Die Bonusspur

Um zu unserem Guten-Morgen-Faktotum zu gelangen, müssen wir auf Korors Hauptstraße. Auf dieser Hauptstraße gibt es drei Spuren. Erstmal außen eine Spur für jede Fahrtrichtung, klar. Und dann gibt es die Mittelspur. Diese steht den Linksabbiegern zur Verfügung, und zwar jenen aus beiden Richtungen. Aber die Mittelspur kann noch mehr! Wenn es sich morgens staut (und das tut es zuverlässig, weil es eben nur diese eine Hauptstraße gibt und kaum Schleichwege rundherum), dann wird die Spur ab halb acht zur Bonusspur für die Fahrtrichtung Malakal. Das ist auch die Richtung, in die wir morgens fahren. Die “Vorzugsrichtung” darf also zwei Spuren benutzen, die andere Richtung nur noch eine.

Diese Tatsache wird dem Autovolk durch das Aufstellen von orangefarbenen Verkehrskegeln kundgemacht, die auf der Trennlinie zwischen Mittelspur und Nachteilsspur in jeweils etwa hundert Metern Abstand von der Polizei verteilt werden. Mittags und abends ist es oft umgekehrt, dann gibt es dafür eine zweite Spur Richtung Babeldaob. Manchmal ist die Polizei anderweitig beschäftigt, etwa mit der Bestattung eines Politikers, dann gibt es für niemanden zwei Spuren.

Nicht alle Autofahrer kennen diese Regelung, es gibt einen Haufen Touristen mit Mietwagen und sicher auch einheimische Ignoranten, die sich trotz Fahrens in der benachteiligten Richtung zum Abbiegen auf die Mittelspur begeben, zwischen den Kegeln hindurch, was oft mit verärgertem Hupen und entsprechender Gestik aus der Gegenrichtung quittiert wird. Korrektes Linksabbiegen aus der Nachteilspur hingegen hält natürlich die ganze Spur hinter dem Abbieger auf und wird folglich mit Hupen von hinten quittiert.

Richtig viel schneller ist man auf der Mittelspur nicht, zumindest wenn man sie allzu vorsichtig benutzt, weil sie ja von der Vorzugsrichtung immer noch als Linksabbiegespur genutzt wird. Und auf dieses Linksabbiegen muss mitunter ein Weilchen gewartet werden, denn nachdem der Gegenrichtung nur eine Spur zur Verfügung steht, ist auch dort nicht gerade wenig Verkehr. Als Fahrer auf der Bonusspur muss man also den Linksabbieger schon frühzeitig erahnen, dann schnell zurück nach rechts wechseln und den Linksabbieger hinter sich lassen, dann wieder zurückwechseln. Es ist recht aufregend, aber das Konzept gefällt uns.

Zusätzlich stehen am Morgen einige Polizisten zur Verfügung, die mit weißbehandschuhten Händen, schwarzer Montur und bemerkenswertem Elan den Verkehr regeln. An manchen Kreuzungen hat das Sinn, da wird dann und wann der Hauptstraßenverkehr angehalten, um Abbiegern eine echte Chance zu geben. An anderen Stellen gibt es Zebrastreifen, an denen man Fußgänger tunlichst nicht niedermähen sollte. Der Freund und Helfer wirft sich zwischen Fußgänger und Autos und verhindert so diese ungewollte Niedermähung.

An wieder anderen Stellen gibt es überhaupt keinen erkennbaren Grund für einen Verkehrspolizisten, außer dass er mit vollem Körpereinsatz die Lenker dazu anhält, beim Fahren zügig zu bleiben und nicht einzuschlafen. Er macht sich dabei durch eine kunstpantomimisch höchst wertvolle Darbietung bemerkbar, begleitet von stetigem, oft rhythmisch anspruchsvollem Trillergepfeife. Ein Geräusch übrigens, das einem durch alle Glieder und Felle fährt, wenn man nicht rechtzeitig das Fenster schließt.

Fährt man früher, dann entgeht man dem Stau. Ich bin mal um 6:50 weggefahren, da war die Straße vollkommen leer. Martin war da woanders unterwegs zum Tauchen, daher schaffte ich es so früh aus dem Haus. Heute früh – Aufbruch um 7:10, auch kein gröberes Problem, verkehrstechnisch mein ich, aber schon mehr Autos, während der Mann auf meinem Beifahrersitz jammert, dass man doch “mal” noch 20 Minuten länger hätte schlafen können. Doch ob man um 7:30 oder 7:50 wegfährt, macht für die Ankunftszeit haargenau keinen Unterschied mehr: Die ist immer 8:05.

3 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. franzi sagt:

    lustige Regeln sind das in Palau. Da hätten unsere Kiberer a Freid..

  2. _mathilda_ sagt:

    Ich kenne das System ähnlich aus den USA, vor allem im ruralen Raum: die Mittelspur ist Abbiegespur. Allerdings ist sie etwas besser be”schriftet”, also mit Abbiegepfeilen für beide Fahrspuren versehen. Dass man sie als zusätzliche Fahrspur während der stärkeren Zeit nutzen kann, ist nicht ganz so verbreitet, aber auch möglich. Spannend ist, dass das ganz gut funktioniert. Wenn ich mir anschau, was der Österreicher mit der Rettungsgasse aufführt, sähe ich bei der Einführung eines solchen Systems schwarz für unser Alpenland…

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