gefühl in der Kehle. Deine Gehirnzellen veranstalten eine Demo und tragen Schilder mit der Aufschrift “Ich will heim. Bitte.”

Wenn dich in diesem labilen Zustand auch noch ein Anstifter aus der compellans-Klasse reitet und dich bei diesem offiziellen Anlass zu Aussagen verleitet, die einen Tick zu direkt ausfallen (“Ich hab dich ja immer schon für einen aufgeblasenen Affen gehalten, aber heute übertriffst du alle meine Erwartungen.”), dann könnte das Asocialis’ wildeste Träume erfüllen und deine beruflichen und privaten Beziehungen lahmlegen, bis die Hölle einfriert.

Wenn du ihn aber lässt, hindert der Eremit dich völlig am Erscheinen bei Terminen und Einladungen, und vielleicht sogar daran, bei der Arbeit aufzutauchen. Wenn ein Freund in einer deiner Eremitenphasen Geburtstag haben muss, ist das eben sein Pech. Du gehst ganz bestimmt nicht auf das Fest. Hmpf!

Teamwork

Aber natürlich gibt es einen verborgenen Anteil in dir, der liebend gerne auf dieses Fest gehen würde, weil er eine Spontanheilung verspricht. Andere Schweinehunde mischen hier sehr gerne mit und liefern massenhaft Gründe und Ausreden. Der Verbieter sagt, dass du vor dem Weggehen erstmal aufräumen solltest, duschen, den Hund füttern und den Müll rausbringen. Absichtliche Überforderung in einer Phase, in der schon das Hochheben eines Telefonhörers eine unüberwindliche Hürde darstellt.

Die Hysterikerfraktion kreischt, du hättest nichts anzuziehen und außerdem Angst vor den vielen Menschen auf dem Fest. Womöglich sind sogar welche dabei, die du gar nicht kennst! Oder du musst ganz alleine in eine Bar hineingehen, huh!

Der Verächter lässt verlauten, auf diesem Fest wolle dich vermutlich ohnehin niemand haben, schon gar nicht in dieser Stimmung, und dass du es echt nicht wert wärst, dass sich jemand um dich kümmert. Das wiederum kann in einer solchen Situation eine wahre Kaskade an Selbstmitleidsgefühlen auslösen.
Schließlich ruft der Eremit den Zweifler herbei, um gegen den Anteil in dir zu kämpfen, der auf das Fest gehen möchte. Mal gewinnt der eine die Oberhand, mal der andere, und so geschieht es, dass du dich zwölfzigmal hin und her entscheidest, an-, um- und ausziehst, zwischendurch auf Stühle niedersinkst und ins Leere starrst, bis es schließlich zum Weggehen zu spät ist oder du in Tränen ausbrichst und brennende, verquollene Schweinsaugen den Ausschlag fürs Daheimbleiben geben. Der verborgene Anteil in dir liegt nach dem Kampf wimmernd und ramponiert in einer dunklen Ecke des Schweinehundestalls, den Mund mit Schweinespeck gestopft.
Der Verbieter schließlich wird später sagen, “Hatte leider keine Zeit, zu viele andere Pflichten!”.

Umso schlechter, wenn bei all diesen vermiedenen Kontakten etwas Lebenswichtiges dabei war, denn der Faulpelz fängt sofort Feuer, wenn er davon Wind bekommt und wirft sich mit voller Wucht in die Waagschale mit der Aufschrift “Nein!”. Und langsam erkennst du, dass ein Landstrich voller Treibsand dagegen ein Spaziergang ist.

Manchmal würdest du vielleicht sogar gerne jemandem dein Herz ausschütten, dich schluchzend gegen eines Mitmenschen Schulter werfen; du spürst, dass das Aussprechen dich erleichtern würde – aber du bleibst stumm und deine Augen trocken. Solltest du dabei gar eine gewisse perverse Befriedigung verspüren – sei versichert, dass es sich dabei nicht um deine eigene Empfindung handelt.

Bei einem solchen kettenreaktionsartigen Befall ist es das Beste, erstmal einen Schritt zurückzutreten und das Treiben, so gut es eben in dieser Lage geht, aus einer gewissen Entfernung zu betrachten. Es kann auch helfen, dir selbst zu bestätigen, dass du in der Tat ein überaus armer Mensch bist, der langsam zum Schwein mutiert. Selbstmitleid ist besser als sein Ruf, denn es ist oft das einzige Mitleid, das gerade zu kriegen ist. Es ist nur keine Dauerlösung.

Daher kommt danach ein Schritt der größten Überwindung: Ruf den besten Freund an, den du hast. Das mag anstrengend sein und eine Zeitspanne erfordern, während der du Löcher in dein Telefon starrst. Das macht aber nichts, du hast im Moment ohnehin nichts Besseres zu tun. Dann erzähl deinem Freund offen und ehrlich von deinem Befall. Dieser Schritt ist immens wichtig, denn er ist der erste Impuls, der dem Treiben letztlich ein Ende setzen wird.

Zukünftige Attacken abzuwehren ist schon schwieriger. Es erfordert größte Aufmerksamkeit, die erste Phase des Eremitenbefalls überhaupt zu bemerken. Manchmal ist es gut, allein zu sein, solange man darüber nicht verzweifelt. Man lasse den Eremit einfach eine gewisse Zeit lang bewusst für sich arbeiten, und genieße die Ruhe. Wenn aber etwas in dir “Genug!” ruft, sich eine seltsam perverse Befriedigung einstellt, wird es ungesund, und es ist an der Zeit zu handeln. Verwunschenerweise scheint jedoch gerade dann niemand Zeit zu haben – keine Sorge, das liegt in der Natur der Sache. Dies ist nicht der Moment für falschen Stolz. Die Zauberformel zur Manifestation von Zeithaben bei deinen Freunden lautet, “Ich brauche dich, mir gehts nicht gut”.

Interessanterweise kann man sich der Situation am effektivsten dann entziehen, wenn gerade alle Schweinehunde beschäftigt und in voller Aktion sind. Dann kannst du dich in dem Durcheinander zurückziehen, deine sehr wenigen echten Anteile zusammenpacken und unbemerkt verschwinden.