Anders vs. Gleich

Wenn wir nach dem Bonusspur-Spießrutenlauf in die Aquariumsgasse einbiegen, ist auf der linken Straßenseite ein Minimarkt namens Yasui. Als Wegweiser vor seiner Einfahrt stand die letzten Monate ein unansehnliches Schild, aus dem noch dazu ein kantiges Loch ausgebrochen war.

Wie sehr man sich provinziell eingemeindet, selbst wenn man nur kurze Zeit im Ausland ist, wie sehr das Hirn all das ausblendet, was zwar wunderschön, aber leider auch stetig ist, und stattdessen den Veränderungen die bevorzugte Aufmerksamkeit gibt, merkte ich an meiner spontanen Aussage letzte Woche: “Schau, der Yasui hat ein neues Schild!”

Allerdings: Unsere Grünfläche vor dem Haus, die man nicht Rasen nennen kann – wenn die nach Wochen wieder mal vom Vermieter gemäht wurde, und zwar so, dass wieder nur armseliger Beton mit ebensolchen Pflanzenstrünken übrig bleibt, obwohl ich deutlich gemacht habe, dass ich das furchtbar finde, dann fällt mir das erst beim fünften Hinschauen auf. Warum ist das so?

4 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. _mathilda_ sagt:

    Unser Hirn ist ein Wunderwerk. Jeder Eindruck durchläuft einige Filter, bevor die graue Masse entscheidet, ob du das nun aktiv wahrnehmen sollst oder nicht, ob das in den Langzeitspeicher soll oder nicht, ob du Rechenkapazität für die Evaluierung aufwenden sollst – oder eben nicht.

    Ich kann dir keine definitive Antwort geben, denke aber, dass das Hirn alles, was wiederkehrend ist, mit niedrigerer Priorität einstuft und oft auch keinen Aufwand zum Abgleich mit dem Letztbild treiben will. Darum laufen wir an gewissen Dingen oft mehrmals vorbei, bis wir merken, dass etwas anders, egal in welche Richtung. Das ist der Grund, warum Männer nicht sehen, dass Frauen beim Friseur waren ;)

    Wenn meine Erfahrung auch nur halbwegs repräsentativ ist, dann denke ich, dass das, was du erlebst und beschreibst, recht normal ist. Ich merke das selber beim Reisen: Wenn ich zum ersten Mal an einem Ort bin, dann will ich alles erfassen und speichern und gehe damit auch anders an die Dinge heran als zuhause. Wenn ich einen Ort dann erneut besuche, dann baue ich schon auf die vorherige Erfahrung und der Blick ist dadurch etwas anders.

    Manchmal versuche ich zuhause so zu tun, als ob ich im Urlaub wäre. Der Effekt ist ein Wahnsinn! Da fallen mir Dinge auf, die im Alltag einfach vorbeirutschen.

    Vielleicht ist diese fokussierte Wahrnehmung ein Selbstschutz fürs Hirn – wenn das jeden Reiz mit höchster Priorität verarbeiten würde, könnten wir vermutlich nicht mehr auf die gewohnte Art “funktionieren”. So wie ist es ist, ist unser Hirn mit ca. 20% einer der größten Energieverbraucher im Körper, an seiner Masse gemessen wohl relativ der größte. Bei Babies und Kleinkindern fließen über 50% dorthin, was verständlich ist, weil Kinder in den ersten Lebensjahren extrem viel lernen und sehr viele Wahrnehmungen neu sind. Wenn das beim Erwachsenen auch so wäre, dann müssten wir vermutlich alle Windeln tragen und niemand könnte für irgendwas verantwortlich gemacht werden ;)

    • Etosha sagt:

      Alles sehr wahr. Wenn alles so ist, wie es das Hirn aus seiner Erfahrung gewöhnt ist, dann stellt es sowas wie eine (wahrnehmungsmäßige ;) Nulllinie her – “alles normal”. Alarmierende Abweichungen von dieser Normalität hatte in den Hirnen unserer menschlichen Keule-und-Höhle-Vergangenheit sicher höchste Priorität, das war lebenswichtig. Schade nur, dass einem auf diese Art so viele Dinge entgehen, von denen man ja gar nichts weiß! :)

  2. franzi sagt:

    i mecht des ganz afoch sogn: der Mensch ist ein Gewohnheitstier. siehe: die Kua vorm neuchen Tor…

  3. _mathilda_ sagt:

    Was mir zwischenzeitlich noch so einfiel: spannend ist ja auch, wenn dein Kopf unterbewusst wahrnimmt, speichert, abgleicht und irgendwann zurückmeldet “Du, da stimmt was nicht. Schau dir das mal genau an!”. Wenn in einer unbekannten Umgebung etwas fehlt, das man aufgrund der Erfahrung dort erwarten darf, dann ist das gar nicht so leicht herauszufinden, wenn man nicht gerade auf der Suche nach genau dem Ding war.

    Klingt jetzt kryptisch, erklärt sich an einem Beispiel wohl besser: Bei einem meiner Amerika-Trips cruise ich ganz relaxt durch die ländliche Umgebung, den Angaben meines Navis folgend. Irgendwann meldet ein leises Stimmchen aus dem Hintergrund, dass was nicht passt. Nach einigen Minuten Beobachtung und Erinnerung an die bisherige Autofahrt machte es dann “klick” – die hatten dort keine Straßenschilder! Man wusste weder, auf welcher Straße man unterwegs war, noch wohin es an Kreuzungen jeweils ging. Eine Gegend nur für Einheimische, so schien es. Zugegeben, ohne Navi wäre ich viel früher draufgekommen ;)

    Aber das zeigt mal wieder schön, dass das Hirn gewisse Dinge einfach als gegeben annimmt und nicht alles ständig hinterfragt, damit es Kapazität für andere Sachen hat.

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